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20.05.2022

Internationaler Ausbruch von Affenpocken

Nachdem vergangene Woche in Großbritannien eine Häufung von Infizierten mit dem Affenpockenvirus gemeldet wurden [I], kommen nun international immer mehr Fälle hinzu – auch in Portugal, Spanien, Italien, Schweden, Belgien, den Vereinten Nationen von Amerika, Kanada. Einem weiteren Verdachtsfall wird nun in Australien nachgegangen.

Bislang wurden Affenpocken nur in vier Ländern außerhalb Afrikas nachgewiesen: Großbritannien, den Vereinten Nationen von Amerika, Israel und Singapur. Alle diese Fälle hatten Reiseverbindungen zurück nach Nigeria und Ghana oder hatten sich im Kontakt mit von Reiserückkehrenden infizierten Materialien angesteckt. Ein Ausbruch in den Vereinigten Staaten wurde 2003 durch importierte Präriehunde aus Ghana verursacht. Infektionen sind häufiger in Zentral- und Westafrika, wo sie durch direkten Kontakt mit infizierten Tieren entstehen können. Es ist das erste Mal, dass in Europa Infektionsketten ohne bekannte Verbindung zu West- oder Zentralafrika beobachtet wurden [II].

Bei dem Virus handelt es sich um ein Doppelstrang-DNA-Virus, das eigentlich in Hörnchen sowie in Ratten und anderen Nagetiere verbreitet ist. Affen können auch infiziert werden, sind aber Fehlwirte. Die Infektion des Menschen wird durch Kontakt mit diesen Tieren oder von Affen ausgelöst, durch Kontakt mit Sekreten, als Tröpfcheninfektion oder durch den Verzehr von Affenfleisch. Die Ansteckungsgefahr ist allerdings nur gering. Die Mensch-zu-Mensch-Übertragung ist selten und erfolgt durch Kontakt mit Läsionen, Körperflüssigkeiten, Tröpfchen aus der Atemluft bei engem Kontakt und durch kontaminierte Materialien.

Das Robert Koch-Institut hat die Bevölkerung und Ärzteschaft bereits vor Fällen in Deutschland gewarnt und bittet Verdachtsfälle umgehend zu melden [III].

Die nachfolgenden Statements von Fachleuten ordnen ein, wie die aktuelle Lage einzuschätzen ist, welche Übertragungswege bekannt sind und ob es sich hierbei bereits um eine Epidemie handelt.

Zusätzlich zu dieser Rapid Reaction gibt es hier in einem Fact Sheet weitere Hintergrundinformationen zum Affenpockenvirus.

Übersicht

     

  • Prof. Dr. Fabian Leendertz, Gründungsdirektor des Helmholtz-Institut für One Health (HIOH), Greifswald, und Leiter der Projektgruppe 'Epidemiology of Highly Pathogenic Microorganisms' am Robert Koch-Institut, Berlin
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  • Prof. Dr. Dr. Gerd Sutter, Inhaber des Lehrstuhls für Virologie, Institut für Infektionsmedizin und Zoonosen, Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU), München
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  • Dr. Charlotte Hammer, College Position Fellow für neu auftretende Infektionskrankheiten, Downing College Cambridge, Großbritannien
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Statements

Prof. Dr. Fabian Leendertz

Gründungsdirektor des Helmholtz-Institut für One Health (HIOH), Greifswald, und Leiter der Projektgruppe 'Epidemiology of Highly Pathogenic Microorganisms' am Robert Koch-Institut, Berlin

„Nach meinen momentanen Einschätzungen ist dies ein akutes Ereignis und ich denke nicht, dass dies nur auf die erhöhte Aufmerksamkeit zurückzuführen ist. Wir brauchen dringend gute epidemiologische Daten, um zu verstehen, ob und wie die Fälle zusammenhängen. Wichtig wären auch eine Sequenzierung der Genome der Affenpockenviren, denn so könnten wir sehen, ob es Hinweise auf eine Veränderung des Erregers gibt, welche zum Beispiel auf eine bessere Übertragbarkeit schließen lassen. Sequenzdaten helfen auch Infektionsketten zu erkennen und Hinweise auf den Ursprung zu bekommen.“

Auf die Frage, wie leicht eine Infektion mit Affenpocken zu diagnostizieren ist:
„Eine Diagnostik ist relativ einfach da es meist die recht typischen Hautveränderungen gibt. Auch die verschiedene PCR-Systeme sind gut etabliert; die Sequenzierung der Gesamtgenome unproblematisch und serologische Methoden sind ebenfalls vorhanden. Eine erhöhte Aufmerksamkeit ist natürlich angezeigt.“

„Die Hauptübertragung ist über direkten Kontakt oder Kontakt zu kontaminierten Materialien. Eine Übertragung über die Atemwege ist nach meinem Wissen eher auf kürzere Distanzen und größere Tröpfchen beschränkt.

Auf die Frage, ob die Gefahr für eine Epidemie besteht:
„Ich würde dies bereits als eine Epidemie bezeichnen, es ist jedoch sehr unwahrscheinlich, dass diese Epidemie lange dauern wird. Die Fälle über Kontaktverfolgung sind gut einzugrenzen und es gibt auch Medikamente und wirksame Impfstoffe, die gegebenenfalls eingesetzt werden können.“

„Zum Tierreservoir ist noch erstaunlich wenig bekannt. Affen selbst, von denen ja die Affenpocken ihren Namen haben sind ebenfalls Opfer wie wir selbst, nicht Reservoir. Es gibt Berichte zu afrikanischen Eichhörnchen, bei denen das Virus gefunden wurde, andere afrikanische Nagetiere stehen ebenfalls in Verdacht das Reservoir zu sein.“

Auf die Frage, welche Therapiemöglichkeiten es gegen Affenpocken gibt:
„Es gibt wirksame Medikamente und auch die Impfstoffe wirken.“

Prof. Dr. Dr. Gerd Sutter

Inhaber des Lehrstuhls für Virologie, Institut für Infektionsmedizin und Zoonosen, Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU), München

„Affenpockenviren sind in Zentral- und West-Afrika in Nagetierreservoiren heimische Pockenviren mit naher Verwandtschaft zu dem seit mehr als 200 Jahren als Pockenschutzimpfstoff eingesetzten Vacciniavirus sowie zu den weiteren Pockenviren der Gattung Orthopockenvirus. Affenpockenviren sind die Erreger der Affenpocken, einer seit Jahrzehnten (1970) in Afrika regelmäßig beobachteten, aber bisher insgesamt noch relativ seltenen Infektion beim Menschen [1] [2]. Erstinfektionen sind zoonotischen Ursprungs, können aber in Populationen ohne Impfschutz durch Kontakt weiterverbreitet werden. Affenpockenviren treten in zwei unterschiedlichen Formen auf. Infektionen in Zentralafrika können mit schweren generalisierenden Erkrankungen einhergehen, die der mittlerweile weltweit ausgerotteten Menschenpockenerkrankung – Variola, englisch Smallpox – ähnelt. Bei Infektionen in Westafrika werden in der Regel mildere Verlaufsformen beobachtet, welche durch das Auftreten von Fieber und meist nur einzelnen Pockenläsionen auf Haut oder Schleimhaut gekennzeichnet sind. In den vergangenen Jahren sind Ausbrüche von Affenpocken gehäuft in Nigeria aufgetreten [3] und mehrere Berichte über Fälle, bei denen Affenpocken durch Reisende aus Nigeria in andere Länder – wie zum Beispiel Großbritannien, Israel, USA und Singapur – eingeschleppt wurden, sind gut dokumentiert.“

„Bei den aktuell in Europa beobachteten Fällen von Affenpocken handelt es sich mit großer Wahrscheinlichkeit ebenfalls um ursprünglich aus Nigeria eingeschleppte Infektionen (Index-Fall in Großbritannien), die jetzt vermutlich in begrenzten Infektionsketten weiter von Mensch zu Mensch übertragen werden. Erste genetische Untersuchungen in Großbritannien identifizierten einen Virusstamm, der den in Westafrika auftretenden Affenpockenviren zugeordnet werden kann (UK Health Security Agency – UKHSA).“

Auf die Frage, wie leicht eine Infektion mit Affenpocken zu diagnostizieren ist:
„Der Nachweis von Affenpockenviren ist für virologische Facheinrichtungen in Deutschland grundsätzlich problemlos möglich. Es stehen hierfür etablierte Virus-spezifische PCR-Verfahren, Next-Generation-Sequencing und klassische elektronenmikroskopische Untersuchungen zur Verfügung. Geeignete Proben können aus Hautläsionen schnell und unkompliziert gewonnen werden. Allerdings ist das Auftreten von Affenpocken in Europa ein sehr seltenes Ereignis und die Aufmerksamkeit in der klinischen Praxis zu erhöhen, ist sinnvoll und wichtig für eine konkrete Einschätzung der Ausbreitung der Infektionsereignisse.“

„Zoonotische Infektionen in Afrika erfolgen in der Regel durch direkten Kontakt zu Wildtieren – Jagd und Zubereitung von Wildbret (‚bush meat‘). Übertragungen von Mensch zu Mensch sind möglich und erfordern in der Regel direkten Kontakt zu Infizierten. Eine Übertragung durch Aerosole ist experimentell möglich, spielt aber bei der natürlichen Infektion eine höchstens untergeordnete Rolle. Übertragungen der Affenpocken sind daher im Vergleich zu anderen Infektionen wie zum Beispiel Influenza oder COVID-19 relativ ineffizient und führen in Verbindung mit adäquaten Maßnahmen zur Diagnose und Kontaktermittlung meist nur zur Ausbildung kurzer Infektionsketten.“

Auf die Frage, ob die Gefahr für eine Epidemie besteht:
„Die Gefahr einer größeren Epidemie in Deutschland beziehungsweise Europa ist daher als gering einzuschätzen und auch die Möglichkeit eines Übertritts des Virus in Tierreservoirs in Europa erscheint unwahrscheinlich.“

Auf die Frage, welche Therapiemöglichkeiten es gegen Affenpocken gibt:
„Es gibt die Therapiemöglichkeit mit einem zugelassenen Orthopockenvirus-spezifischen Medikament [4]. Eine Schutzimpfung mit in Europa, Kanada und den USA zugelassenen Pockenschutzimpfstoffen ist ebenfalls möglich [5]. Diese modernen Pockenschutzimpfstoffe beruhen auf dem sicherheitsgetesteten und in Säugetieren nicht vermehrungsfähigen Vaccinia-Virus MVA (Modifiziertes Vacciniavirus Ankara), das die gleichzeitige Anregung von wirksamen humoralen (durch Antikörper) sowie zellulären (durch T-Zellen) Immunantworten ermöglicht [6]. Bei der Prophylaxe zum Schutz gegen Orthopockenvirus-spezifische Erkrankungen kommt der zellulären Immunität eine besondere Bedeutung zu. Das MVA dient aufgrund seiner klinisch erprobten Sicherheit und der Fähigkeit zur Induktion schützender Virus-spezifischer T-Zellantworten aktuell auch zur Entwicklung von breit wirksamen Vektorimpfstoffen gegen andere neuauftretende Viruskrankheiten, wie zum Beispiel MERS oder COVID-19 [7] [8] [9] [10] [11].“

Dr. Charlotte Hammer

College Position Fellow für neu auftretende Infektionskrankheiten, Downing College Cambridge, Großbritannien

„Wir hatten in Europa bisher noch keine größeren Ausbrüche von Affenpocken, daher ist die aktuelle Entwicklung ungewöhnlich. Zuvor waren Affenpocken-Fälle in Europa in der Regel sehr sporadisch und mit Reiserückkehrern aus zum Beispiel Nigeria assoziiert.“

„Wir wissen zurzeit nur wenig über Affenpocken, da die Forschung hierzu unterfinanziert und unterrepräsentiert ist. Aktuell sind etwa 1500 Fälle bekannt, das heißt, unser Wissen basiert nur auf einigen wenigen Fällen.“

Auf die Frage, ob man ein Überwachungssystem für Affenpocken aufbauen sollte:
„Wo dies noch nicht der Fall ist, wäre es sinnvoll, zu erwägen, ob Affenpocken-Fälle meldepflichtig werden sollten. Ein wichtiger Punkt sind aktuell Kontaktnachverfolgungen, die aktuell auch stark in den betroffenen Ländern betrieben werden und eine Kernfunktion des Gesundheitswesens sind.“

„Zu den Übertragungsarten gibt es zurzeit noch große Wissenslücken. Basierend auf dem jetzigen Wissenstand, wonach es sich bei den aktuellen Fällen um die westafrikanische Version der Affenpocken handeln soll, ist davon auszugehen, dass die Übertragung über engen körperlichen Kontakt wie zum Beispiel über Körperflüssigkeiten oder Kontakt mit Hautausschlag erfolgt, aber auch Schmierinfektion auf Oberflächen sind möglich.“

„Zur weiteren Entwicklung dieses Ausbruchs kann man aktuell noch nichts Genaueres sagen. Dazu ist es noch zu früh. Weitere Fälle sind allerdings zu erwarten. Wenn die Übertragungswege wie bisher vermutet über engen Körperkontakt erfolgen, ist ein größerer Ausbruch aber eher unwahrscheinlich. Bei bestimmten Bevölkerungsgruppen, in denen viel Körperkontakt durch zum Beispiel Wohnen auf engem Raum herrscht, ist das Infektionsrisiko natürlich höher.“

Auf die Frage, welche möglichen Tierreservoirs es hierzulande gibt:
„Dazu steht noch weitere Forschung aus. Aus meiner Perspektive ist der aktuelle Ausbruch eher ein humanspezifisches humanmedizinisches Problem.“

Angaben zu möglichen Interessenkonflikten

Alle: Keine Angaben erhalten.

Literaturstellen, die von den Experten zitiert wurden

[1] Reynolds MG et al. (2019): Monkeypox re-emergence in Africa: a call to expand the concept and practice of One Health. Expert Review of Anti-infective Therapy. DOI: 10.1080/14787210.2019.1567330.

[2] Durski KN et al. (2018): Emergence of Monkeypox - West and Central Africa, 1970-2017. Morbidity and Mortality Weekly Report (MMWR). DOI: 10.15585/mmwr.mm6710a5.

[3] Nguyen PY et al. (2021): Reemergence of Human Monkeypox and Declining Population Immunity in the Context of Urbanization, Nigeria, 2017-2020. Emerging Infectious Diseases. DOI: 10.3201/eid2704.203569.

[4] Russo AT et al. (2021): An overview of tecovirimat for smallpox treatment and expanded anti-orthopoxvirus applications. Expert Review of Anti-infective Therapy. DOI: 10.1080/14787210.2020.1819791.

[5] Pittman PR et al. (2019): Phase 3 Efficacy Trial of Modified Vaccinia Ankara as a Vaccine against Smallpox. The New England Journal of Medicine. DOI: 10.1056/NEJMoa1817307.

[6] Volz A et al. (2017): Chapter Five - Modified Vaccinia Virus Ankara: History, Value in Basic Research, and Current Perspectives for Vaccine Development. Advances in Virus Research. DOI: 10.1016/bs.aivir.2016.07.001.

[7] Sutter G et al. (1992): Nonreplicating vaccinia vector efficiently expresses recombinant genes. Proceedings of the National Academy of Sciences. DOI: 10.1073/pnas.89.22.10847.

[8] Ishola D et al. (2021): Safety and long-term immunogenicity of the two-dose heterologous Ad26.ZEBOV and MVA-BN-Filo Ebola vaccine regimen in adults in Sierra Leone: a combined open-label, non-randomised stage 1, and a randomised, double-blind, controlled stage 2 trial. The Lancet Infectious Diseases. DOI: 10.1016/S1473-3099(21)00125-0.

[9] Kupke A et al. (2022): Protective CD8+ T Cell Response Induced by Modified Vaccinia Virus Ankara Delivering Ebola Virus Nucleoprotein. Vaccines. DOI: 10.3390/vaccines10040533.

[10] Tscherne A et al. (2021): Immunogenicity and efficacy of the COVID-19 candidate vector vaccine MVA-SARS-2-S in preclinical vaccination. Proceedings of the National Academy of Sciences. DOI: 10.1073/pnas.2026207118.

[11] Koch T et al. (2020): Safety and immunogenicity of a modified vaccinia virus Ankara vector vaccine candidate for Middle East respiratory syndrome: an open-label, phase 1 trial. The Lancet Infectious Diseases. DOI: 10.1016/S1473-3099(20)30248-6.

Literaturstellen, die vom SMC zitiert wurden

[I] UK Health Security Agency (16.05.2022): Update: Monkeypox cases confirmed in England.

[II] European Centre for Disease Prevention and Control (19.05.2022): Monkeypox cases reported in UK and Portugal.

[II] Robert Koch-Institut (19.05.2022): Epidemiologisches Bulletin.