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03.06.2022

Carbon Leakage: Wie lässt sich die Abwanderung von Emissionen verhindern?

Am 08.06.2022 stimmt das EU-Parlament über die Einführung eines CO2-Grenzausgleiches ab – einem Schlüsselelement des „Fit-for-55“ Pakets. Mit dieser Maßnahme müsste auf Produkte, die in die EU importiert werden, ein CO2-Preis gezahlt werden. Dieser würde dem CO2-Preis innerhalb des europäischen Emissionshandels entsprechen. Im Ausland und in der EU hergestellte Produkte würden also innerhalb des europäischen Marktes in der CO2-Bepreisung gleichgestellt.

Mit diesem Gesetzesvorhaben möchte die EU zwei Ziele erreichen. Zum einen soll die Industrie in der EU davor geschützt werden, durch den europäischen Emissionshandel Wettbewerbsnachteile gegenüber Industrien im Ausland zu erleiden. Außerdem soll der Grenzausgleich Carbon Leakage verhindern – also, dass CO2-Emissionen, die in der EU durch Klimapolitik eingespart werden, einfach in andere Staaten abfließen. Studien zufolge könnten durch Carbon Leakage 5 bis 30 Prozent der in der EU eingesparten CO2-Emissionen ins Ausland abwandern [1]. Das könnte die Effektivität des europäischen Emissionshandels deutlich verringern.

Dieses Fact Sheet erklärt, wie es zu Carbon Leakage kommen kann, ob ein CO2-Grenzausgleich es erfolgreich verhindert, was die Schwierigkeiten dabei sind und welche Alternativen diskutiert werden.

Das Fact Sheet kann hier als pdf heruntergeladen werden.

Übersicht

     

  • Was ist Carbon Leakage?
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  • Was ist ein CO2-Grenzausgleich?
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  • Welche Rolle spielt Carbon Leakage im europäischen Emissionshandel?
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  • Wie wirksam wäre ein CO2-Grenzausgleich im europäischen Emissionshandel?
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  • Mögliche Probleme eines CO2-Grenzausgleich
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  • Alternative Mechanismen zum CO2-Grenzausgleich
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  • Literaturstellen, die zitiert wurden
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Was ist Carbon Leakage?

     

  • Carbon Leakage: CO2-Einsparungen in einer Region führen zu einem Anstieg der Emissionen in einer anderen Region, der sonst nicht passiert wäre
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  • relevant für Beurteilung der Klimapolitik; ein Teil der Emissions-Einsparungen wird dadurch wirkungslos; die Effektivität der Klimapolitik geschwächt
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  • Problem vieler klimapolitischer Maßnahmen wie etwa der CO2-Bepreisung
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  • Leakage Rate: gibt an, wie viel Prozent der CO2-Einsparungen in einer Region durch höhere Emissionen in einer anderen Region ausgeglichen wird
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  • Beispiel: spart die EU 100 Tonnen CO2 ein und die Leakage Rate liegt bei 50 Prozent, so steigen in direkter Reaktion darauf im Rest der Welt die Emissionen um 50 Tonnen
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Wie entsteht Carbon Leakage?

     

  • Carbon Leakage entsteht vor allem durch zwei Mechanismen [1]
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  • Mechanismus 1: energie- und handelsintensive Industrien haben einen Wettbewerbsnachteil durch Klimapolitik; darum verlagern sie Produktion oder Investitionen ins Ausland oder verlieren Marktanteile gegenüber ausländischen Produzenten, die dann mehr produzieren
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  • Beispiel: Stahlproduzent muss in der EU CO2-Preis für seine Emissionen bezahlen und verlagert darum seine Produktionsstätte in ein Land außerhalb der EU ohne CO2-Bepreisung oder verliert Marktanteile an einen amerikanischen Konkurrenten
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  • Mechanismus 2: durch Klimapolitik in einem Land sinken Preise für fossile Brennstoffe weltweit; vielen Studien zufolge ist Mechanismus 2 für den größeren Teil des Carbon Leakage verantwortlich
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  • Beispiel: durch CO2-Bepreisung in der EU sinkt der Konsum von Öl und damit die weltweite Nachfrage nach Öl; dadurch sinkt der Ölpreis auf dem Weltmarkt; als Folge steigt der Öl-Konsum in anderen Ländern ohne entsprechende Klimapolitik
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  • möglicher dritter Mechanismus: positives Carbon Leakage; Klimapolitik in Land A führt dazu, dass auch in Land B Emissionen sinken; zum Beispiel durch die Entwicklung innovativer Technologien; Effekt bislang nicht nachgewiesen
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  • es bleibt das „Free Rider“ Problem: engagierte Klimapolitik in einem Land macht Klimapolitik anderswo politisch weniger drängend
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Was ist ein CO2-Grenzausgleich?

     

  • EU möchte einen CO2-Grenzausgleich als Ergänzung zum europäischen Emissionshandel einführen [2] [3] [4]
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  • Grundidee: beim Import von Gütern in die Region hinein wird ein CO2-Preis erhoben und beim Export von Gütern aus der Region heraus wird der gezahlte CO2-Preis zurückerstattet; das heißt: für innerhalb und außerhalb der Region produzierte Güter gilt derselbe CO2-Preis
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  • aktueller Entwurf der EU sieht jedoch nur CO2-Preise für Importe vor; Kosten für Exporteure sollen nicht erstattet werden; Grund: Kostenerstattungen für Exporte sind voraussichtlich nicht kompatibel mit Recht der Welthandelsorganisation (WTO), da Klimaschutzwirkung nicht offensichtlich ist [1]
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  • Beschränkung auf Importe schwächt die Wirksamkeit des CO2-Grenzausgleichs gegen Carbon Leakage [5]
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  • Die Ziele:
    • Carbon Leakage verhindern, da es nicht mehr vorteilhaft für Unternehmen ist, ihre Produktion in Länder außerhalb der EU zu verlagern (Mechanismus 1, siehe oben)
    • sicherstellen, dass eine CO2-Bepreisung nicht zu Wettbewerbsnachteil von Unternehmen in der EU gegenüber Unternehmen außerhalb der EU führt; Produktion und Arbeitsplätze in der EU erhalten
    • Handelspartner motivieren, selbst eine CO2-Bepreisung einzuführen, um Grenzausgleich nicht zahlen zu müssen
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  • Vorschlag der EU für die Ausgestaltung des CO2-Grenzausgleiches [2] [3]:
    • soll für Zement, Aluminium, Düngemittel, Strom, Eisel, Stahl, Wasserstoff, Plastik, organische Chemieprodukte gelten; diese Produkte sind emissions- und handelsintensiv und damit potenziell stark von Carbon Leakage betroffen
    • soll nur für Importe ab einem Wert von 150 Euro gelten [4]
    • unter Umständen Pauschalpreis für Produktklassen und Länder; so muss nicht für jedes einzelne Produkt bestimmt werden, wie viel CO2 bei der Herstellung ausgestoßen wurde
    • kostenlose Zuteilung von Zertifikaten im EU-Emissionshandel (bisheriges Instrument, um Carbon Leakage zu vermeiden), soll schrittweise bis 2035 abgeschafft werden; Preis im CO2-Grenzausgleich wird dann jeweils an den Preis für die Zertifikate im europäischen Emissionshandel angepasst, sodass die Preise einander entsprechen
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Welche Rolle spielt Carbon Leakage im europäischen Emissionshandel?

     

  • energie- und handelsintensive Industrien, die stark von Abwanderung betroffen sein könnten, werden im EU-Emissionshandel ETS-1 reguliert, der seit 2005 in Kraft ist
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  • von der EU vorgeschlagener CO2-Grenzausgleich darum vor allem für den ETS-1 relevant; adressiert aber nur Mechanismus 1 (Wettbewerbsnachteil inländischer Industrie, siehe oben) [1]
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  • Wettbewerbsnachteile könnten zu Verlust von Industrieproduktion in der EU führen [6]
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  • beim ETS-2 (Emissionshandel für Gebäude und Verkehr; aktuell von der EU verhandelt [7]) ist Carbon Leakage durch Mechanismus 1 nur indirekt relevant; etwa könnten höhere Tankkosten die Produktionskosten von Unternehmen erhöhen
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  • Carbon-Leakage-Effekte lassen sich mittels Simulationen untersuchen [1]. Diese zeigen:
    • ohne freie Zuteilung von Zertifikaten im Emissionshandel könnte es eine Leakage Rate von 5 bis 30 Prozent geben
    • betrachtet man nur energie- und handelsintensive Industrie, liegt Leakage Rate sogar bei 20 bis 70 Prozent
    • je größer der Anteil der Länder weltweit, die ihre CO2-Emissionen begrenzen, umso geringer ist die Leakage Rate; mehr Teilnehmende machen die Klimapolitik einzelner Länder also effektiver [5]; Argument für Klimaclubs (siehe unten)
    • solche Simulationen arbeiten mit vielen Annahmen und unterliegen Unsicherheiten
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Wie wirksam wäre ein CO2-Grenzausgleich im europäischen Emissionshandel?

     

  • Die Wirksamkeit eines möglichen CO2-Grenzausgleiches lässt sich mittels Simulationen untersuchen. Diese zeigen:
    • Mechanismus 2 (Effekt der Klimapolitik auf den Preis für fossile Brennstoffe, siehe oben) ist laut vielen Studien für größeren Teil des Carbon Leakage verantwortlich als Mechanismus 1 (Wettbewerbsnachteil der inländischen Industrie) [1]
    • CO2-Grenzausgleich berührt demnach nicht die Hauptquelle von Carbon Leakage
    • Stärke des Mechanismus 2 ist abhängig davon, wie Anbieter von Öl reagieren: steigt die EU aus Öl aus, sinkt zunächst einmal die Nachfrage und damit auch der Preis, jedoch könnten OPEC Staaten auch weniger Öl fördern, um den Preis stabil zu halten; wenn der Preis stabil bleibt, würde der Öl-Konsum in anderen Ländern nicht steigen und kein Carbon Leakage über Mechanismus 2 passieren [8]
    • Studien zeigen, dass CO2-Grenzausgleich Carbon Leakage deutlich verringert; laut einer Studie um 30 Prozent [1]; doch Schätzungen des genauen Wertes variieren [2]
    • Wettbewerbsfähigkeit der energie- und handelsintensiven inländischen Industrie würde durch CO2-Grenzausgleich gesichert [1]
    • solche Simulationen arbeiten mit vielen Annahmen und unterliegen Unsicherheiten
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Mögliche Probleme eines CO2-Grenzausgleichs

     

  • CO2-Grenzausgleich bringt potenzielle Probleme mit sich [1]
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  • Reshuffling“: statt in klimafreundliche Produktion zu investieren, könnten ausländische Firmen Exportströme umstrukturieren; „grüne“ Produkte würden dann in die EU verkauft und „nicht grüne“ Produkte in andere Länder; insgesamt würde der CO2-Ausstoß gleichbleiben
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  • administrative Probleme: CO2-Emissionen lassen sich für einzelne importierte Produkte nur mit großem Aufwand feststellen; alternativ Pauschalwerte für Produktklassen; Nachteil: Pauschalwerte liefern keine Anreize für einzelne Unternehmen, klimafreundlicher zu produzieren
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  • rechtliche Probleme: laut Handelsregeln der WTO müssen ausländische Firmen genauso behandelt werden wie heimische; möglicher Vorwurf des Protektionismus; Ausnahmen könnten begründet werden, wenn ihre Effektivität für den Klimaschutz belegbar ist; WTO-konforme Umsetzung wahrscheinlich weniger effektiv gegen Carbon Leakage
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  • Wettbewerbsfähigkeit im Export: aktuell ist nicht geplant, EU-Unternehmen, die in Länder außerhalb der EU exportieren, den CO2-Preis zu erstatten [3]; gleichzeitig werden importierte Vorprodukte für EU-Industrie durch den CO2-Grenzausgleich teurer; durch diesen „unvollständigen“ Grenzausgleich ist exportierende EU-Industrie sogar schlechter gestellt als ohne Grenzausgleich
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  • globale Zusammenarbeit: negative Auswirkungen auf ärmere Länder, die viel in die EU exportieren und dann Abgabe zahlen müssten; dieses sogenannte Burden Shifting könnte Zusammenarbeit in Klimapolitik untergraben [9]; EU-Umweltausschuss schlägt vor, ärmere Länder als Ausgleich bei Klimaschutz finanziell zu unterstützen [3]
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Alternative Mechanismen zum CO2-Grenzausgleich

     

  • Klimaclubs: Koalition von Staaten, die gemeinsam ihren CO2-Ausstoß begrenzen; je mehr Länder mitmachen, desto weniger Länder gibt es, in die die Emissionen abwandern können und desto geringer ist die Leakage Rate; diese Alternative betrifft alle Formen von Carbon Leakage [5]
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  • kostenlose Zuteilung: im ETS-1 wird durch Mechanismus 1 (siehe oben) verursachtes Carbon Leakage durch Zuteilung kostenloser Zertifikate verhindert; betraf in vergangener Handelsperiode von 2013 bis 2020 43 Prozent aller Zertifikate [10]; verhindert Carbon Leakage durch Abwanderung der Industrie und sichert Wettbewerbsfähigkeit, hat aber Nachteile [1]:
    • emissionsstarke Unternehmen werden subventioniert, Staat hat weniger Einnahmen durch Zertifikate
    • künftige Zertifikatmenge zu gering, um gleich viele Industrien umsonst zu bedienen
    • keine Anreize für ausländische Firmen, Emissionen zu reduzieren
    • geringerer Druck für subventionierte inländische Firmen, Emissionen zu reduzieren
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Literaturstellen, die zitiert wurden

[1] Böhringer et al. (2022): Potential impacts and challenges of border carbon adjustments. Nature Climate Change. DOI: 10.1038/s41558-021-01250-z.

[2] Europäische Kommission (14.07.2021): Carbon Border Adjustment Mechanism: Questions and Answers.

[3] Europäisches Parlament (17.05.2022): CBAM: MEPs push for higher ambition in new carbon leakage instrument. Pressemitteilung.

[4] Rat der Europäischen Union (15.03.2022): Rat erzielt Einvernehmen über das CO₂-Grenzausgleichssystem. Pressemitteilung.

[5] Branger F et al. (2014): Would border carbon adjustments prevent carbon leakage and heavy industry competitiveness losses? Insights from a meta-analysis of recent economic studies. Ecological Economies. DOI: 10.1016/j.ecolecon.2013.12.010.

[6] Carbone et al. (2017): The Impacts of Unilateral Climate Policy on Competitiveness: Evidence From Computable General Equilibrium Models. Review of Environmental Economics and Policy. DOI: 10.1093/reep/rew025.

[7] SMC (2022): EU-Emissionshandel für Gebäude und Verkehr: Gefährden Kompromisse seine Wirksamkeit? Press Briefing. Stand: 13.05.2022.

[8] Böhringer et al. (2014): Unilateral Climate Policy: Can OPEC Resolve the Leakage Problem?. The Energy Journal. Stable URL: https://www.jstor.org/stable/24695028.

[9] Eicke et al. (2021): Pulling up the carbon ladder? Decarbonization, dependence, and third-country risks from the European carbon border adjustment mechanism. Energy Research & Social Science. DOI: 10.1016/j.erss.2021.102240.

[10] Europäische Kommission: Climate Action – Kostenlose Zuteilung. Website der EU Kommission. Stand 30.05.2022.