Verschreibung von Antidepressiva bei Demenz
schwedische Studie untersucht Zusammenhang von Antidepressiva und kognitiver Funktion bei Demenzkranken auf Basis von nationalen Registerdaten
depressive Symptome treten bei Demenz häufig auf, bei der Verschreibung von Antidepressiva gibt es noch nicht ausreichend Evidenz zu Wirksamkeit und Nebenwirkungen
unabhängige Experten warnen vor falschen Schlüssen und fehlender Kausalität
Demenzkranke, die mit Antidepressiva behandelt wurden, bauen kognitiv schneller ab als Demenzkranke ohne diese Behandlung. Diesen Schluss zieht eine nationale Kohortenstudie aus Schweden, die im Fachjournal „BMC Medicine“ erschienen ist (siehe Primärquelle). Die Forschenden haben darin den Zusammenhang unterschiedlicher Antidepressiva-Verschreibungen mit der kognitiven Funktion der Demenzkranken untersucht.
Professor für Alterspsychiatrie, University of Oxford, Vereinigtes Königreich
„Dies ist eine große Kohortenstudie aus Schweden, die auf vollständigen Verschreibungsdaten beruht und deshalb die örtliche Verschreibungspraxis für Antidepressiva in Patienten mit Demenz widerspiegelt.“
Aussagekraft und Limitationen der Studie
„Die Autoren erkennen an, dass alle Tests Assoziationen und nicht unbedingt Kausalitäten anzeigen. Am einfachsten verständlich wird das, wenn man Sätze wie, ‚die Verschreibung von Antidepressiva war mit einer schnelleren Verschlechterung der kognitiven Leistungen von Patienten mit Demenz verbunden‘, legitim umdreht, sodass es heißt‚ besonders in Patienten mit schwereren Demenzerkrankungen, die mit größerer Verschlechterung der kognitiven Leistungen einhergehen, verschreibt man eher Antidepressiva.‘ Die Studie kann zwischen diesen beiden Sachverhalten nicht unterscheiden.“
„Der erste Fall ist vielleicht plausibel, wenn man annimmt, dass psychotropische Medikamente auch negative Nebenwirkungen haben können, doch die Beweislage von kontrollierten Studien ist dazu nicht überzeugend. Im Gegenteil: Wenn Antidepressiva effektiv eine depressive Verstimmung verbessern, können die betroffen Patienten oft kognitive Aufgaben besser lösen.“
„Der zweite Fall ist nicht so unmöglich, wie er auf den ersten Blick erscheint: Störungen im Verhalten, wie Aggressionen und Verstimmungen bis zur Agitation, erscheinen in der Demenz häufiger, je weiter die Krankheit fortschreitet. Das kann dann dazu führen, dass Ärzte depressionsähnliche Symptome mit Antidepressiva behandeln. Obwohl im besten Fall Modifikationen in der Umgebung des/der Kranken nach einer Verhaltensanalyse angebracht sind, werden doch oft aus der Not heraus Medikamente eingesetzt. Von diesen werden die Antidepressiva – insbesondere die selektiven Serotoninwiederaufnahmehemmer (SSRIs) – als am wenigsten problematisch angesehen. Das würde dann auch erklären, wieso in dieser Studie ‚gefährlichere‘ Medikamente, wie die alten trizyklischen Antidepressiva, Antipsychotika oder Benzodiazepine, diesen Assoziationseffekt nicht zeigten. Ähnlich ist es möglich, dass erhöhte Sterblichkeit und Fallverletzungen eher mit der Verschlechterung der Demenz selbst, als dem damit verbundenen Verschreiben von Antidepressiva zusammenhängen.“
Behandlungsmöglichkeiten von Depression bei Demenz
„Die Autoren erwähnen zu Recht, dass die Effektivität der Antidepressiva in der Depressionsbehandlung von Demenzkranken umstritten ist. Während es nicht auszuschließen ist, dass Antidepressiva möglicherweise in der Demenz auch negative Auswirkungen auf kognitive Leistungen haben könnten, scheint die vorliegende Studie aber eher den Mangel an effektiven Behandlungsmöglichkeiten zu unterstreichen. Dieser Mangel führt dann gerade in den schwersten Fällen zur Verschreibung der anscheinend ‚harmlosesten‘ Medikamente.“
Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie und Leiter der Arbeitsgruppe Klinische Demenzforschung, Uniklinik Köln, und Leiter der Kooperations-Einheit Köln, Deutsches Zentrum für neurodegenerative Erkrankungen (DZNE)
Aussagekraft und Limitationen der Studie
„Aufgrund der Methodik der Studie lässt sich nicht unterscheiden, ob Antidepressiva oder aber das Vorliegen einer Depression an sich einen negativen Einfluss auf den Verlauf einer Demenz haben. Auch gibt es Studien, die Hinweise auf einen schützenden Effekt von Antidepressiva in Bezug auf Demenz geben [1]. Aufgrund der unklaren Datenlage ist es wichtig, Menschen mit einer Demenz und einer Depression nicht eine Behandlung mit einem Antidepressivum vorzuenthalten oder sie durch falsche Beratung zu verunsichern.“
„Ich habe keine Interessenkonflikte.“
„Ich habe keine Interessenkonflikte.“
Primärquelle
Mo M et al. (2025): Antidepressant use and cognitive decline in patients with dementia: A national cohort study. BMC Medicine. DOI: 10.1186/s12916-025-03851-3.
Literaturstellen, die von den Expert:innen zitiert wurden
[1] Bartels C et al. (2018): Impact of SSRI Therapy on Risk of Conversion From Mild Cognitive Impairment to Alzheimer’s Dementia in Individuals With Previous Depression. American Journal of Psychiatry. DOI: 10.1176/appi.ajp.2017.17040404.
Literaturstellen, die vom SMC zitiert wurden
[I] Leung DKY et al. (2021): Prevalence of depression, anxiety, and apathy symptoms across dementia stages: A systematic review and meta-analysis. International Journal of Geriatric Psychiatry. DOI: 10.1002/gps.5556.
[II] Deutsche Gesellschaft für Neurologie e. V. und Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde e. V. (2023): S3-Leitlinie Demenzen Langfassung.
[III] He Y et al. (2021): Efficacy of antidepressant drugs in the treatment of depression in Alzheimer disease patients: A systematic review and network meta-analysis. Journal of Psychopharmacology. DOI: 10.1177/02698811211030181.
[IV] Schulz M et al. (2015): Medikamentöse Behandlung von Patienten mit Demenz unter besonderer Berücksichtigung regionaler Versorgungsunterschiede. Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung in Deutschland. Versorgungsatlas-Bericht Nr. 15/07.
Prof. Dr. Klaus P. Ebmeier
Professor für Alterspsychiatrie, University of Oxford, Vereinigtes Königreich
Angaben zu möglichen Interessenkonflikten
„Ich habe keine Interessenkonflikte.“
Prof. Dr. Frank Jessen
Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie und Leiter der Arbeitsgruppe Klinische Demenzforschung, Uniklinik Köln, und Leiter der Kooperations-Einheit Köln, Deutsches Zentrum für neurodegenerative Erkrankungen (DZNE)
Angaben zu möglichen Interessenkonflikten
„Ich habe keine Interessenkonflikte.“