Medizin & Lebenswissenschaften

7. Februar 2020

Therapieoptionen und klinische Studien zu neuartigem Coronavirus 2019-nCoV

Die Schwere des derzeitigen Ausbruchs des neuartigen Coronavirus 2019-nCoV in China sowie 27 weiteren Ländern lässt den Ruf nach wirksamen Medikamenten gegen den Erreger laut werden. Diese gibt es jedoch nicht – genauso wenig wie spezifische Mittel gegen die nahen und bekannten Verwandten des Virus MERS-CoV und SARS-Cov. Derzeit starten Wissenschaftler in China vermehrt klinische Studien an Patienten, um ein wirksames Mittel zu finden. Dieses Fact Sheet liefert einen kurzen Überblick zum Stand der Forschung zu Therapieoptionen und klinischen Studien.

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Übersicht

  • Bisherige klinische Strategien bei Infektionen mit Coronaviren
  • Potenzielle Kandidaten – bereits zugelassene Medikamente bei viralen Infektionen
  • Klinische Studien zur Behandlung von Infektionen mit 2019-nCoV
  • Literaturstellen, die zitiert wurden

Bisherige klinische Strategien bei Infektionen mit Coronaviren

  • bisher keine Therapeutika entwickelt, die spezifisch Coronaviren angreifen
  • Proteine der Coronaviren sind über ganze Familie hinweg wenig konserviert, also sehr unterschiedlich, was Medikamente, die gegen alle Coronaviren wirken, eher unwahrscheinlich macht
  • bisherige Tiermodelle eigneten sich nicht für die Entwicklung von Therapeutika gegen SARS und MERS
  • deshalb ist die bisherige Strategie: bereits bekannte, breit wirkende Virusmedikamente einsetzen
  • Überblick zum Stand der Entwicklung und Forschung zu Coronavirus-Medikamenten (Stand März 2019; noch ohne Infos zum jetzigen Ausbruch): [1]

Potenzielle Kandidaten – bereits zugelassene Medikamente bei viralen Infektionen

  • Lopinavir-Ritonavir (LPV/RTV) (fixe Kombination)
    • erster Handelsname Kaletra
    • Wirkstoffe sind zwei Protease-Inhibitoren; verhindern Virus-Replikation (Vermehrung)
    • in EU zugelassen seit 2001 für die HIV-Behandlung bei Erwachsenen UND Kindern (>14 Tage alt) [2]
    • AbbVie (Pharma) hat Kaletra-Dosen im Wert von zwei Millionen Dollar nach China verschickt für den experimentellen Einsatz in der aktuellen 2019-nCoV Epidemie [3]
    • erste klinische Studie läuft derzeit in China an (siehe unten)
  • Remdesivir
    • blockiert RNA-Polymerase von Ebola-Viren und verhindert so deren Replikation/Vermehrung
    • in EU zugelassen zu der Behandlung von Ebola [4]
    • In vitro & Mausstudie vergleicht LPV/RTV plus IFNb mit Remdesivir bei MERS:
    • Remdesivir prophylaktisch und therapeutisch besser als LPV/RTV
    • therapeutische reduziert es unter anderem den Virustiter, hemmt also die Replikation [5]
    • Pharmahersteller Gilead steht in Kontakt mit chinesischen Forschern, die einen experimentellen Einsatz in der aktuellen nCoV-Epidemie planen [6]
  • Ribavirin
    • Nukleosid-Analogon, baut während der Vermehrung fehlerhafte Teile in das Virus-Erbgut ein, was jene unterdrückt
    • in EU seit 1999 zugelassen zur Behandlung von chronischer Hepatitis C bei Erwachsenen und Kindern (ab 3 Jahren) [7]
    • Studie in Affen (Makaken) zu Ribavirin plus IFNa2b bei MERS [8]
      • reduziert Virusvermehrung
      • mildert die Wirtsreaktion
      • verbessert klinische Ergebnisse
    • mögliche Wirkung auch bei menschlichen MERS-Infektionen im Zusammenspiel mit IFN im Review festgestellt [9]
    • aber Vorsicht wegen möglicher Nebenwirkungen geboten, wie sie auch bei einer SARS-Therapie teilweise aufgetreten sind [10]
  • Darunavir and Cobicistat
    • Handelsname Rezolsta (EU) und Prezcobix (USA)
    • Protease-Inhibitor (Darunavir) plus Booster (Cobicistat), verhindern Virusvermehrung
    • seit 2014 in der EU zugelassen zur Therapie von HIV-Infektionen [11]
    • der Pharmahersteller Johnson&Johnson schifft Medikamente derzeit nach China
    • “Studying Prezcobix in patients who test positive for the coronavirus wouldn’t harm them”, behauptete der Chief Scientific Officer von Johnson&Johnson Paul Stoffels gegenüber dem Wall Street Journal [12]
  • Monoklonale Antikörper gegen (Spike-)Proteine
    • müssen wegen Unterschiedlichkeit der Coronavirus-Proteine für jeden Virustyp einzeln entwickelt und erprobt werden
    • wahrscheinlich ist eine Kombination aus mehreren Antikörpern notwendig, aber im Tiermodell erhöhte das teilweise auch die Virulenz [1]
  • Intravenöse Immunglobuline/ Plasma
    • direkte Gabe von Antikörpern des Immunsystems von Spendern, die Infektion überstanden haben, um den Erreger in Erkrankten zu neutralisieren
    • bei SARS-Epidemie ausprobiert; unklare Ergebnisse [10]
  • Steroide
    • entzündungshemmende, immunsupprimierende Wirkung
    • bei SARS ausprobiert, keine eindeutigen Effekte; eventuell sogar Nebenwirkungen [10]
    • Methylprednisolon derzeit bei nCoV in klinischer Studie untersucht (siehe unten)
  • Antimikrobielle Peptide (AMP)
    • Ketten aus Aminosäuren, die gegen verschiedene Erreger wirken
    • eine Arbeit schlägt sie als Behandlungsstrategie bei MERS vor [13]
  • Auf der Suche nach Medikamenten mit Künstlicher Intelligenz

Klinische Studien zur Behandlung von Infektionen mit 2019-nCoV

Literaturstellen, die zitiert wurden

[1] Totura AL et al. (2019): Broad-spectrum coronavirus antiviral drug discovery. Expert Opinion on Drug Discovery; 14 (4). DOI: 10.1080/17460441.2019.1581171.

[2] European Medicines Agency (EMA): Kaletra.

[4] European Medicines Agency (EMA)(2016): Public summary of opinion on orphan designation 2-Ethylbutyl (2S)-2-{[(S)-{[(2R,3S,4R,5R)-5-(4-aminopyrrolo[2,1- f][1,2,4]triazin-7-yl)-5-cyano-3,4-dihydroxytetrahydrofuran-2- yl]methoxy}(phenoxy)phosphoryl]amino}propanoate for the treatment of Ebola virus disease.

[5] Sheahan TP et al. (2020): Comparative therapeutic efficacy of remdesivir and combination lopinavir, ritonavir, and interferon beta against MERS-CoV. Nature Communications; 11:222. DOI: 10.1038/s41467-019-13940-6.

[7] European Medicines Agency (EMA): Rebetol.

[8] Falzarano D et al. (2013): Interferon-α2b and ribavirin treatment improves outcome in MERS-CoV-infected rhesus macaques. Nature Medicine; 19 (10): 1313-1317. DOI: 10.1038/nm.3362.

[9] Morra ME et al. (2018): Clinical outcomes of current medical approaches for Middle East respiratory syndrome: A systematic review and meta-analysis. Rev. Med. Virol.; 28 (3): e1977. DOI: 10.1002/rmv.197.

[10] Stockman LJ et al. (2006): SARS: systematic review of treatment effects. PLoS Medicine; 3 (9): e343. DOI: 10.1371/journal.pmed.0030343.

[11] European Medicines Agency (EMA): Rezolsta.

[13] Mustafa S et al. (2018): Current treatment options and the role of peptides as potential therapeutic components for Middle East Respiratory Syndrome (MERS): A review. Journal of Infection and Public Health; 11 (1): 9-17. DOI: 10.1016/j.jiph.2017.08.009.