Sequenzier-Test verbessert Diagnose bei Hirnhautentzündungen
Diagnose von Hirn-, Hirnhaut- und Rückenmarksentzündungen kann durch genetisches Testen auf sämtliche Erreger im Hirnwasser verbessert werden
herkömmliche Tests können häufig den Erreger erst spät oder gar nicht identifizieren
Experte und Expertin sehen großen Mehrwert trotz finanziellen Aufwands
Moderne Sequenziermethoden können die wichtige Suche nach Erregern bei einer Entzündung des zentralen Nervensystems verbessern. Zu diesem Schluss kommt eine US-amerikanische Studie, die knapp 5000 Hirnwasser-Proben über sieben Jahre lang mit dem Verfahren ausgewertet hat. Die Ergebnisse wurden im Fachjournal „Nature Medicine“ veröffentlicht (siehe Primärquelle). Die Autorinnen und Autoren der Studie schlagen vor, die Testmethode als zusätzliche Routinediagnostik im Krankenhaus bei Verdacht auf Infektionen des zentralen Nervensystems einzusetzen.
Leiter der Zentralen Notaufnahme und Oberarzt der Neurologischen Klinik, Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU)
Prof. Dr. Matthias Klein ist federführender Autor der Leitlinie „Ambulant erworbene bakterielle Meningoenzephalitis im Erwachsenenalter“.
Einordnung der Ergebnisse in das aktuelle Forschungsgeschehen
„Die Ergebnisse der Studie zeigen eindrücklich, dass durch den Einsatz der Methode ‚metagenomic Next-Generation Sequencing (mNGS)‘ eine Vielzahl von Infektionen des zentralen Nervensystems (ZNS) diagnostiziert werden kann, die mit herkömmlichen Herangehensweisen nicht gefunden wird. Konkret wurde bei 30 Prozent der Patienten mit letztlich diagnostizierter ZNS-Infektion der Erreger exklusiv oder zumindest erstmals mittels mNGS identifiziert – in vielen Fällen war eine mühsame Suche nach dem Erreger vorausgegangen. Aufgrund der bisher bereits zu diesem Thema publizierten einzelnen Fälle, Fallserien und kleineren Studien, bei denen nur mittels mNGS die Diagnose einer ZNS-Infektion gestellt werden konnte, ist das Ergebnis nicht ganz überraschend. Es unterstützt aber durch die große Zahl der hier untersuchten Liquorproben die bereits an einzelnen deutschen Universitäten umgesetzte Praxis, die Methode bei ausgewählten Fällen einzusetzen.“
Zusatznutzen von mNGS für die neurologische Infektionsdiagnostik
„Eine Einschränkung ist: Die Zeit vom Eingang der Probe im Labor bis zur Fertigstellung der mNGS-Ergebnisse war im Fall von positiven Befunden mit mehreren Tagen relativ lang. Viele aktuell in der Diagnostik etablierte direkte Testverfahren, wie die PCR, erlauben dagegen bereits eine Analyse von Proben auf die häufigsten Erreger einer Hirnhautentzündung oder Hirnentzündung in wenigen Stunden und kürzer. Infolgedessen ist eine Stufendiagnostik bei vermuteter ZNS-Infektion sinnvoll, die sich zunächst nach der klinischen Konstellation und dem vermuteten Erregerspektrum richten muss. Bei Patienten mit schwerer ZNS-Infektion ohne Erregernachweis mittels konventioneller Diagnostik ist der Einsatz eines mNGS allerdings sehr sinnvoll, was durch die Ergebnisse der Studie unterstrichen wird. Leider wurden nicht alle Liquorproben mit den verschiedenen herkömmlichen Tests verglichen, sodass die Ergebnisse nur begrenzt zur Erstellung eines Leitfadens zur gestuften mikrobiologischen Diagnostik inklusive mNGS geeignet sind.“
Qualität der mNGS-Testung
„Die Sensitivität von mNGS lag in der Studie insgesamt bei nur 63,1 Prozent. Das bedeutet, dass eine relevante Anzahl der Erreger nicht mittels mNGS gefunden werden konnte. Dies ist nicht weiter verwunderlich, da die Methode das Vorliegen von mikrobieller DNA oder RNA in der untersuchten Liquorprobe voraussetzt. Dies ist aber nicht immer zwingend der Fall – zum Beispiel bei viraler Hirnentzündung, Hirnabszessen oder Pilzerkrankungen, wo der Erreger oft nicht im Liquor vorliegt –und damit ist dies keine eigentliche Schwäche der Methodik. Allerdings zeigt die eingeschränkte Sensitivität, dass der Einsatz von mNGS kein genereller Ersatz für andere – auch indirekte – Nachweisverfahren sein kann.“
Flächendeckender Einsatz von mNGS in Kliniken
„Der hohe Preis der Methodik schreckt zunächst ab und kann als Argument gegen einen flächendeckenden Einsatz der Methode gesehen werden. Allerdings summieren sich meist auch die Kosten für Einzeltestungen auf seltene Erreger schnell auf. Infolgedessen muss der Einsatz von mNGS nicht zwingend teurer sein als die Durchführung vieler Einzeltests. Hinzu kommt, dass ZNS-Infektionen insgesamt selten sind und es sich bei Patienten mit ZNS-Infektionen ohne Erregernachweis in der ‚Standarddiagnostik‘ um schwer kranke und häufig intensivpflichtige Patienten handelt. Der finanzielle Aufwand für die Durchführung eines mNGS scheint aus ärztlicher Sicht dann im Vergleich zu den sonstigen Kosten der Behandlung und dem Mehrwert der Chance auf eine definitive Diagnosestellung, die dann häufig zu einer gezielteren Behandlung des Patienten führt, vertretbar.“
Universitätsprofessorin am Institut für Medizinische Mikrobiologie, Virologie und Hygiene, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE)
„Die metagenomische Hochdurchsatzsequenzierung (anderer Begriff für mNGS; Anm. d. Red.) zum Nachweis von Mikroorganismen in einer klinischen Probe bietet die Möglichkeit, ohne vorherige Annahmen zu treffen, genomische Informationen aller Erregerklassen – Viren, Bakterien, Pilze und Parasiten – in einer Probe nachzuweisen. Das ist eine Chance, unsere derzeitige Diagnostik zu verbessern, insbesondere in klinischen Proben wie Liquor im Rahmen von Infektionen des zentralen Nervensystems. Denn bei Infektionen des Nervensystems ist die bisherige mikrobiologische Diagnostik aufwendig und zeitintensiv, und eine Vielzahl von Erregern kann zu dem klinischen Bild beitragen.“
Einordnung der Ergebnisse in das aktuelle Forschungsgeschehen
„Diese Methode der metagenomischen Erregersequenzierung wird seit Jahren in der Forschung eingesetzt, weiterentwickelt und verbessert. Es gab in den letzten Jahren große Fortschritte durch leistungsfähigere Sequenziergeräte und, damit verbunden, auch eine Kostenreduktion und eine bessere Verfügbarkeit von bioinformatischen Auswertungsmethoden. Dies macht diese Methode im Bereich der Diagnostik von Infektionserregern nun denkbar und anwendbar.“
„In Deutschland gibt es ebenfalls national und international verknüpfte Arbeitsgruppen und Forschungskonsortien, die die Methode (oder Variationen davon) anwenden. Allerdings wird diese Methode aktuell meist noch im Forschungsbereich oder in der Beschreibung und Aufarbeitung von Einzelfallanalysen angewendet. Um diese Methode aber in die Diagnostik im klinischen Alltag zu überführen, bedarf es genau solcher Studien, wie sie hier vom Team um Charles Chiu an der UCSF durchgeführt werden: Dies sind Validierungs- und Leistungsstudien für die Methode bei einer definierten klinischen Fragestellung. Auch die Transparenz der Kommunikation der Ergebnisse der Studie und das Bereitstellen der Daten, die durch eine solche Studie hervorgehen, sind wichtige Aspekte. Sie könnten die Methode hinsichtlich ihrer Anwendbarkeit weiterbringen: Dadurch könnte sie in vielen Zentren eingeführt werden und Datenbanken für die Interpretation der Daten wären nicht eingeschränkt, sondern für die Wissenschaft zugänglich.“
„Diese Methode der metagenomischen Sequenzierung zum Erregernachweis wird auch von Firmen verfolgt und als Test angeboten, wie unter anderem von Karius in den USA. Karius hat eine Leistungsstudie und klinische Validierungsstudie zum Nachweis von mikrobieller DNA in Blutstrominfektionen durchgeführt [1], allerdings mit weniger Fallzahlen als in der Arbeit von Charles Chiu et al..“
„Die Sensitivität und Spezifität der Methode muss für jede Art der Anwendung – wie hier im Liquor im Kontext von Hirnentzündung oder Hirnhautentzündung – betrachtet werden. Es braucht diese großen transparenten Leistungs- und Anwendungsstudien, die, meiner Ansicht nach, bislang nur in wenigen Fällen durchgeführt wurden.“
Regulatorische Herausforderungen der mNGS
„Zusätzlich zu den bislang fehlenden klinischen Studien haben wir in Deutschland und Europa regulatorische Herausforderungen beim Einsatz von In-vitro-Diagnostika, die auch diese Methode betreffen. Gemäß der EU-Verordnung über In-vitro-Diagnostika (In Vitro Diagnostic Regulation), die derzeit gültige regulatorische Grundlage für das Inverkehrbringen und in die Betriebnahme von In-vitro-Diagnostika, müssen wir umsetzbare Regeln definieren, wie diese Methode validiert und zertifiziert werden kann.“
„In Deutschland und Europa gab und gibt es Konsortien, die sich spezifisch mit der diagnostischen und klinischen Anwendung der Methode und ihren Herausforderungen beschäftigen. Das betrifft die Harmonisierung der Methode in der Probenvorbereitung, der Sequenziertiefe (bestimmt die Genauigkeit der Testung; Anm. d. Red.), der bioinformatischen Auswertung und vor allem auch der Interpretation der umfangreichen Daten. Ein Konsortium, das sich diesen Fragen widmet, wurde von der Europäischen Gesellschaft für klinische Virologie (ESCV) gegründet und befasst sich spezifisch mit der klinischen Anwendung der Methode und ihren Herausforderungen.“
Flächendeckender Einsatz von mNGS in Kliniken
„Derzeit sehe ich den klinischen Nutzen insbesondere in der Anwendung der Methode bei bestimmten Patientengruppen, insbesondere immunsupprimierten Patienten, wo eine große Anzahl von Erregern auslösend für eine akute Infektion sein kann. Die Studie von Carles Chiu et al. zeigt: Der Test kann gerade für vulnerable Patienten, wie immunsupprimierte Patienten, nützlich sein, wenn Kliniker in der frühzeitigen Anwendung des Tests mit den Mikrobiologen/Virologen eng verzahnt zusammenarbeiten.“
„Eine frühzeitige Diskussion in einem interdisziplinären Board kann eine Chance sein, diesen Test frühzeitig bei bestimmten Patientengruppen anzuwenden, um auch schwer anzüchtbare Erreger nachzuweisen und in diesem Fall auch unerwartete Erreger nachweisen zu können. Die Kosten des Tests sind relativ hoch, aber bei vulnerablen Patientengruppen bedarf es oft einer Vielzahl an diagnostischen Tests. Somit wäre hier der Kostenaufwand für diesen Test in einem vergleichbaren Bereich.”
„Ich sehe in dieser Methode derzeit eine weitere Methode zur Ergänzung unserer Routinediagnostik. Frühzeitig eingesetzt, in enger Absprache mit Klinikern, verspricht sie einen hohen Nutzen.“
„Ich war 2003-2005, zeitgleich mit Charles Chiu, Postdoc an der UCSF, in der Arbeitsgruppe von Professor Joseph DeRisi. Ich bin Mitglied des ENNGS, dem ESCV-network on next generation sequencing.“
Alle anderen: Keine Angaben erhalten.
Primärquelle
Benoit P et al. (2024): Seven-year performance of a clinical metagenomic next-generation sequencing test for diagnosis of central nervous system infections. Nature Medicine. DOI: 10.1038/s41591-024-03275-1.
Literaturstellen, die von den Expert:innen zitiert wurden
[1] Blaukamp TA et al. (2019): Analytical and clinical validation of a microbial cell-free DNA sequencing test for infectious disease. Nature Microbiology. DOI: 10.1038/s41564-018-0349-6.
Literaturstellen, die vom SMC zitiert wurden
[I] Glaser CA et al. (2006): Beyond viruses: clinical profiles and etiologies associated with encephalitis. Clinical Infectious Diseases. DOI: 10.1086/509330.
[II] Ramachandran PS et al. (2020): Metagenomics for neurological infections — expanding our imagination. Nature Reviews Neurology. DOI: 10.1038/s41582-020-0374-y.
Prof. Dr. Matthias Klein
Leiter der Zentralen Notaufnahme und Oberarzt der Neurologischen Klinik, Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU)
Prof. Dr. Nicole Fischer
Universitätsprofessorin am Institut für Medizinische Mikrobiologie, Virologie und Hygiene, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE)