Neue Gentherapie bei Kind mit seltener Stoffwechselkrankheit
seltene Erkrankung konnte erstmals mit Gentherapie behandelt werden – Fallbericht eines Säuglings
das Besondere ist die personalisierte Base-Editing-Methode, die innerhalb weniger Monate getestet und angewandt wurde
laut Forschenden legt dieser Fallbericht den Grundstein für zugeschnittene Gentherapien bei seltenen Erbkrankheiten
Medizinern und Forschenden aus Philadelphia ist es erstmals gelungen, ein Kind mit einer seltenen genetischen Krankheit innerhalb weniger Monate nach Geburt mit einer personalisierten Gentherapie zu behandeln. Die Fallberichtsstudie ist im Fachjournal „The New England Journal of Medicine“ erschienen (siehe Primärquelle) und wurde zeitgleich in einem Vortrag auf der 28. Jahrestagung der American Society of Gene & Cell Therapy vorgestellt.
Leiterin der Genetischen Poliklinik und stellvertretende Ärztliche Direktorin des Instituts für Humangenetik, Universitätsklinikum Heidelberg
Zur Studie
„Die Autoren beschreiben die Entwicklung und Anwendung einer spezifischen Gentherapie (lipid nanoparticel-delivered base-editing gene therapy) bei einem Säugling mit einer schwerwiegenden, lebensbedrohlichen und anderweitig nicht behandelbaren Stoffwechselerkrankung. Die spezifischen, bei dem Kind zur Erkrankung führenden Genveränderungen sind sehr selten beziehungsweise einzigartig.“
Hintergrund
„Für die Mehrzahl der seltenen und ultra-seltenen Erkrankungen gilt, dass die ursächliche Genveränderung von Patient zu Patient variiert. Fast jeder Patient hat seine eigene ‚private‘ Genveränderung, die die Erkrankung verursacht. Für Behandlungsansätze, die eine Korrektur der Genveränderung vorsieht, stellt diese außerordentliche Variabilität eine große Herausforderung dar, weil für jeden Patient seine eigene Gentherapie hergestellt werden muss. Eine individuelle Gentherapie war bisher weder möglich noch praktikabel, auch weil die Zulassung eines solchen Medikamentes mehrere Jahre dauert und mit enormen Kosten verbunden ist.“
Besonderheit der Studie
„Die vorliegende Fallbeschreibung ist aus zwei Gründen bemerkenswert: Erstens zeigt der Fallbericht, dass es möglich ist, für eine einzelne genetische Veränderung eine spezifische Gentherapie zu entwickeln. Zweitens zeigt er, dass es möglich ist, innerhalb kürzester Zeit eine spezifische Gentherapie zur Zulassung zu bekommen. Der Fallbericht zeigt eindrucksvoll, dass durch Parallelisierung der Prozesse – Entwicklung, Prüfung im Zell- und Tiermodell und Zulassung – eine individualisierte Gentherapie innerhalb von wenigen Monaten zur Anwendung kommen kann. Geholfen hat hier das von der amerikanischen Arzneimittelbehörde FDA angepassten, deutlich verkürzte Zulassungsverfahren für individuelle Therapien (single-patient expanded-access Investigational New Drug Application), das eine Prüfung innerhalb weniger Tage gewährleistet.“
„Interessanterweise bemerken die Autoren, dass bei der Entwicklung weiterer Medikamente unter Nutzung der verwendeten Plattform gegebenenfalls auf Tierversuchen verzichtet werden kann. Das würde sowohl die Entwicklungszeit verkürzen als auch die Kosten deutlich verringern.“
Einordnung der Ergebnisse
„Auch wenn der Beobachtungszeitraum mit sieben Wochen kurz ist, sind die Ergebnisse vielversprechend. Die nachgewiesene Wirksamkeit, die gute Verträglichkeit und die Möglichkeit wiederholter Gaben des Medikamentes machen die Basen-editierende Gentherapie, die durch Lipid-Nanopartikel in die Zellen eingebracht wird, zu einer individualisierten Therapie mit großem Potenzial. Das ist eine gute Nachricht für alle Patienten mit genetischen Erkrankungen und deren Familien.“
Assistant Professor für Gene Editing, Technische Universität München (TUM)
Zur Studie
„Diese rasche Entwicklung einer maßgeschneiderten CRISPR-Therapie für einen einzelnen Patienten, einen sogenannten ,n=1 (oder N-of-1) Fall‘, ist ein Meilenstein der Geneditierung und der Gen- und Zelltherapie im Allgemeinen. Die Geschwindigkeit, mit der das sogenannte ,CRISPR Base Editing‘ umgesetzt wurde, inklusive ausführlicher Prüfung der Sicherheit und Effektivität in Zellen, zwei Mausmodellen und im Primaten, ist absolut bemerkenswert. Nur sieben Monate nach Geburt, wird somit eine ultra-seltene, genetische Erkrankung – ein sogenannter Harnstoffzyklusdefekt – hochspezifisch auf DNA-Ebene behandelt. Hierbei wird ein einzelner DNA-,Schreibfehler‘ korrigiert, indem eine Adenin-Base wieder zu einer Guanin-Base umgeschrieben wird. Die Behandlung ist zudem ,in vivo‘, findet also direkt in der Leber des Kindes statt, und wird mittels intravenöser Injektion von Lipid-Nanopartikeln (LNPs) durchgeführt. Die LNPs enthalten eine mRNA für den CRISPR-Baseneditor, sowie eine kurze Führungs-RNA um den Editor an die richtige Stelle im Genom zu lenken.“
Hintergrund
„In einer solchen Pionierarbeit geht es zunächst darum, eine derartige Therapie überhaupt in die Klinik zu bringen, also von der Zelle, über Maus und Primaten, bis in den einzelnen Patienten. Diese sogenannte ,Translation‘ birgt bereits viele Schwierigkeiten und dauert in der Regel oft zehn Jahre oder länger. Für solche seltenen Fälle, wie hier beschrieben, käme dann aber jede Hilfe zu spät. Von daher muss man das Ergebnis einer solchen Translation in sieben Monaten, ohne kritische Nebenwirkungen und mit bereits andeutungsweise positiven Effekten im Patienten, wirklich als herkulische Leistung bezeichnen. Selbstverständlich ist die Nachbeobachtung bis jetzt kurz. Allerdings ist diese initiale Phase am kritischsten und die hat der Patient gut überstanden. Alles in allem sind die Ergebnisse spektakulär für das Feld der Gen- und Zelltherapie und geben Hoffnung für die Behandlung seltener Erkrankungen.“
Einordnung der Ergebnisse
„Man ist aktuell auf die ,indirekte‘ Testung der Therapie angewiesen, also auf Laborwerte in Blut und Urin, sowie auf den klinischen Verlauf. So konnten, nach der CRISPR-Therapie, beispielsweise manche Medikamente zur Behandlung der Stoffwechselstörung reduziert werden. Auch gab es substanziell weniger Episoden mit hohen Ammoniakspiegeln, die das junge Gehirn schädigen können. Beides deutet auf eine Besserung hin, wenn auch noch keine funktionelle Heilung erfolgt ist. Man muss aber auch bedenken, dass in einer solchen erstmaligen Testung die Sicherheitsaspekte im Vordergrund stehen. Daher wurden auch vergleichsweise geringe Dosierungen genutzt.“
„Aus Studien in Primaten mit dem gleichen CRISPR-Baseneditor ist bekannt, dass man bis zu 70 Prozent Editierung in der Leber erreichen kann. Dies wurde in Biopsien 14 Tage nach einmaliger Gabe von LNPs mit Dosen von 1,5 Milligramm pro Kilogramm (mg/kg) erreicht – also deutlich höher als in dem hier gezeigten Patienten, der 0,1 mg/kg und 0,3 mg/kg erhielt [1].“
„Eine weitere Besserung und vollständige Heilung ist denkbar, falls man die Dosis sicher steigern kann.“
Dauerhafter Nutzen für Patient
„Die Wahrscheinlichkeit eines dauerhaften Nutzens ist hoch, zumindest wurde dies in bisherigen Primatenexperimenten gezeigt, in denen nach einmaliger Geneditierung in der Leber über Jahre ein stabiler Effekt gesehen wurde. Den weiteren Verlauf in diesem konkreten Fall, bei dieser spezifischen Mutation und Erkrankung, kann man jedoch nicht vorhersagen. Bemerkenswert ist, dass hierbei eine zweimalige Dosierung mit LNP/mRNA stattfand und gut vertragen wurde, sogar mit einer gewissen Tendenz der weiteren Besserung nach erneuter Gabe. Ein solches ,Re-Dosing‘ wäre vor zwei Jahren noch undenkbar gewesen. Es ermöglicht eine weitere Dosissteigerung, also zum Beispiel eine dritte Gabe der CRISPR-Therapie. Hier wird in der Forschungsarbeit auch eine erneute, dritte Gabe der Therapie in dem jungen Patienten diskutiert. Nach heutigem Stand der Forschung ist nicht bekannt, wie häufig man solche Gaben (Re-Dosing) wiederholen kann. Es besteht hier auch bei der hypothetischen dritten Gabe die Gefahr einer Immunreaktion gegen die LNPs, die RNAs, oder das von den menschlichen Zellen aus der mRNA hergestellte bakterielle Protein, den CRISPR-Baseneditor.“
Bedeutung für personalisierte Gentherapien
„Die Studie beweist die Machbarkeit der schnellen und sicheren Anwendung einer solchen, immer noch ,futuristischen‘ N-of-1-Therapie, mit erster klinischer Besserung. Und das bei noch relativ geringer Dosis. Allerdings bleibt abzuwarten, ob und wie man eine solche ,N-of-1-Translations-Pipeline‘ beschleunigen und auch in unseren hiesigen Unikliniken umsetzen könnte. Hierbei spielen auch regulatorische Fragen und die Finanzierung eine große Rolle – sowie die Frage der Skalierbarkeit von solchen Therapien, zum Beispiel über LNP/mRNA Technologien.“
„In Deutschland wird in diesem Kontext seit letztem Jahr die ,Nationale Strategie für gen- und zellbasierte Therapien‘ durch den Bund gefördert mit dem Ziel die Krankenversorgung zu verbessern durch Entwicklung und Translation von neuen Gen- und Zelltherapien.“
„Man schätzt, dass auf der Erde 300 Millionen Menschen leben, die an einer der 7000 sogenannten ,seltenen‘ Erkrankungen leiden. 80 Prozent dieser Fälle sind genetisch verursacht. Bisher gibt es für die allermeisten dieser Patientinnen und Patienten keine Möglichkeit einer Gentherapie. Diese Arbeit zeigt jedoch eindrücklich, dass man heute technologisch weit genug fortgeschritten ist, um manche dieser genetischen Erkrankungen durch maßgeschneiderte Editierung in der Leber zu behandeln. Es bleibt die Frage der Skalierbarkeit und der praktischen Umsetzung.“
„Ich habe keine Interessenkonflikte.“
„Ich bin Berater für die Gen/Zelltherapiefirma Poseida Therapeutics, jetzt Teil von Roche. Ich war zuvor auch Aktionär. Außerdem bin ich Co-Erfinder auf diversen CRISPR- und CAR-T-Patenten (Massachusetts General Hospital, TUM University Hospital) sowie Mitglied im Beirat der Deutschen Gesellschaft für Gen- und Zelltherapie.“
Primärquelle
Musunuru K et al. (2025): Patient-Specific In Vivo Gene Editing to Treat a Rare Genetic Disease. New England Journal of Medicine. DOI: 10.1056/NEJMoa2504747.
Weiterführende Recherchequellen
Science Media Center (2019): Effizienter und präziser Erbgut verändern. Statements. Stand: 22.10.2019.
Science Media Centre Spain (2025): CRISPR used for the first time to treat a rare metabolic disease in a baby. Stand: 15.05.2025.
The Lancet Global Health: The landscape for rare diseases in 2024. The Lancet Global Health. DOI: 10.1016/S2214-109X(24)00056-1.
Literaturstellen, die von den Expert:innen zitiert wurden
[1] Lee R et al. (2022): Abstract 11274: VERVE-101—An Investigational Single-Course Gene Editing Medicine Targeting PCSK9—Durably and Potently Lowers PCSK9 and LDL-C Concentrations in Non-Human Primates. Circulation. DOI: 10.1161/circ.146.suppl_1.11274.
Prof. Dr. Maja Hempel
Leiterin der Genetischen Poliklinik und stellvertretende Ärztliche Direktorin des Instituts für Humangenetik, Universitätsklinikum Heidelberg
Angaben zu möglichen Interessenkonflikten
„Ich habe keine Interessenkonflikte.“
Prof. Dr. Julian Grünewald
Assistant Professor für Gene Editing, Technische Universität München (TUM)
Angaben zu möglichen Interessenkonflikten
„Ich bin Berater für die Gen/Zelltherapiefirma Poseida Therapeutics, jetzt Teil von Roche. Ich war zuvor auch Aktionär. Außerdem bin ich Co-Erfinder auf diversen CRISPR- und CAR-T-Patenten (Massachusetts General Hospital, TUM University Hospital) sowie Mitglied im Beirat der Deutschen Gesellschaft für Gen- und Zelltherapie.“