Möglicher Missbrauch genetischer Informationen aus Umweltproben
in Proben aus der Umwelt findet sich häufig menschliche DNA
laut Studie ist die Menge und Qualität so gut, dass Rückschlüsse auf Personen gezogen werden können
Forschende fordern den Schutz der persönlichen Informationen, die Umweltproben beinhalten können
Das Entnehmen von Proben aus der Umwelt ist weit verbreitet, um Fragen der Ökologie und Umweltbiologie nachzugehen. Laut einer Studie, die am 15.05.2023 in „Nature Ecology & Evolution“ erschienen ist, kommt es beim Sammeln von „environmental DNA“ (eDNA) häufig ungewollt zu „Human Genetic Bycatch“, also zu dem beiläufigen Sammeln von menschlichen genetischen Informationen (siehe Primärquelle).
Universitätsprofessorin am Institut für Politikwissenschaft, Universität Wien, Österreich, und Mitglied der österreichischen Bioethikkommission sowie Vorsitzende der European Group on Ethics und ehemaliges Mitglied der Ethikkommision der britischen Polizei-DNA-Datenbank, Österreich
„Das Phänomen der ‚zufälligen‘ DNA-Analyse bestimmter Spezies bei der Entnahme von Proben aus der Natur (Gewässern, Naturschutzgebieten, und weiteren) kennen wir bereits, wenn es um Tier-DNA geht. Für menschliche DNA war es bisher nicht dokumentiert gewesen. Derzeit ist es noch sehr schwierig, spezifische Personen aus diesen Proben zu identifizieren – auch weil man dafür Datenbanken braucht, in denen die DNA-Information dieser Individuen bereits gespeichert ist. Die technischen Möglichkeiten dazu könnten sich in der Zukunft jedoch rasch ändern. Neben den positiven Möglichkeiten, die die Technologie schafft, gilt es daher, sicherzustellen, dass Menschen vor missbräuchlicher Verwendung dieser Technologie geschützt werden. Einerseits müssen einzelne Personen davor geschützt sein, dass ihre DNA-Information ohne ihre Zustimmung und ohne ausdrückliche gesetzliche Ermächtigung von anderen verwendet wird. Andererseits müssen auch ganze Gruppen wie Minderheiten vor missbräuchlicher Verwendung genetischer Information geschützt werden.“
„Das Ziel kann hierbei allerdings nicht sein, jegliche Umweltforschung, bei der es denkbar ist, dass menschliche DNA zufällig mit analysiert wird, als Forschung am Menschen zu qualifizieren und genau denselben forschungsethischen Vorgaben zu unterwerfen. Dort, wo die Analyse menschlicher DNA zwar nicht das Forschungsziel, aber dennoch sehr wahrscheinlich ist – wie zum Beispiel Probenentnahmen an Orten, an denen sich regelmäßig Menschen aufhalten –, sollte jedoch schon vor dem Studienbeginn systematisch überlegt werden, wie negative Auswirkungen auf Individuen oder ganze Gruppen vermieden werden können.“
„Generell zeigt diese technische Neuerung die Notwendigkeit, bestimmte althergebrachte Vorstellungen zu überdenken: zum Beispiel, dass sich Forschung am Menschen und Forschung an anderen Spezies immer klar voneinander trennen lässt – das ist häufig nicht mehr der Fall. Auch die Idee, dass menschliche Daten nur dann besonderem Schutz unterliegen, wenn es sich um personenbezogene Daten (im rechtlichen Sinne) handelt, ist nicht mehr zeitgemäß.“
Assistant Professor am Centre for Crime and Policing, Northumbria University, Newcastle, Vereinigtes Königreich
„Ich bin von der doch recht umsichtigen Betrachtung des Themas ‚environmental DNA‘ (eDNA) und der Fragestellung, was zu bedenken sei, wenn Biomaterialien und -daten von Menschen eventuell zufällig oder unbeabsichtigt in der Umweltforschung erhoben werden können, beeindruckt. Eben vor allem weil sich die NaturwissenschaftlerInnen ernsthaft und vorausschauend mit ethischen Aspekten ihrer Arbeit befassen. Das Thema menschliche DNA in der Umwelt, gerade in der Luft, ist auch in der forensischen Forschung von Interesse, wo das Finden solcher Daten erwünscht ist, und damit geben sich klar Ansätze für die eventuelle Nutzung solcher Daten auch im Polizeibereich. Die eventuelle Kette von Umweltforschung über Forensische Genetik zu polizeilichen Ermittlungen und Überwachung von Menschen ist also gegeben. Das kann positive und negative Folgen, auch zeitgleich, haben.“
„Ich habe mit KollegInnen zum Thema Ethik in der Genetik argumentiert [1], dass WissenschaftlerInnen, auch jene die in der Anwendung solcher Analysen arbeiten, sich mit Ethik nicht nur als bürokratische Hürde, sondern als lebende Praxis befassen müssen. Das bedeutet bereits Verantwortung zeigen in der Selbstverwaltung, aber auch, dass man sich vorausschauend Grenzen setzt, auch wo and von wem man Daten sammelt (siehe das Thema Uiguren in China und Roma in Europa). Zum Beispiel kann der Grundsatz, dass mehr Wissen mehr hilft, nicht unbedingt angewendet werden, wenn mehr Wissen zu mehr ungerechtfertigter Überwachung führen mag, und auch zu weniger Sicherheit – Datenverluste und Einbrüche in Datenbanken kommen schließlich mittlerweile sehr regelmäßig vor.“
„Für den Umgang mit dem sogenannten Human Genomic Bycatch – also ‚Beifang‘ – müssen wir uns mit der Forschungsethik und der angewandten Ethik befassen. Verantwortungsvolles und schützendes Handeln in der Forschung bedeutet, dass WissenschaftlerInnen beim Sammeln von Umweltproben bedenken müssen, dass sie unbeabsichtigt das Erbgut von sehr vielen Individuen, gar einer Gemeinschaft, sammeln könnten, eventuell auch analysieren, aber jedoch speichern und mit anderen teilen können. Es gilt auch hier, die menschliche Autonomie, Würde und das Selbstbestimmungsrecht über persönliche Daten zu bewahren. Das ist schwierig, wenn man jene nicht fragen kann, deren DNA in der Umwelt gesammelt werden mag, denn man kann wohl nicht verhindern, dass man DNA über Haut, Haare, und Flüssigkeiten (zum Beispiel kondensierter Atem) in der Umwelt verliert. Es gilt den Menschen als Zweck, nicht als Mittel, die Wissenschaften vor Rufschaden durch Fehler und die Gesellschaft vor Forschungspraxen zu schützen, die dazu führen können, dass bestimmte Menschen und Gruppen schuldfrei benachteiligt werden: Zum Beispiel könnte eine Analyse von Medikamenten oder (Stress-) Hormonen in Abwässern bestimmter Wohngebiete dazu führen, dass deren Interpretation Vorurteile verstärkt, und zu verstärkter Überwachung oder dem Entzug von Dienstleistungen führen mag.“
„Der zweite Aspekt ist die angewandte Ethik: Wofür und von wem werden die eDNA-Proben verwendet? Anwendungen für den Umweltschutz, die Gesundheit, und generell die Sicherheit von Menschen wären sicherlich sehr willkommen. Die Frage hier stellt sich, inwiefern man eDNA-Daten weiterverwenden kann, um generell Wissen zu schaffen, oder um ganz bestimmte Personen und Gemeinschaften genauer er- oder ausforschen zu können. Genetische Umweltdaten könnten zum Beispiel im Zusammenhang mit genetischen und anderen persönlichen Daten in verschiedensten Datenbanken analysiert werden, selbst wenn die Umweltdaten so nicht angedacht waren: Kommerzielle Anbieter, Versicherungen, Arbeitgeber, Sicherheitsbehörden könnten an der Analyse von eDNA mit anderen Daten interessiert sein. Man denke zum Beispiel an Kundenkonten bei Ancestry.com, 23andme, FamilyTreeDNA, oder GEDmatch: diese sind klar Individuen zugeschrieben, und im Abgleich mit Umweltdaten wird man dann auch in der Lage sein, diese eDNA bestimmten Individuen zuzuordnen und auf Aspekte von deren Verhalten (zum Beispiel genetische Analysen von Aufenthalten, oder von Wohngebieten) schließen können. Wenn solche Möglichkeiten bestehen, dann werden sie, wie wir aus Erfahrung wissen, auch sehr wahrscheinlich ausgenutzt werden. Aus diesem Grund sollte man vorausschauend ethisch handeln, wie es die ForscherInnen des ‚Nature‘-Beitrags getan haben.“
„Ich habe keine Interessenskonflikte; ich war an dieser Forschung in keiner Weise beteiligt und habe keine persönlichen Vorteile von ihrer Fortführung oder ihrer Kritik.“
„Es gibt keine Interessenkonflikte.“
Primärquelle
Whitmore L et al. (2023): Inadvertent human genomic bycatch and intentional capture raise beneficial applications and ethical concerns with environmental DNA. Nature Ecology & Evolution. DOI: 10.1038/s41559-023-02056-2.
Weiterführende Recherchequellen
Prainsack B et al. (2022): Data solidarity: a blueprint for governing health futures. The Lancet Digital Health. DOI: 10.1016/S2589-7500(22)00189-3.
Diese von Frau Prainsack empfohlene Quelle beschreibt, wie mit Daten umgegangen werden sollte.
Literaturstellen, die von den Expert:innen zitiert wurden
[1] Wienroth M et al. (2021): Ethics as Lived Practice. Anticipatory Capacity and Ethical Decision-Making in Forensic Genetics. Genes. DOI: 10.3390/genes12121868.
Literaturstellen, die vom SMC zitiert wurden
[I] Ram N (2023): The ethics of human sequences in
environmental samples. Nature Ecology & Evolution. DOI: 10.1038/s41559-023-02072-2.
Prof. Dr. Barbara Prainsack
Universitätsprofessorin am Institut für Politikwissenschaft, Universität Wien, Österreich, und Mitglied der österreichischen Bioethikkommission sowie Vorsitzende der European Group on Ethics und ehemaliges Mitglied der Ethikkommision der britischen Polizei-DNA-Datenbank, Österreich
Dr. Matthias Wienroth
Assistant Professor am Centre for Crime and Policing, Northumbria University, Newcastle, Vereinigtes Königreich