Medizin & Lebenswissenschaften

10. Oktober 2017

Lungenpest in Madagaskar: Kein Pest-Ausbruch wie jedes Jahr

In Madagaskar ist die Pest ausgebrochen – mal wieder, wie jedes Jahr. Allerdings: Dieses Mal entwickelt sich der Ausbruch anders und ist gefährlicher als sonst, denn momentan grassiert vor allem die Lungenpest, nicht wie sonst die Beulenpest.

Normalerweise stecken sich in einer Pest-Saison von September bis April etwa 280 bis 600 Menschen auf Madagaskar mit dem Erreger des "Schwarzen Todes" an [1]. Die meisten erkranken an der Beulenpest; üblicherweise sind nur ein Prozent der Fälle Lungenpest [2].

Doch nun (Stand: 09.10.2017) sind bereits mindestens 387 Fälle bekannt, davon 277 Fälle bzw. 72 Prozent Lungenpest; 45 Infizierte sind gestorben [3]. (Aktualisierung vom 12.10.2017: Mit Stand 11.10.2017 haben sich die Zahlen auf 449 Fälle mit 48 Todesfällen erhöht [10].)

Dabei hat die Pest-Saison gerade erst begonnen. Und untypischerweise sind die meisten Fälle in der madagassischen Hauptstadt Antananarivo mit seinen rund 1,6 Millionen Einwohnern aufgetaucht und in Gegenden, wo die Pest bislang nicht vorkam, also nicht endemisch ist. Hinzukommt, dass die Lungenpest meist über Tröpfcheninfektion und damit leicht von Mensch zu Mensch übertragen wird (wenn auch nicht so leicht wie Grippe oder Masern) und dass die Lungenpest dann innerhalb eines Tages ausbricht und unbehandelt innerhalb von drei (weiteren) Tagen zum Tode führt. Insofern ist die Zeitspanne für Diagnose und Therapiebeginn mit Antibiotika extrem kurz.

Dieses Fact Sheet möchte Journalisten mögliche Fragen und Quellen für die weitere Recherche aufzeigen.

Sie können dieses Fact Sheet auch als PDF herunterladen.

Übersicht

  • Beulenpest, Lungenpest und Pestsepsis im Vergleich
  • Aktuelle epidemiologische Informationen zum Epidemie-Verlauf
  • Mehr Informationen zur Situation in Madagaskar über madagassische Medien (französisch)
  • Steckbriefe zum Thema Pest
  • Mögliche Recherchefragen
  • Akteure (Auswahl, französisch)
  • Weitere Recherchequellen
  • Literaturstellen, die zitiert wurden

Beulenpest, Lungenpest und Pestsepsis im Vergleich

Beulenpest

Lungenpest

Pestsepsis

Synonyme
(englisch, französisch)

Bubonic plague,
Peste bubonique

Pneumonic plague,
Peste pneumonique, Peste pulmonaire

Septicemic plague,
Peste septicémique

Erreger

Bakterium Yersinia pestis

Bakterium Yersinia pestis

Bakterium Yersinia pestis

Infektionsherd

Bakterien in Lymphknoten, die zu Beulen führen

Bakterien in Lunge, die zu Lungenentzündung führen und dann zu Lungenversagen und Schock

Bakterien im Blutstrom, die zu Sepsis und Multi-Organ-Versagen führen

Häufigkeit

80 - 95 Prozent der Fälle

1 Prozent der Fälle

(4 - 19 Prozent der Fälle)

Infektionsweg

Bisse von Flöhen, die Pest-Erreger von Ratten bekommen haben;
keine Übertragung von Mensch zu Mensch, außer über Eiter aus den Beulen

Über Tröpfcheninfektion durch die Luft (primäre Lungenpest);
über Befall der Lunge mit Bakterien aus dem Blut (sekundäre Lungenpest)

Bisse von Föhen, die Pest-Erreger von Ratten bekommen haben

Übertragung

Meistens von Tier zu Mensch

Meistens von Mensch zu Mensch

Meistens von Tier zu Mensch

Inkubationszeit

1 - 7 Tage

1 Tag (<24 Stunden - 4 Tage)

(keine Angaben)

Sterbewahr-scheinlichkeit
OHNE Antibiotika-Behandlung

50 - 60 Prozent

Bis zu 100 Prozent (tödlich innerhalb innerhalb von drei, vier Tagen)

(keine Angaben)

Sterbewahr-scheinlichkeit
MIT Antibiotika-Behandlung

10 - 20 Prozent

(keine Angaben)

(keine Angaben)

Quellen: [1] [2] [4] [5] [6]

Aktuelle epidemiologische Informationen zum Epidemie-Verlauf

  • Gesundheitsministerium Madagaskar:
  • Weltgesundheitsorganisation Afrika (WHO AFRO)
  • Weltgesundheitsorganisation (WHO) – Disease Outbreak News (DON)
  • European Centre for Disease Prevention and Control (ECDC)
  • Centers for Disease Prevention and Control (CDC)
    • Alert: Level 2, Practice Enhanced Precautions
  • ReliefWeb
  • ProMED-mail:
    • Suche 1: Reiter "Search"; Keywords "Plague AND Madagascar"; Source ‚ÄúProMED-mail‚Äù
    • Suche 2: Reiter "Search"; Keywords "Plague AND Madagascar"; "ProMed-EAFR" (Anglophone Africa)
    • Suche 3: Reiter "Search"; Keywords "Peste AND Madagascar"; Source "ProMED-FRA" (Afrique Francophone)
  • HealthMap

Mehr Informationen zur Situation in Madagaskar über madagassische Medien (französisch)

Steckbriefe zum Thema Pest

Mögliche Recherchefragen

Wie schnell könnte sich – rein hypothetisch – die Lungenpest von Madagaskar aus über den Flugverkehr weltweit verbreiten?

  • Denn: Menschen, die an Lungenpest erkrankt sind, können andere Menschen insbesondere über Tröpfcheninfektion im Radius von einem Meter anstecken, zum Beispiel durch Husten und Auswurf. Weil die Pestbakterien dann eingeatmet werden und somit direkt die Lunge befallen, ist es wahrscheinlicher, dass die neu infizierte Person ebenfalls Lungenpest bekommt – und nicht die weniger gefährliche Beulenpest, die zumeist über Flohbisse übertragen wird.
  • Die Inkubationszeit beträgt etwa einen Tag. Ohne sofortige Behandlung sterben Kranke innerhalb von etwa drei Tagen. Insofern ist die Lungenpest im Vergleich zu Ebola leichter übertragbar, schneller krankmachend und tödlicher.
  • Direktflüge gibt es zum Beispiel von Madagaskars Hauptstadt Antananarivo nach Paris, La Réunion, Mayotte und Südostasien.
  • Die Fluggesellschaft Air Seychelles hat zum 08.10.2017 ihre Flüge zwischen Madagaskar und den Seychellen eingestellt [7].
  • Derzeit gilt das Ansteckungsrisiko laut WHO [8] (Stand: 02.10.2017) und ECDC [4] (Stand: 09.10.2017):
    • innerhalb Madagaskars als "hoch"
    • innerhalb der Region Indischer Ozean, insb. mit den Inseln Mayotte und La Réunion, als "moderat"
    • und darüber hinaus, d. h. international, etwa als Import in die Europäische Union, als "niedrig" bzw. "sehr niedrig".
  • Es dürfte nicht auszuschließen sein, dass Reisende während eines Fluges außer Landes oder kurz danach Symptome entwickeln. Wichtig wäre deswegen, dass Reisende und auch Flugpersonal um den Ausbruch auf Madagaskar und die Symptome der Pest wissen, die Verdachtsfälle schnellstens überprüft, prophylaktisch gegen Pest behandelt und isoliert werden. Dann dürfte nur geringe Gefahr bestehen, dass die Pest zum Beispiel nach Europa gelangt.
  • Beispiele für Modellierungen, wie sich der Ebola-Ausbruch von Westafrika über Flugrouten in die Welt hätte ausbreiten können:
    • Dirk Brockmann, Humboldt-Universit√§t zu Berlin:
      Projekt "Worldwide Air-Transportation, Import Risk and Most Probable Spreading Routes": http://bit.ly/2xvi0ai
      Brockmann D et al. (2013): The Hidden Geometry of Complex, Network-Driven Contagion Phenomena. Science; 342(6164): 1337-1342. DOI: 10.1126/science.1245200. URL: http://bit.ly/2xuHepp
    • Isaac I Bogoch, University of Toronto, Kanada:
      Bogoch II et al. (2015): Assessment of the potential for international dissemination of Ebola virus via commercial air travel during the 2014 west African outbreak. Lancet; 385(9962): 29-35. DOI: 10.1016/S0140-6736(14)61828-6. URL: http://bit.ly/2zb5xdW

Inwiefern können Pest-Bakterien nach dem Tod eines Erkrankten noch andere Menschen anstecken (postmortale Transmission)?

  • Gene, die für Persistenz des Bakteriums sorgen,
    z. B.: Easterday WR et al. (2012): An additional step in the transmission of Yersinia pestis? ISME J.;6(2):231-236. DOI: 10.1038/ismej.2011.105. URL: http://bit.ly/2xv8l3p
  • Bestattungsrituale in Madagaskar:
    • Um in der Familiengruft beerdigt zu werden, wird der Leichnam mitunter auf dem Dach von Buschtaxis von Stadt zu Stadt transportiert.
    • Es gibt Rituale wie etwa Nachtwache.
      Beispiel eines Ausbruchs von Lungenpest, bei dem mehrere Menschen sich wohl bei einer traditionellen Beerdigung samt Nachtwache angesteckt haben: Ramasindrazana B et al. (2017): Pneumonic Plague Transmission, Moramanga, Madagascar, 2015. Emerg Infect Dis; 23(3): 521-524. DOI: 10.3201/eid2303.161406. URL: http://bit.ly/2y5psNR
    • Die Gebeine von Verstorbenen werden alle sieben Jahre ausgegraben, gereinigt, in neue Tücher gewickelt und wieder begraben. Dieses "Leichenwendfest" wird auf madagassisch Famadihana genannt, ist ein bedeutsames Ritual und Teil des Ahnenkults, der auf Madagaskar sehr wichtig ist. Es ist unklar, inwiefern dabei Pest-Bakterien tatsächlich noch auf Menschen übertragen werden können und infektiös sind.

Inwiefern hat sich das Genom des Bakteriums aktuell verändert und welche Bedeutung hat dies für die Virulenz, also die Fähigkeit des Erregers, den befallenen Organismus krank zu machen?

  • Zur Evolution des Bakteriums Yersinia pestis, das vor mindestens 5000 Jahren aus dem Bakterium Yersinia pseudotuberculosis hervorgegangen ist:
    Cui Y et al. (2016): Genome and Evolution of Yersinia pestis. Adv Exp Med Biol;918:171-192. URL: http://bit.ly/2yANhxn
  • Zum Genom von Pest-Bakterien aus London von der europäischen Pest-Pandemie im 14. Jahrhundert ("Schwarzer Tod"):
    Kirsten IB et al. (2011): A draft genome of Yersinia pestis from victims of the Black Death. Nature; 478(7370): 506-510. DOI: 10.1038/nature10549. URL: http://go.nature.com/2kAVtHY
  • Zur jüngeren Historie der Pest in Afrika:
    Neerinckx S et al. (2010): Human plague occurrences in Africa: an overview from 1877 to 2008. Trans R Soc Trop Med Hyg;104(2):97-103. DOI: 10.1016/j.trstmh.2009.07.028. URL: http://bit.ly/2xuTUwb
  • Zu endemischen Zyklen der Pest-Übertragung im Lokalen statt wiederholter epidemischer Ausbrüche, die sich übers ganze Land verbreiten:
    Vogler AJ et al. (2017): Temporal phylogeography of Yersinia pestis in Madagascar: Insights into the long-term maintenance of plague. PLoS Negl Trop Dis;11(9):e0005887. DOI: 10.1371/journal.pntd.0005887. URL: http://bit.ly/2yVHHSi
  • Zur jüngeren Historie der Pest in Madagaskar:
    Andrianaivoarimanana V et al. (2013): Understanding the Persistence of Plague Foci in Madagascar. PLoS Negl Trop Dis; 7(11): e2382. DOI: 10.1371/journal.pntd.0002382. URL: http://bit.ly/2yUwkKq
  • Zur Phyologenie der Stämme des Pest-Bakteriums, insb. in Madagaskar:
    A Guiyoule A et al. (1997): Recent emergence of new variants of Yersinia pestis in Madagascar. J Clin Microbiol; 35(11): 2826-2833. URL: http://bit.ly/2xtxyA8
  • Zur Evolution des Pest-Bakteriums durch Erwerb, Verlust und Neuanordnung von Genen:
    McNally A et al. (2016): "Add, stir and reduce": Yersinia spp. as model bacteria for pathogen evolution. Nat Rev Microbiol;14(3):177-190. DOI: 10.1038/nrmicro.2015.29. URL: http://bit.ly/2yBHLum
  • Zu Mutationen im Genom des Pest-Erregers während Ausbrüchen:
    Cui Y et al. (2013): Historical variations in mutation rate in an epidemic pathogen, Yersinia pestis. Proc Natl Acad Sci USA; 110(2): 577-582. DOI: 10.1073/pnas.1205750110. URL: http://bit.ly/2xtye8z

Inwiefern sind die Pest-Bakterien des aktuellen Ausbruchs bereits resistent gegen Antibiotika?

  • Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat Anfang Oktober 1.190.000 Dosen Antibiotika nach Madagaskar geschickt; weitere 244.000 Dosen sollen folgen [9]. Das Gesundheitsministerium und Partner verteilen die Medikamente übers Land. Damit sollen bis zu 5000 Patienten behandelt werden (Therapie) und bis zu 100.000 Menschen, die Kontakt zu Kranken hatten, geschützt werden, auch wenn sie (noch) keine Symptome zeigen (Post-Exposition-Prophylaxe) [9].
  • Antibiotika gegen die Pest – egal, ob Beulenpest oder Lungenpest – sind üblicherweise Aminoglykoside, Fluoroquinolone, Sulfonamide.
  • Antibiotika-Resistenzen bei Yersinia pestis gibt es, wenn auch selten.
  • Urich SK et al. (2012): Lack of antimicrobial resistance in Yersinia pestis isolates from 17 countries in the Americas, Africa, and Asia. Antimicrob Agents Chemother;56(1):555-558. DOI: 10.1128/AAC.05043-11. URL: http://bit.ly/2zbm1CP
  • Welch TJ et al. (2007): Multiple antimicrobial resistance in plague: an emerging public health risk. PLoS One;2(3):e309. DOI: 10.1371/journal.pone.0000309. URL: http://bit.ly/2xv1MxR
  • Galimand M et al. (2006): Resistance of Yersinia pestis to Antimicrobial Agents. Antimicrob Agents Chemother; 50(10): 3233-3236. DOI: 10.1128/AAC.00306-06. URL: http://bit.ly/2hYPpIe
  • Hinnebusch BJ et al. (2002): High-frequency conjugative transfer of antibiotic resistance genes to Yersinia pestis in the flea midgut. Mol Microbiol;46(2):349-354. DOI: 10.1046/j.1365-2958.2002.03159.x. URL: http://bit.ly/2fWn5Cf

Akteure (Auswahl, französisch)

Weitere Recherchequellen

  • Nationales Konsiliarlabor für Yersinia pestis, München: http://bit.ly/2yTTv7N
  • Centre Collaborateur de l'OMS de Référence et Recherche pour les Yersinia (WHO Collaborating Centre), Institut Pasteur, Paris: http://bit.ly/2xsX3BQ

Literaturstellen, die zitiert wurden

[1] Institut Pasteur de Madagascar: Peste à Madagascar : ce qu'il faut savoir. Stand: 16.09.2017. URL: http://bit.ly/2fH3BRZ

[2] ProMED-mail: PRO/AH/EDR> Plague - Madagascar (12): fatal. Archive Number: 20171007.5366522. Stand: 07.10.2017. URL: http://bit.ly/2yA5kUA

[3] Ministère de la santé publique: Situation épidémiologique du 09 octobre 2017. URL: http://bit.ly/2y64Q5x

[4] European Centre for Disease Prevention and Control (ECDC): Rapid risk assessment: Outbreak of plague in Madagascar, 2017. Stand: 09.10.2017. URL: http://bit.ly/2hYUY9H

[5] Centers for Disease Control and Prevention (CDC): Plague. Frequently Asked Questions. URL: http://bit.ly/2yU1q55

[6] Weltgesundheitsorganisation (WHO): Plague. Fact Sheet. Stand: Oktober 2017. URL: http://bit.ly/1U9hk3P

[7] Tribune Madagascar: Epidémie de peste. Air Seychelles suspend ses vols vers Madagascar. Stand: 07.10.2017. URL: http://bit.ly/2xtWTKs

[8] Weltgesundheitsorganisation (WHO): Disease Outbreak News – Plague –Madagascar. Stand: 02.10.2017. URL: http://bit.ly/2hXxGkp

[9] Weltgesundheitsorganisation (WHO): WHO provides 1.2 million antibiotics to fight plague in Madagascar. Pressemitteilung vom 06.10.2017. URL: http://bit.ly/2g0MkXM

[10] ProMED-mail: PPRO/AH/EDR> Plague - Madagascar (16): fatal. Archive Number: 20171011.5374264. Stand: 11.10.2017. URL: http://bit.ly/2yA5kUA