Gürtelrose-Impfung als Schutz vor Demenz
Herpes-Zoster-Lebendimpfstoff schützt laut Studie vor allem Frauen vor Demenzdiagnose
bereits vermuteter Effekt der Impfung auf das Demenzrisiko konnte durch ungewöhnliches Design der Studie gezeigt werden
Forschende loben Möglichkeiten des Studiendesigns und halten die Ergebnisse für relevant, weisen aber darauf hin, dass Erkenntnisse nur für den nicht mehr gebräuchlichen Lebendimpfstoff gelten
Die Gürtelrose-Impfung gegen das Varizella-Zoster-Virus schützt vor Demenz, so eine Studie aus dem Vereinigten Königreich, die im Fachjournal „Nature“ veröffentlicht wurde (siehe Primärquelle) und schon als Preprint verfügbar war [I]. Frühere Veröffentlichungen hatten zwar schon einen Zusammenhang festgestellt, konnten aber nicht eindeutig beweisen, ob die Impfung wirklich die Ursache dafür war [II]. Ein besonderes Studiendesign hat es nun ermöglicht, ein „natürliches Experiment“ anhand von Gesundheitsdaten auszuwerten. Die Studie zeigt, dass die Einführung der Gürtelrose-Impfung bei Personen ab 80 Jahren wahrscheinlich der Grund dafür war, dass seltener Demenz diagnostiziert wurde.
Direktor des Virologischen Instituts, Universitätsklinikum Erlangen
Relevanz der Ergebnisse
„Mit dieser Studie gibt es einen weiteren guten Grund die Impfung gegen Gürtelrose, wie von der Ständigen Impfkommission empfohlen, in Anspruch zu nehmen. Die bisherigen Hinweise, dass Impfungen gegen Gürtelrose nicht nur vor der Gürtelrose schützen, sondern auch das Risiko von Demenz reduzieren, erfahren mit der jetzigen Publikation eine wichtige unabhängige Bestätigung.“
Ergebnisse der Studie
„Die jetzt erschienene Studie vergleicht die Häufigkeit des Auftretens einer Demenz bei Personen, die entweder kurz vor oder kurz nach der Einführung der Impfung (Zostavax) gegen Gürtelrose in Wales 80 Jahre alt wurden. Während in der ersten Gruppe praktisch keine Impfungen durchgeführt wurden, nahm in der zweiten Gruppe ungefähr die Hälfte das Impfangebot war. In der gesamten Gruppe mit Impfangebot wurde das relative Risiko, eine Demenz zu entwickeln, 8,5 Prozent niedriger geschätzt als in der Gruppe, für die keine Impfung vorgesehen war. Berechnet auf die Geimpften in der Gruppe mit Impfangebot reduzierte die Impfung das Risiko für Demenz um ein Fünftel. Unklar ist, wieso dieser Effekt nur bei Frauen zu beobachten war.“
Mehrwert durch das Studiendesign
„Der große Vorteil dieses Studiendesigns ist, dass das Risiko für Verzerrungen aufgrund von vielfältigen Unterschieden in Personen, die sich impfen lassen, und solchen, die die Impfung nicht in Anspruch nehmen, praktisch ausgeschlossen werden kann, da alle Personen unabhängig von ihrem Impfstatus einbezogen werden.“
Limitationen
„Limitationen der Publikation sind die Beschränkung auf die Altersgruppe der über 80-jährigen und die Verwendung, des in Deutschland nicht mehr empfohlenen lebend-attenuierten Impfstoffs gegen die Gürtelrose. Letztes Jahr erschien bereits eine Studie bei über 65-jährigen Amerikanern [V], in der nach der Einführung des rekombinanten Proteinimpfstoffs (Shingrix) (Totimpfstoff; Anm. d. Red.) gegen die Gürtelrose bei Frauen und Männern weniger Demenzen beobachtet wurden als im vorangegangenen Zeitraum, in dem der Lebendimpfstoff zum Einsatz kam. Daher ist davon auszugehen, dass der in Deutschland empfohlene Proteinimpfstoff auch besser vor der Demenz schützt als der Lebendimpfstoff.“
Möglicher Mechanismus
„Die Beobachtung, dass zwei sehr unterschiedliche Impfstoffe gegen das Virus der Gürtelrose auch das Risiko für Demenz senken, spricht dafür, dass das Virus das Risiko für die Demenz erhöht. Durch die Impfungen könnten Reaktivierungen des Virus und somit Entzündungsreaktionen im Nervengewebe verhindert werden. Am plausibelsten ist, dass die Entzündungsreaktionen im Nervengewebe durch das Virus der Gürtelrose nicht ursächlich für die Demenz sind, sondern das Fortschreiten der Demenz beschleunigen. Es ist daher damit zu rechnen, dass die Impfung gegen Gürtelrose die Demenz nicht komplett verhindert, sondern das Auftreten der Demenz verzögert.“
Generalsekretär, Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN), und niedergelassener Neurologe
Ergebnisse der Studie
„Die aktuelle Studie bestätigt frühere Beobachtungen, dass Personen, die eine Zoster-Impfung erhalten haben, seltener eine Demenz entwickeln. Es zeigte sich eine relative Risikoreduktion von 20 Prozent bei einem Follow-up von sieben Jahren. Der Effekt war bei Frauen deutlich ausgeprägter als bei Männern.“
Mehrwert durch das Studiendesign
„In den bisherigen Assoziationsstudien wurden in Registern Personen mit Impfung mit Ungeimpften verglichen, ohne mögliche demenzbezogene individuelle Unterschiede berücksichtigen zu können.“
„Im Unterschied hierzu wird in der aktuellen Studie die Tatsache genutzt, dass in Wales nur Personen, die nach dem Stichtag am 2. September 1933 geboren sind, geimpft werden konnten. Verglichen wurden nun Menschen, die eine Woche vor dem Stichtag geboren waren mit solchen, die eine Woche nach dem Stichtag auf die Welt kamen. Die Autorengruppe geht zu Recht davon aus, dass sich demenzrelevante Einflussfaktoren so praktisch ausschließen lassen, zumal die Gesundheitsdaten der Kollektive berücksichtigt wurden und eine Regressionsanalyse erfolgte.“
Limitationen
„Hier wurde nur der Lebendimpfstoff untersucht, eine Aussage über den später entwickelten Totimpfstoff ist nicht möglich. Es erfolgte auch keine Differenzierung der Demenzdiagnosen, das heißt, eine Aussage dezidiert zu Alzheimer ist nicht möglich.“
Möglicher Mechanismus
„Herpesviren sind neurotrop (auf das Nervensystem wirkend; Anm. d. Red.) und das Verhindern einer Reaktivierung des Varizella-Zoster-Virus durch die Impfung dürfte eine wichtige Rolle spielen. Darüber hinaus gehende immunmodulatorische Effekte der Vakzine könnten womöglich die deutlichen Geschlechtsunterschiede erklären.“
Impfempfehlungen in Deutschland
„Die Ständige Impfkommission (Stiko) empfiehlt die Impfung gegen Gürtelrose aktuell allen Menschen ab 60 Jahren als Standardimpfung und bereits ab 50 Jahren, wenn Grunderkrankungen vorliegen, die das Immunsystem schwächen. Die Effektstärke der Impfung auf das Verhindern oder Verzögern einer Demenz ist so groß, dass dies ein Argument für die Impfung über den Schutz vor einer Gürtelrose hinaus ist. Es ist zu diskutieren, ob nicht generell die Impfung ab 50 Jahren zumindest für Frauen empfohlen werden sollte.“
Auf die Frage, welchen Einfluss die Varizellen-Grundimmunisierung im Kindesalter auf die Entwicklung einer Demenz haben könnte:
„Die Varizellen-Grundimmunisierung könnte durchaus einen Einfluss haben – es gibt dazu aber keine validen Daten.“
Leiter der Arbeitsgruppe “Neurovirology & Neuroinflammation”, Deutsches Zentrum für neurodegenerative Erkrankungen e. V. (DZNE), Ulm
Relevanz der Ergebnisse
„In diesem Paper wird Evidenz geschaffen, dass Impfung gegen eine Viruserkrankung (hier Herpes Zoster) gegen neurodegenerative Erkrankungen oder Demenz helfen könnte, was ein absolut neuer Prophylaxe-Ansatz wäre. Zudem betonen die Daten auf epidemiologischer Ebene, dass Viruserkrankungen bei der Entstehung von Demenzen eine wichtige Rolle spielen könnten. Diese Studie ist ein weiterer wichtiger Schritt in einem spannenden Forschungsfeld – der Einfluss von Impfungen oder viralen Infektionen auf neurodegenerative Erkrankungen – aus dem man sicherlich in Zukunft Innovationen bei der Behandlung und Verhinderung von Demenzen erwarten kann.“
Mehrwert durch das Studiendesign
„Die Veröffentlichung folgt einem sehr interessanten epidemiologischen Ansatz mit einer klaren Rationale und dem Vorteil – durch eine sehr strenge Stichtagregelung bei der Impfung – Populationsdaten zu nutzen, die sich quasi selbst auf Kofaktoren wie zum Beispiel das Alter oder Lebensereignisse kontrollieren. Zudem wurden keine Effekte der Impfung auf andere Gesundheitsmarker festgestellt. Die Anzahl, der in der Studie analysierten Patientendaten lässt sicherlich die getroffenen Aussagen zu.“
Limitationen
„Als Limitation ist anzumerken, dass keinerlei molekularbiologische Einsichten dabei sind. Es ist zwar eine klare Korrelation, aber noch keine direkte Kausalität nachgewiesen. Zudem wird bei dem Begriff Demenz nicht unterschieden, um welche Demenzerkrankung es sich exakt handelt. Die Impfung bezieht sich auf den heute seltener verwendeten Lebendimpfstoff Zostavax und nur auf eine ‚Alterskohorte‘, das heißt Leute, die entweder kurz vor oder kurz nach dem 2. September 1933 geboren wurden.“
Möglicher Mechanismus
„Es drängt sich hier natürlich als Schlussfolgerung auf, dass Veränderungen im Körper durch die Wildtyp-Virusinfektion (Infektion mit dem natürlich vorkommenden Virus; Anm. d. Red.) – das Varizella-Zoster-Virus befällt auch Nervenzellen – die Entstehung von Demenzen begünstigen. Verhinderung oder Abschwächung der Infektion durch Impfung würde dann somit auch Folgen der Infektion – das heißt Demenz – verhindern oder abschwächen.“
„Nicht außer Acht zu lassen ist allerdings, dass die Impfung auch Immunreaktionen auslösen kann, die unabhängig von der Immunisierung gegen Herpes Zoster vor Demenz schützen könnten. Beide Mechanismen schließen sich gegenseitig nicht aus, und für beide Punkte führt das Paper Argumente basierend auf den Daten an.“
Auf die Frage nach der Relevanz des deutlichen Geschlechterunterschieds beim Effekt auf das Demenzdiagnose-Risiko:
„Immunreaktionen unterscheiden sich bei Frauen und Männern stark. Frauen haben oft eine bessere beziehungsweise stärkere Immunreaktion, das würde vermuten lassen, dass eine mögliche schützende Wirkung der Impfung im Zusammenhang mit dem Immunsystem oder dem Wechselspiel Immunsystem-Virus steht. “
Impfempfehlungen in Deutschland
„Bewährte und getestete Impfungen sollten einen hohen Stellenwert haben, sie sind die beste Prophylaxe, die wir aktuell gegen virale Erkrankungen haben. In der vorliegenden Studie wurde die Wirksamkeit von Impfungen am Beispiel Herpes Zoster/Gürtelrose und dem Impfstoff Zostavax bestätigt. Besonders hervorzuheben ist, dass die Studie vermuten lässt, dass Impfungen möglicherweise auch gegen unerwartete Spätfolgen von viralen Erkrankungen schützen. Viele virale Infektionen lösen, wie man heute weiß, teilweise chronische Langzeitfolgen aus, die scheinbar unabhängig von der Art und Schwere der akuten Infektion sind.“
Lehrstuhlinhaber und Direktor des Instituts für Virologie, Universitätsklinikum Freiburg, und Mitglied der Arbeitsgruppe Zoster der Ständigen Impfkommission (Stiko) und Leiter des Konsiliarlabors für Herpes Simplex Virus (HSV) und Varicella Zoster Virus (VZV)
Mehrwert der Studie
„Über eine Beteiligung von neurotropen (auf das Nervensystem wirkend; Anm. d. Red.) humanen Herpesviren (Herpes-Simplex-Virus-1 (HSV), HSV-2, VZV, HHV-6A) bei neurodegenerativen Erkrankungen wird seit Jahren spekuliert. Dabei stehen die verschiedenen Formen dementieller Erkrankungen im Mittelpunkt des wissenschaftlichen Interesses, da sie viele Menschen betreffen, ihre Häufigkeit stetig zunimmt und in dieser Folge ihre gesundheitsökonomische Bedeutung erheblich ist. Varizella-Zoster-Virus-bedingte Erkrankungen sind hierbei ein besonders attraktiver Forschungsgegenstand, da gegen das Varizella-Zoster-Virus (VZV) – im Unterschied zum Herpes-Simplex-Virus (HSV) – verschiedene zugelassene Impfstoffe zur Verfügung stehen, die neben epidemiologischen Forschungsansätzen auch konkrete präventivmedizinische Perspektiven eröffnen.“
„Die aktuelle Studie verwendet ein aus der Nationalökonomie stammendes ‚natürliches‘ Studiendesign, ähnlich wie eine im vergangenen Jahr im Fachjournal ‚Nature Medicine‘ erschienene Studie von Taquet et al. [V].“
„Die aktuelle Studie bestätigt den zuvor von Taquet et al. [V] mittels einer Studienkohorte aus Krankenversicherten in den USA erhobenen Befund, dass eine Impfung gegen Gürtelrose die Häufigkeit von Demenzdiagnosen reduziert. Sie bemisst den Schutzeffekt des untersuchten Zoster-Lebendimpfstoffs auf bis zu 20 Prozent der Demenz-Neudiagnosen in einem Patientenkollektiv von 80-jährigen Menschen. Die Autoren haben im Verlauf des über einjährigen Revisionsprozesses ihrer Studie verschiedene denkbare Störfaktoren und Selektionsfehler in dem von ihnen gewählten Studienansatz ausgeschlossen, sodass die Qualität der Analysen und Daten höher einzuschätzen ist als die von Taquet et al. [V]. Der bestätigende Charakter der Studie stellt für mich den wichtigsten Mehrwert dieser Untersuchung dar.“
„Hervorzuheben ist ferner der von den Autoren beobachtete geschlechtsspezifische Effekt der Zoster-Lebendimpfung, der Frauen sehr viel deutlicher zugutekam als Männern. Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass Zostererkrankungen bei Frauen häufiger und früher auftreten als bei Männern, könnte diese Beobachtung ein erster Hinweis auf die biologischen Grundlagen des zugrundeliegenden antidementiellen Effektes sein.“
Limitationen
Hinweis von Professor Hengel:
„Die umfangreichen ergänzenden Daten und Abbildungen der aktuellen Studie lagen mir zur Einsichtnahme nicht vor. Mögliche weitere Limitationen der Studie sind daher möglich.“
„Trotz der Qualität der Studie bleiben letzte Zweifel bestehen. Die ICD-10-Codes (international gültiges Klassifizierungssystem für medizinische Diagnosen; Anm. d. Red.) für die Diagnosestellung der Demenz suggerieren eine Objektivität, die hinterfragt werden muss. Die Verwendung der Codes ist abhängig von den Bedingungen des jeweiligen Gesundheitssystems, zum Beispiel durch Leistungsvergütung, Kodierungsqualität, Facharztdichte, Zahl der Arztkontakte und weitere. Die der Studie zugrundeliegenden Daten stammen aus Wales beziehungsweise dem Vereinigten Königreich mit einem chronisch unterfinanzierten Gesundheitssystem, über dessen ICD-10-Kodierungsqualität wir wenig wissen. Dies könnte dazu geführt haben, dass die ‚Stabilität‘ der Demenzdiagnosen im Studienverlauf nicht konstant war. Tatsächlich könnte man die in Abbildung 1 und 3 der Studie gezeigten Daten dahingehend interpretieren, dass es im Studienverlauf einen generellen Trend zu einer restriktiveren Verwendung von Demenzdiagnosen gegeben hat. In diesem Falle würden die Effekte der Impfung überschätzt.“
„Außerdem fehlen wichtige Vergleichsanalysen in den Studien von Taquet et al. [V] wie auch der aktuellen von Eyting et al.: Nämlich die Messung anderer neurodegenerativer Diagnosen nach Zoster-Impfung wie beispielsweise Parkinson oder Amyotrophe Lateralsklerose (ALS). Unverständlich ist außerdem, dass in der aktuellen Studie von Eyting et al. die Ergebnisse von Taquet et al. [V] weder erwähnt noch diskutiert werden.“
„Zur Kausalität eines biologischen Zusammenhangs können Studien, die Gesundheitsdaten verwenden, naturgemäß nur begrenzte Aussagen machen. Vor dem Hintergrund weiterer Studien mit vergleichbaren Ergebnissen (wie [V]) scheint ein ursächlicher Zusammenhang des Varizella-Zoster-Virus und Demenz aber gut denkbar und sollte durch weitere grundlagenwissenschaftliche Untersuchungen adressiert werden. Taquet et al. [V] beobachteten in ihrer Studie einen deutlich stärkeren Schutzeffekt durch den adjuvantierten Totimpfstoff im Vergleich zu dem hier untersuchten Lebendimpfstoff.“
Möglicher Mechanismus
„Zur Ursache-Wirkungsbeziehung von Zosterimpfung und Demenz gibt die vorliegende Studie nur begrenzten Aufschluss. In Verbindung mit der früheren Arbeit von Taquet et al. [V] scheint allerdings eine direkte Beziehung der VZV-Infektion und der Gehirnalterung beziehungsweise Demenzentwicklung durchaus wahrscheinlich. Taquet et al. analysierte die beiden immunologisch sehr unterschiedlichen Zosterimpfstoffe und stellte bei beiden einen Schutzeffekt gegen Demenz fest, allerdings in einem unterschiedlichen Ausmaß [V]. Anders als der Zoster-Lebendimpfstoff enthält der Totimpfstoff nur ein singuläres Varizella-Zoster-Virusantigen, das Glykoprotein E. Gleichzeitig enthält er einen sehr wirkungsvollen Verstärker (Adjuvans) aus dem südamerikanischen Seifenrindenbaum, der für eine Verstärkung der Immunantwort durch die Aktivierung der angeborenen Immunabwehr sorgt. Die bekanntermaßen bessere Schutzwirkung des adjuvantierten Totimpfstoffs gegen Gürtelrose korrelierte mit einer besseren Schutzwirkung gegen die Demenz, was einen direkten Zusammenhang von VZV-Infektion und Demenz nahelegt.“
Impfempfehlungen in Deutschland
„Die Impfempfehlungen der Stiko sehen den adjuvantierten Zoster-Totimpfstoff als Regelimpfung für Menschen ab 60 Jahren vor. Damit ist das von Demenzerkrankungen primär betroffene Alterssegment sehr gut erfasst. Der Schutzeffekt vor Gürtelrose des Zoster-Totimpfstoffs ist – im Gegensatz zum Zoster-Lebendimpfstoff – über mehr als acht Jahre in überzeugender Weise nachweisbar. Bedauerlicherweise sind die Impfraten der Zosterimpfung in Deutschland unbefriedigend niedrig – im Bereich von 11,5 bei der ersten, beziehungsweise 7,7 Prozent bei der zweiten Dosis [1]. Es ist daher zu hoffen, dass der sich bestätigende Befund einer Schutzwirkung der Zosterimpfung gegen Demenz günstig auf die Inanspruchnahme der Zosterimpfung auswirkt. Langfristig wird die Notwendigkeit von Auffrischungsimpfungen noch zu klären sein.“
„Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass die Prävention von Demenzerkrankungen durch die Zosterimpfung gesundheitsökonomisch vorteilhaft ist und zukünftigen Therapien der Demenz – wie monoklonalen Antikörpern – auf absehbare Zeit ebenbürtig oder sogar überlegen sein dürfte.“
Auf die Frage, ob auch die Windpocken-Impfung im Kindesalter einen Einfluss auf das Demenzrisiko haben könnte:
„Ob die Varizellen-Lebendimpfung infolge der Abschwächung gegenüber dem VZV-Wildvirus eine geringere Pathogenität (Fähigkeit des Virus, eine Erkrankung hervorzurufen; Anm. d. Red.) bezüglich eines Demenzrisikos besitzt, ist gegenwärtig noch unklar. Es gibt aber gute Hinweise, dass das VZV-Impfvirus eine geringere Fähigkeit zur Reaktivierung und zur Zosterbildung besitzt. Daher wäre es plausibel, dass der Beitrag des Impfvirus zur Demenzentwicklung geringer ausgeprägt ist als beim Wildvirus, zumal es in Form der Zosterimpfung ja eine schützende Wirkung aufweist.“
Auf die Frage, ob es sinnvoll wäre, eine Infektion mit dem Varizella-Zoster-Virus grundsätzlich zu verhindern:
„Der adjuvantierte Zoster-Totimpfstoff ist für die Prävention der Windpocken bisher nicht erprobt und nicht zugelassen. Ob er in der Lage wäre, eine ausreichende Immunität gegen Varizellen dauerhaft sicherzustellen kann aus virologischer Sicht aus guten Gründen bezweifelt werden.“
Dekan der Fakultät für Lebenswissenschaften, Technische Universität Carolo-Wilhelmina zu Braunschweig, und Leiter der Arbeitsgruppe Neuroinflammation und Neurodegeneration am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung
Mehrwert durch das Studiendesign
„Durch die Verwendung der Daten aus einem ‚natürlichen Experiment‘ – einer Impfung gegen Gürtelrose zu einem Stichtag und den Vergleich der vor dem Stichtag geborenen mit denen direkt danach – liefert diese Studie einen überzeugenden Beleg für eine demenzverhindernde oder -verzögernde Wirkung der Gürtelrose-Impfung. Die hier vorgelegte Analyse ist die beste bisher veröffentliche Arbeit über den Zusammenhang einer Virusinfektion mit einem erhöhten Demenz-Risiko. Sie liefert einen überzeugenden Beleg, warum die Gürtelrosen-Impfung nicht nur gegen eine sehr schmerzhafte Erkrankung schützt, sondern zusätzlich auch noch das Demenz-Risiko signifikant reduziert. Die Studie ist durch ihr Design und der großen Zahl der zufälligen Probanden weniger anfällig für Verwechslungen und Verzerrungen als bisher vorhandene reine Korrelationsanalysen und Assoziationsnachweise. Aus Korrelation wird so eine kausale Beziehung.“
Limitationen
„Die Studie beinhaltet ein exzellentes Design, was fehlt ist eine kontrollierte, randomisierte, doppelblinde Studie. Diese wird gerade mit 120 Probanden an der Columbia-University durchgeführt, Ergebnisse werden für Ende des Jahres erwartet. Aber diese Studie kommt dem Ideal einer randomisierten-Doppelblindstudie sehr nahe. Was fehlt, ist der Mechanismus: Den kann eine solche Studie nicht ergründen, sie kann nur ausschließen, dass es Faktoren wie Ernährung, Lebensstil, Rauchen oder Alkoholkonsum sind, die das Ergebnis hätten beeinflussen können (in diesen Punkten unterschieden sich Geimpfte nicht von Ungeimpften).“
Möglicher Mechanismus
„Ich sehe drei Möglichkeiten eines Wirkmechanismus. Erstens: Das Virus selbst löst eine Autoimmunreaktion aus, die in diesem Fall Nervenzellen (vor-) schädigt. So wurde es schon beim Eppstein-Bar-Virus (Pfeiffersches Drüsenfieber) für Multiple Sklerose nachgewiesen. Wenn dann noch andere Risikofaktoren hinzukommen – wie Alterungsprozesse – werden diese Menschen eher für Demenz anfällig.“
„Zweitens wird durch das neurotrophe (auf das Nervensystem wirkend; Anm. d. Red.) Virus eine Entzündung im Nervensystem ausgelöst, wenn das Virus sich wieder ausbreitet, zum Beispiel unter Stress jedweder Art, wie wir schon 2018 gezeigt haben [2]. Durch die Impfung wird die Wahrscheinlichkeit einer Entzündung im Nervensystem eingeschränkt.“
„Drittens haben wir Daten, die zeigen, dass eine milde Form der Immunanregung einen positiven Effekt auf die Widerstandskraft des Gehirns hat. Eine Impfung würde dementsprechend schützen.“
Auf die Frage, welche Relevanz die starken Unterschiede zwischen Männern und Frauen beim Effekt der Gürtelrose-Impfung auf das Demenzrisiko haben:
„Frauen bekommen häufiger Demenz und reagieren stärker über Autoimmunmechanismen. Zwei Drittel aller Autoimmunerkrankungen treffen Frauen. Entsprechend gibt die Studie vielleicht sogar einen Fingerzeig auf den Mechanismus: Neuroinflammatorische autoimmun-getriggerte Prozesse werden möglicherweise durch die Impfung reduziert, was vor allem die Frauen besser schützt.“
Impfempfehlungen in Deutschland
„Vor allem stellt die Studie einen Zusammenhang zwischen viraler Infektion und einer Demenz her. Ganz klar wäre meine Empfehlung, die Impfung weiter auszudehnen. Alle Altersgruppen profitieren zum einen, was die Gürtelrose selbst angeht – es gibt kaum etwas schmerzlicheres als eine schwere Gürtelrose. Man kann davon ausgehen, dass je früher man impft, umso eher das Demenz-Risiko gesenkt wird: Denn entzündliche Prozesse im Nervensystem – ausgelöst durch mehrfache Ausbrüche einer Gürtelrose – würden verhindert werden und damit würde über die Lebensspanne hinweg das Risiko, an Demenz zu erkranken, weiter vermindert.“
„Auch ist zu überlegen, die Impfungen gegen Grippe auf alle Altersgruppen auszudehnen, wie es in skandinavischen Ländern der Fall ist. Zum einen können Grippeviren ebenfalls auf das Nervensystem wirken, zum anderen haben wir (und andere) gezeigt, dass auch eine starke periphere Anregung des Immunsystems über eine schwere virale Infektion, so etwas wie ‚Long-Virus-Syndrome‘ (bei SARS-CoV-2 Long-COVID) auslösen kann [2].“
Stellvertretender Direktor des Instituts für Epidemiologie und Sozialmedizin sowie Leiter der Klinischen Epidemiologie, Universitätsklinikum Münster
„Die jetzt veröffentlichte Studie ist in einer Vorversion schon seit mehr als einem Jahr als Preprint verfügbar und wurde intensiv in der Wissenschaftsöffentlichkeit diskutiert. In der nun über die Zeitschrift ‚Nature‘ verfügbaren Version haben die Autor*innen nochmals zahlreiche Analysen ergänzt und sind auf wichtige Kritikpunkte an der ersten Version eingegangen. Die Ergebnisse der Studie haben durchaus das Potenzial, einen wesentlichen Beitrag zum besseren Verständnis der Pathogenese der Alzheimer-Demenz beizutragen und auch die Primärprävention (Vorsorge, die das Auftreten einer Krankheit verhindert oder verzögert; Anm. d. Red.) der Erkrankung verbessern zu können. Hierfür müsste die durch die Studie erstmals auf Bevölkerungsebene aufgestellte Hypothese allerdings in weiteren epidemiologischen und grundlagenwissenschaftlichen Studien bestätigt und in größerer Tiefe aufgearbeitet werden.“
Mehrwert und Limitationen durch das Studiendesign
„Die Studie nutzt klug ein sogenanntes natürliches Experiment, das sich durch die Einführung des Impfprogramms im Vereinigten Königreich zu einem definierten Geburtsdatum ergibt und vergleicht das Demenzrisiko der Gruppe, der die Impfung angeboten wurde, mit dem Risiko der Gruppe, der die Impfung nicht angeboten wurde. Da allein das Geburtsdatum hierüber entschieden hat, ist davon auszugehen, dass außer dem Alter keine relevanten Risikofaktoren für eine Demenz zwischen den beiden Gruppen unterschiedlich verteilt sind. Da Alter allerdings einen sehr großen Effekt auf das Risiko einer Demenzdiagnose hat, müssen sehr enge Zeitintervalle um den Stichtag herum gewählt werden, damit die Annahmen des natürlichen Experiments erfüllt bleiben. Im Rahmen von verschiedenen Expert*innenhinweisen zum Preprint der Studie haben die Autor*innen gerade für diese kritischen Annahmen weitere Analysen ergänzt und die Robustheit ihrer Ergebnisse überprüft. Dies war allerdings nur begrenzt möglich, da ein wesentlicher Kritikpunkt – nämlich, dass der gleiche Stichtag auch mit einer Änderung des Schulsystems im Vereinigten Königreich verbunden war und Bildung einen wichtigen präventiven Faktor für eine Demenzdiagnose darstellt – aufgrund der strukturellen Gleichheit nicht völlig entkräftet werden konnte.“
„Insgesamt generiert die Studie erstmals qualitativ hochwertige Evidenz für eine interessante Hypothese, die allerdings nicht eindeutig in der Studie beantwortet werden kann. Ein alleiniger kausaler Effekt bei Frauen erscheint zudem nicht plausibel und deutet eher darauf hin, dass vielleicht doch Verzerrungen in der Erhebung inzidenter Demenzdiagnosen in den gewählten Datenquellen bestehen, die nicht auf Anhieb einer definierbaren Ursache zuzuschreiben sind.“
„Die Studie ist aber auf alle Fälle ein wichtiger Startpunkt für eine weitere Evaluation der zugrundeliegenden Hypothese, die nun zwingend vorgenommen werden muss.“
Möglicher Mechanismus
„Aus meiner Sicht wäre hier kausal ausschließlich eine Verzögerung der Progression der beginnenden Symptomatik der Erkrankung vorstellbar, da die Zeitachse der Entstehung der Erkrankung deutlich länger ist und viel früher im Leben beginnt. Hier ist relevante Anschlussarbeit notwendig, um Mechanismen besser verstehen zu können. Die aktuell in der Studie diskutierten Punkte sind meiner Einschätzung nach nicht überzeugend.“
Impfempfehlungen in Deutschland
„Zum aktuellen Zeitpunkt kann aus der hier publizierten Studie keinerlei Schlussfolgerung für die Zoster-Impfempfehlungen in Deutschland abgeleitet werden, die diese ja ein völlig anderes Ziel verfolgen. Es sind noch viele weiterführende Studien notwendig, ehe eine Berücksichtigung des Endpunkts Alzheimer-Demenz bei der Anpassung der Zoster-Impfempfehlung in Frage kommt.“
„Ich habe keine Interessenkonflikte.“
„Ich habe keine Interessenkonflikte.“
„Ich habe keine Interessenkonflikte.“
„Ich war von 2007 bis 2017 Mitglied der Stiko und war bis 2023 Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats des Paul-Ehrlich-Instituts, Bundesinstitut für Impfstoffe und biomedizinische Arzneimittel.“
„Ich habe keine Interessenkonflikte.“
„Ich habe keinen Interessenkonflikt.“
Primärquelle
Eyting M et al. (2025): A natural experiment on the effect of herpes zoster vaccination on dementia. Nature. DOI: 10.1038/s41586-025-08800-x.
Literaturstellen, die von den Expert:innen zitiert wurden
[1] Robert Koch-Institut (2022): Epidemiologisches Bulletin 49/22 Impfquoten bei Erwachsenen in Deutschland. Stand 08.12.2022.
[2] Hosseini S et al. (2018): Long-Term Neuroinflammation Induced by Influenza A Virus Infection and the Impact on Hippocampal Neuron Morphology and Function. The Journal of Neuroscience. DOI: 10.1523/JNEUROSCI.
Literaturstellen, die vom SMC zitiert wurden
[I] Michalik F et al. (2023): The effect of herpes zoster vaccination on the occurrence of deaths due to dementia in England and Wales. medRxiv. DOI: 10.1101/2023.09.08.23295225.
Hinweis der Redaktion: Es handelt sich hierbei um eine Vorabpublikation, die noch keinem Peer-Review-Verfahren unterzogen und damit noch nicht von unabhängigen Experten und Expertinnen begutachtet wurde.
[II] Scherrer JF et al. (2021): Impact of herpes zoster vaccination in incident dementia: A retrospective study in two patient cohorts. Plos One. DOI: 0.1371/journal.pone.0257405.
[III] Wainberg M et al. (2021): The viral hypothesis: how herpesviruses may contribute to Alzheimer’s disease. Molecular Psychiatry. DOI: 10.1038/s41380-021-01138-6.
[IV] Rubin R et al. (2024): Researchers Are Exploring the Role of Shingles—and a Protective Role of Shingles Vaccine—in Dementia. JAMA. DOI: 10.1001/jama.2024.0227.
[V] Taquet M et al. (2024): The recombinant shingles vaccine is associated with lower risk of dementia. Nature Medicine. DOI: org/10.1038/s41591-024-03201-5.
Prof. Dr. Klaus Überla
Direktor des Virologischen Instituts, Universitätsklinikum Erlangen
Angaben zu möglichen Interessenkonflikten
„Ich habe keine Interessenkonflikte.“
Prof. Dr. Peter Berlit
Generalsekretär, Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN), und niedergelassener Neurologe
Angaben zu möglichen Interessenkonflikten
„Ich habe keine Interessenkonflikte.“
Prof. Konstantin Sparrer
Leiter der Arbeitsgruppe “Neurovirology & Neuroinflammation”, Deutsches Zentrum für neurodegenerative Erkrankungen e. V. (DZNE), Ulm
Angaben zu möglichen Interessenkonflikten
„Ich habe keine Interessenkonflikte.“
Prof. Dr. Hartmut Hengel
Lehrstuhlinhaber und Direktor des Instituts für Virologie, Universitätsklinikum Freiburg, und Mitglied der Arbeitsgruppe Zoster der Ständigen Impfkommission (Stiko) und Leiter des Konsiliarlabors für Herpes Simplex Virus (HSV) und Varicella Zoster Virus (VZV)
Angaben zu möglichen Interessenkonflikten
„Ich war von 2007 bis 2017 Mitglied der Stiko und war bis 2023 Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats des Paul-Ehrlich-Instituts, Bundesinstitut für Impfstoffe und biomedizinische Arzneimittel.“
Prof. Dr. Martin Korte
Dekan der Fakultät für Lebenswissenschaften, Technische Universität Carolo-Wilhelmina zu Braunschweig, und Leiter der Arbeitsgruppe Neuroinflammation und Neurodegeneration am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung
Angaben zu möglichen Interessenkonflikten
„Ich habe keine Interessenkonflikte.“
Prof. Dr. André Karch
Stellvertretender Direktor des Instituts für Epidemiologie und Sozialmedizin sowie Leiter der Klinischen Epidemiologie, Universitätsklinikum Münster
Angaben zu möglichen Interessenkonflikten
„Ich habe keinen Interessenkonflikt.“