Frühe Studiendaten zu Parkinson-Medikament bei ALS
Parkinson-Medikament Ropinirol könnte sich zur Behandlung von ALS eignen
Fortschreiten der Krankheit konnte in Open-Label-Phase verzögert werden
Experten bemängeln kleine Gruppengröße, Studie könne keine Aussage über Wirksamkeit treffen
Das Parkinson-Medikament Ropinirol könnte eine sichere Behandlungsoption für Menschen mit einer Amyotrophen Lateralsklerose (ALS) darstellen. Dabei handelt es sich um eine degenerative Erkrankung des Nervengewebes, die zu fortschreitenden Muskellähmungen und Einschränkungen in der Motorik von Betroffenen führt. Eine frühe klinische Studie, die im Fachjournal „Cell Stem Cell“ erschienen ist (siehe Primärquelle), kommt zu dem Schluss, dass eine Behandlung mit Ropinirol das Fortschreiten der Erkrankung potenziell verlangsamen könnte.
Oberarzt der Klinik für Neurologie, Klinikum rechts der Isar der Technischen Universität München (TUM), und Leiter der Spezialambulanz für Motoneuronerkrankungen und Parkinsonerkrankungen, München
„Ropinirol ist ein sehr gut verträgliches Medikament, das schon seit langer Zeit zur Behandlung der Parkinsonerkrankung verwendet wird. Den Ansatz, eine bereits bekannte Substanz für einen anderen Mechanismus zu testen – das sogenannte ‚drug repurposing‘– gibt es häufig. Es wäre natürlich toll, ein Medikament, mit dem man jahrelange Erfahrung hat und das schon zehntausende Patienten vorher genommen haben, einsetzen zu können. In Deutschland wurde bereits vor einigen Jahren in einer größeren Studie ein anderes Parkinson-Medikament namens Rasagilin bei der ALS getestet. In dieser deutlich größeren Studie (252 Patienten) konnte jedoch keine signifikante Verbesserung des Überlebens in der Gesamtkohorte beobachtet werden [1].“
„Es ist noch viel zu früh, um von einer möglichen Wirksamkeit von Ropinirol bei ALS zu sprechen. Die geringe Anzahl der Probanden ist in keiner Weise aussagekräftig. Auch wurden viele Probanden im Verlauf der Studie ausgeschlossen und die Krankheitsdauer in beiden Gruppen unterschied sich bereits zu Beginn der Studie. Bei einer ausgeglichenen Allokation und größeren Patientenzahlen könnte das Fazit schon wieder ganz anders ausgesehen. Um eine Aussage treffen zu können – der primäre Endpunkt in dieser Studie ist ja erst einmal die Sicherheit und Verträglichkeit – bedarf es deutlich mehr Probanden.“
„Es gibt viel größere Studien, die zunächst auf einen vielversprechenden Effekt hingewiesen haben, der sich in einer größeren Kohorte nicht bestätigen ließ. Das beste Beispiel ist Dexpramipexol. Die Phase-IIa-Studie war bei wesentlich größerer Gruppengröße vielversprechend und signifikant, die Ergebnisse wurden damals sogar in Nature Medicine publiziert [2]. In einer Phase-III-Studie mit etwa 400 Patienten gab es dann jedoch keinen Unterschied mehr zwischen den Gruppen [3].“
„Darüber hinaus ist es eine monozentrische Studie, das heißt alle Daten wurden in nur einer Klinik gesammelt. Das kann zu Verzerrungen der Studienergebnisse führen. Es braucht sicherlich noch ein viel größeres multizentrisches Kollektiv, um zu schauen, ob es da einen Hinweis auf eine Wirksamkeit gibt. Sollte es diesen geben, müsste eine groß angelegt Phase-III-Studie folgen, um eine Aussage über die Wirksamkeit treffen zu können.“
„Wenn man sich den Verlauf der beiden Kurven in der Abnahme des ALSFRS-R anschaut, ist eine naheliegende Vermutung, dass die Ropinirol-behandelten Patienten von vornherein einen langsameren Krankheitsverlauf hatten (sie hatten auch eine längere Krankheitsdauer schon zu Beginn der Studie).“
„Die Autoren haben sich in der Studie auch einige experimentelle Parameter an Stammzellen angeschaut. Sie haben von den Patienten induzierbare pluripotente Stammzellen (iPSC) generiert und daraus Motoneuronen differenziert, anhand derer sie in-vitro, geschaut haben, welche Patienten auf den Wirkstoff reagieren und von einer Therapie profitieren könnten. Das ist eine interessante Idee, die in Richtung der personalisierten Medizin geht.“
Leiter des Muskelzentrums/ALS Clinic, Kantonsspital St. Gallen und Professor für Neurologie, Universität Basel, Schweiz
„Es ist viel zu früh, um auf eine Wirksamkeit von Ropinirol bei der Behandlung von ALS zu schließen. Diese Studie könnte lediglich einen kleinen Hinweis auf ein mögliches Potenzial liefern – nicht mehr. Es gibt zahlreiche Beispiele mit positiven Phase-II-Studien, wie etwa Dexpramipexol [2] und Edaravone [4], die sich dann in Phase-III-Studien nicht bestätigen ließen.“
„Die Gruppengröße ist sehr klein, es haben insgesamt nur 20 Personen teilgenommen, von denen einige die Studie abgebrochen haben, sodass im Endeffekt nur acht Personen noch an der Open-Label-Phase teilgenommen haben. Das beschränkt die Aussagekraft der Daten natürlich maßgeblich. Trotzdem kann davon ausgegangen werden, dass die Anwendung von Ropinirol bei ALS zumindest sicher ist, das liegt jedoch weniger an dieser Studie und eher an dem sehr gut bekannten Sicherheitsprofil. Denn Ropinirol ist ein gängiges Medikament bei der Behandlung der Parkinson-Erkrankung.“
„Bei randomisierten Studien kommt es vor allem auf die verblindete Phase an, in der die Patienten nicht wissen, ob sie das Medikament oder ein Placebo erhalten. In dieser entscheidenden Phase wurde in dieser Studie jedoch kein Unterschied zwischen den Patientengruppen beobachtet. Erst in einer sich anschließenden Open-Label-Phase, in der sowohl Patient als auch Prüfarzt Kenntnis über den verabreichten Wirkstoff haben, ergab sich ein Unterschied zwischen den Gruppen. Allerdings muss auch hier klar auf die kleine Fallzahl hingewiesen werden – in anderen Worten, es könnte sich schlichtweg um einen Zufallsbefund handeln. Zudem deuten die Daten darauf hin, dass die mit Ropinirol behandelten Personen möglicherweise schon zu Beginn einen langsameren Krankheitsverlauf aufwiesen.“
„Prof. Lingor berät die Firmen AbbVie, Alexion, BIAL, ITF Pharma, Novartis, Woolsey Pharmaceuticals, Zambon und andere zur Entwicklung von Medikamenten für die ALS und für den M. Parkinson. Er ist Autor eines Patentes zur Behandlung der ALS (EP 2825175 B1, US 9.980,972 B2).“
„Mit Bezug auf diesen Artikel habe ich keine Interessenkonflikte. Ich bin Mitglied in folgenden Advisory Boards, die allerdings keinen Bezug zu der Studie haben: Mitsubishi Tanabe, Biogen, Novartis, Neuraxphram.“
Primärquelle
Morimoto M et al. (2023): Phase 1/2a clinical trial in ALS with ropinirole, a drug candidate by iPSC drug discovery. Cell Stem Cell. DOI: 10.1016/j.stem.2023.04.017.
Literaturstellen, die von den Expert:innen zitiert wurden
[1] Ludolph AC et al. (2018): Safety and efficacy of rasagiline as an add-on therapy to riluzole in patients with amyotrophic lateral sclerosis: a randomised, double-blind, parallel-group, placebo-controlled, phase 2 trial. The Lancet Neurology. DOI: 10.1016/S1474-4422(18)30176-5.
[2] Cudkowicz ME et al. (2011): The effects of dexpramipexole (KNS-760704) in individuals with amyotrophic lateral sclerosis. Nature Medicine. DOI: 10.1038/nm.2579.
[3] Cudkowicz ME et al. (2013): Dexpramipexole versus placebo for patients with amyotrophic lateral sclerosis (EMPOWER): a randomised, double-blind, phase 3 trial.The Lancet Neurology. DOI: 10.1016/S1474-4422(13)70221-7.
[4] Yoshino H et al. (2009): Investigation of the therapeutic effects of edaravone, a free radical scavenger, on amyotrophic lateral sclerosis (Phase II study). Amyotrophic Lateral Sclerosis. DOI: 10.1080/17482960600881870.
Literaturstellen, die vom SMC zitiert wurden
[I] Deutsche Parkinson Vereinigung. Medikamentöse Therapie des M. Parkinson.
Prof. Dr. Paul Lingor
Oberarzt der Klinik für Neurologie, Klinikum rechts der Isar der Technischen Universität München (TUM), und Leiter der Spezialambulanz für Motoneuronerkrankungen und Parkinsonerkrankungen, München
Prof. Dr. Markus Weber
Leiter des Muskelzentrums/ALS Clinic, Kantonsspital St. Gallen und Professor für Neurologie, Universität Basel, Schweiz