COVID-19-Medikament reduziert Sterblichkeit
Das Medikament Dexamethason scheint die Sterblichkeit von beatmeten COVID-19-Patienten zu senken. Wissenschaftler einer großen Studie aus Großbritannien stellten erste Ergebnisse auf der Website zur Studie vor (siehe Primärquelle); eine wissenschaftliche Publikation gibt es noch nicht.
Bereichsleiter Infektiologie, Universitätsklinikum Regensburg und Präsident der Deutschen Gesellschaft für Infektiologie
„Das sind wichtige Ergebnisse für die Therapie von COVID-19-Patienten mit schwerem Verlauf. Die Ergebnisse sind nicht ganz überraschend, da bei schweren COVID-19-Verläufen häufig eine wahrscheinlich unnötig schwere Entzündungsreaktion auftritt. In dieser Deutlichkeit sind die Ergebnisse allerdings doch neu und wichtig.“
„Dexamethason hat in der Recovery-Studie vor allem bei den schwersten Verläufen, also bei beatmeten Patienten einen Vorteil gezeigt. Dexamethason bremst auch die Immunantwort gegen das Virus – es könnte also auch dazu führen, dass das Virus langsamer eliminiert wird. Hier muss man die Daten sicher noch genauer analysieren.“
„Nach den bisher vorliegenden Informationen zum Studienprotokoll halte ich die Recovery-Studie für eine qualitativ gute Studie.“
Auf die Frage, wie die Studienergebnisse vor der bevorstehenden Zulassung von Remdesivir einzuordnen sind:
„Dexamethason beziehungsweise andere immunmodulierende Substanzen und Remdesivir sind möglicherweise sogar eine sinnvolle Kombination – Remdesivir bekämpft das Virus, Dexamethason die überschießende Entzündung. Solche Kombinationen werden gerade auch in anderen Studien untersucht.“
Geschäftsführender Oberarzt und Leiter des ECMO-Zentrums sowie Facharzt für Innere Medizin, Pneumologie und Intensivmedizin, Klinikum Köln-Merheim, und Professur für Extrakorporale Lungenersatzverfahren, Universität Witten/Herdecke
„Für eine Bewertung der Daten muss die Studie vorliegen, die wahrscheinlich zeitnah erwartet wird. Bisher gibt es nur diese Pressemeldung.“
„Wenn sich die Ergebnisse so bestätigen, ist Kortison insbesondere für beatmete COVID-19-Patienten eine gute Behandlungsalternative.“
„Zur Beurteilung der Größe des Therapie-Effektes benötigt es allerdings alle publizierten Daten.“
Leiterin des Schwerpunkts Infektiologie, Universitätsklinikum der Goethe-Universität Frankfurt
„Ich hatte noch nicht die Möglichkeit, die Ergebnisse im Detail einzusehen, aber basierend auf den verfügbaren Daten und dem Studienprotokoll würde ich davon ausgehen, dass die Ergebnisse eine sehr hohe klinische Relevanz haben. Dexamethason kann demnach das Überleben von COVID-19-Patienten, die Sauerstoff oder eine Beatmung benötigen, verbessern. Zusätzlich ist anzumerken, dass insbesondere bei den beatmeten Patienten nur wenige Patienten behandelt werden müssen, um das Leben eines Patienten zu retten. Die sogenannte ‚number needed to treat‘ ist mit acht relativ niedrig angesiedelt. Aus biologischer Sicht ist dieser Effekt nicht völlig überraschend, da insbesondere die schwer erkrankten Patienten unter einer überschießenden Immunreaktion leiden. Kortison ist ein klassischer Behandlungsansatz, um das Immunsystem zu unterdrücken. Überraschend ist aber die Stärke des nachgewiesenen Effektes.“
„Aus den mir einsehbaren Daten geht hervor, dass insbesondere beatmete Patienten von der Therapie profitieren. Patienten, die Sauerstoff zum Beispiel über eine Maske oder Nasenbrille erhalten, profitieren ebenfalls, aber nicht in gleicher Weise. Patienten, die keinen Sauerstoff benötigen, profitieren auch nicht von der Behandlung mit Dexamethason. Wichtig wäre es in diesem Kontext, die Nebenwirkungen des Dexamethasons noch weiter aus den Daten herauszuarbeiten. Grundsätzliche Hürden sehe ich bei der Applikation und Verfügbarkeit jedoch nicht, da Dexamethason bereits zugelassen ist und die Applikation über die Vene oder als Tablette möglich ist.“
„Eine randomisierte Studie ist erst einmal eine qualitativ sehr hochwertige Form der klinischen Studie. Allerdings liegen mir im Moment die Originaldaten noch nicht vor. Eine abschließende Aussage zur Qualität kann man erst treffen, wenn diese ausführlich gesichtet wurden.“
Auf die Frage, wie die Ergebnisse in Bezug auf die bevorstehenden Zulassung von Remdesivir eingeordnet werden können?
„Ich sehe hier keinerlei Konflikte, da sich die Wirkmechanismen der Medikamente nicht überlappt. Während Remdesivir direkt auf das Virus wirkt, wirkt Dexamethason auf unser Immunsystem. Interessanterweise ist die Wirksamkeit auch für beide Medikamente beschränkt auf die besonders kranken Patienten. Das ist aber ebenfalls unproblematisch. Dies sind ja auch die Patienten, für die schnell Therapien gefunden werden müssen, da sie am meisten von der Erkrankung bedroht werden.“
Chefarzt der Infektiologie und Tropenmedizin sowie Leiter der dortigen Spezialeinheit für hochansteckende lebensbedrohliche Infektionen, München Klinik Schwabing
„Im Rahmen einer randomisierten Studie (Recovery Trial) konnten die Autoren zeigen, dass Steroide (Kortison) die Sterblichkeit von COVID-19-Patienten nach vier Wochen im Vergleich zu einer Kontrollgruppe signifikant um 17 Prozent reduzieren. Entscheidend ist, dass der größte Benefit bei Patienten besteht, die aufgrund einer Lungenbeteiligung bei COVID-19 künstlich beatmet werden müssen, während keine Effekte bei Patienten beobachtet wurden, die keinen Sauerstoffbedarf hatten.“
„Dieser Benefit von Steroiden bei COVID-19-Patienten wird am ehesten auf eine Unterdrückung eines überschießenden Immunsystems in der späten Krankheitsphase zurückzuführen sein und ist damit vermutlich ein indirekter, nicht primär gegen das Virus gerichteter Effekt. In dieser sogenannten Hyperinflammationsphase werden durch Steroide einschießende Immunzellen, nicht zuletzt in der Lunge, abgetötet, so dass in einem Teil der Patienten ein tödliches Lungenödem verhindert werden kann. Auch wenn diese einfache und billige Maßnahme bei schwerem Lungenödem – dem sogenannten ARDS (acute respiratory distress syndrome) – nach verschiedenen Infektionserkrankungen häufig auf Intensivstation Anwendung findet, wird deren Mehrwert durch diese Publikation nunmehr formal belegt.“
„Spannend wird zu beobachten sein, ob andere Interventionen gegen ein überschießendes Immunsystem, wie der Einsatz von teuren Interleukin-1- oder Interleukin-6-Rezeptor-Blockern, vergleichbare Effekte haben. In der weiteren Auswertung der Daten muss dennoch genau nachgehalten werden, inwieweit der Mehrwert von Steroiden hinsichtlich der Mortalität mit schweren Infektionen anderer Art (sogenannte Superinfektionen) erkauft werden musste. Auch wenn hier noch die detaillierten Daten der Originalpublikation ausstehen, ist zu vermuten, dass durch einen frühzeitigen Einsatz von Steroiden keine direkten Effekte auf die Viruslast zu erzielen sind. Auch eine prophylaktische Anwendung von Steroiden bei ambulanten Patienten mit wenig Symptomen kann aus dieser Studie in keiner Weise abgeleitet werden, da ausschließlich schwer symptomatische Patienten, die einen Krankenhausaufenthalt benötigt hatten, behandelt wurden.“
„Insgesamt zeichnet sich aus therapeutischer Perspektive für COVID-19-Patienten folgendes Szenario ab: Möglichst frühzeitiger Einsatz von Virustatika wie Remdesivir bei nicht künstlich beatmeten Patienten zur Viruslastreduktion und Gabe von Steroiden bei beatmungspflichtigen COVID-19-Patienten zur Kontrolle einer schweren Lungenerkrankung. Angesichts des insgesamt nur kleinen, wenn auch signifikanten Herabsetzens der Sterblichkeitsrate durch Steroide bleibt die beste Medizin die Verhinderung der COVID-19-Erkrankung durch einen effizienten Impfstoff.“
Leiter der Infektiologie, Klinik I für Innere Medizin, Uniklinik Köln und Leiter einer klinischen Prüfung von Remdesivir (GS-5734) bei Patienten in Deutschland
„Ich halte die – noch sehr kursorischen – Daten für sehr überzeugend und auch für glaubwürdig. Die Ergebnisse passen sehr gut in unsere aktuelle Vorstellung, dass im späten Verlauf der COVID-19-Erkrankung eine Überreaktion des Immunsystems eine entscheidende Rolle spielt. Die Ergebnisse – deren vollständige Veröffentlichung man noch abwarten muss – sprechen dafür, Kortisonpräparate bei schweren Verläufen der Infektion mit SARS-CoV-2 einzusetzen.“
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Primärquelle
Prof. Dr. Bernd Salzberger
Bereichsleiter Infektiologie, Universitätsklinikum Regensburg und Präsident der Deutschen Gesellschaft für Infektiologie
Prof. Dr. Christian Karagiannidis
Geschäftsführender Oberarzt und Leiter des ECMO-Zentrums sowie Facharzt für Innere Medizin, Pneumologie und Intensivmedizin, Klinikum Köln-Merheim, und Professur für Extrakorporale Lungenersatzverfahren, Universität Witten/Herdecke
Prof. Dr. Maria J.G.T. Vehreschild
Leiterin des Schwerpunkts Infektiologie, Universitätsklinikum der Goethe-Universität Frankfurt
Prof. Dr. Clemens Wendtner
Chefarzt der Infektiologie und Tropenmedizin sowie Leiter der dortigen Spezialeinheit für hochansteckende lebensbedrohliche Infektionen, München Klinik Schwabing
Prof. Dr. Gerd Fätkenheuer
Leiter der Infektiologie, Klinik I für Innere Medizin, Uniklinik Köln und Leiter einer klinischen Prüfung von Remdesivir (GS-5734) bei Patienten in Deutschland