Blut- und Urintest findet 14 Krebsarten in frühem Stadium
Blut- und Urintest findet Studie zufolge 14 Krebsarten in frühem Stadium
neuer Fokus auf Zuckerverbindungen, die vergleichsweise günstig analysiert werden können
Forschende sehen Effektivität des Tests mit Blick auf Massenscreenings kritisch
Schwedische Forschende haben eine Methode zur Früherkennung von 14 Krebsarten entwickelt. Die Studienergebnisse wurden am 06.12.2022 in der Fachzeitschrift „PNAS“ veröffentlicht (siehe Primärquelle). Der Krebstest beruht auf der Analyse sogenannter Glykosaminoglykane (GAGs). Das sind Zuckerverbindungen, deren Struktur sich durch Tumore verändert, was in Blut und Urin nachgewiesen werden kann. An der Untersuchung hatten 1260 Gesunde sowie an Krebs Erkrankte teilgenommen. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler legten die Spezifität des Tests auf 95 Prozent fest. Ihr Ziel war es somit, bei gesunden Menschen höchstens fünf Prozent falsch positive Testergebnisse zu erhalten. Daraus ergab sich für die Blutproben der Studienkohorte eine Sensitivität von 41,6 Prozent für Krebs im Stadium 1 (95-Prozent-Konfidenzintervall: 34,2 bis 49,2 Prozent). Nach einer Urinprobe stieg die Sensitivität auf 62,3 Prozent (47,9 bis 75,2 Prozent). Gut sechs von zehn Krebskranke wurden nach einem Urintest demgemäß korrekt erkannt, bei vier Erkrankten fiel der Test falsch negativ aus. Der Bluttest erkannte nur gut vier von zehn Krebskranken richtig. Ihre Ergebnisse glichen die Forschenden später mit Proben aus einer niederländischen Blutbank sowie in einem Mausmodell ab.
Leiterin der Abteilung Tumor-Metabolismus und Microenvironment, Deutsches Krebsforschungszentrum (DKFZ), Heidelberg
„Ich kenne die Forschungsgruppe ganz gut und weiß daher, dass sie schon länger an solchen Vorhersagemodellen für Krebs arbeitet. In diesem Fall hat die Gruppe metabolische Veränderungen von Tumorzellen im Vergleich zu gesunden Zellen untersucht. Dabei lag das Augenmerk auf sogenannten Glykosaminoglykanen (GAGs). Das sind Zuckerverbindungen, die wichtige Aufgaben in der extrazellulären Matrix übernehmen, also in dem Material, das unsere Zellen umgibt. In Krebszellen scheinen diese GAGs eine andere Struktur aufzuweisen als in gesunden Zellen. Warum das so ist, weiß man nicht genau. GAGs werden auch im Blut und im Urin gefunden und die Forschungsgruppe verglich nun die GAG-Muster im Blut und Urin von Krebspatienten mit den jeweiligen Mustern von gesunden Menschen. Anhand dessen entwickelten die Autoren eine Vorhersagemethode für bestimmte Krebsarten, insgesamt waren es 14.“
„Diese Vorgehensweise ist in mehrfacher Hinsicht spannend: GAGs sind zwar nicht so komplex wie die DNA eines Tumors, die ebenfalls mit Tests nachgewiesen werden kann, allerdings macht diese etwas abgeschwächte Komplexität von GAGs die Analyse sehr einfach. Und vor allem billiger. Die Autoren gehen von rund 50 Dollar aus – was sehr viel günstiger wäre als andere experimentelle Testverfahren, bei denen man zum Beispiel sogenannte Circulating Free DNA (cfDNA) im Blut sucht, also im Blut schwimmende DNA-Schnipsel des Tumors. Diese cfDNAs sind zudem auch nicht ganz optimal, denn bestimmte Krebsarten setzen keine DNA frei. Und mitunter kann auch Normalgewebe solche DNA-Fragmente ins Blut abgeben.“
„Ziemlich beeindruckend ist zudem, dass die Autoren eine große Kohorte untersucht haben. Zunächst erfolgte die Untersuchung an rund 1200 Probanden. Anschließend untersuchte man aber Blutproben, die aus einer Gruppe von 150.000 Menschen ausgesucht wurde. Dabei wurden 170 Proben von Menschen ausgewählt, die 18 Monate später eine Krebserkrankung entwickelt hatten und mit 110 Proben von gesunden Menschen verglichen. Die Proben stammten aus den Niederlanden. Das ist sehr beachtlich. In Deutschland ist es kaum möglich, vergleichbar viele Blutproben für derartige Forschungszwecke zu bekommen. Den zuvor definierten Vorhersage-Score wendeten die Forscher dann auf diese Proben an, was den Test letztlich sehr robust macht. Hervorzugeben ist auch, dass die Autoren ihre Methode in einem Mausmodell noch einmal überprüft haben. Die Spezifität von über 95 Prozent kann sich sehen lassen, wenngleich es auch bedeutet, dass es doch ein paar falsch positive Ergebnisse gibt.“
„Nun gibt es aber natürlich auch ein paar Limitationen: Da sind zum einen die Cofounding-Factors. Bestimmte Erkrankungen wie etwa das metabolische Syndrom (Sammelbezeichnung für verschiedene Krankheiten und Risikofaktoren; Anm. d. Red) dürften die Aussagekraft des Tests verfälschen, weil sich durch derlei Erkrankungen auch die GAGs verändern und dann womöglich zu einem falsch positiven Test führen. Metabolische Syndrome oder bestimmte entzündliche Erkrankungen sind insbesondere im Alter keine Seltenheit. Und auch lässt sich die untersuchte Kohorte, trotz der beachtlichen Größe, nicht eins zu eins auf andere Bevölkerungen übertragen. Die Menschen in den USA sind womöglich generell kränker als die Niederländer, wodurch es in den USA zu mehr falsch positiven Ergebnissen kommen könnte. Und auch das zuvor gelobte Mausmodell weist einen Kritikpunkt auf, den ich bei einem Review benannt hätte: Die Tumorzellen wurden per operativem Eingriff in die Mäuse eingebracht. Es wurden keine genetisch veränderten Mäuse verwendet, in denen Tumore spontan entstehen, was der menschlichen Erkrankung ähnlicher ist. Durch den Eingriff dürfte es zu Entzündungsreaktionen im Mauskörper gekommen sein, was das Testergebnis ebenfalls verfälschen könnte.“
„Dennoch, wenn sich der Test auch mit Real-World-Daten mit verschiedenen Populationen bewährt, könnte er früher oder später in die Screening-Routine mit einfließen.“
Leiter der Arbeitsgruppe Molekulare Onkologie sowie der Molekularpathologischen Diagnostik, Institut für Pathologie, Uniklinik RWTH Aachen
„In dieser Studie wurden 517 Blutplasmaproben über 14 verschiedene Tumorerkrankungen analysiert, im Kontrollarm waren es 452 Blutproben. Für die Urin-basierte Analytik waren es 220 beziehungsweise 340 Proben. Bezogen auf die Blutanalytik sind dies nur durchschnittlich 37 Patienten pro Tumorerkrankung. Dies ist ausreichend, um zu sagen, dass die Analyse von Glykosaminoglykanen (GAGomes) interessant sein könnte für die Krebsfrüherkennung, aber dieser neue Test ist damit natürlich noch weit von einer regelhaften Anwendung entfernt. Die Technologie beruht auf anderen Analyten (GAGomes) als die Analyse zellfreier DNA (cfDNA). Damit kann sie eine gute Ergänzung darstellen, gerade zur Auffindung von frühen Tumoren. Auch ist interessant, dass dieser Test fünf bis zehnmal günstiger durchzuführen sein soll als die cfDNA-basierten Krebs-Früherkennungstests.“
„Vor einer regelhaften Anwendung müsste allerdings eine umfangreiche Validierung in großen prospektiven Studien stehen. Auch die Spezifität von 95 Prozent klingt zwar erstmal gut, würde aber für einen diagnostischen Screening-Test heißen, dass jeder 20. Patient (das heißt fünf Prozent) falsch positiv bewertet würde; bei einer Million Getesteten wären dies 50.000 Personen. Die Autoren schreiben weiterhin, dass die Sensitivität des Tests bereits bei der Validierung gesunken ist und deuten an, dass zum Beispiel Patienten mit einer akuten Entzündung ausgeschlossen werden müssten.“
„Nach meiner persönlichen Einschätzung hat die amerikanische Firma GRAIL mit ihrem Galleri-Test den Standard zur blutbasierten Krebsfrüherkennung gesetzt. Dieser Test basiert auf der Analyse der DNA-Methylierung in zellfreier DNA (cfDNA). DNA-Methylierungen sind frühe, häufige und tumor-spezifische Ereignisse und damit sehr gute Biomarker für die Krebsfrüherkennung.“
Direktor der Klinik für Hämatologie und Onkologie, Pius-Hospital, Universitätsmedizin Oldenburg
„Krebsfrüherkennungsprogramme sind derzeit etabliert für eine Reihe von Krebserkrankungen, so zum Beispiel Brustkrebs, Darmkrebs und den schwarzen Hautkrebs. Derzeit wird an der Umsetzung zur Früherkennung von Lungenkrebs gearbeitet. Früherkennungsprogramme für weitere Tumorerkrankungen wie Blasenkrebs, Nierenkrebs, Hals-Nasen-Ohren-Tumore liegen derzeit nicht vor. Alle diese Programme definieren eine Population von Patienten mit einem hohen Risiko für eine Krebserkrankung. So wird bei Lungenkrebs in Zukunft vermutlich ein Kollektiv untersucht werden, das durch das Alter und den Raucherstatus definiert ist. Die Anzahl von Patienten, die gescreent werden müssen, um durch das erfolgreiche Screening ein Leben zu retten, beträgt in der Regel 100 bis 1000 Probanden.“
„Daher sind Strategien, aufgrund von Biomarkern über die reine epidemiologische Charakterisierung von Probanden die Risikopopulation besser einzugrenzen, von hoher Bedeutung. Diese Strategien beruhten in der Regel auf genetischen Fingerabdrücken im Blut, die jedoch bei einer Reihe von Tumorerkrankungen wenig erfolgreich sein würden, da diese bekannt dafür sind, dass sie keine ,Fingerabdrücke‘ im Blut hinterlassen, das heißt schlechte DNA-abschilfernde Tumore sind.“
„Die in der aktuellen Studie gewählte Strategie beruht auf metabolischen Charaktereigenschaften von unterschiedlichen Tumoren, den im Urin und Plasma nachweisbaren Glykosaminoglykanen. Diese wurden in der vorliegenden Arbeit bei 14 unterschiedlichen Tumortypen nachgewiesen. In einer Testkohorte konnte mit einer Sensitivität von 62 Prozent ein frühes, potenziell heilbares Karzinom mit einer Spezifität von 95 Prozent erkannt werden. Der Nachweis von Glykosaminoglykan-Profilen im Urin oder Plasma war zudem mit einer ungünstigeren Prognose korreliert. In einer Validierungsstudie in einer Population, die einer Screening-Population entspricht, konnte mit einer Sensitivität von 43 Prozent für eine Spezifität von 99 Prozent ein Tumor vorhergesagt werden, die Sensitivität sank auf 21 Prozent für die Prädiktion von Stadium-I-Patienten.“
„Die Autoren sind der Meinung, dass die Methode auf breite Bevölkerungsschichten skalierbar ist und bezahlbar ist, sodass gegebenenfalls Risikokollektive aufgrund eines Blut- und oder Urintests besser eingegrenzt werden können. Prospektive Studien in Screening-Populationen sollten aufgesetzt werden, um das Potenzial dieser Methode weiter zu definieren. Gerade bei Lungenkrebs, bei dem eine große Anzahl von Personen gescreent werden müsste, hätte diese Methode ein Anwendungsgebiet. Ebenso bei Erkrankungen, bei denen derzeit keinerlei Screening-Programme etabliert sind.“
„Insgesamt ist dies eine bemerkenswerte Studie, weitere Studien mit dieser Methodologie sollten durchgeführt werden, auch im europäischen Rahmen.“
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Primärquelle
Bratulic S et al. (2022): Noninvasive detection of any-stage cancer using free glycosaminoglycans. PNAS. DOI: 10.1073/pnas.2115328119.
Prof. Dr. Almut Schulze
Leiterin der Abteilung Tumor-Metabolismus und Microenvironment, Deutsches Krebsforschungszentrum (DKFZ), Heidelberg
Prof. Dr. Edgar Dahl
Leiter der Arbeitsgruppe Molekulare Onkologie sowie der Molekularpathologischen Diagnostik, Institut für Pathologie, Uniklinik RWTH Aachen
Prof. Dr. Frank Griesinger
Direktor der Klinik für Hämatologie und Onkologie, Pius-Hospital, Universitätsmedizin Oldenburg