Polyzystisches Ovarialsyndrom: Malaria-Wirkstoff als mögliche Therapie
chinesische Forschende untersuchen die Wirkung von Malaria-Wirkstoff auf das Polyzystische Ovarialsyndrom
sie zeigen einen vielversprechenden Wirkmechanismus in Nagetieren und eine erste Anwendung an Patientinnen
Forschende loben die Methodik, fordern für bessere Aussagekraft aber noch Studien mit mehr Probandinnen
Der Malaria-Wirkstoff Dihydroartemisinin könnte einen neuen Behandlungsansatz für das polyzystische Ovarialsyndrom (PCOS) bieten. Das berichten Forschende aus China in einer Studie im Fachjournal „Science“ (siehe Primärquelle). Das Polyzystische Ovarialsyndrom ist die häufigste weibliche Hormonstörung und betrifft ungefähr jede zehnte Frau. Die Patientinnen leiden etwa unter Menstruations-Zyklus-Störungen, Unfruchtbarkeit, männlichem Behaarungsmuster, Akne und Haarausfall. Die Symptome hängen mit einer zu hohen Testosteronproduktion und einer Unempfindlichkeit auf Insulin zusammen. Zudem treten häufig Übergewicht, Diabetes Typ 2, Bluthochdruck und Fettstoffwechselstörungen gemeinsam mit dem Syndrom auf. Die Behandlung umfasst bisher unter anderem Hormonpräparate (die „Pille“) und das Diabetes-Medikament Metformin – bei Kinderwunsch eine Stimulation von Eizellen [I].
Leitung des Fachbereiches Diabetologie und Endokrinologie, DKD Helios Klinik Wiesbaden
Aktuelle Forschungslandschaft
„Aktuell haben wir neben oralen Kontrazeptiva eine höchst wirksame Behandlung beim polyzystischen Ovarialsyndrom (PCOS): Metformin. Das ist ein Medikament, das wir seit über 30 Jahren nutzen, das eine hohe Sicherheit bietet und nur geringgradige kurzfristige Nebenwirkungen im Magen-Darm-Trakt verursachen kann, die meist durch ein adäquates Dosierungsschema zu vermeiden sind. Daneben werden viele alternative Behandlungsmöglichkeiten diskutiert, wie etwa Inositol, Resveratol, Mönchspfeffer, Coenzym Q10, Ginseng, Curcumin und weitere. Für diese gibt es ähnliche Studien, die Effekte zeigen konnten, aber in Placebo-kontrollierten Folgestudien hatten sie keine ausreichende Wirkung. In den internationalen Leitlinien findet auch nur Inositol Erwähnung: als ‚could be considered‘ [I]. Manche haben sogar negative Auswirkungen. Wir arbeiten auch gerade an einer ersten ausführlichen Leitlinie für Deutschland, die bald erscheinen wird.“
Über Artemisinin
„Der pflanzliche Wirkstoff Artemisinin aus dem Beifuß wird auch bei anderen Indikationen angewendet. Dazu gehören Artemisinin-basierte Wirkstoffe bei Malaria-Parasiten, die WHO warnt hier jedoch schon vor Resistenzen. Die genauen Wirkungen von Artemisinin auf den menschlichen Organismus kennen wir noch nicht. Die Studie von Liu et al. beschränkt sich in der genauen Wirkweise nur auf die Enzyme, die PCOS betreffen. Aber was das Medikament noch alles im Körper macht, untersuchen sie nicht. Das könnten auch unerwünschte Wirkungen, also Nebenwirkungen sein.“
Methodik
„Die Studie ist methodisch gut gemacht. Sie kann den Wirkmechanismus auf die Testosteronproduktion in den Nagetieren gut belegen. Was sie allerdings nicht zeigt, sind metabolische Wirkungen, also Stoffwechselwirkungen, da gibt es gar keine. Lücken gibt es, wie gesagt, bei der Untersuchung auf die Wirkungen im restlichen Körper, insgesamt könnte es ja auch einen schädlichen Effekt geben. Die Beobachtungsstudie an 19 Patientinnen, die nur 12 Wochen behandelt wurden, reicht da nicht aus.“
Ausblick
„Was wir brauchen, ist eine randomisiert kontrollierte Studie, damit eine Wirkung bei Patientinnen, die über den Placeboeffekt hinaus geht, bewiesen werden kann. Dann könnte man noch einmal auf die Ergebnisse schauen. Aus Erfahrung mit Studien an anderen Wirkstoffkandidaten sehe ich zunächst keine Perspektive für Artemisinin. Bei Resveratol zum Beispiel haben sich nämlich anfänglich ähnliche Effekte auf die Testosteronproduktion gezeigt, die Ergebnisse aus randomisiert-kontrollierten Studien konnten aber keine signifikanten Effekte beweisen [1].“
Stellvertretende Direktorin der Universitätsklinik für Gynäkologische Endokrinologie und Reproduktionsmedizin, Department Frauenheilkunde, Medizinische Universität Innsbruck
Aktuelle Forschungslandschaft
„Die Suche nach neuen nicht-hormonellen Behandlungsmöglichkeiten für das polyzystische Ovarialsyndrom (PCOS) ist seit langem ein Forschungsschwerpunkt. In diesem Zusammenhang wäre die Möglichkeit, einen gezielten Enzymblocker zur Behandlung der Krankheit einzusetzen, ein interessanter und neuartiger Ansatz. Wenn sich die positiven Ergebnisse mit Artemisinin in künftigen größeren klinischen Studien bestätigen, könnte dies einen neuen Ansatz für die Behandlung von Frauen mit PCOS bedeuten, insbesondere für diejenigen, die Hormone nicht vertragen oder bei denen sie kontraindiziert sind. Es ist jedoch zu beachten, dass diese Studie vorläufige Daten von Mäusen und Nagetieren enthält und weitere Studien durchgeführt werden müssen, bevor diese Behandlung bei Patientinnen angewendet werden kann.“
Methodik
„Die Planung und Durchführung der an Mäusen und Ratten durchgeführten Experimente wurden ausführlich beschrieben und scheinen wissenschaftlich fundiert zu sein. Dennoch muss darauf hingewiesen werden, dass Nagetiere von Natur aus kein PCOS haben und die Induktion von PCOS durch experimentelle Techniken möglicherweise nicht das widerspiegelt, was beim Menschen geschieht. Ich finde die berichtete Verwendung von Artemisinin bei einer kleinen Gruppe von PCOS-Frauen nicht wissenschaftlich aussagekräftig und die positiven Ergebnisse sind mit großer Vorsicht zu interpretieren. Diese Substanz wurde nicht für den Einsatz bei PCOS getestet, und die Dosierung und Anwendung sowie das mögliche Nebenwirkungsprofil müssten vor dem klinischen Einsatz überprüft werden.“
Ausblick
„Während die bei Ratten und Mäusen erzielten Ergebnisse sehr positiv zu sein scheinen, ist es noch zu früh, um darüber zu spekulieren, ob sie auch bei Frauen bestätigt werden können. Das Enzym, das in dieser Studie durch Artemisinine abgebaut wurde, CYP11A1, ist für eine sehr frühe Phase der Steroidproduktion im Ovar verantwortlich, das heißt, es ist auch für die Produktion anderer wichtiger Fortpflanzungshormone wie Progesteron, DHEA (Dehydroepiandrosteron, Vorstufe der Sexualhormone; Anm. d. Red.) und schließlich auch Estradiol zuständig. Die Auswirkungen von Artmisininen auf diese wichtigen Hormone wurden in der Studie nicht untersucht. Dies ist ein wichtiger Punkt, denn viele Frauen mit PCOS würden gerne schwanger werden, aber es ist nicht bekannt, welche Auswirkungen die Substanz auf eine Schwangerschaft haben könnte.“
Direktor der Frauenklinik, Universitätsklinikum Erlangen
„Die Studie zur Anwendung von Dihydroartemisinin (DHA) beim polyzystischen Ovarialsyndrom (PCOS) befasst sich mit einem vielversprechenden, neuen Therapieansatz. Die Wirkweise des Medikaments liegt in der Reduktion der Hyperandrogenämie (erhöhte Spiegel von männlichen Sexualhormonen im Blut; Anm. d. Red.) durch Hemmung der ovariellen Androgenproduktion. Es konnte eine Reduktion des Enyzms CYP11A1, welches den ersten Schritt der Androgenproduktion katalysiert, gezeigt werden. CYP11A1 wird durch die Lon-Peptidase LONP1 abgebaut, Artemesinin fördert diese Interaktion.“
Aktuelle Forschungslandschaft
„Metformin hat sich als effektiv in der Behandlung von Hyperandrogenämie, Zyklusstörungen, Insulinresistenz und Übergewicht beim PCOS gezeigt. Es wirkt als Insulinsensitizer – insbesondere in der Leber – geht jedoch oftmals mit gastrointestinalen Nebenwirkungen einher. Diese führen oftmals zum Therapieabbruch.“
„Die Wirkung von Inositol wird ebenfalls auf seine Funktion als Insulinsensitizer zugeschrieben. Der Einsatz ist aufgrund des geringen Nebenwirkungsspektrums vertretbar, die Evidenz für die Wirksamkeit beim PCOS jedoch noch nicht ausreichend belegt.“
„Der Einsatz von oralen Kontrazeptiva kann die klinischen Zeichen der Hyperandrogenämie verbessern, indem die ovarielle Steroid- und damit auch Androgenproduktion reduziert wird. Ethinylestradiol führt zu einem Anstieg von SHBG (Sexualhormonbindendes Globulin, Transportprotein für Sexualhormone; Anm. d. Red.) und damit zu einer Reduktion des freien Testosterons. Auch eine Zyklusregulation kann erzielt werden, sofern kein Kinderwunsch besteht. Orale Kontrazeptiva werden oft aufgrund von Nebenwirkungen abgelehnt. Vorsicht ist insbesondere bezüglich des Risikos für thromboembolische Ereignisse geboten.“
„Eine Sterilität beim PCOS durch Zyklen ohne Eisprung kann durch eine monofollikuläre Stimulation mit Clomifencitrat oder Letrozol therapiert werden. Der Einsatz der Medikamente bedarf eines Zyklusmonitorings und geht daher mit einem höheren Aufwand für die Patientinnen einher, als es beim Artemisinin erscheint. Studien haben ein teratotoxisches Potenzial von DHA gezeigt, es sollte daher ein ausreichender Abstand zu einer Schwangerschaft eingehalten werden. Inwieweit die Therapie mit Artemisinin für 12 Wochen eine langfristige Wirkung über die beobachteten 24 Wochen hinaus zeigt, müssen weitere Studien zeigen.“
Methodik und Ergebnisse
„Die Studie beruft sich bei ihren Ergebnissen auf die Erstellung von PCOS-ähnlichen Maus- und Rattenmodellen. Durch Gabe von DHEAS (Dehydroepiandrosteron, Vorstufe der Sexualhormone; Anm. d. Red.) und durch Injektion von Insulin und hCG (humanes Choriongonadotropin, „Schwangerschaftshormon“; Anm. d. Red.) wurden zwei Modelle generiert, die das Krankheitsbild PCOS imitieren sollen. Damit ist eine gute Annäherung möglich, das volle Ausmaß des komplexen Krankheitsbildes kann jedoch nicht imitiert werden. Im Tierversuch konnte ein Dosis-abhängiger Effekt auf den Testosteronspiegel, die Anzahl von Follikelzysten im Ovar und die Zyklusregulierung gezeigt werden. Es wurde weiterhin eine Pilotstudie an 19 Probandinnen mit PCOS durchgeführt, welche 40 Milligramm DHA oral 3-mal täglich für 12 Wochen einnahmen, gefolgt von einer Beobachtungszeit von 12 Wochen.“
„Auch bei den 19 Patientinnen konnte eine signifikante Reduktion (P<0,0001) der Testosteron-Level, der AMH-Level (P<0,0001) und eine Reduktion des antralen Follikelcounts (Eibläschenzahl in den Eierstöcken, die beim PCOS erhöht ist; Anm. d. Red.) nachgewiesen werden. DHA erzielte bei 63,16 Prozent eine Wiederherstellung regelmäßiger Menstruationszyklen. Keine der beobachteten Probandinnen berichtete von Nebenwirkungen. DHA ist seit vielen Jahren in der Malariatherapie im Einsatz. Hier wurden unter anderem QT-Zeit-Verlängerungen und weitere EKG-Veränderungen, wie Sinustachykardien und AV-Blöcke, festgestellt (es geht um Veränderung elektrischer Ströme am Herzen, Anm. d. Red.).“
„Diese Ergebnisse sind sehr vielversprechend, da die Patientinnen mit PCOS oft an den Auswirkungen der Hyperandrogenämie leiden und die bisherigen Therapieoptionen oftmals mit Nebenwirkungen einhergehen und teilweise nur einen Aspekt des Krankheitsbildes verbessern.“
Ausblick
„Die Limitationen in der Studie liegen in der kleinen Probandinnenzahl, den fehlenden Informationen zur Langzeitwirkung und zu Nebenwirkungen bei längerfristiger Einnahme von DHA. Es handelt sich jedoch um ein vielversprechendes Medikament, welches verschiedene Aspekte des PCOS verbessert und im Fall einer langfristigen Zyklusregulation gegebenenfalls auch bei Kinderwunsch eingesetzt werden kann. Eine Studie mit größerer Probandenanzahl ist nötig, um mögliche Nebenwirkungen zu identifizieren.“
„Ich habe keine Interessenkonflikte.“
Frau Jaursch-Hancke ist verantwortliche Koordinatorin der aktuell in der Erstellung befindlichen S2k-Leitlinie Diagnostik und Therapie des polyzystischen Ovarsyndroms (PCOS).
„Ich habe keine Interessenkonflikte.“
Alle anderen: Keine Angaben erhalten.
Primärquelle
Liu Y et al. (2024): Artemisinins ameliorate polycystic ovarian syndrome by mediating LONP1-CYP11A1 interaction. Science. DOI: 10.1126/science.adk5382.
Literaturstellen, die von den Expert:innen zitiert wurden
[1] Fadlalmola HA et al. (2023): Efficacy of resveratrol in women with polycystic ovary syndrome: a systematic review and meta-analysis of randomized clinical trials. The Pan African Medical Journal. DOI: 10.11604/pamj.2023.44.134.32404.
Literaturstellen, die vom SMC zitiert wurden
[I] Teede HJ et al. (2023): Recommendations from the 2023 International Evidence-based Guideline for the Assessment and Management of Polycystic Ovary Syndrome. Fertility and Sterility. DOI: 10.1016/j.fertnstert.2023.07.025.
Dr. Cornelia Jaursch-Hancke
Leitung des Fachbereiches Diabetologie und Endokrinologie, DKD Helios Klinik Wiesbaden
Prof. Dr. Beata Seeber
Stellvertretende Direktorin der Universitätsklinik für Gynäkologische Endokrinologie und Reproduktionsmedizin, Department Frauenheilkunde, Medizinische Universität Innsbruck
Prof. Dr. Matthias Beckmann
Direktor der Frauenklinik, Universitätsklinikum Erlangen