Menstruationszyklus bestimmt Insulinsensitivität im Gehirn
laut Studie beeinflusst der Menstruationszyklus die Insulinsensitivität im Gehirn
die Ergebnisse könnten einige geschlechtsspezifische Unterschiede im Verhalten und Ganzkörperstoffwechsel erklären
Expertinnen betonen Relevanz der Studie für die geschlechtersensible Medizin und Notwendigkeit, Frauen in medizinische Studien einzuschließen
Der Menstruationszyklus bei Frauen beeinflusst die Insulinsensitivität im Gehirn. In der Phase vor dem Eisprung (Follikelphase) ist die Insulinsensitivität hoch, in der Phase nach dem Eisprung (Lutealphase) hingegen niedrig. Damit unterscheidet sich die Empfindlichkeit, mit der das Gehirn auf das Hormon Insulin reagiert, zwischen Frauen und Männern, bei denen die Sensitivität immer hoch ist. Die Ergebnisse wurden am 21.09.2023 im Fachjournal „Nature Metabolism“ veröffentlicht (siehe Primärquelle). Die Studie zeigt auf, wie ausgeprägt der Einfluss des Menstruationszyklus auf die Gesundheit von Frauen sein kann und dass dieser Aspekt in der klinischen Forschung bisher zu wenig berücksichtigt wird.
Leiterin des Bereichs Gendermedizin, Abteilung für Endokrinologie und Stoffwechsel, Klinik für Innere Medizin III, Medizinische Universität Wien, Österreich
Methodik und Aussagekraft der Studie
„Bei der Studie handelt es sich um einen ,Letter‘ im Fachjournal ,Nature Metabolism‘. Die Studie weist eine kleine Fallzahl auf. Die zwei Experimente – mit Clamp-Tests (hyperinsulinämischer-euglykämischer Clamp, Goldstandard zur Bestimmung der Insulinsensitivität; Anm. d. Red.) und funktioneller Magnetresonanztomographie (fMRT) – wurden in unabhängigen Gruppen von schlanken gesunden Frauen erhoben, die einen regelmäßigen, natürlichen Zyklus haben.“
„Die verwendeten Methoden sind solide: Clamp-Tests sind der Goldstandard zur Messung der peripheren Insulinsensitivität. Der funktionale MRT ist die beste bekannte Methode für die Untersuchung der Aktivität des Hypothalamus, wobei die Durchblutungsänderung in dieser Hirnregion als Maß der zentralen Insulinempfindlichkeit nach der nasalen Verabreichung von Insulin verwendet wird. Die aufwendigen Clamp-Tests wurden in jeder Zyklusphase wiederholt, wobei jeweils Placebo mit nasalem Insulin verglichen wurde.“
„Die Ergebnisse sind als Hypothesen-generierend zu betrachten. Für eindeutige Schlussfolgerungen ist weitere Forschung nötig.“
Relevanz für die geschlechtersensible Medizin
„Wir wissen, dass sich die Insulinempfindlichkeit während des Zyklus verändert. Frauen mit Typ-1-Diabetes müssen ihre Insulindosis oft an die Zyklusphasen anpassen beziehungsweise bemerken starke Zyklus-abhängige Schwankungen ihrer Blutzuckerwerte. Leider ist die Forschung dazu marginal. Erst kürzlich wurden in einer Studie [1] – gestützt durch Künstliche Intelligenz – die Algorithmen von Insulinpumpen an die Zyklusveränderungen individuell angepasst. So konnten in einer kleinen Versuchsreihe gleichmäßigere Blutzuckerspiegel bei Typ-1-Diabetes gezeigt werden. Wir wissen, dass Experimente von der Zyklusphase beeinflusst werden und Frauen in der lutealen Phase – also in der zweiten Zyklushälfte – weniger insulinsensitiv sind.“
„Es ist sehr wichtig, in zukünftigen Experimenten – besonders in der Stoffwechsel- und Gewichtsregulationsforschung – die Zyklusphase, den Sexualhormonspiegel und die Insulinempfindlichkeit stärker zu berücksichtigen.“
„Dass sich auch die zerebrale Insulinempfindlichkeit im Hypothalamus zyklusabhängig ändert und in der follikulären Phase auch die periphere Insulinempfindlichkeit moduliert, ist sehr spannend. Schlanke Frauen verhalten sich also in der ersten Zyklushälfte wie schlanke Männer, während sie in der zweiten Zyklushälfte offensichtlich eine zentrale Insulinresistenz aufweisen, wie sie zuvor bei übergewichtigen Männern gezeigt wurde. Das Östrogen-Progesteron-Verhältnis scheint hier einen Einfluss zu haben. Interessant wäre, die Effekte der ‚Pille‘ sowie adipöse Frauen zu untersuchen, um mögliche weitere Unterschiede zu erforschen.“
„Besonders spannend wäre auch weiter zu untersuchen, ob und inwieweit die gezeigten Veränderungen möglicherwiese auch andere häufige zyklusabhängige Veränderungen beeinflussen: von ,Craving‘, Essstörungen und Gewichtsveränderungen bis hin zu Stimmungsschwankungen und dem prämenstruellen Syndrom.“
„Tatsächlich bestehen Interaktionen zwischen den Sexualhormonen und der Regulation von Körpergewicht, Fettverteilung, Stoffwechsel und Energiehaushalt sowie psychischen Veränderungen, die besser erforscht werden müssen. Frauen sind in dieser Hinsicht aufgrund der Lebensphasen-abhängigen hormonellen Veränderungen – einschließlich Schwangerschaft und Menopause – viel komplexer als Männer.“
Hürden beim Design von klinischen Studien mit Frauen
„Beim Design klinischer Studien sollte darauf geachtet werden, ausreichend Frauen einzuschließen, die sich sowohl vor als auch nach der Menopause befinden. Nach Möglichkeit sollten Frauen sowohl in der follikulären und lutealen Zyklusphase untersucht werden. Dies ist besonders in der Medikamentenentwicklung und gerade in den frühen Studienphasen wichtig. Der Effekt der ,Pille‘ wäre auch wichtig zu prüfen.“
„Veränderungen sind oft nicht so groß und weisen eine große Streuung auf, weshalb eine ausreichende Teilnehmerinnenzahl wichtig ist. Effekte können aber klinisch dennoch bedeutend sein, vor allem wenn mehrere synergistisch wirken.“
Leiterin der Forschungsabteilung Molekulargenetik an der Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters, Universität Duisburg-Essen
Methodik und Aussagekraft der Studie
„Sowohl bei schlanken Frauen als auch bei Männern verbessert die intranasale Gabe von Insulin die Insulinsensitivität im Körper. Allerdings ist – das deutet die vorliegende Studie an – der Effekt bei Frauen eher auf die follikuläre Phase fokussiert.“
„Die Autoren geben selbst zu bedenken, dass die Fallzahl mit 11 beziehungsweise 15 Teilnehmerinnen sehr klein ist und noch dazu die Effekte eher gering und verbunden mit hohen Standardabweichungen. Das bedeutet, dass es weitere größere Studien geben muss, um diese sehr interessanten, initialen Befunde zu bestätigen. Erst dann können die Lehrbücher umgeschrieben werden.“
Relevanz für die geschlechtersensiblen Medizin
„Die Studie ist vor allem für die Stoffwechselforschung und für die geschlechtersensible Medizin relevant.“
„Nicht jeder Mensch reagiert auf eine Insulinbehandlung und Insulinresistenz geht häufig mit Adipositas einher. Es war bekannt, dass intranasale Insulingabe die Nahrungsaufnahme bei schlanken Männern reduziert. Diese Studien waren die Basis für die vorliegende Arbeit. Erstmals konnte hier gezeigt werden, dass Frauen zyklusabhängig auf eine Insulinapplikation mit unterschiedlicher Glukoseproduktion reagieren.“
„Man kann ableiten, dass es wichtig ist, Frauen in klinische Studien einzubeziehen und dabei den Zyklusverlauf zu beachten. Es erscheint trivial, dass die gezeigten Ergebnisse bei alleiniger Betrachtung von Männern nicht erzielt worden wären. Genau das ist ein Kernbereich der geschlechtersensiblen Medizin, der in der Betrachtung beider Geschlechter liegt, um zur Verbesserung des Verständnisses der Ursachen von Krankheiten bei beiden Geschlechtern beizutragen. Werden beide Geschlechter gleichbehandelt, könnte bei einem die Therapie nicht – oder zumindest weniger – wirksam sein.“
Hürden beim Design von klinischen Studien mit Frauen
„Bei klinischen Studien mit Frauen ist neben dem Zyklus natürlich eine mögliche Schwangerschaft zu beachten. Bei klinischen Studien muss das Vorliegen einer Schwangerschaft ausgeschlossen werden, um eine Gefährdung des werdenden Lebens auszuschließen. Bei einer Studie zum Menstruationszyklus muss auch während des Verlaufs, der eine oder mehrere Zykluslängen umfassen kann, eine Befruchtung ausgeschlossen werden. Die damit verbundenen Probleme liegen auf der Hand. Bei der vorliegenden Studie wurden nur Frauen untersucht, die keine Kontrazeptiva einnahmen. Man sollte zudem Studien mit und ohne Einnahme von Kontrazeptiva durchführen, auch wenn das Studiendesign dadurch komplexer und teurer wird.“
Wissensstand und Finanzierung von Forschung zum weiblichen Zyklus
„Prinzipiell sollte in jeder klinischen Studie, die beide Geschlechter umfasst, der Zyklus der Frauen im reproduktiven Alter mitgedacht werden, auch wenn dies einen erheblichen – auch finanziellen – Mehraufwand bedeutet. Es ist jedoch aus Tiermodellen klar, dass es viele Bereiche gibt, die von Zyklusschwankungen unberührt sind. Hier würden Pilotstudien, die mögliche Zyklus-beeinflussende Parameter bei einer kleineren Anzahl von Frauen untersuchen, helfen, unnötige Maßnahmen einzusparen.“
„Die vorliegende Studie zeigt auf, dass die Analyse nur eines biologischen Geschlechtes zu kurz gegriffen ist. Hier ist zudem während der reproduktiven Zeit der Frau nicht nur das Geschlecht, sondern auch der Zyklusverlauf von großer Bedeutung. Auch wenn der Zyklus nicht für alle pharmakologischen Behandlungen relevant sein wird, zeigt sich hier das die Analyse des Zyklus zu unerwarteten Ergebnissen führen kann und somit beleuchtet werden sollte.“
„Wissensstand und Finanzierungsmöglichkeiten werden zwar besser, aber es ist auch noch viel Luft nach oben.“
Dieses Statement entstand in Zusammenarbeit mit Frau PD Dr. Andrea Kindler-Röhrborn, die gemeinsam mit Frau Hinney die Gendermedizin an der Universität Duisburg-Essen leitet.
Fachärztin für Innere Medizin, Gendermedizinerin in der Lehre und klinischer Forschung, Institut für Sozialmedizin, Epidemiologie und Gesundheitsökonomie, Charité – Universitätsmedizin Berlin
Methodik und Aussagekraft der Studie
„Die Studie liefert Evidenz für das Verständnis, dass es sich bei Krankheiten um einen systembiologischen Ansatz handelt. Das heißt, Erkrankungen entstehen nicht rein Organbezogen. Zum Beispiel bei Diabetes handelt es sich nicht allein um eine Erkrankung der Bauchspeicheldrüse, sondern die Sexualhormone haben Einfluss auf den Insulinstoffwechsel – und das nicht nur an der Bauchspeicheldrüse, sondern auch zentral im Gehirn.“
„Diese Studie trägt zu dem Verständnis bei, dass die Insulinsensitivität des Hypothalamus in der follikulären Phase des Zyklus erhöht ist, nicht aber in der lutealen Phase. Ein interessanter Ansatz, der den systembiologischen Charakter bei der Regulation des Glukosestoffwechsels unterstreicht und damit indirekt auf mögliche Geschlechterunterschiede bei der Glukoseregulation hinweist.“
„Ob auch Gefühlsschwankungen während des Zyklus mit dem Einfluss der Sexualhormone auf den Glukosestoffwechsel zusammenhängen, kann nur spekuliert werden, da emotionale Endpunkte und Verhalten in medizinischen Studien bisher nicht untersucht werden.“
„Eine Limitation der Studie ist die kleine Fallzahl mit 11 beziehungsweise 15 untersuchten Frauen.“
Aspekte der geschlechtersensiblen Medizin
„Frauen können mit mehr unerwünschten Wirkungen auf Medikamente reagieren als Männer. Gerade bei chronischen Erkrankungen stellt man Unterschiede bei Geschlechtern fest. In der geschlechtersensiblen Medizin ist es ganz wichtig, dass Frauen die Forschungsfragen formulieren, weil Männer den Blick für gewisse Aspekte gar nicht haben können.“
„Die Zyklusphasen sind mit durchschnittlich 28 Tagen sehr kurz und erscheinen irrelevant für die Medizin. Bei einem Herzinfarkt ist das zutreffend, aber bei Frauen, die zum Beispiel an Asthma leiden, da kann der Zyklus schon relevant sein. Bei Frauen mit Diabetes hat der Zyklus auch einen Einfluss auf die Wirkung der Medikamente. Die betroffenen Frauen wissen das häufig, aber es gibt keine wissenschaftliche Evidenz, die das stützt.“
„Es ist bereits bekannt, dass der Cholesterinwert in der Lutealphase höher ist als vor dem Eisprung. Ähnlich wie der Anstieg in der Perimenopause von Gesamtcholesterin und LDL-Lipoproteinen bei abfallenden Östrogenspiegeln. Es gibt also einen Zusammenhang von Stoffwechselprozessen und dem Hormonhaushalt. Das wird an den Hochschulen noch nicht gelehrt, aber der Zusammenhang ist wichtig.“
Hürden beim Design von klinischen Studien mit Frauen
„Prinzipiell ist es schwierig Studien durchzuführen, die den Zyklus oder die Lebensphase der Frau berücksichtigen; Frauen bis durchschnittlich 52 Jahre befinden sich in der Prämenopause, der Übergang bis zur Postmenopause wird Perimenopause genannt und ist charakterisiert durch einen Abfall der weiblichen Sexualhormone und einem erhöhten Risiko für Stoffwechselerkrankungen wie einem Anstieg der Lipide und des Glukosespiegels sowie einem Anstieg des Blutdrucks. Frauen in der Postmenopause müssen daher regelmäßig auf kardiovaskuläre Risikofaktoren kontrolliert werden. Darüber hinaus gibt es die Phase der Schwangerschaft. Jede Lebensphase bringt einen anderen Hormonhaushalt mit, der wiederum die Erkrankungen beeinflusst.“
„In klinischen Medikamentenstudien gibt es selten Probandinnen. Das ist zum einem aus Schutzgründen, da die Frauen in der Zeit schwanger werden könnten und es gilt, den Embryo zu schützen. Deshalb sind die Hürden groß, Frauen in der reproduktiven Phase in Studien einzuschließen. Wenn sie an klinischen Studien teilnehmen möchten, dann müssen sie zweifach verhüten. Nehmen genügend Frauen an einer Studie teil, dann ist es nicht garantiert, dass die Daten auch getrennt nach den Geschlechtern ausgewertet werden. Medikamente für die kardiovakuläre medizinische Versorgung werden überwiegend für Männer entwickelt und auf Frauen einfach übertragen. Darüber hinaus sind viele Forschende männlich und stellen sich gewisse Forschungsfragen nicht, die für Frauen relevant wären.“
„Ich habe keine Interessenkonflikte.“
„Es bestehen keine Interessenkonflikte.“
„Ich habe keinen Interessenkonflikt.“
Primärquelle
Hummel J et al. (2023): Brain insulin action on peripheral insulin sensitivity in women depends on menstrual cycle phase. Nature Metabolism. DOI: 10.1038/s42255-023-00869-w.
Weiterführende Recherchequellen
Kroemer NB (2023): Metabolic tuning during the menstrual cycle. Nature Metabolism. DOI: 10.1038/s42255-023-00867-y.
Begleitender News&Views-Artikel zur Primärquelle.
Literaturstellen, die von den Expert:innen zitiert wurden
[1] Diaz C JL et al. (2022): Insulin Replacement Across the Menstrual Cycle in Women with Type 1 Diabetes: An In Silico Assessment of the Need for Ad Hoc Technology. Diabetes Technology & Therapeutics. DOI: 10.1089/dia.2022.0154.
Prof. Dr. Alexandra Kautzky-Willer
Leiterin des Bereichs Gendermedizin, Abteilung für Endokrinologie und Stoffwechsel, Klinik für Innere Medizin III, Medizinische Universität Wien, Österreich
Prof. Dr. Anke Hinney
Leiterin der Forschungsabteilung Molekulargenetik an der Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters, Universität Duisburg-Essen
PD Dr. Ute Seeland
Fachärztin für Innere Medizin, Gendermedizinerin in der Lehre und klinischer Forschung, Institut für Sozialmedizin, Epidemiologie und Gesundheitsökonomie, Charité – Universitätsmedizin Berlin