CO2-Kompensation durch Waldschutz hält nicht, was sie verspricht
CO2-Zertifikate aus dem Schutz tropischer Wälder sind meist wirkungslos
Studie untersucht 26 Projekte; die meisten verhindern keine oder viel weniger Emissionen als angegeben
Forschende betonen, dass Waldschutzprojekte zur CO2-Kompensation in vieler Hinsicht fragwürdig sind
Viele Firmen kompensieren freiwillig ihre Treibhausgas-Emissionen, indem sie Zertifikate aus Waldschutzprojekten erwerben – doch diese halten meist nicht, was sie versprechen. Projekte, die angeblich tropischen Regenwald vor der Abholzung schützen, vermeiden viel weniger Emissionen, als sie angeben. Das zeigt eine Studie, die am 24.08.2023 im Fachjournal Science erschienen ist (siehe Primärquelle). Nur etwa sechs Prozent der CO2-Zertifikate aus den untersuchten Projekten sind dieser Analyse zufolge tatsächlich mit vermiedenen Emissionen verknüpft.
Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Bereich Energie und Klimaschutz, Öko-Institut e.V., Berlin
Relevanz der Studie
„Die Studie stellt einen weiteren Mosaikstein dar, der die Beschreibung des Problems von Waldschutzprojekten im freiwilligen Kohlenstoffmarkt weiter komplettiert. Ein großes Problem bei der Berechnung der Mengen vermiedener Emissionen durch Waldschutz ist die Frage des Vergleichswerts: Wie viele Emission wären ohne das Projekt entstanden? Diese Frage kann eigentlich nicht beantwortet werden, sondern es müssen Annahmen dazu getroffen werden. Bereits vielfach wurden Methoden zur Berechnung der Ergebnisse aus Waldschutzprojekten kritisiert. Zu oft lassen die Methoden sehr viel Freiheit, die Annahmen so zu treffen, dass sie möglichst günstig für das Projektergebnis sind. Die Studie liefert konkrete Beispiele dafür, wie Annahmen zu den Mengen von vermiedenen Emissionen durch Waldschutz und tatsächlich messbare Entwicklungen auseinanderklaffen. Die Studie macht deutlich, dass es sich nicht um einzelne Projekte handelt, in denen vermiedene Emissionen überschätzt wurden, sondern dass ein grundsätzliches Problem besteht.“
Methodik
„Die Autor:innen beschreiben ihren Ansatz sehr genau. Die Auswahl der Projekte hat auch mit Datenverfügbarkeit zu tun. Nicht alle Projekte lassen sich unabhängig mit frei verfügbaren Daten überprüfen. Der Ansatz den West et al. verfolgen ist selbst datenintensiv und aufwendig. Ich denke aber, er ist als wissenschaftliche Methode für eine Überprüfung der Annahmen zu den Mengen von vermiedenen Emissionen durch Waldschutz in Projekten geeignet. Bei besserer Datenverfügbarkeit zu den Projekten könnte der Ansatz sicher ausgeweitet werden.“
Geringe Effektivität der Waldschutzprojekte und wie es besser gehen könnte
„Die Autor:innen spekulieren, dass es vier verschiedene Gründe für die Ineffektivität der untersuchten Projekte geben könnte: Der erste sind unvorhergesehene Änderungen in der Entwicklung der Entwaldungsraten. Der zweite ist, dass Flächen für die Projekte ausgewählt wurden, auf denen sich Entwaldung besonders leicht vermeiden lässt. Der dritten ist, dass die Annahmen veraltet sind und der vierte, dass Flexibilitäten in den Methoden ausgenutzt werden, um möglichst hohe Emissionsreduktionen auf dem Papier zu erzeugen.“
„Der von West et al. vorgestellt Ansatz kann dazu dienen, die Mengen der tatsächlich vermiedenen Emissionen konsistenter und sicherer zu berechnen. Ein wichtiger Punkt ist auch die Vergleichbarkeit und Konsistenz von Annahmen zu verschiedenen Projekten in einer größeren Region oder einem Land. Die Methode von West et al. erlaubt, dass hier mehr Transparenz hergestellt werden kann und damit auch Vertrauen in einzelne Projekte. Allerdings hat auch diese Methode noch Herausforderungen, wie die Autor:innen beschreiben: Da Wälder sehr unterschiedlich sind, können die Vergleichsflächen immer noch nicht alle Merkmale der Projektflächen berücksichtigen. Zudem besteht weiterhin die Gefahr, dass die Daten veraltet sind. Die grundsätzlichen Herausforderungen bleiben also. Deshalb ist es wichtig, alternative Finanzierungsformen für Waldschutz zu entwickeln. Diese sollten nicht nur auf Kohlenstoff abzielen, sondern auch andere Ökosystemleistungen einbeziehen.“
Vergleich mit anderen Projekttypen
„Auch andere Projekttypen haben das Problem der Zusätzlichkeit (gemeint ist die Frage, ob das Projekt zusätzliche Emissionen einspart, oder ob diese ohnehin gesunken wären, etwa weil ein neues Gesetz für weniger Abholzung sorgt; Anm. d. Red.) und der Berechnung der vermiedenen Emissionen oder erzielten Einbindungen. Projekte mit dem Ziel der Aufforstung oder Vernässung von Mooren können oft leichter berechnet werden und bieten weniger Flexibilität bezüglich der Annahmen zu alternativen Entwicklungen.“
Vertrauenswürdige Projekte identifizieren
„Bereits auf der Ebene der Projekttypen kann es große Unterschiede geben, wie effektiv durch diese Emissionen vermieden werden können. Verschiedene Initiative, wie die Carbon Credit Quality Initiative untersuchen Projekttypen und die von den Standards verwendeten Methoden und veröffentlichen ihre Analysen.”
„Neben der Qualität der Zertifikate ist entscheidend, wie diese genutzt werden. Grundsätzlich ist die Idee der Kompensation auf der Ebene von Unternehmen oder gar Produkten nicht sinnvoll. Die Klimakompensation sollte auf keinen Fall dazu genutzt werden, klimaschädliche Geschäftsmodelle länger aufrecht zu erhalten. Wenn es in einem Unternehmen nicht und nur schwer vermeidbare Emissionen gibt, sollten diese nicht durch sehr günstige und – wie die Studie ja zeigt – oftmals problematische Zertifikate ausgeglichen werden, da dadurch jeglicher Anreiz zur weiteren Vermeidung genommen wird. Denn ,nicht oder schwer vermeidbar’ ist schwer zu definieren. Stattdessen sollten Unternehmen in die Verbesserung des Klimaschutzes investieren, aber nicht durch Kompensation, sondern durch die Finanzierung von Klimaschutz ohne Gegenrechnung. Das ist eine bei Unternehmen schon recht weit verbreitete Strategie – auch als Antwort auf die Probleme des freiwilligen Kohlenstoffmarktes.”
Professor für Weltforstwirtschaft, Institut für Holzwissenschaften, Fachbereich Biologie, Universität Hamburg
Relevanz der Studie und Methodik
„Was viele vermutet und an einzelnen Projekten auch beobachtet haben, ist jetzt durch Zahlen belegt. Die Höhe der generierbaren CO2-Effekte hängt wesentlich vom Vergleichsmaßstab ab. Je stärker die Referenzflächen entwaldet oder degradiert werden, desto höher fallen die generierbaren CO2-Gutschriften und damit die Gewinne des Projektbetreibers aus.“
„Die Methode erscheint auf den ersten Blick wissenschaftlich korrekt. Für eine genauere Antwort fehlt mir leider die Zeit.“
Geringe Effektivität der Waldschutzprojekte und wie es besser gehen könnte
„Die Projekte sind ineffektiv für den Klimaschutz, aber ökonomisch effektiv für die Betreiber. Solange Projektbetreiber ihre Referenzflächen selbst auswählen können, wird sich daran nichts ändern. Referenzflächen dürfen nicht durch die Projektbetreiber ausgewählt werden, sondern sind durch eine unabhängige Instanz nach definierten Kriterien festzulegen. Der Vorschlag der Autoren ist zu begrüßen, hierfür die Entwaldungs- und Degradierungsraten zu verwenden, die durch staatliche Institutionen für größerer Gebiete wie Bundesstaaten ermittelt wurden.“
Vergleich mit anderen Projekttypen
„Projekte, die sich auf Referenzflächen beziehen, sind immer kritisch zu hinterfragen. Bei der Vernässung von Mooren oder bei Aufforstungen wird der erzielte Kohlenstoffausgleich auf der Projektfläche selbst durch einen Vorher-Nachher-Vergleich erhoben, so dass die Problematik der Referenzflächen entfällt.“
Vertrauenswürdige Projekte identifizieren
„Die Auswahl der Referenzflächen ist ein guter Indikator für die Seriosität eines Projekts. Idealerweise sollten Baselines verwendet werden, die von unabhängigen Institutionen für größere Regionen und für nicht zu lange Zeiträume festgelegt wurden.“
Leiter des Arbeitsbereichs Waldwirtschaft weltweit, Institut für Waldwirtschaft, Johann Heinrich von Thünen-Institut, Bundesforschungsinstitut für Ländliche Räume, Wald und Fischerei, Hamburg
Relevanz der Studie
„Die Studie bestätigt und präzisiert den bisherigen Stand in der Wissenschaft: Klimaschutzprojekte im Landnutzungssektor in den Tropen sind häufig durch weniger Klimawirkung gekennzeichnet als erhofft. Die Ergebnisse der Studie sind wissenschaftlich sehr gut fundiert und hinterfragen ganz wesentlich den Sinn von Klimaprojekten im Landnutzungssektor in den Tropen. Sie bereichert den Stand der Forschung durch einen weiterentwickelten methodischen Ansatz zur Präzisierung der Erfolgsprognosen von Klimaprojekten.“
„Das Gesamtbild der Effektivität von landnutzungsbasierten CO2-Einsparpotentialen in den Tropen wird durch die Studie nicht grundlegend verändert. Der weiterentwickelte methodische Ansatz könnte aber ein präziseres Wirkungsmonitoring ermöglichen, falls die methodischen Ansätze in die Praxis übernommen werden. Die Vorschläge für ein Wirkungsmonitoring beziehen sich jedoch allein auf CO2-Einsparpotentiale und nicht auf sozioökonomische Kenngrößen nachhaltiger Entwicklung oder die Analyse veränderter Ursache-Wirkungsbeziehungen – sogenannte direkte oder indirekte Treiber von Entwaldung und Degradierung. Viele Länder in den Tropen sind durch hohes Bevölkerungswachstum, starke Armut und unsichere Landnutzungsrechte gekennzeichnet. Verfügbares Land ist in diesen Ländern eine der wenigen Ressourcen, die zur wirtschaftlichen Entwicklung zur Verfügung stehen. Landnutzungsbasierte Klimaprojekte, die nicht unmittelbar zu Synergien mit einer nachhaltigen Entwicklung führen, stehen daher unmittelbar in Konkurrenz mit dem Erfordernis zu Ernährungssicherung und nachhaltigen Entwicklung. Wenn Klimaschutz nicht zu Lasten der armen Bevölkerung gehen soll, ist neben einem präzisen Monitoring von CO2-Effekten daher auch die Erfassung und Berücksichtigung von sozioökonomischen Indikatoren unerlässlich.“
Methodik
„Die Studie ist methodisch sehr gut geplant und mit Einsatz moderner, komplexer, analytischer Methoden durchgeführt. Die Auswahl der Länder – wenn auch nicht komplett repräsentativ – beinhaltet sehr wichtige Regionen, die von Entwaldung betroffen sind. Der Vergleich von REDD+ Projekten (,Reducing Emissions from Deforestation and Forest Degradation‘) und Referenzflächen stellt einen interessanten und wichtigen Entwicklungsschritt dar. Business-as-usual-Szenarien sind etablierter Bestandteil des IPCC, bisher jedoch vor allem auf nationaler und subnationaler Ebene. Der Mehrwert der Studie liegt in der feinen räumlichen Auflösung auf Projektebene sowie dem Vergleich mit der Entwaldungshistorie auf den Referenzflächen.“
„Der dauerhafte Erfolg von Klimaprojekten im tropischen Landnutzungssektor hängt von der Vereinbarkeit von Klimaeffekten und nachhaltigen Entwicklungsoptionen ab. Es ist jedoch aufwändig, das sozioökonomische Umfeld mit allen Ursache-Wirkungsbeziehungen zu erfassen und darzustellen. Dazu sind in aller Regel auch Datenerfassungen vor Ort notwendig, die zeitaufwendig und teuer sind. Sozioökonomischen Wirkungen von REDD+ Projekten können bei besserer Datenlage zusätzlich in zukünftige Wirkungsmonitoring-Ansätze aufgenommen werden.“
„Ein wichtiger Hinweis auf methodische Verbesserung versteckt sich in der Anzahl der untersuchten Projekte. Diese ist mit 26 – beziehungsweise mit 31 Teilflächen – für eine empirische Studie nicht besonders hoch. Für die quantitative Wirkungsanalyse von Klimaprojekten im tropischen Landnutzungssektor ist das jedoch eine beeindruckend hohe Zahl. Verbesserter Zugang zu Projektdaten, Transparenz und harmonisierte Datenstrukturen der zahlreichen Klimaprojekte weltweit könnten hier deutliche Verbesserung bringen. Das setzt jedoch voraus, dass sich die Umsetzungsorganisationen oder die Geldgeber auf ein umfassenderes und transparentes Wirkungsmonitoring einigen und sich Erfolg und Misserfolg in Zukunft besser unterscheiden lassen.“
Geringe Effektivität der Waldschutzprojekte und wie es besser gehen könnte
„Es gibt eine Vielzahl an direkten und indirekten Ursachen für Entwaldung. Insbesondere die indirekten Ursachen wie Bevölkerungsentwicklung, Armut, Korruption, mangelnde Planungsgrundlagen, Rechtssicherheit oder eine unstabile politische Ausgangssituation hängen von der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Gesamtsituation eines Landes ab. Ein einzelnes Klimaprojekt ist zeitlich und räumlich begrenzt und kann diese indirekten Ursachen im besten Fall punktuell beeinflussen, aber nicht lösen. Projekte, welche diese indirekten Ursachen ignorieren, scheitern häufig oder verdrängen bisherige klimaschädliche Bewirtschaftungspraktiken auf andere Flächen (,permanence‘ und ,leakage‘). Mit einfachen Worten zusammengefasst: Nachhaltige Klimaeffekte benötigen mehr Zeit und eine umfassendere gesellschaftlich-wirtschaftliche Transformation.“
„REDD+ Projekte sind den sogenannten Safeguards verpflichtet – zum Beispiel der Berücksichtigung von Biodiversitätsaspekten und den Rechten indigener Bevölkerung sowie der Partizipation lokaler Akteure. Dadurch entstehen Zielkonflikte, deren Einhaltung mit einer Verlangsamung der beabsichtigen Klimaeffekte einhergeht. Was gut ist für den Klimaschutz, muss nicht notwendigerweise für die Bedürfnisse der lokalen Bevölkerung gut sein.“
Vergleich mit Projekten in anderen Weltregionen
„Die Studie konzentriert sich auf tropische Ökosysteme und Länder des globalen Südens, die stark von Bevölkerungswachstum, Armut und anderen oben erwähnten Faktoren geprägt sind. In stärker entwickelten Regionen, die in ihrer wirtschaftlichen Entwicklung unabhängiger von Landnutzung und die resilienter gegen Klimawandel sind, hat Waldschutz eine deutlich bessere Ausgangslage. Diese Länder sind heute jedoch kaum von Entwaldung betroffen. Die Phasen der Entwaldung liegen in Deutschland beispielsweise einige Jahrhunderte zurück und haben damals zum wirtschaftlichen Aufschwung beigetragen. Projekte zu Kohlenstoff-Kompensation in den Tropen ohne gleichzeitige Verknüpfung mit Entwicklungszielen sind in Entwicklungsländern deshalb kritisch zu prüfen hinsichtlich ihrer Kohärenz mit Armutsbekämpfung und nachhaltigen Entwicklungszielen.“
Vertrauenswürdige Projekte identifizieren
„Es gibt eine Reihe unabhängiger akkreditierter Organisationen, die Zertifikate ausstellen. Diese Zertifikate sind keine Gewähr für Erfolg, sondern eine bescheinigte Experten-Einschätzung für wahrscheinlichen Erfolg. Überspitzt formuliert sind Zertifikate im Waldbereich Wetten in die Zukunft – sowohl hinsichtlich vermiedener Entwaldung als auch hinsichtlich Aufforstung. Diese Wetten haben sehr unterschiedliche ,Gewinnchancen‘. Es gibt einige Projekte, die eine höhere Wahrscheinlichkeit haben, erfolgreich zu sein, als andere. Die Schwierigkeit besteht in der präzisen Vorhersage des zu erwartenden Erfolgs und – wichtig – der unbeabsichtigten Nebenwirkungen.“
„Die vorliegende Studie stellt dabei einen sehr fortgeschrittenen Ansatz vor, der über die bisherigen Vorhersagemöglichkeiten hinausgeht. Unter Einbeziehung von Ursachen der Entwaldung können die vorgestellten Methoden aber noch präziser gemacht werden. Wichtig ist jedoch auch die Vorhersage von unerwünschten Nebenwirkungen, wie der Verdrängung von Kleinbauern oder der unfairen Verteilung des erzielten Projektnutzens. Das Problem dabei: Je komplexer die Vorhersagemethoden, desto komplizierter ist der Einsatz in der Fläche und desto zeitaufwendiger und teurer ist die Umsetzung. Das ist im Moment die aktuelle Forschungsfront und die große Herausforderung für das Design effizienter und fairer Klimaprojekte.“
Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Forschungsprogramm Umwelt-Governance und Transformation zur Nachhaltigkeit, German Institute of Development and Sustainability (IDOS), Bonn
Relevanz der Studie
„Nach meinem Wissenstand ist die vorliegende Studie eine der ersten systematischen und länderübergreifenden Studien zur Wirkung von REDD+ Projekten des freiwilligen Kohlenstoffmarkts. Die Ergebnisse als solche sind aus meiner Sicht nicht überraschend. Sie entsprechen den Ergebnissen früherer Fallstudien zu einzelnen Projekten und der beispielsweise auf dem Blog REDD Monitor veröffentlichten Kritik von Aktivist*innen und NGOs. Die mangende Effektivität der Projekte und damit die fehlende Zusätzlichkeit – also die Fähigkeit durch die projektspezifischen Interventionen tatsächlich Entwaldung zu reduzieren – geht auf Probleme bei der Berechnung der Baseline-Szenarien und der Auditierung zurück, wie die Autor*innen erläutern. Insbesondere auf Probleme bei der Auditierung (der Überprüfung durch Zertifizierer, Anm. d. Red.) weisen politische Ökolog*innen seit langem hin. Den Marktstandards des freiwilligen Kohlenstoffmarktes fehlen unabhängige Instanzen, die die Ergebnisse der Auditierung überwachen. So kann die bewusste Überschätzung der Entwaldungsraten vor der Projektintervention nicht ausgeschlossen werden. Bei Kompensationsprojekten des Kyoto-Protokolls dagegen finden beispielswiese zusätzliche Prüfungen statt.“
„Darüber hinaus stellen sich aus meiner Sicht aber auch eine Reihe von grundsätzlicheren Fragen zur Effektivität von CO2-Kompensation durch Waldschutz, die von den Autor*innen der Studie nur am Rande thematisiert werden. Waldschutzprojekte vermeiden zukünftige Emissionen. Noch stehen die Wälder und nur das berechnete Risiko einer möglichen Entwaldung ermöglicht es, handelbare Zertifikate zu generieren. Kohlenstoffmärkte basieren auf der Annahme, dass CO2 – ganz egal ob aus einem Kohlekraftwerk oder aus einem verbrannten Baum – eine gleichförmige Ware darstellt und somit der Schutz von Wäldern die fossilen Emissionen eines Kraftwerks neutralisieren kann. Hier werden aus meiner Sicht jedoch Äpfel mit Birnen verglichen. Die Emissionen eines Kohlekraftwerks entstammen aus der Verbrennung von Millionen Jahre alter, hochkonzentrierter und festgebundener Biomasse. Diese Emissionen würden ohne den Menschen nicht in die Atmosphäre gelangen. Wälder hingegeben binden CO2 zunächst für deutlich kürzere Zeiträume und Emissionen können zum Beispiel durch politische Entscheidungen – wie die Umwandlung in Plantagen – oder Feuer unmittelbar in die Atmosphäre gelangen.“
„Ein weiteres Problem der CO2-Kompensation durch Waldschutz entsteht durch die sogenannte Leakage. Einnahmen aus dem Verkauf freiwilliger Emissionszertifikate lösen nicht die Ursachen von Entwaldung. Entwaldung erfolgt heute vor allem für die Ausweitung von agroindustriellen Flächen und – insbesondere in Kolumbien und Peru – für die Ausweitung der Weideviehhaltung. Diese Entwaldungstreiber sind unmittelbar mit unserem Wirtschaftsmodel und unseren Konsummustern verknüpft. Waldschutzprojekte des freiwilligen Kohlenstoffmarkts können durchaus zum Schutz von Wäldern beitragen, wie die Studie auch zeigt. In vielen Fällen werden Entwaldungsprozesse dann allerdings nur lokal begrenzt, während in Nachbarregionen oder Ländern zusätzlich entwaldet wird.“
Methodik
„Ich bin Humangeograph und qualitativer Sozialforscher und kann die Methodik der Studie daher nicht vollumfänglich bewerten. Ich halte den gewählten Ansatz für nachvollziehbar und gehe davon aus, dass die in den sechs Ländern beschriebenen Probleme auch in anderen tropischen Ländern, aber auch im globalen Norden auftreten. So wird auch die Effektivität einer Reihe von Projekten in den USA in Frage gestellt und Projekte werden weltweit nach dem Verra-Standard zertifiziert.“
Geringe Effektivität der Waldschutzprojekte und wie es besser gehen könnte
„Viele Projekte sind auch deswegen ineffektiv, weil sie an Standorten umgesetzt werden, an denen das Entwaldungsrisiko relativ gering ist. Dies sind Flächen, die ökonomisch unattraktiv sind, weit entfernt von Straßen liegen, in Gebirgen oder Sümpfen. Dies wird zwar grundsätzlich bei der Berechnung der möglichen Entwaldungsraten berücksichtigt, aber vermutlich nicht in ausreichendem Maße. Auditor*innen können auf Grund ihrer häufig nur sehr kurzen Aufenthalte in den Projektregionen die tatsächlichen Entwaldungsrisiken kaum bewerten und müssen sich hier auf die Dokumente der Projektentwickler verlassen. Dies gilt auch für die Bewertung der Auswirkungen von Waldschutzprojekten auf die lokale Bevölkerung. Zwei der untersuchten Projekte in Peru – die Alto Mayo Conservation Initative und Concesión para Conservación Alto Huayabamba – kenne ich durch eigene qualitative Forschung. Insbesondere Alto Mayo wurde trotz verschiedener ungelöster Landrechtskonflikte zertifiziert. Diese Konflikte können grundsätzlich auch den Projekterfolg in Frage stellen.“
„Waldschutzprojekte wären klimapolitisch vor allem dann effektiv, wenn sie auf Flächen umgesetzt würden, die tatsächlich unmittelbar vor der Entwaldung stehen, zum Beispiel in eine Plantage umgewandelt werden sollen. Hier bestehen jedoch zwei Probleme: Erstens werden Flächen zu Plantagen umgewandelt, weil es eine steigende Nachfrage beispielsweise nach Palmöl gibt. Zweitens sind die Opportunitätskosten genau deswegen auf diesen Flächen besonders hoch. Unter Opportunitätskosten versteht man die entgangenen Gewinne, die durch die Entscheidung, die Fläche unter Schutz zu stellen, entstanden sind.“
„Die vorgeschlagene Methode – der Einsatz von Kontrollflächen – kann aus meiner Sicht die Verlässlichkeit der Aussagen über zukünftige Entwaldungen erhöhen und damit Risiken etwas reduzieren. Grundsätzlich ist Waldschutz aber aus meiner Sicht vor allem dann klimapolitisch sinnvoll, wenn er nicht in Markt- und Kompensationssysteme integriert wird. Denn nur dann können Waldschutzinstrumente einen zusätzlichen Beitrag zur Minderung von Treibhausgasen leisten. Wenn Waldschutz zur Kompensation eingesetzt wird, verbleiben wir bei netto Null und dies mit den bekannten Risiken: Wälder binden CO2 nicht dauerhaft und Brände und politische Entscheidungen können jederzeit Waldschutzinitiativen gefährden.“
Vergleich mit Projekten in anderen Weltregionen und anderen Projekttypen
„Die Probleme sind aus meiner Sicht von grundsätzlicher Natur und folglich in anderen Weltregionen ähnlich. Die untersuchten Projekte wurden alle nach führenden Standards zertifiziert, diese werden zum Beispiel auch in Nordamerika genutzt.“
„Andere Formen der Kompensation wie Aufforstung und Wiedervernässung von Mooren sind aus meiner Sicht auch problembehaftet. Diese sind jedoch etwas anders gelagert. Wiederaufforstungsprojekte und Waldschutz sind insbesondere aufgrund der fehlenden Permanenz der Treibhausgasbindung im europäischen Emissionshandel nicht zugelassen. Aus politischer Sicht wurden die Risiken als zu hoch bewertet. Die Wiedervernässung von Mooren ist ein sehr komplexes, zeit- und kostenintensives Unterfangen. So können mittelfristig sicherlich Emissionen reduziert und langfristig sogar zusätzliche Treibhausgase gebunden werden. Kurzfristig kann es jedoch zu zusätzlichen Methanemissionen kommen und das mittel- und langfristige Potenzial, Emissionen zu mindern beziehungsweise Treibhausgase zu binden, kann nur durch einen generationenübergreifendenden Konsens ermöglicht werden, der dann den langfristigen Schutz von Moorflächen sicherstellt. Die Wiedervernässung von Mooren ist jedoch zum Beispiel in Deutschland politisch durchaus umkämpft.“
Vertrauenswürdige Projekte identifizieren
„Firmen sollten immer zunächst versuchen intern oder innerhalb ihrer Lieferketten fossile Emissionen zu reduzieren. Kompensation ist aus meiner Sicht immer nur dann eine Lösung, wenn es keine anderen Optionen gibt. Wenn kompensiert werden muss, zum Beispiel bei nicht vermeidbaren Flugreisen, dann sollte nicht in Waldschutz oder Wiederaufforstungsprojekte investiert werden, sondern in Projekte, die zum Beispiel in erneuerbare Energien investieren. Wenn Firmen dennoch aus Gründen der ,Corporate Social Responsibility‘ in den Schutz von Wäldern investieren wollen, dann sollte dies zusätzlich erfolgen und nicht Teil der Treibhausgas-Reduktionsstrategie von Unternehmen sein.“
Inhaberin des Lehrstuhls für Physische Geographie und Landnutzungssysteme und Direktorin des Department für Geographie, Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU), München
Relevanz der Studie und Methodik
„Die Problematik der nicht-beobachtbaren und damit potenziell subjektiven Vergleichsverläufe ist nicht neu. Was ist wirklich Tun des Menschen, und was wäre sowieso geschehen? Das ist schon lange eine Frage in der internationalen Klimapolitik. Die Autor*innen zitieren entsprechend frühere Studien zu vermiedener Entwaldung. Ähnliche Fragen nach der richtigen Referenz werden auch auf Länderebene immer wieder gestellt, da die Länder in ihren Treibhausgasinventuren sehr genau zwischen Landnutzungsaktivitäten und natürlichen Entwicklungen unterscheiden müssen. Neu, überzeugend und potenziell breiter anwendbar scheint jedoch der rigorose Test mit Kontrollflächen zu sein, der hier an etwa 30 tropischen Standorten durchgeführt wurde. Das ist zwar eine überschaubare Zahl an Fallstudien, aber es gibt keinen Grund zur Annahme, dass dies nicht grundsätzlich repräsentativ für weitere Regionen ist.“
Geringe Effektivität der Waldschutzprojekte und wie es besser gehen könnte
„Der freiwillige Markt von CO2-Zertifikaten treibt aufgrund schwacher Kontroll- und Strafmechanismen teils seltsame Blüten. Teils ist es aber einfach sehr schwierig, den Erfolg der Maßnahmen quantitativ korrekt zu erfassen. Dafür sind sowohl das Wirtschafts- und Politiksystem als auch die Entwicklung der Ökosysteme zu komplex, um sie für alle Einzelfälle in die Zukunft zu projizieren. Bewusstes ,Greenwashing‘ ist nicht zu entschuldigen, aber die Misserfolge aus den freiwilligen Projekten können auch als Chance gesehen werden, robuste Methoden der Verifikation zu entwickeln. Dies ist unerlässlich, wenn wir die richtigen Anreizmechanismen für ein Hochskalieren solcher Maßnahmen setzen wollen. Die Vorschläge der Autor*innen der vorliegenden Studie sehe ich hier als zielführend an.“
Vergleich mit Projekten in anderen Weltregionen und anderen Projekttypen
„Ein statischer Vergleichsverlauf ist grundsätzlich einfacher zu handhaben. Bei der Wiedervernässung von Mooren ist das Beibehalten eines langjährigen Status Quo als landwirtschaftliche Fläche sicherlich eine weniger strittige Annahme als eine Dynamik in die Zukunft zu projizieren, wie es bei Entwaldung geschieht.“
„Hinzu kommt, dass das Stoppen von Entwaldung und Degradierung der Wälder oft Länder im Globalen Süden betrifft, die schwache Kontrollmechanismen von Umweltschutzmaßnahmen haben – sei es aufgrund von politischen Agenden oder mangelnder Ressourcen zur Umsetzung und Überwachung. Dies hat historische Gründe: In Regionen wie Mitteleuropa wurden die Wälder seit dem Mittelalter auf großer Skala gerodet. Hier geht es vorrangig um Wiederaufforstung, nicht um das Stoppen von Entwaldung.“
„Grundsätzlich ist der Bereich der Überwachung, Berichterstattung und Verifikation von Emissionsreduktions- und CO2-Aufnahmemethoden noch mit vielen praktischen Hürden versehen.“
Grenzen der CO2-Kompensation
„Oberste Prämisse bei einer Reduktion von Emissionen muss sein, dass die Bruttoemissionen gesenkt werden, nicht nur die Nettoemissionen. Die Ökosysteme dieser Welt können nicht beliebig viele Emissionen kompensieren. Wir müssen unsere Emissionen aus den fossilen Quellen wie aus Entwaldung und Degradierung von Ökosystemen soweit wie möglich auf Null bringen. Nur der Rest kann sinnvoll – ohne massive Nebenwirkungen und sozial- wie umweltverträglich – durch CO2-Aufnahme kompensiert werden. Hier sind alle Akteure – Politik, Wirtschaft und Konsumenten – gefragt, den Ressourcenverbrauch zu hinterfragen und die Nutzung der Natur nachhaltig zu gestalten.“
Alle: Keine Angaben erhalten.
Primärquelle
West TAP et al. (2023): Action needed to make carbon offsets from forest conservation work for climate change mitigation. Science. DOI: 10.1126/science.ade3535.
Literaturstellen, die vom SMC zitiert wurden
[I] Fischer T et al. (18.01.2023): Grün getarnt. Zeit Online.
Dr. Hannes Böttcher
Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Bereich Energie und Klimaschutz, Öko-Institut e.V., Berlin
Prof. Dr. Michael Köhl
Professor für Weltforstwirtschaft, Institut für Holzwissenschaften, Fachbereich Biologie, Universität Hamburg
PD Dr. Sven Günter
Leiter des Arbeitsbereichs Waldwirtschaft weltweit, Institut für Waldwirtschaft, Johann Heinrich von Thünen-Institut, Bundesforschungsinstitut für Ländliche Räume, Wald und Fischerei, Hamburg
Dr. Jonas Hein
Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Forschungsprogramm Umwelt-Governance und Transformation zur Nachhaltigkeit, German Institute of Development and Sustainability (IDOS), Bonn
Prof. Dr. Julia Pongratz
Inhaberin des Lehrstuhls für Physische Geographie und Landnutzungssysteme und Direktorin des Department für Geographie, Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU), München