Hitze im Mittelmeer schädigt marine Ökosysteme
im Juli wurden im Mittelmeer höhere Temperaturen als je zuvor gemessen
anhaltende Hitze schadet etwa Korallen und Seegräsern, Forschende befürchten Massensterben im Spätsommer/Herbst
Schutzgebiete sowie weniger Verschmutzung und Fischerei können Ökosysteme hitzeresilienter machen
Die extreme Hitze im Mittelmeerraum der vergangenen Wochen schadete nicht nur Menschen und Landökosystemen, sondern auch den Meeresbewohnern. Ende Juli wurde mit 28,7 Grad Celsius die bislang höchste mittlere Oberflächentemperatur im Mittelmeer gemessen [I]. Auch wenn die mittlere Temperatur seitdem auf etwa 27 Grad abgekühlt ist, liegen die Temperaturen in einigen Bereichen des Mittelmeers noch immer zwei bis drei Grad höher als gewöhnlich um diese Jahreszeit (siehe Grafiken). Die höchsten Meerestemperaturen werden normalerweise im August erreicht.
Leiter der Arbeitsgruppe Marine Ökologie, Fachbereich Biologie/Chemie, Universität Bremen
Die aktuelle marine Hitzewelle im Mittelmeer
„In den letzten Wochen wurden an verschiedenen Standorten im Mittelmeer – vor allem im östlichen Mittelmeer – Rekordwassertemperaturen deutlich über 30 Grad Celsius gemessen. Die durchschnittliche Oberflächentemperatur des Wassers im Mittelmeer beträgt aktuell (Stand: 27. Juli 2023; Anm. d. Red.) knapp 29 Grad Celsius. Das ist der höchste jemals gemessene Wert, der deutlich um zwei bis vier Grad über die Werte der vergangenen so.Sommer hinausgeht. Nur im Hitzesommer 2003 wurde ein ähnlich hoher Mittelwert gemessen. Es steht zu befürchten, dass dieser neue Hitze-Rekord im August noch weiter ausgebaut wird, denn zumeist wird die höchste Wassertemperatur im Mittelmeer im August erreicht.“
Folgen für die Meereschemie und marine Ökosysteme
„Die hohen Wassertemperaturen haben eine ganze Reihe von gravierenden wasserchemischen Konsequenzen. Durch die hohe Verdunstung steigt der Salzgehalt des Wassers. Zusätzlich können sich in wärmer werdendem Wasser immer weniger Gase wie Sauerstoff und Kohlendioxid lösen. Das kann dazu führen, dass der Sauerstoff, der sehr wichtig für die Atmung der Meerestiere ist, knapp wird.“
„Aktuell ist vor allem das östliche Mittelmeer von extrem hohen Wassertemperaturen betroffen. Allerdings sind die Wassertemperaturen überall zu hoch. Vor allem die Meeresorganismen sind negativ betroffen, die besonders empfindlich auf hohe Wassertemperaturen, hohe Salzgehalte, und niedrige Sauerstoffkonzentrationen reagieren. Dazu gehören unter den Tieren viele Stein-, Weich-, und Hornkorallen, Muscheln, Seesterne, Seeigel, und Schwämme sowie unter den Pflanzen vor allem Seegräser. Leider sind darunter auch sogenannte wichtige Ökosystemingenieure, das heißt Organismen wie Korallen und Muscheln oder Seegräser, die Lebensräume für andere Organismen schaffen. Bei sehr hohen Wassertemperaturen, die mit ruhigem Wetter und hohen Nährstoffkonzentrationen verknüpft sind, kann es zu Massensterben von Fischen und wirbellosen Tieren kommen.“
„Viele Quallen des Mittelmeeres scheinen zudem mit den aktuellen Umweltveränderungen – das heißt hohe Temperaturen, mehr Nährstoffe im Wasser, weniger Fressfeinde – gut klarzukommen. Dadurch sind diese Nesseltiere Gewinner des Klimawandels und es kann zu Massenauftreten kommen, wenn die oberflächlichen Wasserströmungen die Tiere zusammentreiben.“
Ausbreitung invasiver Arten, die einheimischen Ökosystemen schaden
„Hier sind vor allem Algen zu nennen, die generell mit den veränderten Bedingungen im Mittelmeer sehr gut klarkommen – viel besser als die meisten Tiere und Seegräser. Einige invasive Arten, die ursprünglich aus den Tropen und Subtropen kommen, wie die Grünalge ‚Caulerpa taxifolia‘ oder der Rotfeuerfisch (,Pterois miles‘) breiten sich im westlichen beziehungsweise östlichen Mittelmeer aus und verdrängen dabei auch endemische Arten, die nur im Mittelmeer vorkommen, wie das Neptunsgras (,Posidonia oceanica‘) beziehungsweise Mittelmeer-Schleimfische.“
Zukunft der mediterranen Meeresökosysteme mit zunehmendem Klimawandel
„Sehr wahrscheinlich werden die typischen Mittelmeerlebensräume wie Seegraswiesen und Hartbodengemeinschaften mit Hornkorallen und Schwämmen immer mehr durch schnellwüchsige Algen, vor allem Grün- und Braunalgen, oder sogar Cyanobakterienmatten überwachsen werden. Darauf deutet eine unserer eigenen Studien hin [1]. Dies hätte gravierende negative Konsequenzen für die Biodiversität, also die Vielfalt an Organismen in diesen Lebensräumen. Allerdings gibt es unter den Algen glücklicherweise auch solche, vor allem Rotalgen, die als Lebensraum dienen können [2].“
„Grundsätzlich kann man die Lebensräume des Mittelmeers nicht direkt gegenüber Hitzestress schützen, aber man kann sie stärker gegen den Hitzestress machen. Dazu gehört, dass wir versuchen sollten, alle Faktoren, die die Algen im Wettbewerb mit Seegräsern und lebensraumbildenden wirbellosen Tieren wie Hornkorallen zusätzlich stärken, zu minimieren. Dazu gehört, dass der Eintrag von Nährstoffen aus Landwirtschaft, Tourismus und Küstenentwicklung reduziert wird. Außerdem muss die im Mittelmeer besonders gravierende Überfischung stark verringert werden. Wenn dies gelingt, dann können sich die typischen Mittelmeer-Lebensräume besser gegen die negativen Folgen der Meereserwärmung wehren. In erster Linie muss aber natürlich der Klimawandel bekämpft werden, denn er führt zur Meereserwärmung als das grundlegende Problem, auch für das Mittelmeer.“
Leiter der Forschungsgruppe Ecology and Resilience of Benthic Ecosystems in a Changing Ocean, Department Marine Biology and Oceanography, Institute for Marine Sciences (ICM), Spanish National Research Council (CSIC), Spanien
Die aktuelle marine Hitzewelle im Mittelmeer
„Wir beobachten eine Zunahme der Häufigkeit, Ausdehnung und Intensität mariner Hitzewellen im Mittelmeerraum. Vor 25 Jahren waren marine Hitzewellen Ausnahmen, jetzt werden sie zur Normalität. In den vergangenen Jahren haben wir fast jedes Jahr Hitzewellen in Teilen des Mittelmeers erlebt. Im Sommer 2022 hatten wir im westlichen Mittelmeer die schwerste marine Hitzewelle jemals, die alle Temperaturrekorde brach. In diesem Jahr ist die Lage noch schlimmer. Die letztjährige Hitzewelle beschränkte sich auf den westlichen Teil des Mittelmeers. In diesem Jahr begann sie im Mai und Juni auch im westlichen Teil, erstreckt sich nun aber auf das gesamte Mittelmeer. Das ist wirklich besorgniserregend, denn wir wissen, dass diese Temperaturbedingungen schwerwiegende ökologische Auswirkungen haben, wie etwa das Auftreten von Massensterben.“
Folgen für marine Ökosysteme
„Die wichtigste ökologische Auswirkung, die wir im vergangenen Jahr beobachten konnten, war das Massensterben von benthischen Arten, das heißt von Arten, die mit dem Meeresboden verbunden sind. Mindestens 50 Arten aus verschiedenen Gruppen waren betroffen – Schwämme, Korallen, Seegräser, Makroalgen, Weichtiere und andere. Kennzeichnend für ein Massensterben ist, dass es verschiedene Artengruppen betrifft – und nicht nur bestimmte, wie es bei einem Krankheitserreger der Fall wäre – und das in einem großen geografischen Ausmaß. Vergangenes Jahr waren Tausende von Kilometern Küstenlinie betroffen. Derzeit ist es noch zu früh im Sommer, um solche Massensterben zu beobachten. Normalerweise sehen wir die Folgen der hohen Temperaturen Ende August, September, Oktober und sogar November. Die Arten können der Hitze eine Zeit lang widerstehen, aber dann beginnen sie zu leiden.“
„Viele der betroffenen Arten sind habitatbildende Arten. Mit ihrem Wachstum bieten sie den Lebensraum für viele andere Arten und spielen dabei eine ähnliche Rolle wie Bäume für Landökosysteme: Viele andere Arten – wie Vögel oder Insekten im Fall von Bäumen – können nur leben, weil sie da sind. Beispiele aus dem Meer sind Gorgonien (gehören zu den Weichkorallen; Anm. d. Red.), Seegräser oder Makroalgen. Sie haben langsame Wachstumsraten und können 10, 30 oder sogar über 100 Jahre alt werden. Manche Gorgonien wachsen zum Beispiel nur einen Zentimeter oder weniger pro Jahr. In manchen Regionen finden wir Gorgonien, die einen Meter hoch – und damit 100 Jahre alt – sind. Sie haben Lebensstrategien entwickelt, bei denen die Sterblichkeitsrate sehr gering ist – etwa ein Prozent pro Jahr bei einer stabilen Umwelt. Wenn es zu einem Massensterben kommt, ist die Sterblichkeitsrate um ein Vielfaches höher und kann bis zu 80 Prozent oder mehr der Kolonien betreffen. Die betroffenen Arten sind nicht an eine so hohe Sterblichkeitsrate angepasst und haben eine sehr geringe Erholungsfähigkeit. Außerdem werden sie, selbst wenn sie sich zu erholen beginnen, von neuen marinen Hitzewellen getroffen. Daher befinden sich viele Gorgonien-Populationen auf dem Weg zum Zusammenbruch. Bei einigen Arten haben wir in einigen Mittelmeerregionen bereits ein lokales Aussterben erlebt.“
„Die Auswirkungen der Hitzewellen im Meer sind meist nahe der Meeresoberfläche bis zu einer Tiefe von 30 bis 40 Metern zu beobachten. Wir sehen jedoch, dass sich die warme Schicht in tiefere Gewässer ausdehnt und dass die Dauer der Stratifikationsperiode zunimmt: Im Sommer erwärmt sich die Meeresoberfläche und das warme Wasser bewegt sich dann bis in 30 oder 40 Meter Tiefe oder mehr, je nach Gebiet. Darunter sind die Temperaturen kühler. Das Auftreten dieser zwei Wasserkörper mit unterschiedlichen Temperaturbedingungen – warm und kalt – wird als Ozeanschichtung oder Stratifikation bezeichnet. Wir beobachten jedoch, dass die Periode dieser Schichtung – die normalerweise von Juni bis Oktober oder November dauert – jetzt früher beginnt und später endet. Wir haben also tiefere Wasserschichten, die höhere Temperaturen erreichen, und daher wird der Tiefenbereich, der von Massensterben betroffen ist, in Zukunft voraussichtlich zunehmen.“
Ausbreitung invasiver Arten, die einheimischen Ökosystemen schaden
„Mit den steigenden Temperaturen verändert sich auch die Verteilung der Arten. Eingeführte Arten gelangen durch den Suezkanal und finden im überhitzten Mittelmeerraum gute Bedingungen vor. Einige von ihnen wurden zu invasiven Arten. Der Kaninchenfisch (,Siganus') zum Beispiel ernährt sich im östlichen Mittelmeer von Makroalgen und transformiert damit die Meereslandschaften und Ökosysteme. Wo es früher dichte Algenwälder gab, haben wir jetzt Unterwasserwüsten. Das hat zur Folge, dass die Arten, die normalerweise in den Algenwäldern leben – und die Arten, die sich von diesen ernährt haben – dort nicht mehr leben können.“
Auswirkungen auf den Menschen
„Die Erwärmung des Mittelmeers wirkt sich in vielerlei Hinsicht auf menschliche Aktivitäten aus. Die Fischer fangen nicht mehr die Arten, die sie früher gefangen haben, sondern invasive Arten, die sie nicht verkaufen können, weil die Menschen nicht gewohnt sind, sie zu essen.Kaninchenfische und Rotfeuerfische sind essbar, aber andere invasive Fische sind es nicht – oder sogar giftig, wie die Kugelfische. Auch die Tourismusbranche ist betroffen: Es gibt Mikroalgen, die bei hohen Temperaturen blühen und Giftstoffe in die Atmosphäre freisetzen können, was in einigen Fällen dazu führte, dass Strände geschlossen wurden. Menschen, die zum Tauchen kommen, um schöne Meereslandschaften voller Gorgonien zu sehen, könnten enttäuscht werden, da die Meereslandschaften nicht mehr so schön sind wie früher. Es gibt also auch utilitaristische Gründe, warum wir die biologische Vielfalt der Meere in einem guten Zustand erhalten müssen.“
Zukunft der mediterranen Meeresökosysteme mit zunehmendem Klimawandel
„Wir beobachten einen Prozess der Simplifizierung der marinen Ökosysteme. Das ist so, als würde man einen Urwald mit jahrhundertealten Bäumen mit einer Wiese vergleichen. Genau das passiert im Meer: Wir hatten sehr komplexe Ökosysteme, die eine hohe Artenvielfalt beherbergten, und jetzt verlieren wir sie, zumindest in den flachen Gewässern. Die tiefen Gewässer sind derzeit nicht stark vom Klimawandel betroffen – wohl aber von anderen Einflüssen wie Überfischung, Schleppnetzfischerei, Ankern und Verschmutzung.“
„Wir befinden uns jedoch an einem guten Zeitpunkt. Wir haben internationale Abkommen – den Europäischen Green Deal, das Pariser Abkommen und das UN-Übereinkommen über die biologische Vielfalt – die in die richtige Richtung weisen. Die Herausforderung besteht nun darin, diese in die Praxis umzusetzen. Vor allem das Ziel, bis 2030 30 Prozent der Ozeane zu schützen, ist sehr wichtig. Im Mittelmeer sind nur etwa acht Prozent der Fläche geschützt und wir haben nur sieben Jahre Zeit, um 30 Prozent zu erreichen. Außerdem reicht es nicht aus, ein Schutzgebiet auszuweisen, sondern es muss auch richtig verwaltet werden. Ein gutes Management fehlt in vielen Schutzgebieten. Vor allem müssen wir die Zahl der streng geschützten Gebiete erhöhen, in denen man weder fischen, noch tauchen, noch mit dem Boot fahren darf.“
„Obwohl Meeresschutzgebiete das Wasser nicht kühler machen können, sehen wir, dass sich streng geschützte Gebiete schneller und besser von menschlichen Störungen erholen. Doch derzeit machen diese Gebiete weniger als 0,04 Prozent der gesamten Meeresfläche aus. Gemäß dem Green Deal sollten zehn Prozent der Gebiete streng geschützt werden. Wenn wir die Meeresschutzgebiete vergrößern und ihr Management effektiver gestalten, haben wir die Chance, einen Teil der Auswirkungen des Klimawandels auf die Meeresumwelt abzumildern.“
Wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Forschungsgruppe Räumliche Ökologie und Interaktionen, Abteilung Integrierte Modellierung, Leibniz-Zentrum für Marine Tropenforschung GmbH (ZMT), Bremen
Folgen für marine Ökosysteme: Seegräser
„Die meisten marinen Arten des Mittelmeers sind anfällig für die Auswirkungen der Erwärmung, aber festsitzende Arten wie Seegräser oder Algen sind besonders gefährdet. Diese haben nicht die Möglichkeit, in geeignetere Umgebungen abzuwandern, sobald ihre Wärmetoleranz überschritten ist. Diese erhöhte Anfälligkeit kann zum Verlust dieser Arten auf lokaler Ebene führen. Ein Beispiel für diese Anfälligkeit wurde bei Populationen der ikonischen Seegrasart ,Posidonia oceanica‘ – auch genannt Neptungras – beobachtet, die nach extremen marinen Hitzewellen massiv zurückgegangen sind und sich teilweise nicht erholt haben [3]. Diese Art ist für den Menschen von besonderer Bedeutung, da sie als wichtige natürliche Kohlenstoffsenke dient und mehr Kohlenstoff pro Quadratmeter speichert als Waldökosysteme, was sie zu einem der effektivsten Ökosysteme für die langfristige Kohlenstoffspeicherung macht. Neptungras ist ein großes und langsam wachsendes endemisches Seegras, das nur im Mittelmeer vorkommt und eine enge ökologische Nische hat. Daher ist es anfällig für die negativen Auswirkungen des Klimawandels.“
„Ergebnisse aus Modellierungen deuten darauf hin, dass die Populationen von Neptungras im östlichen und zentralen Mittelmeer am anfälligsten für die vorhergesagten Klimaszenarien sind, da in diesen Regionen die höchsten Temperaturen herrschen. Darüber hinaus ist zu erwarten, dass Hitzewellen die negativen Auswirkungen der Erwärmung auf diese Populationen noch verstärken und zu einem erhöhten Risiko von Rückgängen und Lebensraumverlusten führen. Andererseits zeigen unsere Modellsimulationen, dass die westlichste Region des Mittelmeers wahrscheinlich als Zufluchtsort für diese ikonische Art dienen wird. Es ist zu erwarten, dass die Temperaturen in diesem Gebiet unter der oberen Wärmeschwelle bleiben werden, sodass Neptungras dort auch in Zukunft gedeihen kann [4].“
„Es gibt aber auch Hoffnung für die Widerstandsfähigkeit dieser charismatischen Seegrasart. Aktuelle Studien haben einige positive Mechanismen aufgezeigt, die das Überleben von Neptungras bei weiterer Erwärmung unterstützen können. So haben Forschende beispielsweise eine stärkere Entwicklung von Seegrassamen beobachtet, was auf das Potenzial für Nachwachsen und Regeneration hinweist. Darüber hinaus finden einige Studien positive Auswirkungen von Hitzewellen auf die Widerstandsfähigkeit von Seegrassetzlingen, was sie möglicherweise auf künftige Szenarien steigender Temperaturen im Mittelmeer vorbereiten könnte.“
„Im Mittelmeer wurde das Massensterben von Seegras vor allem mit den kombinierten Auswirkungen von Erwärmung und Eutrophierung (Anreicherung des Meeres mit Nährstoffen; Anm. d. Red.) in Verbindung gebracht. Diese Ereignisse treten besonders häufig in geschlossenen Systemen wie Flussmündungen und Buchten auf, die anfälliger für Nährstoffeinträge aus der Landwirtschaft sind. Beispielsweise wurde in den letzten Jahren ein Massensterben von Seegräsern im Mar Menor, dem größten Binnenmeer Europas, beobachtet [5]. Die Seegraspopulationen haben sich von solchen Vorfällen nicht erholen können.“
Ausbreitung invasiver Arten, die einheimischen Ökosystemen schaden
„Die Ausbreitung exotischer Arten wie des tropischen Seegrases ,Halophila stipulacea Ascherson‘, das im Roten Meer beheimatet ist, wurden durch die Temperaturanstiege der letzten Jahrzehnte begünstigt [6]. Diese Art ist seit 150 Jahren im Mittelmeer zu finden. Kürzlich wurde ihre derzeitig westlichste Verbreitungsgrenze im Mittelmeer im Hafen von Cannes, Frankreich, festgestellt.“
„Neue Studien zeigen, dass diese Art in der Lage ist, einheimische Seegrasarten wie ,Cymodocea nodosa‘ zu verdrängen und Gebiete zu besiedeln, die früher von einheimischen Seegräsern des Mittelmeers besetzt waren. Dies unterstreicht den bedeutenden Einfluss, den diese Art auf die Seegrasgemeinschaften in den östlichen und zentralen Gebieten des Mittelmeers hat und der mit dem fortschreitenden Klimawandel voraussichtlich noch zunehmen wird. Der Austausch von Seegrasarten kann zu einem erheblichen Verlust an Komplexität, Struktur, funktionellen Merkmalen, dem damit verbundenen Nahrungsnetz und Ökosystemleistungen führen. Unsere Simulationen zeigten jedoch auch, dass im östlichen Mittelmeerraum nur ,Halophila stipulacea‘ in der Lage ist, mit den für das Ende dieses Jahrhunderts vorhergesagten steigenden Temperaturen und Salzgehalten zurechtzukommen. Dies deutet darauf hin, dass das Vorhandensein dieser invasiven Art es Seegrasökosystemen ermöglichen könnte, in einem kleineren Teil des Mittelmeers zu überleben und weiterhin einige ihrer wesentlichen Ökosystemleistungen zu erbringen.“
Zukunft der mediterranen Meeresökosysteme mit zunehmendem Klimawandel
„Der IPCC prognostiziert einen Anstieg der Meeresoberflächentemperaturen um etwa drei bis vier Grad Celsius und des Salzgehalts um etwa 0,7 bis 1,1 PSU (,practical salinity unit‘) bis zum Ende dieses Jahrhunderts. Unsere Simulationen zeigen, dass dies die Anpassungs- und Akklimatisierungsfähigkeit bestimmter endemischer Seegrasarten, insbesondere der großen Art Neptungras, übersteigen wird. Das wird zum Verlust von Lebensräumen im größten Teil des Mittelmeerraums führen. Infolgedessen werden wahrscheinlich überall in der Region neue Lebensräume entstehen, die möglicherweise von kleineren und besser an die Erwärmung angepassten Arten wie der einheimischen ,Cymodocea nodosa‘ und der invasiven ,Halophila stipulacea‘ besiedelt werden können. Dieser Übergang von langlebigen und großen Seegrasarten zu kleinen und schnell wachsenden Arten kann zu einer ,Tropisierung‘ der Seegrasökosysteme im Mittelmeer führen [4] [6].“
Auswirkungen auf den Menschen
„Der Verlust einheimischer Seegrasökosysteme im Mittelmeerraum kann verschiedene negative Auswirkungen auf die biologische Vielfalt, die Funktionalität und die damit verbundenen Güter und Ökosystemleistungen haben. Er könnte zu einem Rückgang der Fischerei, einem weniger wirksamen Schutz der Küsten vor Stürmen und einer insgesamt geringeren Widerstandsfähigkeit gegenüber Umweltveränderungen führen. Das würde sich nicht nur auf lokale Gemeinschaften, sondern auch auf Aktivitäten in den Bereichen Ernährung, Konsum und Tourismus auswirken. Darüber hinaus kann die Rückbildung des Lebensraums des endemischen Neptungrases die Fähigkeit der künftigen mediterranen Ökosysteme, als CO2-Senke zu fungieren, erheblich beeinträchtigen. Dies würde ihre Fähigkeit einschränken, die Auswirkungen des Klimawandels abzuschwächen, was negative Folgen für die Bevölkerung weltweit hätte.“
Hitzeresilienz von Seegräsern stärken
„Aktuelle Studien haben gezeigt, dass es sich positiv auswirken kann, wenn Seegras-Setzlinge sowohl natürlichen als auch experimentellen Hitzewellen ausgesetzt werden. Dies hilft den Pflanzen, sich an die steigenden Temperaturen im Mittelmeer zu gewöhnen [7]. Eine andere Möglichkeit besteht darin, sich auf die Auswahl widerstandsfähigerer Genotypen zu konzentrieren und Anstrengungen zu unternehmen, um Regionen mit diesen Populationen zu erholen oder wiederherzustellen. Dabei ist jedoch Vorsicht geboten, da diese Praxis zu einer genetischen Kontamination benachbarter Populationen führen könnte.“
Ozeanographin am Institute of Marine Science (ISMAR), National Research Council of Italy, Italien
Die aktuelle marine Hitzewelle im Mittelmeer
„Marine Hitzewellen sind durch längere Perioden mit ungewöhnlich warmen Meerestemperaturen gekennzeichnet, die mindestens fünf aufeinanderfolgende Tage andauern. Das Mittelmeer ist für diese Hitzewellen besonders anfällig und gehört zu den am stärksten betroffenen Regionen der Welt. Einem aktuellen Bericht [8] zufolge erlebte das Mittelmeerbecken im Juli 2023 eine erhebliche Hitzewelle. Diese Hitzewelle begann im westlichen Teil des Beckens und breitete sich in der zweiten Julihälfte allmählich auf die gesamte Region aus. Am stärksten betroffen war das Alborán-Meer, das bereits seit Anfang Juli von der Hitzewelle betroffen war. Dieses Ereignis war durch zwei Spitzenwerte extremer Intensität gekennzeichnet. Der erste Peak trat in der Region zwischen Westgriechenland, Italien und Libyen auf, während der zweite Peak lokal im Nahen Osten auftrat. In diesen Gebieten wurden ungewöhnlich hohe Wasseroberflächentemperaturen von über 30 Grad gemessen, ein Wert, der weit über dem Normalbereich liegt.“
„In der letzten Juliwoche wies fast das gesamte westliche Becken Anomalien von drei Grad über den saisonalen Normen auf. Dies zeigt, wie weit verbreitet und schwerwiegend die marine Hitzewelle im Mittelmeerraum ist. Die derzeitige Hitzewelle zeigt Anzeichen einer allmählichen Abschwächung, wobei die Abkühlung im nördlichen Teil des Beckens beginnt, aber in bestimmten Regionen wie dem Alborán-Meer und über den libyschen Gewässern immer noch extreme Werte aufweist.“
„Letztes Jahr erlebte das Mittelmeer die längste marine Hitzewelle der letzten vier Jahrzehnte. Der Italian National Research Council überwacht inzwischen täglich die aktuellen Hitzewellen im Mittelmeer und vergleicht ihre Merkmale mit denen des Ereignisses von 2022.“
Trends bei Erwärmung und Hitzewellen im Mittelmeer
„Die Forschung zeigt, dass in den letzten 40 Jahren sowohl die Häufigkeit als auch die Intensität der Hitzewellen im Mittelmeer deutlich zugenommen haben [9]. Konkret sind diese Hitzewellen in diesem Zeitraum etwa viermal häufiger und zehnmal intensiver geworden. Der Hauptfaktor, der zu diesem Trend beiträgt, ist eine Verschiebung der durchschnittlichen Meeresoberflächentemperatur, die in den letzten zwei Jahrzehnten besonders ausgeprägt war. Im Mittelmeer ist seit 1982 eine Erwärmung der Meeresoberflächentemperatur um etwa 0,4 Grad pro Jahrzehnt zu verzeichnen. Es wird erwartet, dass sich dieser Trend in diesem Jahrhundert noch verstärken wird. In der Region ist auch ein eskalierender Trend bei den marinen Hitzewellen zu beobachten, und die Prognosen deuten darauf hin, dass die Intensität der marinen Hitzewellen im Rahmen künftiger Erwärmungsszenarien wahrscheinlich weiter zunehmen wird.“
„Marine Hitzewellen können entweder als Extremzustand im Vergleich zu historischen Temperaturen (,fixed baseline‘) oder im Vergleich zur ,neuen Normalität‘ steigender Temperaturen (,shifting baseline‘) definiert werden. Im ersten Fall werden Häufigkeit und Intensität weiter zunehmen, während sich im zweiten Fall die gemeldete Häufigkeit im Laufe der Zeit möglicherweise nicht so stark ändert. Die Ökosysteme sind auch bei einer ‚shifting baseline‘ einer hohen Wärmebelastung ausgesetzt, die eine Bedrohung für sie darstellen könnte. Daher ist eine klare Kommunikation darüber, welche Referenzgröße für die Definition von Hitzewellen im Meer verwendet wird, von größter Bedeutung – insbesondere angesichts der Auswirkungen des Klimawandels, die zu einer anhaltenden Erwärmung der Ozeane und einem positiven Trend der Temperaturen führen.“
Prognosen für die Zukunft
„Die Hauptursache für die Zunahme der Hitzewellen im Meer ist zweifellos der globale Klimawandel, der zu einer Erwärmung der Ozeane führt. Im Mittelmeerraum gibt es jedoch zusätzliche regionale Faktoren. Dazu gehören eine geringe Bewölkung, niedrige Windgeschwindigkeiten und geringere Meeresströmungen, die alle die Speicherung und Verstärkung der Hitze in der Region begünstigen.“
„Mit Blick auf die Zukunft hängen die prognostizierten Veränderungen von den verwendeten Treibhausgasemissionsszenarien und Klimamodellen ab. Dennoch deuten die Anzeichen auf eine weitere Eskalation des Auftretens, der Intensität und der Dauer mariner Hitzewellen im Mittelmeerraum hin. Als Reaktion auf den zunehmenden Treibhausgasantrieb werden marine Hitzewellen unter RCP4.5 und RCP8.5 ausgeprägter und intensiver (,representative concentration pathways‘, verschiedene vom IPCC verwendete Klimaszenarien, RCP8.5 ist ein pessimistischer Pfad, der davon ausgeht, dass Emissionen wie bisher weiter steigen; Anm. d. Red.). Unter RCP8.5 prognostizieren die Simulationen bis 2100 mindestens eine langanhaltende marine Hitzewelle pro Jahr. Diese Ereignisse könnten bis zu drei Monate länger andauern und etwa viermal intensiver sein als die heutigen Ereignisse. Der vorhergesagte Zeitrahmen für ihr Auftreten würde sich hauptsächlich von Juni bis Oktober erstrecken und das gesamte Mittelmeerbecken erheblich beeinträchtigen. Diese Ergebnisse unterstreichen die Dringlichkeit, Minderungsstrategien zur Reduzierung der Treibhausgasemissionen umzusetzen.“
Am stärksten betroffene Regionen und Tiefen
„Die Analyse langfristiger Zeitreihendaten hat gezeigt, dass marine Hitzewellen im westlichen Mittelmeer häufiger und intensiver auftreten, da sie dort mit einer großen positiven Wärmeflussanomalie und einer flachen Mischschicht verbunden sind [10]. Im Gegensatz dazu haben marine Hitzewellen im östlichen Becken eher eine längere Dauer, insbesondere im levantinischen Becken, wo die durchschnittliche Dauer etwa 25 Tage beträgt.“
„Marine Hitzewellen können sich auf unterschiedliche Tiefen erstrecken, wobei die durchschnittliche Tiefe im westlichen Mittelmeer mit etwa 20 Metern geringer ist als im östlichen Mittelmeer mit über 50 Metern. Im Allgemeinen beschränken sich diese Ereignisse im Sommer und Herbst aufgrund der stärkeren Schichtung eher auf die Oberflächenwasser. Im Gegensatz dazu können marine Hitzewellen im Winter und Frühjahr, wenn stärkere Mischungsprozesse im Spiel sind, tiefere Schichten erreichen.“
„Abgesehen von den marinen Hitzewellen ist es wichtig, den Trend der Meeresoberflächentemperatur zu berücksichtigen, der das gesamte Mittelmeer betrifft. Dabei gibt es bemerkenswerte regionale Unterschiede. Die Meeresoberfläche des westlichen Beckens erwärmt sich um etwa 0,36 Grad pro Jahrzehnt, während das östliche Becken eine höhere Erwärmungsrate von etwa 0,48 Grad pro Jahrzehnt aufweist [11].“
„In den letzten zwei bis drei Jahrzehnten wurde auch in den tiefen Schichten des Mittelmeers ein bemerkenswerter Erwärmungstrend beobachtet. Im Gegensatz zu den eher offensichtlichen Extremereignissen in den Oberflächenschichten ist dieser Erwärmungstrend kontinuierlicher. Marine Hitzewellen, die in der Regel durch atmosphärische Bedingungen über der Meeresoberfläche ausgelöst werden, können sich auch auf Tiefen oberhalb der permanenten Thermokline (der sprunghafte Übergang zwischen Wasserschichten verschiedener Temperatur; Anm. d. Red.) auswirken, die sich normalerweise in den ersten 20 bis 100 Metern unter der Oberfläche befindet. Die Erwärmungstendenzen, die wir in größeren Tiefen beobachtet haben, sind jedoch auf andere Prozesse zurückzuführen. Sie sind das Ergebnis einer Wärmeübertragung von den Oberflächenschichten in tiefere Regionen während der Bildung von dichtem Wasser in bestimmten Gebieten, die typischerweise im Winter auftritt.“
„Es ist wichtig festzustellen, dass die in der Tiefe beobachteten Veränderungen über die Temperaturveränderungen hinausgehen. Der Salzgehalt in den meisten Wassermassen des Mittelmeers hat ebenfalls zugenommen, was mit einem Anstieg der Nettoverdunstung in diesem Becken zusammenhängt. Außerdem ist die Konzentration an gelöstem Sauerstoff gesunken, insbesondere in den tiefsten Teilen des westlichen Beckens, was auf eine zunehmende Schichtung und geringere Belüftung zurückzuführen ist. Darüber hinaus ist die Versauerung des Tiefenwassers ein fortlaufender Prozess, auch wenn deren volles Ausmaß derzeit noch nicht ganz klar ist.“
Folgen für marine Ökosysteme und Menschen
„Marine Hitzewellen können schädliche Folgen für die marinen Ökosysteme, die biologische Vielfalt und menschliche Aktivitäten haben, die eng mit ihnen verbunden sind – zum Beispiel die Nahrungsmittelversorgung, den Tourismus und die Freizeitgestaltung. Es wurde beobachtet, dass sie Massensterben bei benthischen Organismen auslösen, also bei weniger mobilen Lebewesen, die den Meeresboden bewohnen. Darüber hinaus können sie zu Krankheitsausbrüchen führen und Verschiebungen in der Verteilung von Meerestieren wie Korallen, Seegräsern, Fischen und Mollusken bewirken. Sauerstoffmangel und eine beeinträchtigte Wasserqualität sind weitere Folgen. Außerdem können diese Ereignisse schädliche Algenblüten auslösen, die Giftstoffe produzieren können. Abgesehen von den ökologischen Auswirkungen haben marine Hitzewellen auch das Potenzial, die Produktivität der Fischerei zu verringern und die Leistung von Aquakulturanlagen zu beeinträchtigen.“
„Die Entwicklung eines effizienten Überwachungs- und Vorhersagesystems für marine Hitzewellen ist unabdingbar, um ihre weitreichenden Auswirkungen abschätzen und sich darauf einstellen zu können. Eine sinnvolle Abschwächung erfordert jedoch eine konzertierte Aktion zur Verringerung der Treibhausgasemissionen. Dies erfordert eine enge Zusammenarbeit zwischen Wissenschaftlern, politischen Entscheidungsträgern und Interessengruppen auf lokaler, nationaler und internationaler Ebene.“
„Dies wird umso wichtiger, je häufiger, länger und intensiver die Hitzewellen im Meer werden. Angesichts dieser Dringlichkeit koordiniert der Italian National Research Council (CNR) – die Institution, in der ich forsche – ein internationales Pionierprojekt, das von der Europäischen Weltraumorganisation unterstützt wird: das CAREHeat-Projekt, das darauf abzielt, neue Strategien zur Erkennung und Bewertung mariner Hitzewellen zu entwickeln, ihren Status und ihre Trends zu bewerten und ihre Auswirkungen auf marine Ökosysteme zu verstehen.“
Wissenschaftler am Instituto de Acuicultura de Torre de la Sal, Spanish National Research Council (CSIC), Spanien und Gastwissenschaftler an der Freien Universität Berlin, Fachrichtung Palöontologie, Institut für Geologische Wissenschaften
Die aktuelle marine Hitzewelle im Mittelmeer
„Das Mittelmeer leidet seit Anfang der 2000er Jahre unter Hitzewellen im Meer und dem damit verbundenen Sterben von Meeresbewohnern. Die Hitzewelle im Jahr 2003 führte zu einem weit verbreiteten Massensterben von Meeresorganismen – hauptsächlich Korallen, Gorgonien und Schwämme – im nordwestlichen Mittelmeer. Die Häufigkeit der Hitzewellen hat jedoch zugenommen, sodass jetzt fast jeden Sommer eine Hitzewelle im Meer zu verzeichnen ist – und auch mit hohen Sterblichkeitsraten. Die derzeitige Hitzewelle im Meer ist also keine Ausnahme, denn leider werden solche Anomalien zur Norm.“
Folgen für die Meereschemie
„Die Temperatur hat auch Auswirkungen auf die Chemie des Meerwassers, zum Beispiel auf die Konzentration des gelösten Sauerstoffs, der für das Leben im Meer lebenswichtig ist und bei höheren Temperaturen abnimmt. Dies hat einen synergetischen Effekt, weil höhere Temperaturen den Stoffwechsel der Meeresorganismen beschleunigen, die wiederum mehr atmen müssen, was durch die geringere Sauerstoffkonzentration im Wasser erschwert wird.“
„Sehr wichtig ist aber auch, dass sich die Erwärmung auf die Verfügbarkeit von Nährstoffen auswirkt, die für das Leben wichtig sind. Wenn sich das Wasser im Sommer erwärmt, wird der obere, wärmere Teil der Wassersäule durch ein starkes Dichtegefälle, das wie eine Barriere wirkt, vom tieferen Wasser isoliert, das reicher an Nährstoffen und Nahrung ist. Dies ist ein normales Merkmal der Sommerbedingungen im Mittelmeer. Aufgrund des Klimawandels dehnen sich diese Sommerbedingungen jedoch zeitlich aus, beginnen früher im Jahr und halten länger an, bis die Herbststürme die Wassersäule wieder durchmischen und die Nahrung in geringere Tiefen gelangen kann. Diese langanhaltenden sommerlichen Bedingungen wirken sich nachteilig auf die Organismen aus, die fest am Boden leben und nicht in kältere Gewässer flüchten können, wie etwa Korallen oder Schwämme. Da der obere Teil der Wassersäule nicht mit den tieferen, nährstoffreicheren Gewässern verbunden ist, werden die Nährstoffe und die Nahrung, die diese Organismen zum Leben brauchen, schließlich aufgebraucht.“
„Der Temperaturanstieg beschleunigt den Stoffwechsel, und diese Organismen brauchen mehr Nahrung, um diese Stoffwechselrate aufrechtzuerhalten. Da diese Nahrung irgendwann nicht mehr zur Verfügung steht – da alles, was vorher da war, gefressen wurde und die Nahrung in tieferen Gewässern nicht an die Oberfläche gelangen kann – laufen diese Organismen Gefahr, zu verhungern. Dies ist einer der Hauptgründe für das Massensterben dieser Arten im Mittelmeer.“
Folgen für marine Ökosysteme
„Die weit verbreiteten Massensterben im Mittelmeer haben sesshafte benthische Organismen betroffen, also Organismen, die am Meeresboden leben und nicht in kältere Gewässer flüchten können. Dazu gehören zum Beispiel Korallen, Gorgonien, Schwämme und Algen. Diese Massensterben wurden im gesamten Mittelmeer beobachtet, von den wärmeren Regionen im Süden und vor allem im Südosten bis zu den kälteren im Norden.“
„Das Massensterben dieser benthischen Organismen beginnt in der Regel im August und ist am Ende des Sommers im September oder Oktober deutlich zu erkennen. Daher ist es jetzt noch zu früh, um weitreichende Auswirkungen festzustellen. In Anbetracht der aktuellen Wassertemperaturen und des Anstiegs der Wassertemperaturen sowie in Anbetracht dessen, was in ähnlichen Sommern in den letzten Jahren geschehen ist, muss leider mit einem Sterben von Meeresorganismen gerechnet werden. Um das Ausmaß zu beurteilen, müssen wir jedoch bis zum Ende des Sommers warten, wenn die Sterblichkeitsraten stark ansteigen.“
„Quallenblüten wurden in den letzten Jahrzehnten auch im Mittelmeer beobachtet. Allerdings ist der eindeutige Zusammenhang zwischen Quallenblüten und Hitzewellen nicht so klar, und es scheinen auch andere Faktoren wie Überfischung und Dürren eine Rolle zu spielen.“
Ausbreitung invasiver Arten, die einheimischen Ökosystemen schaden
„Das Mittelmeer ist ein Hotspot für biologische Invasionen und beherbergt die meisten eingeschleppten Arten der Welt. Es wird geschätzt, dass etwa 1000 Arten in das Mittelmeer eingeführt wurden. Darüber hinaus hat sich die Zahl der im Mittelmeer festgestellten eingeführten Arten zwischen 1970 und 2014 mehr als verdoppelt, und in den letzten Jahren hat sich die Zahl der erfolgreichen Ansiedlungen beschleunigt. Obwohl die Einschleppung invasiver Arten nicht unbedingt mit dem Klimawandel und den steigenden Temperaturen zusammenhängt, begünstigen diese Bedingungen eindeutig viele eingeschleppte Arten, die aus wärmeren Meeren stammen.“
„Viele dieser invasiven Arten haben negative Folgen für die Ökosysteme. Kurz gesagt könnte man sagen, dass im östlichen Mittelmeer die Fische, die durch den Suezkanal aus dem Roten Meer eingeschleppt werden, die größten Auswirkungen auf die Ökosysteme haben. Im westlichen Becken stellen invasive Algenarten unterschiedlicher Herkunft das Hauptproblem dar. In beiden Fällen verändern diese invasiven Arten die einheimischen Ökosysteme und haben starke Auswirkungen auf viele einheimische Arten.“
Zukunft der mediterranen Meeresökosysteme mit zunehmendem Klimawandel
„Die Ökosysteme des Mittelmeers haben sich in den letzten Jahrzehnten bereits durch den Klimawandel verändert. So hat sich beispielsweise die Tiefenverteilung vieler festsitzender Organismen – wie Korallen und Gorgonien – bereits an vielen Orten verändert. Dort sind Populationen in flacheren Gewässern, die wärmeren Temperaturen ausgesetzt sind, verschwunden. Dies hat zum lokalen Aussterben vieler Arten geführt, vor allem dort, wo Populationen in größeren Tiefen aufgrund einer Veränderung des Meeresbodens nicht mehr existieren. Korallen und Gorgonien brauchen zum Beispiel felsigen Boden, aber vielerorts verschwindet felsiges Substrat in tieferen Gebieten und wird durch weiche Böden – Sand oder Kies – ersetzt, auf denen diese Arten nicht leben können.“
„Die mediterranen Ökosysteme verändern sich auch aufgrund der veränderten Verbreitung vieler mobiler Arten, die je nach ihrer Temperaturaffinität wandern: Einige von ihnen wandern in kältere Gewässer, während Arten, die in wärmeren Regionen leben, ihre Verbreitung infolge der Wassererwärmung ausweiten. All diese Veränderungen in den mediterranen Ökosystemen haben tiefgreifende Auswirkungen auf unsere Gesellschaft, von der Nahrungsmittelversorgung – der Fischerei – bis hin zur Freizeitgestaltung – dem Tourismus und dem Tauchen.“
„Der erste obligatorische Schritt zur Rettung der mediterranen Ökosysteme besteht natürlich darin, unser irrationales Wachstum und den Ausstoß von Treibhausgasen zu stoppen. Ohne diesen Schritt sind alle anderen Maßnahmen nutzlos. In einem Szenario mit reduzierten Emissionen gibt es jedoch Maßnahmen, die auf lokaler Ebene ergriffen werden können, um die Widerstandsfähigkeit dieser Ökosysteme zu erhöhen. Es hat sich gezeigt, dass lokale Auswirkungen die Folgen des Klimawandels für diese Ökosysteme noch verschärfen können. Daher müssen diese Auswirkungen verringert werden. Beispiele für solche Auswirkungen sind unkontrollierte Küstenentwicklung, Überfischung und Verschmutzung. Gut verwaltete und wirksame Meeresschutzgebiete sind ein hervorragendes Instrument, um die Widerstandsfähigkeit von Meeresökosystemen zu verbessern. Es hat sich gezeigt, dass beispielsweise einige Korallen im Mittelmeer über Mechanismen verfügen, die es ihnen ermöglichen, nach wärmebedingten Massensterben teilweise zu überleben und sich zu regenerieren. Leider sind ihre Erholungsraten im Vergleich zu den wärmebedingten Sterblichkeitsraten und der zunehmenden Häufigkeit von Hitzewellen im Meer viel zu langsam. Dies zeigt uns jedoch, dass die Natur über die notwendigen Mechanismen verfügt, um sich zu regenerieren und zu erholen, aber wir müssen ihr eine Pause gönnen, indem wir die Emissionen reduzieren und die Ökosysteme schützen.“
„Es ist auch sehr wichtig, die langfristige Überwachung dieser Ökosysteme fortzusetzen. Wir brauchen lange, historische Datenreihen, um die Auswirkungen des Klimawandels auf die Meeresökosysteme angemessen beurteilen zu können. Dies ist sehr wichtig, da die Beziehung zwischen der Erwärmung und den damit verbundenen Auswirkungen auf die Ökosysteme nicht immer linear und konstant ist und sich im Laufe der Zeit ändern kann. Einerseits können Kipppunkte erreicht werden, die einen plötzlichen Zusammenbruch erzwingen, andererseits können die Organismen aber auch Anpassungsreaktionen zeigen. Diese langfristigen Informationen sind unerlässlich, um wirksame Bewirtschaftungs- und Erhaltungsmaßnahmen zu ergreifen.“
„Ich habe keine Interessenkonflikte.“
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Literaturstellen, die von den Expert:innen zitiert wurden
[1] El-Khaled YC et al. (2023): Red and brown algae mats overgrow classical marine biodiversity hotspots in the Mediterranean Sea. Bulletin of Marine Science. DOI: 10.5343/bms.2022.0020.
[2] El-Khaled YC et al. (2022): Fleshy red algae mats act as temporary reservoirs for sessile invertebrate biodiversity. Communications Biology.DOI: 10.1038/s42003-022-03523-5.
[3] Marbà N et al. (2010): Mediterranean warming triggers seagrass (Posidonia oceanica) shoot mortality. Global Change Biology. DOI: 10.1111/j.1365-2486.2009.02130.x.
[4] Chefaoui RM et al. (2018): Dramatic loss of seagrass habitat under projected climate change in the Mediterranean Sea. Global Change Biology. DOI: 10.1111/gcb.14401.
[5] Ruiz-Fernández JM et al. (2017): Amenazas ambientales en el medio marino costero de la Región de Murcia: Mar Menor y Mar Mediterráneo. Centro Oceanográfico de Murcia.
[6] Beca-Carretero P et al. (2020): Projected rapid habitat expansion of tropical seagrass species in the Mediterranean Sea as climate change progresses. Frontiers in Plant Science. DOI: 10.3389/fpls.2020.555376.
[7] Stipcich P et al. (2022): Field thermo acclimation increases the resilience of ,Posidonia oceanica’ seedlings to marine heat waves. Marine Pollution Bulletin. DOI: 10.1016/j.marpolbul.2022.114230.
[8] Mercator Ocean International (31.07.2023): Marine heatwave bulletin for 31 July 2023.
[9] Martinéz J et al. (2023): Evolution of marine heatwaves in warming seas: the Mediterranean Sea case study. Frontiers in Marine Science. DOI: 10.3389/fmars.2023.1193164.
[10] Juza M et al. (2022): Sub-Regional Marine Heat Waves in the Mediterranean Sea From Observations: Long-Term Surface Changes, Sub-Surface and Coastal Responses. Frontiers in Marine Science. DOI: 10.3389/fmars.2022.785771.
[11] Pisano A et al. (2020): New Evidence of Mediterranean Climate Change and Variability from Sea Surface Temperature Observations. Remote Sensing. DOI: 10.3390/rs12010132.
Literaturstellen, die vom SMC zitiert wurden
[I] Institut Català de Recerca per a la Governança del Mar: Daily Marine Heat Waves report for the Mediterranean Sea.
Die Daten stammen von dem EU-Erdbeobachtungsprogramm Copernicus und sind hier verfügbar.
[II] Garrabou J et al. (2022): Marine heatwaves drive recurrent mass mortalities in the Mediterranean Sea. Global Change Biology. DOI: 10.1111/gcb.16301.
Prof. Dr. Christian Wild
Leiter der Arbeitsgruppe Marine Ökologie, Fachbereich Biologie/Chemie, Universität Bremen
Dr. Joaquim Garrabou
Leiter der Forschungsgruppe Ecology and Resilience of Benthic Ecosystems in a Changing Ocean, Department Marine Biology and Oceanography, Institute for Marine Sciences (ICM), Spanish National Research Council (CSIC), Spanien
Dr. Pedro Beca-Carretero
Wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Forschungsgruppe Räumliche Ökologie und Interaktionen, Abteilung Integrierte Modellierung, Leibniz-Zentrum für Marine Tropenforschung GmbH (ZMT), Bremen
Dr. Katrin Schroeder
Ozeanographin am Institute of Marine Science (ISMAR), National Research Council of Italy, Italien
Dr. Diego Kersting
Wissenschaftler am Instituto de Acuicultura de Torre de la Sal, Spanish National Research Council (CSIC), Spanien und Gastwissenschaftler an der Freien Universität Berlin, Fachrichtung Palöontologie, Institut für Geologische Wissenschaften