Erster Impfstoff gegen Viruskrankheit Chikungunya vor Zulassung
erster Impfstoff gegen Viruskrankheit Chikungunya vor Zulassung
einmalige Impfung führt laut Studie zu robuster Immunantwort
klinische Wirksamkeit sehr wahrscheinlich, aber nicht eindeutig gezeigt
Der vom französischen Pharmaunternehmen Valneva entwickelte Impfstoff „VLA1553“ gegen die Viruskrankheit Chikungunya ist einer Studie im Fachblatt „The Lancet“ zufolge hochwirksam (siehe Primärquelle). Demnach führte das Vakzin 28 Tage nach einer einzigen Impfung bei 98,9 Prozent der Studienteilnehmenden zu virus-neutralisierenden Antikörperspiegeln, die bis zu 180 Tage nach der Impfung anhielten. Es ist die erste Phase-III-Studie für einen derartigen Impfstoff. Zulassungsanträge liegen den Arzneimittelbehörden in den USA, Kanada und der EU vor. VLA1553 wäre der erste am Menschen erprobte Impfstoff gegen Chikungunya.
Direktor des Instituts für Tropenmedizin, Reisemedizin und Humanparasitologie, Universitätsklinikum Tübingen
„Der Chikungunya-Impfstoff VLA1553 von Valneva sieht dieser Studie zufolge sehr vielversprechend aus und würde die Krankheitslast in den am stärksten betroffenen Regionen sicherlich deutlich senken. Es gibt noch weitere Impfstoffkandidaten, aber VLA1553 scheint das Rennen um den ersten Impfstoff gegen Chikungunya zu machen. Man hat hier einen Lebendimpfstoff gewählt, der in der Regel sehr gute Wirksamkeiten verspricht. Das kennen wir bereits von der Gelbfieber- oder Masern-Impfung. Dadurch, dass sie den eigentlichen Erreger abgeschwächt beinhalten, bieten Lebendimpfstoffe ein großes antigenetisches Repertoire – mit dem Schönheitsfehler, dass sie nicht für Immunsupprimierte und Schwangere geeignet sind.“
„Die Studie hat aber zwei zentrale Probleme. Erstens: Antikörperspiegel als Surrogatmarker nach der Impfung sind relativ willkürlich gewählt (messbare biologische Substanz, die als Ersatzmaß für einen bestimmten klinischen Zustand dient; Anm. d. Red.). Das ist aber nicht unüblich. Doch letztlich sagen die knapp 99 Prozent Seropositiven nichts über wirklichen Schutz aus. Es bedeutet nur, dass in 99 Prozent der Fälle die vorher definierten Antikörperspiegel erreicht wurden. Damit hat man noch nicht automatisch den Ausbruch der Krankheit verhindert. Allerdings wird es schon passen. Von früheren Studien dieser Art wissen wir, dass hohe neutralisierende Antikörperkonzentrationen bei Virusinfektionen auch mit einer Verhinderung der Krankheit korrelieren. Aber es ist schon etwas anderes im Vergleich zu einer doppelt-verblindeten Studie mit Placebogruppe, wo geprüft wird, ob es zu einer Infektion kommt oder die Krankheit nach der Impfung ausbricht beziehungsweise wie stark. Ein zweiter Kritikpunkt, den die Autoren auch selbst benennen: Man hat nicht diejenigen angeschaut, die man hauptsächlich schützen möchte. Die Studie wurde nicht in den Regionen durchgeführt, in denen das Virus endemisch ist, sondern in den USA. Das heißt, man weiß nicht so viel über die Immunreaktion nach Impfung, wenn der Geimpfte zum Beispiel schon einmal Chikungunya hatte, also längst schon Antikörper entwickelt hat. Hilft die Impfung dann auch noch so gut wie versprochen? Das muss man prüfen. Letzten Endes ist es so strenggenommen erstmal ,nur‘ eine Reiseimpfung.“
„Bislang war der Druck für die Impfstoffhersteller im Falle von Chikungunya nicht so hoch. Es ist keine Krankheit wie Tuberkulose oder Malaria mit hoher Sterblichkeit. Doch Chikungunya gewinnt durch klimatische Veränderungen zunehmend an Bedeutung. Die Asiatische Tigermücke, die das Virus überträgt, breitet sich immer weiter aus. In Südeuropa ist diese Mückenart bereits heimisch, in Deutschland findet man sie auch immer häufiger. Chikungunya ist zwar in den allerwenigsten Fällen tödlich, doch die Krankheit ist nicht angenehm. Man kann zwei Wochen ordentlich krank sein. Dazu gesellt sich in schweren Fällen eine sehr schmerzhafte Arthritis, die wochenlang andauern kann.“
Bereichsleiter Tropenmedizin, Klinik für Gastroenterologie, Hepatologie und Infektiologie, Universitätsklinikum Düsseldorf
„Die Impfung zeigte in den bisherigen Studien eine sehr gute Wirksamkeit. Nach einer Impfung lässt sich bei fast allen geimpften Personen nach vier Wochen eine schützende Immunantwort nachweisen. Diese Aussagen beruhen allerdings auf der Induktion von neutralisierenden Antikörpern als indirektem Parameter für die klinische Wirksamkeit, also dem Schutz vor einer Infektion. Ein wichtiges Ergebnis ist, dass auch bei älteren Geimpften eine gute Immunreaktion hervorgerufen wird, da bei diesen ein höheres Risiko für schwere Verläufe besteht.“
„Die jetzt veröffentlichten Daten zeigen, dass die Antikörper auch noch nach sechs Monaten in hoher Konzentration nachweisbar sind. Es gibt aber bereits noch nicht in der Fachliteratur veröffentlichte Daten, die zeigen, dass die die Immunantwort auch über ein Jahr stabil bleibt. Studien zum Verlauf über mehrere Jahre sind im Gange und wichtig für die Einschätzung der Langzeit-Wirkung.“
„Die Impfung wurde – auch von älteren Patienten – gut vertragen. Es traten nur wenige relevante Nebenwirkungen auf. Die Verträglichkeit ist damit vergleichbar mit anderen Lebendimpfstoffen. Obwohl einige Tausend Personen geimpft wurden, ist die Überwachung der Sicherheit auch nach einer möglichen Zulassung wichtig, um genauere Informationen auch über seltenere Nebenwirkungen zu erhalten.“
„Der Lebendimpfstoff enthält genetisch veränderte Viren, die sich nach der Impfung begrenzt im Körper vermehren, ohne dabei die Erkrankung hervorzurufen. Lebendimpfungen rufen typischerweise eine gute und lange (zum Teil lebenslang) anhaltende Immunantwort hervor. Sie haben aber den Nachteil, dass sie für wichtige Patientengruppen aufgrund eines erhöhten Risikos von Komplikationen nicht infrage kommen. Dazu gehören Patienten mit geschwächtem Immunsystem und Schwangere, die in dieser Studie nicht eingeschlossen waren, wie auch Kinder und Jugendliche sowie Personen, die in endemischen Regionen leben und die Infektion bereits durchgemacht haben.“
Professorin für neu auftretende Infektionskrankheiten, London School of Hygiene and Tropical Medicine (LSHTM), Vereinigtes Königreich, und Professorin am Heidelberger Institut für Global Health, Universitätsklinikum Heidelberg, Vereinigtes Königreich
„Bei einigen Infektionskrankheiten wie Chikungunya sind klinische Wirksamkeitsstudien nicht durchführbar, entweder aufgrund der geringen Inzidenz oder der Unvorhersehbarkeit von Ausbrüchen, bei denen es zu einer hohen Inzidenz kommen kann. Daher hat Valneva in enger Abstimmung mit der FDA beschlossen, eine Phase-III-Studie durchzuführen, bei der Immunogenitätsendpunkte als Ersatz für klinische Endpunkte verwendet werden. In dieser Studie an mehreren Standorten in einem nicht endemischen Land wurden 4128 erwachsene Teilnehmer in einer placebokontrollierten Doppelblindstudie untersucht. Primärer Endpunkt war der Anteil der Teilnehmer, die zu Beginn der Studie negativ waren und 28 Tage nach der Impfung seroprotektive Chikungunya-Virus-Antikörperspiegel über einem vorher festgelegten Schwellenwert entwickelten.“
„Der Impfstoff war gut verträglich. Ein außerordentlich hoher Anteil von 98,8 Prozent der Teilnehmer erfüllte die Definition des primären Endpunkts, das heißt, sie entwickelten seroprotektive Titer. Die starke Immunreaktion nach einer einzigen Dosis ist ermutigend. Die FDA könnte ein Immunkorrelat (messbare Antikörperkonzentration als Indikator für eine erfolgreiche Immunisierung; Anm. d. Red.) für eine beschleunigte Zulassung in Betracht ziehen. Eine solche Zulassung wird aber von Studien zur Wirksamkeit des Impfstoffs nach der Zulassung abhängig sein, die während eines Ausbruchs oder in einer endemischen Situation durchgeführt werden müssen. Zur Untermauerung der vielversprechenden Immunogenitätsergebnisse müssen noch klinische Daten erhoben werden.“
Alle: Keine Angaben erhalten.
Primärquelle
Schneider M et al. (2023): Safety and immunogenicity of a single-shot live-attenuated chikungunya vaccine: a double-blind, multicentre, randomised, placebo-controlled, phase 3 trial. The Lancet.
Literaturstellen, die vom SMC zitiert wurden
[I] Puntasecca CJ et al. (2021): Measuring the global burden of chikungunya and Zika viruses: A systematic review. Plos Neglected Tropical Diseases. DOI: 10.1371/journal.pntd.0009055.
Prof. Dr. Peter Kremsner
Direktor des Instituts für Tropenmedizin, Reisemedizin und Humanparasitologie, Universitätsklinikum Tübingen
PD Dr. Torsten Feldt
Bereichsleiter Tropenmedizin, Klinik für Gastroenterologie, Hepatologie und Infektiologie, Universitätsklinikum Düsseldorf
Prof. Dr. Annelies Wilder-Smith
Professorin für neu auftretende Infektionskrankheiten, London School of Hygiene and Tropical Medicine (LSHTM), Vereinigtes Königreich, und Professorin am Heidelberger Institut für Global Health, Universitätsklinikum Heidelberg, Vereinigtes Königreich