Verhütung durch Hemmung eines Kaliumkanals bei Spermien
neuer Wirkstoff hemmt für Befruchtung essenziellen Ionenkanal in Spermien
Substanz könnte als nebenwirkungsarmes Verhütungsmittel infrage kommen
die Sicherheit und die Anwendungsform müssen noch untersucht werden
Das gezielte Hemmen eines Ionenkanals in menschlichen Spermien könnte als Verhütungsmethode verwendet werden. Dieses Ergebnis stellen Forschende aus den USA und Belgien in einer Studie vor, die am 16.01.2023 im Fachjournal „PNAS“ veröffentlicht wurde (siehe Primärquelle).
Arbeitsgruppenleiter am BioMedizinischen Centrum München (BMC), Lehrstuhl Zellbiologie (Anatomie III), Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU), München
„Die Arbeit beschreibt, wie in einem Screening-Verfahren eine chemische Substanz (VU0546110) identifiziert wurde, die in der Lage ist, selektiv einen Kalium-Ionenkanal (SLO3) zu hemmen. Die Rolle dieses Kanals für menschliche Spermien war nicht genau bekannt und aus Studien an der Maus nicht ableitbar.“
„Die Ergebnisse der Untersuchungen dieser Arbeit mit der Substanz VU0546110 legen nahe, dass SLO3 für Hyperpolarisierung, Hyperaktivierung und Akrosomenreaktion (Teilschritt der Zeugung, der es dem Spermium ermöglicht, zur Plasmamembran der Eizelle vorzudringen; Anm. d. Red.) der menschlichen Spermien essenziell ist. Diese Vorgänge sind wiederum Voraussetzungen dafür, dass Spermien eine Eizelle befruchten können. Dieser letzte Punkt ist in der Arbeit zwar nicht gezeigt aber trotzdem liefern die Ergebnisse dieser fundierten Arbeit neue und wichtige Erkenntnisse zur Funktion und Regulation von menschlichen Spermien. Sie haben potenziell auch translationale Bedeutung.“
„Die Laboruntersuchungen sind aufwändig und sie wurden an relativ wenigen humanen Spermien durchgeführt, wie ich der Arbeit entnehme. Falls sie sich bestätigen lassen, haben die Ergebnisse der Studie Bedeutung für die Diagnostik der männlichen Infertilität: Mutationen des Kanals, die dessen Funktion beeinträchtigen, könnten ein Grund für bislang nicht erklärbare Fälle von männlicher Infertilität ein.“
„Darüber hinaus schlagen die Verfasser der Arbeit VU0546110 als ein Verhütungsmittel der Zukunft vor. Diese Möglichkeit sehe ich grundsätzlich auch, das Potenzial dafür ist klar vorhanden. Allerdings ist es vom eindeutigen Laborergebnis bis zur praktischen Umsetzung ein weiter und unvorhersehbarer Weg.“
„Es müssen weitere Untersuchungen folgen, die aufgrund der human-spezifischen Situation nicht einfach sind. Die Ergebnisse müssen durch eine größere Fallzahl abgesichert und ausgebaut werden. Dann gilt es vor allem die grundsätzliche Verträglich der Substanz (deren chemische Natur hier nicht näher beschrieben ist) zu testen. Aufgrund der beschriebenen Ergebnisse kann ich mir vorstellen, dass ein auf VU0546110 basierendes Verhütungsmittel primär vaginal zum Beispiel als Verhütungsgel/ -creme angewendet werden könnte. Die praktische Umsetzung – zum Beispiel die Anwendung allein oder in Kombination mit existieren Verhütungsgelen oder anderen Barrieremethoden – muss gründlich erprobt und potenzielle Nebenwirkungen, die sich daraus ergeben, müssen erfasst werden. Ob es weitere praktikable Möglichkeiten gibt, VU0546110 zum Beispiel beim Mann einzusetzen, bleibt offen. Dies erscheint mir aber eher als unwahrscheinlich. Entscheidend dann ist natürlich die Frage nach der Verhütungssicherheit, also Verlässlichkeit einer derartigen Methode.“
„Es ist also noch ein weiter Weg, der sich aber lohnen könnte. Es besteht Bedarf an neuen nicht- oder wenig invasiven und reversiblen kontrazeptiven Methoden, die möglichst wenig in die Physiologie von Frau und Mann eingreifen. Spermien und deren Funktion sind ein idealer Angriffspunkt. Die Ergebnisse der Studie sind also eine wichtige Grundlage für die Entwicklung derartiger Methoden.“
Leiter der Arbeitsgruppe Molekulare Reproduktionsphysiologie am Centrum für Reproduktionsmedizin und Andrologie, Universitätsklinikum Münster
„Die Studie von Forschenden um Professorin Celia Santi aus den USA stellt einen wichtigen Entwicklungsschritt hin zu neuen Verhütungsmitteln dar, die nicht auf der Wirkung von Hormonen beruhen. Professorin Santi und ihr Team haben einen Wirkstoff, VU0546110, entdeckt und charakterisiert, der den sogenannten SLO3-Ionenkanal in Spermien inhibiert.“
„Wir haben gemeinsam mit Professor Benjamin Kaupp von der Universität Bonn bereits vor knapp zehn Jahren den SLO3-Kanal erstmals in menschlichen Spermien nachgewiesen und charakterisiert [1]. Studien unter anderem auch von der Santi-Gruppe an SLO3-Kanälen in Mäusen sowie kürzlich auch an Männern mit SLO3-Gendefekten haben gezeigt, dass SLO3 entscheidende Spermienfunktion wie zum Beispiel das Schwimmverhalten steuert und daher essenziell für die männliche Zeugungsfähigkeit ist.“
„Die aktuelle sorgfältige und überzeugende Studie der Santi-Gruppe zeigt nun, dass der neu entdeckte SLO3-Inhibitor VU0546110 eben auch diese essenziellen Spermienfunktionen in vitro signifikant beeinträchtigt. Dadurch könnte der Wirkstoff verhindern, dass die Spermien zur Eizelle gelangen und diese befruchten. Dieses Ergebnis macht SLO3 zu einem attraktiven Zielprotein für neue Verhütungsmittel: hochselektive SLO3-Inhibitoren sollten im Idealfall nämlich nur Spermien und die Zeugungsfähigkeit beinträchtigen, aber fast keine Nebenwirkungen haben. Der SLO3-Kanal ist ausschließlich in Spermien und sonst keiner anderen Körperzelle zu finden.“
„Der Weg zu einem SLO3-basierten Verhütungsmittel ist aber noch sehr lang und ungewiss. Es sind noch viele Studien notwendig, zunächst vor allem in Tiermodellen wie zum Beispiel Mäusen, um nachzuweisen, ob tatsächlich und wenn ja, wie effizient, ein SLO3-Inhibitor denn in vivo die Befruchtung verhindert. Darüber hinaus muss untersucht werden, ob denn der Mann oder nicht eher die Frau einen SLO3-Inhibitor zur Verhütung einnehmen müsste. Denn der SLO3-Kanal und die Spermien müssen ja nicht im männlichen, sondern erst im weiblichen Körper ihre Funktion erfüllen. Eines scheint also sicher: man wird in Zukunft von weiteren spannenden Ergebnissen in dieser Frage hören.“
Direktor des Centrums für Reproduktionsmedizin und Andrologie, Universitätsklinikum Münster
„Die Fusion von Ei- und Samenzelle ist elementarer Bestandteil der Befruchtung. Die Vorgänge, die es einem menschlichen Spermium erlauben, in die Eizelle einzudringen, werden immer besser verstanden. In diesem Artikel wird die Bedeutung eines Kaliumum-Kanals bestätigt, dessen Funktion für eine erfolgreiche Befruchtung unerlässlich ist.“
„Damit besteht eine Chance, neue membranständige Angriffspunkte für die männliche Kontrazeption zu finden. Da Spermien sehr einfach gebaut sind und in ihren Membranen nur wenige Kanäle auftreten, die zudem oft spermienspezifisch sind, erscheint es möglich, hier hochselektive Substanzen zu finden, die eine Befruchtung verhindern können, aber sonst keine oder nur sehr geringe zelluläre Nebenwirkungen haben.“
„Nach Beschreibung der Bedeutung des Kaliumkanals SLO3 in den vergangenen Jahren ist es in dieser Arbeit erstmals gelungen, einen spezifischen Inhibitor zum Blockieren dieses Kaliumkanals zu entwickeln und zu testen. Es konnte gezeigt werden, dass damit in humanen Spermien eine Befruchtung verhindert werden kann. Damit besteht eine realistische Chance zur Entwicklung neuer kontrazeptiver Ansätze.“
„Ich möchte festhalten, dass kein Interessenkonflikt besteht.“
Alle anderen: Keine Angaben erhalten.
Primärquelle
Lyon M et al. (2023): A selective inhibitor of the sperm-specific potassium channel SLO3 impairs human sperm function. PNAS. DOI: 10.1073/pnas.2212338120.
Literaturstellen, die von den Expert:innen zitiert wurden
[1] Brenker C et al. (2014): The Ca2+-activated K+ current of human sperm is mediated by Slo3. eLife. DOI: 10.7554/eLife.01438.
Prof. Dr. Artur Mayerhofer
Arbeitsgruppenleiter am BioMedizinischen Centrum München (BMC), Lehrstuhl Zellbiologie (Anatomie III), Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU), München
Prof. Dr. Timo Strünker
Leiter der Arbeitsgruppe Molekulare Reproduktionsphysiologie am Centrum für Reproduktionsmedizin und Andrologie, Universitätsklinikum Münster
Prof. Dr. Stefan Schlatt
Direktor des Centrums für Reproduktionsmedizin und Andrologie, Universitätsklinikum Münster