Gasspeicher-Report (29.06.2022)
Dieser monatliche Report des Science Media Centers (SMC) fasst die aktuelle Füllstände der Gasspeicher in Deutschland und Europa zusammen. In verschiedenen Szenarien auf Basis historischer und aktueller Füllmengen zeigen wir dabei auf einen Blick, ob die Betreiber derzeit auf dem Weg sind, die gesetzlichen Vorgaben für die Füllstände am 1. Oktober (80 Prozent) und 1. November (90 Prozent) zu erreichen.
Im Gasspeicher Report finden Sie wichtige Kennzahlen zur Füllung der Gasspeicher in Deutschland und Europa und rasche Orientierung darüber, ob die vorgegebenen Ziele der Bundesregierung erreicht werden, sowie eine kurze Einordnung der Zahlen und ihrer Entwicklung – auch vor dem Hintergrund, dass die Gasspeicher in Deutschland im Zweifelsfall für die Gasversorgung in ganz Europa wichtig sind. So können Sie mit einem Blick möglichst schnell erfassen, welche Gas-Versorgungslage im kommenden Winter zu erwarten ist.
Wie weiter unten im Abschnit Datengrundlage erwähnt, müssen Speicherstände immer wieder durch Gas Infrastructure Europe (GIE) geschätzt werden. Dadurch können sich zum Beispiel die Gasspeicherstände für Deutschland auch nachträglich um mehrere Zehntel Prozentpunkte verändern, beim aktuellen Wachstum wurden durch Korrekturen verursachte Sprünge von 0,1 Prozentpunkten beobachtet. Diese vermeintlich kleinen Änderungen können in den Szenarien insbesondere für die Speicherstandsprojektionen im Herbst deutliche Unterschiede bedeuten. Das SMC betrachtet deswegen nicht nur die Momentaufnahme eines Tages, sondern beobachtet die Entwicklung der Szenarien über längere Zeiträume, um die Situation besser einschätzen zu können.
Mit der Ausrufung der Alarmstufe des Notfallplans Gas hat die Bundesnetzagantur Modellrechnungen zu sieben Szenarien veröffentlicht. Für die verschiedenen Szenarien werden drei verschiedene Parameter betrachtet:
Wichtig bei allen Szenarien ist, dass hier von durchschnittlichen Werten ausgegangen wird. Ein härterer Winter würde den Gasverbrauch erhöhen, sodass es nicht klug ist, Sparmaßnahmen so auszurichten, dass die Speicher gerade eben nicht leer laufen. Die nachfolgenden Berechnungen sollen nur verdeutlichen, mit welchen Entwicklungen wir uns in relevantem Maße von den Szenarien der Bundesnetzagentur entfernen.
Während bei den Szenarien mit reduziertem Gasexport in das europäische Ausland keine Gasmangellage prognostiziert wird, tritt diese in den Szenarien ohne Exportreduktion in unterschiedlichem Ausmaß auf. Unter der Annahme, dass über Nord Stream 1 auch nach dem Wartungsfenster im Juli 40 Prozent der Kapazität zur Gaslieferung genutzt wird, könnte eine Gasmangellage durch die als dritten Parameter beschriebenen Einsparungen und den Einsatz der LNG-Terminals vermieden werden. In den Szenarien, in denen nach dem Wartungsfenster kein Gas über Nord Stream 1 mehr geliefert wird, können auch die beschriebenen Zusatzmaßnahmen die Lücke nicht vollständig schließen.
Hier lohnt sich allerings ein genauerer Blick auf die Szenarien. Im zuletzt erwähnten Szenario (kein Gas über Nord Stream 1, keine Exportreduktion, aber zusätzliche Einsparungen im Verbrauch und LNG-Terminals) fehlen laut Bundesnetzagentur im kommenden Winter 44 TWh. Das entspricht rund 20 Prozent der Kapazität unserer Gasspeicher. Würden wir die Speicher also um 20 Prozentpunkte mehr füllen, als in dem Szenario vorgesehen, könnte auch hier rechnerisch eine Gasmangellage abgewendet werden. Laut Bundesnetzagentur werden die Gasspeicher in diesem Szenario nur zu etwa 60 Prozent gefüllt, bevor die Speicherstände durch den Gasbedarf schon im September wieder sinken. Bei einem Füllstand von 80 Prozent würde in diesem Szenario keine Gasmangellage entstehen.
Der aktuelle Füllstand der deutschen Gasspeicher beträgt etwa 60 Prozent. Der tägliche Zuwachs schwankt zwar, ist aber im Juni auf konstantem Niveau geblieben, wie die untenstehende Grafik zeigt. Mit dem aktuellen Zuwachs könnten die Gasspeicher zu Beginn der angekündigten Lieferunterbrechung am 11. Juli zu etwa 66 Prozent gefüllt sein. Dies ist noch deutlich entfernt von den benötigten 80 Prozent, liegt aber schon höher als in den Szenarien mit Gasmangelprognose angenommen. Weitere Anstrengungen wären notwendig, um sicher durch den Winter zu kommen.
Die Bundesnetzagentur weist in ihrem Lagebericht vom 28.06.2022, dass durch die Weiterleitungen aus Deutschland auch Frankreich, Österreich und Tschechien von den reduzierten Gaslieferungen von Nord Stream 1 betroffen sind. Auch wenn der aktuelle Trend der drei Länder am aktuellen Rand unterschiedlich verläuft, verzeichnet kein Land einen starken Rückgang der Einspeicherungen. Am deutlichsten ist der Rückgang noch in Österreich, in Frankreich sind die Mengen, die neu eingespeichert werden, zuletzt sogar gestiegen.
Wie die Szenarien der Bundesnetzagentur verdeutlichen, hängt eine Vorhersage der Entwicklung der Speicherstände von vielen teils unvorhersehbaren Ereignissen ab, wie zum Beispiel der Höhe der Gaslieferung aus Russland. Die folgenden Szenarien beziehen sich dementsprechend ausschließlich auf die aktuelle Entwicklung. Veränderungen durch steigende Gasexporte oder sinkende Importe aus Russland, sowie das angekündigte Wartungsfenster für Nord Stream 1 werden nicht berücksichtigt. Aktuell steigt der Speicherstand der deutschen Speicher noch deutlich. Würde sich dies in dieser Form fortsetzen, ist das Erreichen eines Füllstands von 90 Prozent am 01. November möglich.
Voraussetzung für alle Szenarien ist, dass wie bisher genügend Erdgas geliefert wird, um bei laufender Industrieproduktion auch die Speicher wie in der Vergangenheit füllen zu können.
Sie können sich den Füllgrad in Prozent zu einem bestimmten Tag anzeigen lassen, wenn Sie mit der Maus über der entsprechenden Linie hovern.
Deutschlands größter Gasspeicher befindet sich in Rehden. Er allein nimmt rund 20 Prozent der Gasmenge auf, die in ganz Deutschland gespeichert werden kann. Das sind rund 4 Prozent der Gasspeicherkapazität ganz Europas. Inwieweit es gelingt, diesen Speicher bis zum Spätherbst so weit wie möglich zu füllen, ist entscheidend für die Gasversorgungslage im Winter, denn rund 35 Prozent der leeren Speicherkapazität in Deutschland fällt auf diesen Speicher. Speicher können allerdings nicht beliebig schnell gefüllt werden. Rehden kann aktuell pro Tag maximal 0.36192 TWh Gas aufnehmen. Es war daher angesichts des sehr niedrigen Füllstandes im Mai wichtig, bis spätestens zum Ende Juni damit zu beginnen, diesen Speicher mit der Maximalrate zu füllen, damit er bis Anfang November die vorgesehenen 90 Prozent erreichen kann. Die tägliche Aufnahmenenge kann etwas schwanken. Für die Szenarien wird immer der aktuelle Wert verwendet.
Die Situation hat sich seit Kurzem offenbar leicht entspannt: Seit dem 3. Juni fließen nennenswerte Mengen Erdgas in den Speicher. Die folgende Grafik zeigt nun neben dem Verlauf des Füllstands bis zum 11. Juni drei verschiedene Szenarien für die Entwicklung:
Die Geschwindigkeit, mit der der Gasspeicher in Rehden befüllt wird, hat zuletzt noch zugenommen.
Zum Vergleich die Speicherstände von Deutschland in den vergangenen zehn Jahren. Aktuell sind die Speicher in Deutschland zu mehr als 50 Prozent gefüllt. Der Füllstand um diese Jahreszeit lag in der Vergangenheit auf sehr unterschiedlichem Niveau, abhängig davon wie tief die Speicherstände im Winter gefallen sind. Im Vergleich zu den Jahren mit tiefem Speicherstand (2013, 2015, 2017, 2018 und 2021) sind die Speicher aktuell gut gefüllt. Das ist eine gute Entwicklung, ob es so weitergeht, werden die kommenden Monate zeigen.
Sie können sich wiederum den Füllgrad in Prozent zu einem bestimmten Tag anzeigen lassen, wenn Sie mit der Maus über der entsprechenden Linie hovern. Zur besseren Übersichtlichkeit können Sie die Kurven einzelner Jahre ausblenden, wenn sie auf die farbige Linie in der Legende klicken.
Nicht nur in Deutschland, sondern auch in den Ländern der EU, in der Ukraine und im Vereinigten Königreich füllen sich die Speicher, oder sind bereits gut gefüllt.
Die Speicherstände der Gasspeicher entstammen dem Aggregated Gas Storage Inventory. Die Daten werden zwei Tage verzögert publiziert. Der aktuellste Wert ist also der Speicherstand für Vorgestern. Nicht alle Speicher melden an allen Tagen Daten. Nicht gemeldete Daten werden von Gas Infrastructure Europe (GIE) geschätzt und bei späteren Updates auf die gemeldeten Daten korrigiert. Vereinzelt existieren Füllstände, die etwas höher liegen als die angegebene Kapazität, zum Beispiel Portugal im November 2019.
Wenn Sie Fragen zu diesen Daten haben oder weitere Auswertungen erhalten wollen, das SMC Lab kann Auswertungen erzeugen.
Sönke Gäthke, Redakteur für Energie und Mobilität
Bernhard Armingeon, Software Entwickler
Lars Koppers, Datenwissenschaftler
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