EU-Vorschläge für Recycling, Bioplastik und weniger Müll
EU-Kommission schlägt Regeln für Vermeidung, Recycling und Kennzeichnung von Plastikverpackungen vor
außerdem erstmalig politischer Rahmen für „Bioplastik“, das aus ökologischer Sicht umstritten ist
Forschende bewerten die Vorhaben als überfällig, aber teils zu wenig ambitioniert; betonen die künftige Rolle von biobasierten Kunststoffen
Die EU-Kommission hat am 30.11.2022 zwei zentrale Vorhaben für die Kreislaufwirtschaft von Kunststoffen vorgeschlagen [I]. Eine Überarbeitung der Verpackungsrichtlinie soll dafür sorgen, dass bis 2040 in EU-Staaten 15 Prozent weniger Verpackungsmüll als 2018 anfällt – ohne neue Regelungen würde die Müllmenge voraussichtlich deutlich ansteigen. Zum Beispiel will die Kommission unnötige Einwegverpackungen verbieten und verbindliche Quoten für die Wiederverwendung einführen. Gleichzeitig soll mehr recycelt werden: Bis 2030 sollen alle Verpackungen recyclingfähig sein und je nach Produkttyp zwischen 10 und 35 Prozent recyceltes Material enthalten müssen. Außerdem will die Kommission EU-weit einheitliche Etiketten einführen, die angeben, in welchen Mülleimer eine Verpackung gehört.
Abteilungsleiter Circular Economy, Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie
„Der Entwurf der Kommission adressiert die zentralen Herausforderungen unseres heute noch ganz überwiegend linearen Verpackungssystems: Die Gesamtmenge der Verpackungen, die sich in Deutschland bei Verpackungen aus Kunststoff in den letzten zwanzig Jahren mehr als verdoppelt hat, ebenso die noch viel zu niedrigen Wiederverwendungsquoten, den Anteil recycelter Verpackungsmaterialien sowie die mangelhafte Recyclingfähigkeit vieler Verpackungen.“
„Die hier vorgeschlagenen Ziele werden den Markt für Verpackungslösungen fundamental verändern. So werden die genannten Rezyklatanteile massive Investitionen in neue Sortier- und Recyclinganlagen erfordern, weil die Menge aktuell am Markt überhaupt noch nicht verfügbar ist. Gleiches gilt für die Wiederverwendungsquoten. Hier werden in Europa neue Infrastrukturen für die Sammellogistik und Reinigung aufgebaut werden müssen. All diese Maßnahmen sind mit Blick auf eine nachhaltige Kreislaufwirtschaft aber absolut notwendig und längst überfällig – ein ‚weiter so‘ konnte keine Option sein.“
„Die vorgeschlagenen Maßnahmen adressieren die richtigen Punkte, es fehlt dem Vorschlag aber an vielen Stellen an Ambition für die Umsetzungsgeschwindigkeit: Eine Wiederverwendungsquote von 80 Prozent für Getränke im Jahr 2040 ist ein schönes Ziel. Es bedeutet aber, dass sich in Deutschland absehbar die nächsten 15 Jahre kaum etwas verändern wird. Hier wird an vielen Stellen massiv Zeit vergeudet, da schon heute erfolgreiche Startups die technische Umsetzbarkeit demonstrieren. Hier wird leider der Lobbyeinfluss der Industrie deutlich, da in vorher diskutierten Vorlagen noch deutlich ambitioniertere Zeitpläne und Ziele enthalten waren.“
„Die Vorgaben zur Recyclingfähigkeit von Verpackungen sind noch sehr vage gehalten. Wichtig ist hier der Verweis auf die tatsächliche Recyclingfähigkeit: Verpackungen sollen nicht nur unter Laborbedingungen recycelbar sein, sondern auch in der Praxis der Sammlung von Verpackungsabfällen. Der zentrale Ansatzpunkt ist hier der ökonomische Anreiz: Gut recycelbare und abfallarme Verpackungslösungen sollen belohnt werden. Die Umsetzung dieses Prinzips überlässt die Kommission leider den Mitgliedsstaaten. Da kein Hersteller seine Verpackungen für einzelne Mitgliedsstaaten designt, wird es hier für einen effektiven Anreiz auf eine gut abgestimmte Umsetzung ankommen.“
Professorin am Institut für Biokunststoffe und Bioverbundwerkstoffe, Hochschule Hannover
„Die vorgeschlagenen Regulierungen der EU-Kommission enthalten die wesentlichen Aspekte, um Kunststoffabfälle zu reduzieren und die Kreislaufwirtschaft in Europa effektiv voranzutreiben. Besonders wichtig ist die Steigerung der Recyclingquote in Verbindung mit dem Einsatz von Rezyklaten – sowohl bei den fossil- als auch bei den biobasierten Kunststoffen – und das Etablieren einer nachhaltig funktionierenden Kreislaufwirtschaft, möglichst auch auf regionaler Ebene.“
„Die vorgeschlagenen Regulierungen der EU-Kommission sind sehr zu begrüßen und enthalten viele Aspekte, die wir in der Forschung und Wissenschaft schon lange fordern. Alle Maßnahmen zusammen haben das Potenzial, dass wir in Europa der Kreislaufwirtschaft von Kunststoffen einen großen Schritt näherkommen. Wichtig ist jedoch, dass hierbei nicht nur die Verbraucher*innen, sondern in erster Linie Industrie und Produktion in die Pflicht genommen werden, da ihr Einfluss besonders groß ist. In der Industrie werden gewaltige Mengen an Kunststoffen produziert und eingesetzt, so dass wir nicht weiterkommen, wenn ausschließlich Verbraucher*innen ihren Anteil in Form von Konsum- und Entsorgungsverhalten leisten.“
Auf die Frage nach einer Einschätzung des politischen Rahmens für Biokunststoffe:
„Beim Blick auf Biokunststoffe ist Folgendes zu bedenken: Biokunststoffe sind auch nur Kunststoffe und damit ein Teil der Kunststofffamilie. Oftmals wird im Vergleich von Biokunststoffen mit fossilbasierten Kunststoffen mit zweierlei Maß gemessen, zum Beispiel bei ihrer Nachhaltigkeitsbewertung: Für die Bereitstellung von Rohstoffen biobasierter Kunststoffe existieren bereits heute Zertifizierungsverfahren wie FSC (Forest Stewardship Council) für Holz oder ISCC Plus (International Sustainability & Carbon Certification) für biobasierte und recycelte Rohstoffe. Eine vergleichbar zertifizierte nachhaltigere oder sauberere Gewinnung von Erdöl zur Herstellung konventioneller Kunststoffe existiert jedoch nicht. Auch indirekte Auswirkungen bei der Erdölgewinnung – wie Fracking-Schäden, Pipeline-Leckagen, Schiffshavarien, Straßenbau oder die Erschließung von Ölfeldern – werden in der Regel nicht berücksichtigt. Wenn nun – wie von der EU-Kommission vorgesehen – für biobasierte Kunststoffe ausschließlich Rohstoffe aus nachhaltigen Quellen eingesetzt werden dürfen, ist das absolut richtig. Bezogen auf die Nachhaltigkeitsbewertung sollten aber die gleichen Kriterien gelten, sowohl für fossil- als auch biobasierte Kunststoffe.“
„Vor diesem Hintergrund sollten fossilbasierte Kunststoffe und ihre Rezyklate nicht bevorzugt eingesetzt werden. Biobasierte Kunststoffe und biobasierte Rezyklate müssen im gleichen Maß gefördert werden wie ihre fossilen Pendants. Mit Blick auf die Endlichkeit des Erdöls brauchen wir Alternativen wie biobasierte Kunststoffe und ihre Rezyklate. Die Forschung zum Einsatz von Reststoffen als Rohstoffe für biobasierte Kunststoffe läuft auf Hochtouren und wird weiter voranschreiten.“
„Der politische Rahmen für den weiteren Einsatz von Biokunststoffen ist weitgehend angemessen, wobei aus unserer Sicht die folgenden Punkte wesentlich sind:“
„Erstens, die Kommission fordert zu Recht, dass abbaubare Kunststoffe nur dann eingesetzt werden, wenn die Abbaubarkeit einen tatsächlichen Zusatznutzen bedeutet, beispielsweise in der Landwirtschaft oder der Medizin. Ansonsten ist ihr Einsatz kritisch zu sehen, da eine Mehrweg- der Einwegnutzung immer vorzuziehen ist. Und: Auch im Kampf gegen die Meeresverschmutzung muss es ausschließlich um unvermeidbare Kunststoffeinträge in die Umwelt gehen, beispielsweisen bei verlorengegangenen Fischernetzen oder -reusen. Auch abbaubare Kunststoffe gehören nicht in die Umwelt.“
„Zweitens, neben den abbaubaren Kunststoffen sollten die viel häufiger eingesetzten langlebigen stärker in den Fokus genommen werden. Biobasierte langlebige Kunststoffe bieten in den meisten Fällen ein größeres Einsatzpotenzial und sind recycelbar beziehungsweise mehrfach verwendbar. Kunststoffe sind viel zu wertvoll, um nach einer Einmalnutzung bereits entsorgt zu werden.“
„Drittens, wir brauchen weiterhin dringend eine sichere Definition des Begriffs Biokunststoffe. Es gibt immer noch viele Missverständnisse: In der Öffentlichkeit wird der Begriff Biokunststoff fälschlicherweise häufig mit abbaubaren Kunststoffen gleichgesetzt. Das macht deutlich: Konkrete Aufklärungsarbeit zu Biokunststoffen und eine klare Abgrenzung zwischen biobasierten, bioabbaubaren und kompostierbaren Kunststoffen ist dringend nötig. Insofern sind eine Kennzeichnungspflicht zum biobasierten Anteil eines Produktes sowie eine Klarstellung des Begriffes ,biologisch abbaubar‘ richtig, reichen aber nicht aus.“
Auf die Frage nach einer Einschätzung der vorgeschlagenen Regelungen für Verpackungen:
„Die vorgeschlagenen Maßnahmen zum Design von Verpackungen sind sehr zu begrüßen. Nur wenn wir beim Entwerfen einer Verpackung schon an ihre spätere Recyclingfähigkeit denken oder sie als Mehrwegverpackung konzipieren, können wir die Recyclingquote von Verpackungen endlich konsequent erhöhen und die Kunststoffabfallmenge in Europa gleichzeitig nachhaltig reduzieren.
„Konkret fordern wir am Institut für Biokunststoffe und Bioverbundwerkstoffe schon lange: Zur Steigerung der Recyclingquote sollten konsequent Monomaterialien eingesetzt, Trenn- oder Entsorgungshinweisen auf der Verpackung angebracht sowie strenge Recyclingquoten für Inverkehrbringer von Verpackungen eingeführt werden. Zur Eindämmung von Kunststoffabfällen sollte die Materialmenge reduziert werden, so dass so wenig Kunststoff wie möglich verwendet wird. Beispielsweise sollten dünnwandige statt dickwandiger Flaschen bei Kosmetika und Mehrwegsystemen zur Reduktion der Verpackungsmenge eingesetzt werden. Genau diese Punkte werden mit den neuen Maßnahmen der EU-Kommission forciert.“
Leiter des Instituts für angewandte Biopolymerforschung, Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hof
„Die vorgeschlagenen Regulierungen der EU-Kommission zur Kreislaufwirtschaft von Kunststoffen stellen einen mutigen und umfassenden Ansatz zur Revolution der Verpackungsbranche dar. Sie umfassen die kritischsten und wichtigsten Stellschrauben zur deutlichen Verbesserung der Nachhaltigkeit des Verpackungssektors.“
„Die Regulierungen umspannen besonders mit der Vorschrift zur Recyclingfähigkeit einer Verpackung durch das Konzept des ‚Design for Recycling‘ nahezu alle Verpackungen, die ein Bürger innerhalb der EU nutzt. Es werden aus Sicht des Recyclings problematische Entwicklungen der letzten Jahrzehnte – hin zu komplexen, multifunktionalen Verpackungslösungen aus untrennbaren Verbundsystemen – angegangen und nahezu vollständig recyclebare Verpackungslösungen gefordert. Diesen Anspruch an unsere Verpackungen gilt es zu unterstützen und er stellt ein enormes Potenzial zur Verringerung von Kunststoffmüll dar. Dennoch ist das geplante Vorhaben in vielen Bereichen der Verpackungsbranche entgegen der gängigen industriellen Praxis und wird alle Akteure vor die enorme Herausforderung zur Innovationsfindung stellen. Ob es möglich sein wird, für alle aktuellen Anwendungen von Verpackungen adäquate alternative Lösungen mit hoher Recyclingfähigkeit zu finden, wird sich bei einer Implementierung der neuen Regulierungen zeigen. Falls nicht, müssen wir einen gewissen Luxus – durch hoch-technologisierte, billige und schnell verfügbare Verpackungen und deren Vorteile wie Barrieren, Wiederverschluss und Praktikabilität bei gleichzeitiger Toxizität für unsere Umwelt – aufgeben. Weitere vorgeschlagene Lösungen wie Wiederbefüllungs- und Wiederverwendungsoptionen sind interessante Konzepte, die jedoch schon in der aktuellen Praxis – abseits von einigen Anwendungsfällen – an Grenzen bezüglich der Praktikabilität geraten. Daher ist anzunehmen, dass diese hinsichtlich ihrer Bedeutung zur Reduzierung des Verpackungsabfalls eher einen geringeren Anteil haben werden.“
„Sehr zu begrüßen ist es, dass die deutliche und einheitliche Kommunikation mit dem Konsumenten einer Verpackung Teil der Regulierungen ist – durch harmonisierte Symboliken und eindeutige Handlungsvorgaben zur Entsorgung einer Verpackung. Bisherige Systeme zeigten in der Praxis deutliche Schwächen bei der Qualität von eingesammelten Verpackungsabfällen. Das sorgte auch dafür, dass Verbraucher das Vertrauen in ein funktionierendes Recycling verloren haben.“
„Die Regulierung der Entwicklung und Verwendung von Biokunststoffen im Bereich von Verpackungslösungen ist überfällig und daher sehr zu begrüßen. Durch Regulierungen können Fehlentwicklungen – wie nicht wiederverwertbare Verpackungen im Bereich der petrochemisch basierten Kunststoffe – frühzeitig eingedämmt werden. Allerdings werden durch die umfangreichen Einschränkungen – wie zum Beispiel die starke Limitierung der Anwendungszwecke für biologisch abbaubare Kunststoffe – Produktneuentwicklungen in der noch jungen Branche der Biokunststoffe erschwert. An dieser Stelle wäre es wünschenswert, die Tür für Entwicklung und Innovation einen Spalt weiter offen zu lassen.“
„Die vorgeschlagenen Regulierungen machen vieles richtig und setzen weitere Impulse und Standards, die in der Branche überfällig waren. In Summe wäre eine Implementierung in nationale Gesetze und Verordnungen im Zeichen der Nachhaltigkeit ein Gewinn. Für die Verpackungsbranche und für uns als Endkonsumenten wird es aber vor allem auch bedeuten: Ärmel hoch, zusammenarbeiten und anpacken.“
Alle: Keine Angaben erhalten.
Weiterführende Recherchequellen
Science Media Center (2022): Verhandlungen über ein internationales Plastikabkommen. Rapid Reaction. Stand: 24.02.2022.
Hier finden Sie Einschätzungen von Forschenden zu dem angestrebten UN-Plastikabkommen. Aktuell, vom 28.11.22 bis 02.12.22, findet die erste Verhandlungsrunde über dieses Abkommen in Uruguay statt.
Literaturstellen, die vom SMC zitiert wurden
[I] Europäische Kommission (30.11.2022): Der europäische Grüne Deal: Abfallintensive Verpackungen verbieten, Wiederverwendung und Recycling fördern.
[II] Europäische Kommission: Circular economy action plan.
[III] Science Media Center (2022): Kunststoffrecycling in Deutschland und der EU: Probleme und Lösungen. Fact Sheet. Stand: 24.11.2022.
Dr. Henning Wilts
Abteilungsleiter Circular Economy, Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie
Prof. Dr. Andrea Siebert-Raths
Professorin am Institut für Biokunststoffe und Bioverbundwerkstoffe, Hochschule Hannover
Prof. Dr. Michael Nase
Leiter des Instituts für angewandte Biopolymerforschung, Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hof