Synthetischer Embryo entwickelt Organe
Erstmals ist es Forschenden gelungen, synthetische, allein aus Stammzellen gewonnene Mausembryonen zu züchten. Über diesen Durchbruch in der Forschung berichtet eine am 25.08.2022 in der Fachzeitschrift „Nature“ erschienenen Publikation (siehe Primärquelle). Das neuartige Modell, bei dem eine erstaunliche Selbstorganisation mehrerer Stammzelltypen ohne externe Signalgeber und in Abwesenheit einer Gebärmutter erreicht wurde, rekapituliert die frühesten Stadien der natürlichen Entwicklung von Mäuseembryonen – erstmals bis zum 8,5. Tag nach der Befruchtung und damit über das Stadium der Einnistung hinaus und schreitet bis zur sogenannten Organbildung voran (Gastrulation). Erst danach stellen die synthetischen Embryonen ihre Entwicklung ein.
Leiter der Arbeitsgruppe „Mouse Embryology“, Max-Planck-Institut für molekulare Biomedizin, Münster
„Diese Ergebnisse, die bei Mäusen erzielt wurden, sind atemberaubend. Die verblüffende Ähnlichkeit – obwohl dies nur die Minderheit der Fälle darstellt – zwischen den synthetischen und den natürlichen Embryonen zeigt, dass die Produktionsmethode der beiden Studien geeignet war, nicht nur um die erhebliche Hürde der Gastrulation zu überwinden, sondern auch, dass die Organogenese bis zu einem bedeutenden Stadium zum Beispiel die Neurulation fortgeführt wurde.“
„Insgesamt haben die synthetische Mausembryonen fast die Hälfte der Entwicklung geschafft – 8,5 von den 19 Tage bis zur Geburt bei Nagern. Noch beeindruckender ist, dass dazu keine Eizelle und keine Gebärmutter notwendig war. Auch wenn die in den Studien genannten Input- und Output-Zahlen darauf hindeuten, dass es zu erheblichen Verluste nach der Gastrulation der synthetischen Embryonen kam, zögere ich nicht zu sagen, dass der Beweis des Prinzips beeindruckend ist: Offenbar ist der Übergang von der Eizelle zum Embryo, die Funktion von den ‚Maternal-effect genes‘ (mütterliche Gene, deren Produkte, RNA oder Proteine, in der Eizelle produziert oder abgelagert werden oder in der befruchteten Eizelle oder dem Embryo vorhanden sind, bevor die Expression der embryonalen Gene beginnt.; Anm. d. Red.), die Rolle von Eizellenpolarität und Embryogradienten, und die Erforderlichkeit der Plazenta als Voraussetzungen für die fortgeschrittene Entwicklung, nicht länger gegeben.“
„Ich glaube nicht, dass die Mäuse ein Sonderfall sind. Technisch gesehen ist die Übertragung dieser Ergebnisse auf den Menschen aus meiner Sicht gut vorstellbar, obwohl die Bioreaktoren (Rollflaschen) nicht Tage oder Wochen, sondern Monate halten müssten. Das stellt eine fast unüberwindbare Herausforderung dar, es sei denn, die menschliche Entwicklung verläuft in vitro viel schneller als in vivo.“
„Der ethische Rahmen ist aus meiner Sicht noch viel problematischer, denn die Richtlinien des ISSCR [I] erlauben zwar die Herstellung synthetischer menschlicher Embryonen, verbieten aber deren Übertragung auf die Gebärmutter, was immer als die wichtigste Barriere zur Verhinderung von höchst unethischen Experimenten galt. Nun, wie wir in diesen beiden Mäusestudien sehen, ist die Übertragung auf die Gebärmutter unnötig, und so werden die ISSCR-Richtlinien zu einem zahnlosen Tiger.”
“Wie weit könnte die (humane) Organogenese in einer Rollflasche im Vergleich zu einer Gebärmutter gehen? Das ist meine Hauptfrage und Sorge. Zum Beispiel der Ansatz, dass allein aus Stammzellen rekonstruierte synthetische Embryonen das reproduktive Klonen von Menschen ermöglichen könnte, vor dem so viele von uns vor Jahren Angst hatten.”
“Angesichts der Bilder der Embryonen in den zwei Studien können diejenigen, die die Forschung an Tiermodellen ablehnen, darüber nachdenken, ob ein Ermöglichen der experimentellen Embryologie direkt am Menschen mit synthetischen Embryonen wirklich das ist, was sie wollen.“
Direktor des Instituts für Humangenetik, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Lübeck und Kiel
„Die beiden Arbeiten aus den Gruppen von Jacob Hanna in ‚Cell‘ und Magdalena Zernicka-Goetz in ‚Nature‘ stellen einen ganz bedeutenden Fortschritt für die Wissenschaft weit über das Feld der Stammzellbiologie und der Embryologie dar.”
„In den vergagenen Jahren ist es erstmals gelungen, sogenannte Gastruloids oder Embryoid-Körper in vitro, also in der Zellkulturschale, zu züchten. Diese konnten einzelne Aspekte der Embryologie rekapitulieren. Um komplexere Organe oder einen ganzen Embryo zu untersuchen waren bisher stets Tierversuche notwendig. Der bedeutende Fortschritt dieser beiden Arbeiten ist nun, dass es erstmal gelungen ist, aus induzierten pluripotenten Stammzellen (iPS-Zellen) vollständige Mausembryonen zu entwickeln, die alle Gehirnregionen, ein Neuralrohr, ein schlagendes Herz, sogar einen Darm entwickeln und sich bei der Maus bis in die mittlere Schwangerschaft (etwa acht bis neun Tage) entwickeln.“
„Beide Arbeiten basieren ganz wesentlich auf einer Studie vom vergangenen Jahr, die von Jacob Hanna in ‚Nature‘ veröffentlicht wurde, und in der es erstmals gelungen war außerhalb des Körpers Mausembryonen bis in die mittlere Schwangerschaft in einem künstlichen Uterus zu züchten. Mit Hilfe von rotierenden Reagenzgläsern und künstlichen Medien konnten diese Embryonen auch außerhalb des Körpers am Leben gehalten werden bis Tag 11,5.“
„In den aktuellen Studien haben beide Gruppen nun aus Maus-iPS-Zellen zunächst frühe Embryonen in vitro gezüchtet und diese dann in der von Hannas Gruppe entwickelten Apparatur bis zum Tag 8,5 der Maus-Schwangerschaft weiter züchten können. Bis zu diesem Zeitpunkt konnten sich die synthetischen Embryonen weitestgehend normal entwickeln und waren von normalen Mausembryonen kaum zu unterscheiden. Das Labor von Jacob Hanna hat die Arbeitsgruppe von Zernicka-Goetz aktiv bei der Etablierung der ex vivo Kultur von synthetischen Embryonen unterstützt.“
„In der Charakterisierung der synthetischen Embryonen unterscheiden sich die beiden Studien etwas. Während die Arbeit von Hanna sich im Wesentlichen auf etablierte Fluoreszenzmarker konzentrierte und ein Schwerpunkt auf der Methode der ex vivo Kultur legt, wird in der Arbeit von Zernicka-Goetz ganz wesentlich die moderne Methode der Einzelzell-Sequenzierung zur Charakterisierung der synthetischen Embryonen verwendet. Dabei zeigt sich, dass die frühen Embryonen eine erstaunliche Ähnlichkeit mit normalen Mausembryonen zeigen. Unter anderem konnten alle 26 Zelltypen, die bei normalen Embryonen vorliegen, auch in den synthetischen Embryonen nachgewiesen werden, und nur ein einziger Zelltyp – Teile der Plazenta – fehlte bei den synthetischen Embryonen.“
„Unterm Strich zeigen beide Arbeiten wunderschön, dass es nun möglich ist, aus iPS-Zellen vollständig entwickelte, synthetische Embryonen herzustellen. Diese Ergebnisse werden weitreichende Konsequenzen für die moderne Wissenschaft haben.“
Auf die Frage, ob sich diese Ergebnisse in Bälde auch auf synthetische menschliche Embryonen erweitern lassen werden:
„Es handelt sich bei beiden Arbeiten um sogenannte ‚Proof-of-concept‘-Studien. Das heißt, es ging im Wesentlichen darum, zu zeigen, ob es möglich ist, synthetische Embryonen bis in die mittlere Schwangerschaft zu entwickeln. Das heißt noch nicht, dass der nächste Schritt menschliche Embryonen sein werden. Die Züchtung dieser Embryonen ist um ein Vielfaches komplizierter. Zudem folgt auf die Gastrulation die sogenannte Organogenese. Dies ist in der Regel in der Maus am Tag 13,5 abgeschlossen und stellt ein weiteres, enormes Hindernis für die Entwicklung synthetischer Embryonen da.“
„Dennoch sind durch diese beiden Arbeiten ganz wesentliche Schritte in die richtige Richtung getan, und es ist zu erwarten, dass zumindest einzelne Organe durchaus synthetisch gezüchtet werden können, die für mögliche Organtransplantation dann zur Verfügung stehen könnten. So konnten zum Beispiel in den Arbeiten bereits frühe Blutzellen identifiziert werden, die durchaus das Potenzial bieten könnten für Transplantationen.“
Auf die Frage, welche Unterschiede zwischen diesen synthetischen Embryonen und normalen Mausembryonen bestehen:
„Wie oben bereits erwähnt zeigen die synthetischen Embryonen eine erstaunliche Ähnlichkeit mit normalen Mausembryonen. Makroskopisch fällt auf, dass die synthetischen Embryonen unterschiedlich groß sind und nicht alle sich in reife Embryonen entwickeln. Mikroskopisch, immunhistochemisch (Methoden, mit der Proteine oder andere Strukturen mit Hilfe von markierten Antikörpern sichtbar gemacht werden können; Anm. d. Red.) und mittels Einzelzellanalyse zeigt sich, dass die synthetischen Embryonen wirklich eine erstaunliche Ähnlichkeit haben in Bezug auf alle Zelltypen bis auf einen der Plazenta.“
„Einer der wesentlichsten Unterschiede ist, dass es derzeit beiden Teams nicht gelungen ist, die synthetischen Embryonen über das kritische Stadium von 8,5 Tagen, der sogenannten Gastrulation, hinaus zu erreichen. Die normale Schwangerschaft einer Maus dauert circa 19 Tage und auf die Gastrulation folgt die Organogenese von Tag 9 bis 13, in der sämtliche Organe angelegt werden. Erst wenn auch diese Phase der Organogenese bei synthetischen Embryonen möglich ist, könnte das Potenzial zum Beispiel für künstliche Organe voll ausgeschöpft werden.“
Auf die Frage, welches Potenzial die synthetischen Embryonen für die Forschung bergen:
„Die beiden Arbeiten zu synthetischen Embryonen bergen ein enormes wissenschaftliches Potenzial. Am offensichtlichsten ist die Anwendung von synthetischen Embryonen als Alternativmethode zum Tierversuch an frühen Embryonen. Hierbei könnte durch diese Methode sofort Tausende von Tierversuchen jährlich in Deutschland gespart werden.“
„Ein weiteres zentrales Potenzial dieser Technologie liegt in der möglichen synthetischen Züchtung von Organen, die potenziell für die Organspende eingesetzt werden könnten. Hierzu gilt es noch ganz wesentliche Hürden zu überwinden, um die Methode auch für menschliche Embryonen zu etablieren. Der Grundstein für diese Anwendung ist jedoch durch die beiden Arbeiten gelegt.“
Auf die Frage, ob sich aus solchen synthetischen Embryonen künftig womöglich Keimzellen züchten lassen:
„Wie oben bereits erwähnt handelt es sich bei den vorliegenden Studien um sogenannte ‚Proof-of-concept‘-Studien. Das heißt, die Methode wurde etabliert und es wurde im Wesentlichen gezeigt, dass synthetische Mausembryonen den normalen Mausembryonen sehr ähnlich sind. In den synthetischen Mausembryonen konnten unter anderem auch Vorläuferzellen von Keimzellen identifiziert werden. Da es aber derzeit noch nicht möglich ist, Embryonen über die Gastrulation, sprich Tag 8,5 hinaus zu züchten, ist es derzeit auch noch nicht möglich Keimzellen künstlich herzustellen. Daher scheint es noch weit entfernt von der Realität, künftig Keimzellen künstlich herzustellen. Es kann jedoch nicht ausgeschlossen werden.“
Leiter der Arbeitsgruppe Stembryogenese, Max-Planck-Institut für molekulare Zellbiologie und Genetik (CBG)
„Generell möchte ich betonen, dass die derzeitigen Studien vor allem einen ‚Proof-of-principle‘ dafür liefern, dass synthetische Embryonen, die Mausembryonen ähneln, außerhalb des Mutterleibs erzeugt werden können. Die Effizienz ist dabei noch sehr gering: In der Arbeit von Hanna entwickeln sich 0,1 bis 0,5 Prozent der Embryonen und in der Publikation von Zernicka-Goetz werden dazu keine genauen Angaben gemacht. Man kann aber davon ausgehen, dass die Effizienz nicht mehr als ein bis zwei Prozent beträgt, möglicherweise sogar weniger.“
„Die entstehenden Strukturen sehen zwar sehr embryoähnlich aus – viel mehr als alle anderen bisher erreichten Modelle –, aber sie bleiben weiterhin unvollkommen. Die entstehenden Gebilde weisen deutlich sichtbare Defekte auf und überleben nicht über frühe Stadien der Organogenese hinaus. Die Verbesserung des Maussystems, so dass ein seltenes Ereignis reproduzierbar wird, wäre daher der nächste wichtige Schritt.“
„Was die Relevanz für die Forschung mit menschlichen Stammzellen betrifft, so ist diese Arbeit natürlich ein wichtiger Ausgangspunkt. Ich bin sicher, dass es einen Wettlauf um die Herstellung der ersten menschlichen Strukturen geben wird. Dies wird nicht einfach sein, nicht zuletzt aufgrund der entscheidenden Unterschiede in der Entwicklung von Maus und Mensch sowie in der anderen Biologie von murinen und menschlichen Stammzellen. Wie wir jedoch bei einfacheren Modellen der Embryonalentwicklung (Organoide, Gastruloide) gesehen haben, ist die Frage nicht ob, sondern wann die Übertragung dieser Erkenntnisse mit Mausstammzellen auf menschliche Stammzellen erfolgen wird.“
„Man könnte sich fragen, ob die ethischen und rechtlichen Bedenken, die die Herstellung ähnlicher menschlicher synthetischer Embryonen aufwirft, nicht dazu führen, dass man sich mit ihnen auseinandersetzen sollte, bevor man sich an die Herstellung solcher Embryonen macht. In diesem Zusammenhang ist es wichtig, darauf hinzuweisen, dass sich die synthetischen Embryonen grundlegend von zum Beispiel Gastruloiden (dreidimensionale Aggregate embryonaler Stammzellen, die unter geeigneten Kulturbedingungen eine embryoähnliche Organisation aufweisen; Anm. d. Red.) unterscheiden, denen kritische Strukturen fehlen (zum Beispiel ein Gehirn oder extraembryonales Gewebe) und die daher laut der Internationalen Gesellschaft für Stammzellenforschung (ISSCR) als ‚nicht integrierte Modelle‘ eingestuft werden.“
„Die neuen synthetischen Embryonen sind – wie Blastoide – integrierte Modelle und unterliegen daher laut den ISSCR Leitlinien einer umfassenderen ethischen Prüfung. Hinzu kommt, dass ein menschliches Äquivalent der synthetischen Embryonen ein Embryonalstadium nach dem 14. Tag darstellen würde, so dass sich die Frage stellt, ob menschliche synthetische Embryonen der 14-Tage-Regel unterliegen sollten. Ich denke, dass wir die Debatte darüber eher früher als später beginnen sollten, aber gleichzeitig ist es absolut entscheidend zu erkennen, dass diese synthetischen Embryonen – wie das Mausmodell zeigt –, egal wie embryoähnlich sie aussehen, kein organismisches Potenzial haben: Sie können nicht zu einer Lebendgeburt führen.“
„Ich denke auch, dass wir uns darüber im Klaren sein müssen, dass die möglichen biomedizinischen Implikationen enorm sind, wenn die reproduzierbare Bildung menschlicher synthetischer Embryonen verwirklicht würde. Sie könnten als Material für Transplantationen verwendet werden, um humanzentrierte Arzneimittel- und Embryotoxikologische-Tests zu durchzuführen (was derzeit ein großes Problem ist, sowohl weil unklar ist, inwieweit Tiermodelle den Menschen gut genug imitieren, als auch aus ethischen Gründen in Bezug auf Tierversuche), um Geburtsfehler zu verstehen, um die Gründe für wiederholten Schwangerschaftsverlust zu verstehen und viele weitere. Ich denke, wir müssen hier die Vor- und Nachteile sorgfältig abwägen, aber meiner Meinung nach ist es wahrscheinlich, dass die Vorteile die Nachteile überwiegen, wenn es gelingen sollte, ein reproduzierbares System für die Kultur menschlicher synthetischer Embryonen zu schaffen.“
„Eine Ausweitung der Möglichkeiten zur Embryonalforschung in Deutschland würde ich befürworten: Nicht um einen besseren Wettbewerb zu ermöglichen, sondern einfach, weil ich glaube, dass Deutschland fantastisch positioniert ist, um eine führende Rolle in der Forschung an synthetischen Embryonen zu übernehmen, sowohl aus grundlegender als auch aus klinischer Sicht. Wir haben Weltklasse-Institute für Grundlagenforschung mit einzigartigem Fachwissen in den relevanten Bereichen (nicht nur an den Max-Planck-Instituten, sondern zum Beispiel auch am Max-Delbrück-Centrum). Es gibt einen klaren und unmittelbar bevorstehenden gesellschaftlichen Druck, von Tierversuchen wegzukommen, der von der wissenschaftlichen Gemeinschaft und den Fördereinrichtungen anerkannt wird und es gibt Institute wie das Bundesinstitut für Risikobewertung, die großes Interesse an der Anwendung der Synthetischen-Embryo-Technologie haben.“
„Wichtig ist hier die Unterscheidung zwischen den aktuellen Fragen der menschlichen synthetischen Embryonenforschung und der Embryonenforschung. Während die Regeln für die Forschung an menschlichen Embryonen sehr klar sind – im Grunde ist sie unmöglich, Deutschland ist hier strenger als die 14-Tage-Richtlinie und generell strenger als jedes andere große Wissenschaftsland–, gibt es bisher keine klaren Regeln für synthetische Embryonen. Was letztere betrifft, so sind die strengen Regeln für die Verwendung menschlicher Stammzellen derzeit einschränkend für die Forscher, und ich würde es vorziehen, wenn diese Regeln gelockert würden. Bei synthetischen Embryonen wird es meiner Meinung nach entscheidend sein, dies von Fall zu Fall zu beurteilen und sich dabei auch an den internationalen ethischen Rahmen zu halten, der meiner Meinung nach in den nächsten Monaten ausgearbeitet werden wird (wobei das ISSCR eine führende Rolle spielen wird).”
„Generell möchte ich noch einmal betonen, dass wir uns nicht von unserem ‚Bauchgefühl‘ täuschen lassen sollten: Nur weil die synthetischen Embryonen einem Embryo recht ähnlichsehen, bedeutet das nicht, dass sie die gleiche ‚Funktionalität‘ haben. In dieser Hinsicht sollten wir die synthetischen Embryonen von Mäusen bezüglich ihrer Physiologie und Funktionalität zunächst sehr viel eingehender untersuchen, um fundierte Entscheidungen darüber zu treffen, wie weit wir gehen wollen, wenn wir ein menschliches Äquivalent schaffen wollen.“
Direktorin des Instituts für Ethik und Geschichte der Medizin, Universitätsmedizin Göttingen
„Forschung an frühen menschlichen Embryonen in der Petrischale sollte in Deutschland erlaubt werden. Der menschliche Embryo wird auch jetzt schon nicht unter allen Umständen vom Gesetz geschützt. Es ist erlaubt, frühe menschliche Embryonen in vitro zu verwerfen. Es reicht, dass das Paar, vom dem die Keimzellen stammen, dies so entscheidet, weil ihre Kinderwunschbehandlung abgeschlossen ist. Ja, es genügt sogar laut neuerer Rechtsprechung die Entscheidung nur eines Partners, um ein Verwerfen zu erzwingen. Es wäre also sinnvoll, den Paaren wenigstens die Möglichkeit zu eröffnen, solche Embryonen für die Forschung zu spenden. Umfragen haben ergeben, dass nicht wenige eine solche Option dem Verwerfen vorziehen würden. Die Kultivierung solcher Embryonen zu Forschungszwecken sollte in Deutschland möglich sein. Die Forschung könnte etwa dazu beitragen, die Ursachen von Unfruchtbarkeit oder die Entstehung von genetischen Mutationen besser zu verstehen. Notwendig ist eine zeitliche Begrenzung abhängig von der Bedeutung der Forschung sowie dem sich dabei ergebenden Grad der Ausbildung von menschlichem Gewebe. In gut begründeten Einzelfällen könnte das meines Erachtens auch eine Frist von mehr als 14 Tagen sein.“
„Es bestehen keine Interessenkonflikte.“
„Interessenkonflikte habe ich nicht.“
Alle anderen: Keine Angaben erhalten.
Primärquelle
Amadei G et al. (2022): Synthetic embryos complete gastrulation to neurulation and organogenesis. Nature. DOI: 10.1038/s41586-022-05246-3.
Literaturstellen, die von den Expert:innen zitiert wurden
[1] Boiani M et al. (2022): A reproductive science perspective: deliberations on the stem cell guidelines update. Molecular Human Reproduction. DOI: 10.1093/molehr/gaac008.
[2] Regalado A (2022): This startup wants to copy you into an embryo for organ harvesting. MIT Technology Review.
Literaturstellen, die vom SMC zitiert wurden
[I] Tarazi S et al. (2022): Post-gastrulation synthetic embryos generated ex utero from mouse naive ESCs. Cell. DOI: 10.1016/j.cell.2022.07.028.
[II] Amadei G et al. (2022): Stem cell-derived mouse embryos develop within an extra-embryonic yolk sac to form anterior brain regions and a beating heart. bioRxiv. DOI: 10.1101/2022.08.01.502375.
Hinweis der Redaktion: Es handelt sich hierbei um eine Vorabpublikation, die noch keinem Peer-Review-Verfahren unterzogen und damit noch nicht von unabhängigen Experten und Expertinnen begutachtet wurde.
[III] Regalado A (2022): This startup wants to copy you into an embryo for organ harvesting. MIT Technology Review.
[IV] ISSCR (2021): ISSCR Guidelines für Stammzellforschung und klinische Translation. Deutsche Übersetzung.
[V] Science Media Center (2021): Menschliche Embryo-Vorläufer aus der Petrischale. Research in Context. Stand: 17.03.2021.
PD Dr. Michele Boiani
Leiter der Arbeitsgruppe „Mouse Embryology“, Max-Planck-Institut für molekulare Biomedizin, Münster
Prof. Dr. Malte Spielmann
Direktor des Instituts für Humangenetik, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Lübeck und Kiel
Dr. Jesse Veenvliet
Leiter der Arbeitsgruppe Stembryogenese, Max-Planck-Institut für molekulare Zellbiologie und Genetik (CBG)
Prof. Dr. Claudia Wiesemann
Direktorin des Instituts für Ethik und Geschichte der Medizin, Universitätsmedizin Göttingen