Medizin & Lebenswissenschaften

21. Mai 2022

Affenpocken

Seit ein Fall von Affenpocken bei einem Reiserückkehrer aus Nigeria am 07.05.2022 von der UK Health Security Agency (UKHSA) bestätigt wurde, traten weitere Fälle und Verdachtsfälle unter anderem in Großbritannien, Spanien, Italien und Portugal und in Nordamerika auf [1]. Am 19.05.2022 hat das Institut für Mikrobiologie der Bundeswehr auch in Deutschland ein Fall von Affenpocken nachgewiesen [16].

Affenpocken sind eine seltene Erkrankung, die in Teilen Afrikas endemisch ist. Auch 2018, 2019 und 2021 wurden schon einzelne Infektionen mit Affenpocken in Großbritannien beobachtet – stets verbunden mit Reisen in Gebiete, in denen die Erkrankung endemisch ist oder mit Kontakt zu Reiserückkehrenden oder kontaminierten Materialien [2].

Das Neue an der aktuellen Situation: Einige der Erkrankten hatten weder Kontakt zu infizierten Reiserückkehrenden noch waren sie selbst gereist [3]. Es ist das erste Mal, dass in Europa Infektionsketten von Affenpocken ohne bekannte Verbindung zu West- oder Zentralafrika beobachtet wurden [2].

Das Fact Sheet kann hier als pdf heruntergeladen werden.

Übersicht

  • Anlass
  • Übersicht
  • Was sind Affenpocken?
  • Wie gefährlich sind Affenpocken
  • Therapiemöglichkeiten und Prophylaxe
  • Literaturstellen, die zitiert wurden

Was sind Affenpocken?

  • Das Affenpockenvirus ist ein DNA-Virus; gehört zur Familie der Pockenviren; unter anderem eng verwandt mit dem Variolavirus, das die Pocken verursacht [4]
  • Sequenz eines Virusgenoms aus dem aktuellen Ausbruch wurde bereits publiziert [5]
  • Virus kann von Tieren auf diverse Säugetiere, auch auf Menschen, übertragen werden; Mensch-zu-Mensch-Übertragungen aber selten [6] [4]
  • Affenpocken wurden 1958 das erste Mal bei Makaken-Affen in Gefangenschaft beobachtet; der erste Fall bei Menschen trat 1970 bei einem neun Monate alten Jungen auf [4]
  • In West- und Zentralafrika sind Affenpocken verbreitet und dort auch endemisch [6]
  • Der Name „Affenpocken“ ist irreführend; Affen sind Fehlwirte [6] [7]
  • Tierreservoire für Affenpocken nicht genau definiert; Virus wurde bereits in Nagetieren und Spitzmäusen nachgewiesen; keine bekannten Reservoire außerhalb von Afrika [7]
  • Neben einzelnen Fällen außerhalb von endemischen Gebieten, die in Verbindung mit Reisen in betroffene Gebiete standen, gab es 2003 einen Ausbruch von Affenpocken in den USA [8]:
    • 47 bestätigte und wahrscheinliche Fälle von Affenpocken
    • Ansteckung damals durch aus Ghana importierte Präriehunde, die als Haustiere gehalten wurden

Wie gefährlich sind Affenpocken?

Übertragung und Infektionsketten

  • Übertragung vom Tier auf den Menschen möglich [6]
    • durch Kontakt mit Hauteffloreszenzen (krankhaften Hautveränderungen), Blut, Gewebe oder Ausscheidungen von mit Affenpocken infizierten Tieren
    • durch Umgang mit Fleisch von infizierten Tieren
  • Mensch-zu-Mensch-Übertragungen selten [6]
    • benötigt engen Kontakt; erhöhtes Risiko für Ansteckung haben Haushaltsmitglieder und Personen im Gesundheitswesen [9]
    • bisher nur Infektionsketten von bis zu sechs Menschen, nach anderen Angaben bis zu neun Menschen, beobachtet [6] [9]
    • Übertragung durch ausgeschiedene Atemwegssekrete, Körperflüssigkeiten, Schorf, verunreinigte Materialien, vermutlich auch bei sexuellen Handlungen [6]

Krankheitsverlauf und Symptome

  • Inkubationszeit laut RKI 7 bis 21 Tagen [6]; laut WHO normalerweise 6 bis 13 Tage, aber auch 5 bis 21 Tage möglich [9]
  • Im Gegensatz zu den echten Pocken (Variolavirus) erholen sich die meisten erkrankten Personen innerhalb von mehreren Wochen wieder; das RKI bewertet die Prognose als günstig; aber auch schwere Verläufe möglich [6]
  • Schwere Fälle oder Todesfälle möglich bei sehr jungen oder immungeschwächten Personen [3]
  • Klinische Präsentation ähnelt den echten Pocken (Variolavirus), ist aber wesentlich weniger tödlich und weniger leicht übertragbar [9]
  • Erste Symptome sind [6]:
    • Fieber
    • Kopfschmerzen
    • Muskelschmerzen
    • Rückenschmerzen
    • Geschwollene Lymphknoten
  • Spätere Symptome (Tage nach dem Auftreten von Fieber) sind [6]:
    • Hauteffloreszenzen (krankhafte Hautveränderung); beginnen häufig im Gesicht, breiten sich auf weitere Körperteile aus
    • Hautveränderungen durchlaufen verschiedene Stadien: Macula (begrenzte Farbveränderung), Papula (Knötchen), Vesikula (Bläschen), Pustula (Eiterbläschen); danach verkrusten sie und fallen ab
  • Infizierte Personen sind ansteckend, bis alle Krusten abgefallen und durch neue Haut ersetzt wurden; das kann mehrere Wochen dauern [10]
  • Häufiges Problem sind Sekundärinfektionen durch Bakterien [4]
  • Folgen einer Affenpocken-Erkrankungen können Narben, selten auch Erblindung, sein [3]

Einfluss der Virus-Gruppe auf den Krankheitsverlauf

  • Wie die Erkrankung verläuft und auch wie leicht die Ansteckung ist, hängt auch davon ab, welche Version des Affenpockenvirus vorliegt
  • Fachartikel von 2005 beschreibt zwei verschiedene Gruppen von Affenpockenviren: westafrikanische und zentralafrikanische [11]
    • Bei den zentralafrikanischen Varianten wurde eine höhere Morbidität, Mortalität sowie verstärkte Virämie und Mensch-zu-Mensch-Übertragung beobachtet
    • Zur Fallsterblichkeit (case fatality rate, CFR) der beiden Gruppen gibt es unterschiedliche Angaben; eine Publikation des RKI von 2019 beschreibt die folgenden CFR: Fallsterblichkeit der zentralafrikanischen Varianten etwa elf Prozent und Fallsterblichkeit der westafrikanischen Varianten etwa ein Prozent [4]; eine systematische Übersichtsarbeit von 2022 beschreibt die folgenden CFR: Fallsterblichkeit der zentralafrikanischen Varianten etwa 10,6 Prozent (Konfidenzintervall: 8,4 bis 13,3 Prozent) und Fallsterblichkeit der westafrikanischen Varianten etwa 3,6 Prozent (Konfidenzintervall: 1,7 bis 6,8 Prozent) [12]
    • Auch zur Reproduktionszahl RO gibt es unterschiedliche Angaben, zum Beispiel aus einer RKI-Publikation: RO der bei den zentralafrikanischen Varianten höher (0,8) als bei den westafrikanischen Varianten (0,3) laut RKI [4]
  • Zumindest die sieben ersten in den UK identifizierten Fälle sind mit der milderen, westafrikanischen Version des Affenpockenvirus infiziert [1]
  • Auch bei einem portugiesischen Patienten wurde eine westafrikanische Variante festgestellt [5]

Epidemiologie der Affenpocken hat sich verändert

  • Eine systematische Übersichtsarbeit aus dem Januar 2022 untersuchte, wie sich die Ausbreitung von Affenpocken, das Alter der Infizierten, die Mortalität und die Anzahl der Fälle seit 1970 verändert hat [12]:
    • Median des Alters der Erkrankten stieg von vier Jahren (1970) auf 21 Jahre (2010-2019)
    • Anzahl der bestätigten, vermutlichen und wahrscheinlichen Affenpocken-Fälle ist seit 1970 um mindestens das Zehnfache gestiegen
    • Effekte könnten mit einem Nachlassen der Pocken-Impfung (Impfung gegen Variolavirus) zusammenhängen, die mindestens zum Teil vor Affenpocken schützt; Faktor oder verstärkender Faktor könnte auch Entwaldung sein

Therapiemöglichkeiten und Prophylaxe

Behandlung und Therapien

  • Therapie hauptsächlich unterstützend und symptomatisch [6]
  • Wichtig ist es, zu verhindern, dass bakterielle Superinfektionen auftreten [6]
  • Die EU hat im Januar 2022 Tecovirimat zugelassen, ein Medikament gegen echte Pocken, Kuhpocken und Affenpocken [13]; laut RKI eine mögliche Therapieoption für immungeschwächte Personen, aber noch nicht breit verfügbar [3]
  • Möglich wäre auch eine passive Immunisierung mit aufgereinigten Antikörpern aus dem Blut von Personen, die gegen Pocken geimpft sind; allerdings geringe Verfügbarkeit [4]

Impfungen

  • Impfung gegen echte Pocken (gegen das Variolavirus) schützt auch vor Affenpocken, da sich die beiden Viren sehr ähnlich sind [6]; Beobachtungsstudien fanden, dass die Pockenimpfung dabei eine Wirksamkeit von mindestens 85 Prozent gegen Affenpocken hat [9]
  • Seit 1980 sind die echten Pocken (Variolavirus) ausgerottet; für die Zivilbevölkerung wurde die Pockenimpfung deswegen Anfang der 1980er eingestellt
  • Pockenimpfstoffe in der EU:
    • In der EU ist ein Impfstoff gegen echte Pocken (Variolavirus) für Erwachsene zugelassen, der ein modifiziertes Pockenvirus (modifiziertes Vacciniavirus) enthält [14]
    • In den USA ist dieser Impfstoff auch gegen Affenpocken zugelassen [15]
    • Impfstoff gehört zu den Pocken-Impfstoffen der dritten Generation, die weniger wahrscheinlich Nebenwirkungen verursachen als klassische Pockenimpfstoffe
    • Zulassung nach Ausrottung des echten Pockenvirus (Variolavirus); Schutzwirkung deswegen unklar; Tierexperimente weisen aber auf ähnlichen Schutz wie von klassischen Pockenimpfstoffen hin [4] [14]
  • Das European Centre for Disease Prevention and Control (ECDC) empfiehlt bei Infektion mit Affenpocken eine Impfung für enge Kontaktpersonen mit hohem Risiko (nach Risiko-Nutzen-Abwägung), falls in dem betreffenden Land ein passender Impfstoff zugelassen ist [2]

Literaturstellen, die zitiert wurden

[1] UK Health Security Agency (18.05.2022): Monkeypox cases confirmed in England – latest updates.

[2] European Centre for Disease Prevention and Control (19.05.2022): Monkeypox cases reported in UK and Portugal.

[3] Robert-Koch-Institut (2022) Nicht-reiseassoziierte Fälle von Affenpocken in Europa und Nordamerika. Epidemiologisches Bulletin 20/2022.

[4] Nitsche A, Schrick L und Schaade L (2019): Infektionen des Menschen mit Affenpocken. Flugmedizin Tropenmedizin Reisemedizin – FTR. DOI: 10.1055/a-0822-0273.

[6] Robert-Koch-Institut (19.05.2022): Allgemeine Informationen des RKI zu Affenpocken.

[7] Persönliche Kommunikation des Friedrich-Löffler-Instituts am 19.05.2022

[8] Center of Disease Control and Prevention (19.05.2022): Monkeypox in the United States.

[9] World Health Organization (19.05.2022): Monkeypox.

[10] UK Health Security Agency (18.05.2022): Monkeypox.

[11] Likos AM et al. (2005): A tale of two clades: monkeypox viruses. Journal of General Virology. DOI: 10.1099/vir.0.81215-0.

[12] Bunge EM et al. (2022): The changing epidemiology of human monkeypox—A potential threat? A systematic review. PLOS Neglected Tropical Diseases. DOI: 10.1371/journal.pntd.0010141. Anm. d. Red.: Einige der Autorinnen und Autoren der Studie arbeiten für Bavaria Nordic, den Zulassungsinhaber des Impfstoffes gegen Pocken, der in der EU zugelassen ist

[13] European Medicine Agency (19.05.2022): Tecovirimat SIGA.

[14] European Medicine Agency: Imanvex. Abgerufen: 19.05.2022.

[15] Center of Disease Control and Prevention (02.12.2019): Smallpox – Vaccines.