Warum eine alte Bevölkerung die Intenstivstationen in einer nächsten Corona-Welle stärker belasten könnte
Warum die Altersstruktur eines Landes bei der Interpretation der Impfquote wichtig ist, erklärt dieser Extra-Report. Um abschätzen zu können, wie das Verhältnis zwischen Inzidenz und Hospitalisierungen in Zukunft in Deutschland aussehen könnte, werden aktuell gerne Vergleiche mit anderen Ländern angestellt, die bereits wieder hohe Inzidenzen vermelden. Für diesen Report haben wir uns auf Israel als Land mit besonders hoher Quote vollständig Geimpfter und das Vereinigte Königreich als Land mit hoher Inzidenz beschränkt.
Der Blick auf die Situation der Krankenhäuser im Vereinigten Königreich zeigt, dass das sich Verhältnis zwischen Infektionsgeschehen und Hospitalisierung deutlich verändert hat. Obwohl die Inzidenz zuletzt etwa wieder auf dem Niveau von 80 Prozent der dortigen Winterwelle war, liegt die Zahl der Neuaufnahmen in den Krankenhäusern nur bei knapp einem Viertel des Maximums im Winter.
Der Anteil vollständig geimpfter Personen in Deutschland ist mit 49,4 Prozent der Gesamtbevölkerung laut WHO fast so hoch wie im Vereinigten Königreich. Dort liegt dieser Anteil bei 53,2 Prozent. In Israel ist diese Impfquote noch einmal höher und liegt bei 61,1 Prozent.
Für die Infektionslage spielt die Gesamtimpfquote eine wichtige Rolle. Je höher der Anteil an Geimpften unter Kontakten, die aufeinandertreffen, desto schlechter verbreitet sich das Virus in der Bevölkerung. Bei geringem Infektionsgeschehen sind auch die Krankenhäuser weniger belastet.
Trotzdem kann sich die Situation auf den Intensivstationen in Deutschland bei steigenden Inzidenzen schlechter entwickeln, als es durch die Entwicklungen im Vereinigten Königreich suggeriert wird. Denn, wenn die Frage im Raum steht, welche Inzidenz sich ein Land zukünftig erlauben kann, ohne das Gesundheitssystem zu überlasten, spielt die Altersstruktur in der Bevölkerung eine entscheidende Rolle. Je älter eine Bevölkerung ist, desto höher ist der Anteil an Personen mit einem Risiko für schwere COVID-19-Erkrankungen, die im Krankenhaus behandelt werden müssen. Bei dieser Frage ist es also ebenfalls wichtig, wer geimpft wurde, nicht nur wie viele Personen. Bei gleicher Gesamtimpfquote und gleicher Inzidenz sorgt eine niedrigere Impfquote in den höheren Altersgruppen für eine höhere Hospitalisierungsrate.
Laut UN hat Deutschland mit 45,7 das fünfthöchste Median-Alter der Welt. Dies führt dazu, dass in Deutschland ein besonders hoher Anteil der Bevölkerung zur Risikogruppe für COVID-19 gehört. Gleichzeitig ist gerade die Impfquote in den oberen Altersgruppen niedriger als im Vereinigten Königreich (Medianalter 40,5) und Israel (Medianalter 30,5), die in diesem Bericht als Vergleich dienen.
In Deutschland liegt die Impfquote in der Bevölkerung ab 60 Jahren mit 78,1 Prozent immer noch sehr niedrig. In diesen Altersklassen muss die Impfquote dringend erhöht werden, damit auch bei einer hohen Inzidenz das Gesundheitssystem möglichst entlastet wird.
Die Grafik zeigt die Altersstruktur des Vereinigten Königreichs, Israels und Deutschlands für 2018 laut UN data.
Abgebildet ist der Anteil jedes Altersjahrgangs an der Bevölkerung. Alle Jahrgänge ab 100 Jahren sind dabei zusammengefasst. Deutlich zu sehen ist der hohe Anteil der jungen Bevölkerung in Israel und einem besonders hohen Anteil an Menschen um die 60 und 75 Jahren in Deutschland. Deutschland muss also einen höheren Anteil der Bevölkerung impfen, wenn alle Personen über einer bestimmten Altersgrenze geimpft werden sollen.
Neben den unterschiedlichen Altersstrukturen, wurde in den betrachteten Ländern zusätzlich ein unterschiedlich hoher Anteil der Altersgruppen ab 60 Jahren geimpft. Für Deutschland ist keine detailliertere Aufschlüsselung der Altersgruppen öffentlich verfügbar. Für das gesamte Vereinigte Königreich wird keine altersstratifizierte Impfquote ausgewiesen, dort liegen die Daten für Schottland und England getrennt vor. Die Impfquote der unter 60-Jährigen ist für Deutschland, England und Schottland für die Bevölkerung ab 18 und bis 59 Jahren berechnet. Für Israel liegen nur die Daten ab 20 Jahren vor. Es wird nur die Impfquote für vollständig Geimpfte betrachtet.
Während in Deutschland nur sehr grobe Altersgruppen vorliegen, sind die Daten aus England, Schottland und Israel detaillierter. Für einen direkten Vergleich wurden über die Altersgruppen in rot die Impfquote für Deutschland in den Kategorien 18 bis 59 Jahre und 60 und älter und in blau die korrespondierende Impfquote des betrachteten Landes eingetragen. Für Israel konnte erneut in der unteren Altersklasse nur die Quote 20 bis 59 berechnet werden. In Deutschland liegt die Impfquote der Bevölkerung ab 60 Jahren bei 78,6 Prozent und bei den 18 bis 59-Jährigen bei 50,9 Prozent.
In Schottland sind besonders in den oberen Altersklassen sehr hohe Impfquoten erreicht worden. In der Bevölkerung ab 60 Jahren sind 97,6 Prozent der Menschen geimpft, bei den 18 bis 59-Jährigen sind es 57,4 Prozent.
Die Impfquote bei den unter 60-Jährigen ist in England mit der in Deutschland vergleichbar, in den oberen Altersgruppen liegt die Quote in England allerdings deutlich höher. In der Bevölkerung ab 60 Jahren sind 91,5 Prozent der Menschen geimpft, bei den 18 bis 59-Jährigen sind es 51,7 Prozent.
Israel weist in allen Altersgruppen deutlich höhere Impfquoten als Deutschland auf. In der Bevölkerung ab 60 Jahren sind 89,5 Prozent der Menschen geimpft, bei den 18 bis 59-Jährigen sind es 78,1 Prozent.
Marleen Halbach, Redaktionsleiterin
Lars Koppers, Gastwissenschaftler am SMC Lab
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