Hinweise auf milderen Verlauf mit Omikron
Die SARS-CoV-2-Variante Omikron könnte unter Umständen weniger schwere Krankheitsfälle hervorrufen als die Delta-Variante. Diesen Schluss zieht ein Forscherteam aus dem Vereinigten Königreich aus Laborversuchen mit Pseudoviren in Zellkulturen. Ihre Ergebnisse veröffentlichten die Forschenden als nicht-begutachtetes Preprint bei bioRxiv (siehe Primärquelle).
Leiterin der Forschungsgruppe emerging viruses in der Abteilung für Infektionskrankheiten, Universität Genf, Schweiz
„Generell sind das interessante und wichtige Daten, die ich aber nur mit sehr viel Vorsicht auf die tatsächliche Situation im Mensch extrapolieren würde. Die Infektion im Menschen ist ja wesentlich komplexer als in einem Organoid, und wichtige Komponenten fehlen hier – zum Beispiel das adaptive Immunsystem, das eine wesentliche Rolle bei der Modifikation des Krankheitsbilds spielt. Ebenso ist bislang noch nicht verstanden, welchen Einfluss auf die Virus-Wirts-Interaktion die vielen neu beobachteten Mutationen bei Omikron spielen.“
Auf die Frage, inwiefern das Ergebnis der Studie mit den Beobachtungen niedrigerer Hospitalisierungsraten aus Südafrika übereinstimmt:
„Es könnte ein Hinweis auf mildere Infektionen sein, aber man muss auch bedenken, dass Südafrika eine junge Population hat, in den vorherigen Wellen bereits eine starke Übersterblichkeit entstand und die berichteten Fälle vor allem junge Menschen mit Impfdurchbrüchen waren. Auch zirkulierte In Südafrika vermehrt die Beta-Variante, so dass wahrscheinlich ein anderer immunologischer Hintergrund herrscht als bei uns.“
„Aktuell erscheinen mir die Daten zur Krankheitsschwere von Omikron noch etwas zu dünn, um daraus allgemeingültige Aussagen zu treffen. Ein ganz entscheidendes Problem wird bei der Bewertung der Daten aus Südafrika aber deutlich: Je vielfältiger und diverser die zugrunde liegende Immunität der Bevölkerung wird – durch Impfung oder Infektion, vergangene Varianten-Zirkulation, regionale Unterschiede – umso schwieriger wird es, die Unterschiede in der Krankheitspräsentation entweder dem Virus selbst oder der Grundimmunität zuzuschreiben.“
Leiter der Arbeitsgruppen Virusevolution, Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg
„Meng et al. beschreiben einige Charakteristiken des SARS-CoV-2-Omicron-Spike-Proteins in einem Pseudotype-Model. Die Autoren modellieren die Bindung von Spike an den Zellrezeptor Ace2, testen Neutralisierung von verschiedenen Immunsera, testen die intrinsische Infektivität von Spike in verschiedenen Zellmodellen und schauen welche Rolle die Spaltung vom Spike-Protein in S1 und S2 dabei spielt.“
„Das Model in Figure 1b ist leider nicht korrekt, da wir mittlerweile bereits experimentelle Daten haben [1].“
„Die Neutralisierung mit Immunsera von AstraZeneca- und Pfizer-geimpften Menschen zeigt, dass eine Neutralisation nach zwei Dosen verringert ist, dies aber teilweise durch die dritte Impfung (Booster) wieder wettgemacht werden kann. Das zeigt, dass die Boosterimpfung momentan sehr wichtig sein wird. Dies passt auch zu anderen Studien, die sich neutralisierende Antikörper angesehen haben.“
„Die Daten von den verschiedenen Zelllinien und den Lungenorganoiden zeigen, dass Omikron schlechter in die Zellen gelangen kann als Delta. Wichtig hier ist, dass es sich um Pseudotype-Virus- Experimente handelt und man sich somit nur die intrinsische Funktion des Spike-Proteins ansehen, aber keine Aussagen über das gesamte Virus treffen kann.“
„Das Virus hat viele Mutationen auch außerhalb des Spike-Proteins, die wichtige Rollen spielen können. Die Beobachtung geht zwar entgegen ersten Erwartungen, aber passt mit Beobachtungen von anderen Gruppen zusammen. Interessanterweise gibt es keinen Unterschied in Lungenepithelien zwischen Delta und Omikron. Ob diese Unterschiede eine Rolle bei Übertragung oder Symptomatik spielen, steht leider noch aus.“
„Als einen Grund für den Unterschied zeigen die Autoren eine schwächere Spaltung des Spike-Proteinsin die S1- und S2-Untereinheit. Diese Spaltung ist wichtig, damit das Virus in Zellen gelangt. Dies ist wahrscheinlich auch der Grund für die verringerte Synzytienbildung (Zell-Zell-Fusion, die virusinfizierte Zelle fusioniert mit benachbarten, nichtinfizierten Zellen, sodass es zur Ausbildung großer, mehrkerniger Gebilde kommt; Anm. D. Red.). Im Vorfeld wurde angenommen, dass drei Mutationen um die Furin-Seite eine erhöhte Spaltungseffektivität bedeuten, allerdings scheint das Gegenteil der Fall zu sein. Welche Mutationen, strukturelle Veränderungen oder Modifikationen – wie zum Beispiel Glykosylation – genau eine Rolle dabei spielen, steht noch aus.“
Auf die Frage, ob die Ergebnisse ein Indiz für weniger starke Krankheitsverläufe durch Omikron sein könnten:
„Leider kann man von den Versuchen der Studie keine solchen Ableitungen treffen. Die Studie zeigt Unterschiede von dem Omikron-Spike-Protein gegenüber dem Delta-Spike-Protein, die zeigen, dass das Protein anders funktioniert und besser oder schlechter in verschiedene Zellsysteme gelangen kann und schlechter von Impf-Immunsera neutralisiert wird. Darüber hinaus aber kann man leider noch keine Schlüsse ziehen.“
Auf die Frage, inwiefern das Ergebnis der Studie mit den Beobachtungen niedrigerer Hospitalisierungsraten aus Südafrika übereinstimmt:
„Krankheitsverläufe sind sehr komplex und es wird immer schwerer, Unterschiede in verschiedenen Ländern allgemeingültig zu erklären. Ein wichtiger Teil bei den Infektionen ist unser Immunsystem. Es gibt große Unterschiede zwischen Südafrika und Deutschland. Südafrika hatte zum Beispiel viele schwere Wellen – wichtig dabei: eine Welle war die Beta Variante – die Bevölkerung ist im Durchschnitt sehr viel jünger und so weiter, so dass wir leider mehr Daten brauchen, um mit absoluter Sicherheit sagen zu können, wie schwer Omikron-Verläufe sind. Erste Ergebnisse in Südafrika zeigen ein relatives Risiko gegenüber Delta von rund 0,2 bis 0,5 für schwere Verläufe (ein verringertes Risiko von 50 bis 80 Prozent für schwere Verläufe; Anm. d. Red.). Sehr frühe Ergebnisse aus UK zeigen jedoch momentan keine Unterschiede. Es bleibt somit abzuwarten.“
„Keine Interessenskonflikte.“
„Ich habe keine Interessenkonflikte.“
Primärquelle
Meng B et al. (2021): SARS-CoV-2 Omicron spike mediated immune escape, infectivity and cell-cell fusion. bioRxiv. DOI: 10.1101/2021.12.17.473248.
Weiterführende Recherchequellen
[I] Wolter N et al. (2021): Early assessment of the clinical severity of the SARS-CoV-2 Omicron variant in South Africa. medRxiv. DOI: 10.1101/2021.12.21.21268116.
Literaturstellen, die von den Expert:innen zitiert wurden
[1] Mannar D et al.(2021): SARS-CoV-2 Omicron Variant: ACE2 Binding, Cryo-EM Structure of Spike Protein-ACE2 Complex and Antibody Evasion. bioRxiv. DOI: 10.1101/2021.12.19.473380.
Prof. Dr. Isabella Eckerle
Leiterin der Forschungsgruppe emerging viruses in der Abteilung für Infektionskrankheiten, Universität Genf, Schweiz
Dr. Björn Meyer
Leiter der Arbeitsgruppen Virusevolution, Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg