Remdesivir kann Sterblichkeit von schwerkranken COVID-19 Patienten nicht signifikant senken
Das antivirale Medikament Remdesivir kann die Sterblichkeit von COVID-19-Patienten statistisch nicht eindeutig senken. Das ist eines der Ergebnisse des SOLIDARITY Trials der WHO, bei dem mehrere Medikamente auf ihre Wirksamkeit gegen SARS-CoV-2 getestet wurden. Die Studie ist bisher nur als Vorab-Version auf dem Preprint-Server medRxiv veröffentlicht und wurde noch nicht begutachtet (siehe Primärquelle).
Bereichsleiter Infektiologie, Universitätsklinikum Regensburg
„Das SOLIDARITY Trial hat unter anderem die Wirksamkeit von Remdesivir versus Kontrolle in einer offenen, randomisierten Studie untersucht. Dabei wurden über 5000 hospitalisierte Patienten eingeschlossen, die überwiegend schwer erkrankt waren (mehr als 70 Prozent mit Sauerstoffsubstitution oder Beatmung). Der Endpunkt war die 28-Tage-Mortalität: Hier zeigte sich eine sehr ähnliche Todesrate um 12 Prozent in beiden Studienarmen, der Unterschied der Sterblichkeitsrate in der Remdesivir-Gruppe versus der Kontrollgruppe lag bei 0,95 (95 Prozent, CI 0,81-1,1), damit numerisch etwas geringer, aber nicht statistisch signifikant.“
„Die Randomisierung der Probanden führte zu einer sehr ähnlichen Alters- und Schweregradverteilung in beiden Gruppen und die Gruppengröße ist sicherlich ausreichend, um eine relevante Verminderung der Sterblichkeit zu entdecken.“
„Die bisher veröffentlichten Studien zu Remdesivir zeigen eine klinische Wirksamkeit (raschere klinische Besserung, vor allem bei schwer Erkrankten), aber keinen signifikanten Unterschied in der Mortalität zwischen einer Remdesivir-Therapie und einer Behandlung mit Placebo. In der ACTT-1 Studie mit schwerer erkrankten Patienten, bei der mehr als 25 Prozent invasiv beatmet wurden im Vergleich zu etwa 10 Prozent im SOLIDARITY Trial, zeigte sich ein Trend zu einer niedrigeren Sterblichkeit.“
„Die SOLIDARITY Studie – immer die Richtigkeit der Daten und Auswertung vorausgesetzt – sollte einen Effekt der Stärke mit der Hazard-Ratio 0,73 (entspräche der Reduktion der Sterblichkeit um 27%) nachweisen können. Die SOLIDARITY Studie gibt damit einen deutlichen Hinweis, dass ein Effekt von Remdesivir auf die Mortalität von COVID-19 gering ist. Die Auswertung anderer Endpunkte muss abgewartet werden.“
„Ich vermute, dass die Anwendung von Remdesivir sich durch die SOLIDARITY-Studie nicht rasch ändern wird - eine klinische Wirksamkeit ist vorhanden, hier zeigen alle bisherigen Studien immerhin in die gleiche Richtung: eine raschere Verbesserung des klinischen Zustands auf der Ordinalskala der WHO [1][2][3].“
„Was uns leider noch fehlt, ist eine Antwort auf die Frage, wie wir sinnvoll die beiden Therapiestrategien Dexamethason und Remdesivir kombinieren.“
„Es ist nicht überraschend, dass für Hydroxychloroquin und Lopinavir keine Wirkung gezeigt werden konnte. Dass Interferon sogar eher einen negativen Effekt auf den Krankheitsverlauf hat, das ist wiederum überraschend.“
Chefarzt der Infektiologie und Tropenmedizin sowie Leiter der dortigen Spezialeinheit für hochansteckende lebensbedrohliche Infektionen, München Klinik Schwabing
„Die Ergebnisse der groß angelegten SOLIDARITY Studie der WHO mit immerhin 11.266 weltweit eingeschlossenen Patienten sind nicht ganz unerwartet, aber daher nicht weniger enttäuschend.“
„Trotz der Einschränkung, dass bis dato keine detaillierten Daten auf dem Preprint-Server verfügbar sind und ein Peer Review Verfahren noch aussteht, kann festgehalten werden, dass die Studie ihren primären Endpunkt verfehlt hat: Durch keines der vier getesteten Medikamente – Remdesivir, Hydroxychloroquin, Lopinar/Ritonavir und IFN-ß1a – lässt sich die Sterblichkeit von COVID-19 bei symptomatischen Patienten, die im Krankenhaus behandelt werden müssen, verringern.“
„Dass hier auch Remdesivir bei größerer Fallzahl und im ‚real word setting` versagt hat, ist die eigentliche Enttäuschung. Denn für die anderen Medikamente war die Nicht-Wirksamkeit weitgehend schon vorher durch kleinere Studien belegt worden. Dass zusätzlich auch für alle vier Substanzen kein Vorteil bezüglich der Initiierung einer invasiven Beatmungstherapie auf Intensivstation und der Krankenhausverweildauer gezeigt wurde, ist ernüchternd.“
„Für Remdesivir muss im Rahmen der ausstehenden Vollpublikation beleuchtet werden, ob zumindest die Patientengruppe, die in der Zulassungsstudie (sogenanntes ACTT-1 Trial) von einer Therapie innerhalb der ersten zehn Krankheitstage bezüglich der Krankenhausliegezeit profitiert hat, auch im SOLIDARITY Trial signifikant besser abgeschnitten hat.“
„Denn inzwischen wissen wir, dass ein zu später Einsatz von Remdesivir, wenn bereits schwere Entzündungsreaktionen im Körper ablaufen, nutzlos ist. Diese Frage bleibt offen, solange nicht alle Daten der SOLIDARITY Studie auf dem Tisch liegen.“
„Insofern bleibt auch der bisherige klinische Standard – vorerst – bestehen, dass Remdesivir bei Patienten mit Atemnot und Lungenveränderungen in den ersten zehn Tagen der Erkrankung zum Einsatz kommen sollte – bezogen auf das Medikament gilt der Grundsatz ‚in dubio pro reo‘, im Zweifel für den Angeklagten.“
„Aber: Der initial beschriebene Trend des ACTT-1 Trials, dass Patienten gegebenenfalls auch länger unter Remdesivir leben könnten, hat sich nunmehr verflüchtigt. Dies zeigt auf, wie wichtig große Studien mit mehreren tausend Patienten sind. Und: bereits jetzt kann man resümieren, dass zumindest in einem realistischen Behandlungsszenario, wie dies eine weltweit rekrutierende Studie unter Einbindung von verschiedenen Gesundheitssystemen nun einmal darstellt, kein massiver Zusatznutzen für Remdesivir aufgezeigt werden konnte.“
„Vorerst ist Remdesivir das einzige Medikament, neben Dexamethason, dass uns an der klinischen COVID-19-Front zur Verfügung steht. Aber ein großer klinischer Durchbruch sieht anders aus und mahnt uns, dass der Kampf gegen COVID-19 noch lange nicht gewonnen ist.“
Leiter der Infektiologie, Klinik I für Innere Medizin, Uniklinik Köln
„Die SOLIDARITY Studie zeigt keinen statistisch signifikanten Effekt von Remdesivir auf COVID-19-Patienten. Insofern ist das Ergebnis dieser randomisierten Studie mit der bisher größten Patientenpopulation enttäuschend. Dies sollte jedoch nicht zu dem Schluss führen, dass Remdesivir keinerlei Effekt auf die Erkrankung hat und deshalb in der Klinik nicht mehr angewendet werden sollte. Vielmehr sind die Ergebnisse hinsichtlich Sterblichkeit denen der kürzlich veröffentlichten ACTT-1 Studie sehr ähnlich, in der klar ein positiver Effekt auf den Krankheitsverlauf von COVID-19 gezeigt wurde. In beiden Studien findet sich ein deutlicher Trend hin zu einem verbesserten Überleben mit Remdesivir in der Gruppe von Patienten, die zwar eine Sauerstoffunterstützung benötigen, die aber noch nicht künstlich beatmet werden müssen. Für die klinische Praxis würde ich deshalb mit den bisher veröffentlichten Daten der SOLIDARITY Studie nicht von der bisherigen Praxis abweichen, solange wir keine besseren Medikamente zur Verfügung haben. Das bedeutet, dass ich Remdesivir derzeit weiter bei diesen Patienten einsetzen würde – zusammen mit Cortisonpräparaten, für die ein Überlebensvorteil gezeigt wurde.”
Beratertätigkeit für Gilead im Bereich HIV Medikamente.
Alle anderen: Keine Angaben erhalten.
Primärquelle
WHO Solidarity Trial Consortium (15.10.2020): Repurposed antiviral drugs for COVID-19; interim WHO SOLIDARITY trial results. medRxiv. DOI: 10.1101/2020.10.15.20209817.
Literaturstellen, die von den Expert:innen zitiert wurden
[1] Beigel JH et al. (08.10.2020): Remdesivir for the Treatment of Covid-19 — Final Report. NEJM. DOI: 10.1056/NEJMoa2007764.
[2] Wang Y et al. (2020): Remdesivir in adults with severe COVID-19: a randomised, double-blind, placebo-controlled, multicentre trial. Lancet; 395: 1569-78. DOI: 10.1016/ S0140-6736(20)31022-9.
[3] Spinner CD et al. (2020): Effect of Remdesivir vs Standard Care on Clinical Status at 11 Days in Patients With Moderate COVID-19 - A Randomized Clinical Trial. JAMA;324(11):1048-1057. DOI:10.1001/jama.2020.16349.
Prof. Dr. Bernd Salzberger
Bereichsleiter Infektiologie, Universitätsklinikum Regensburg
Prof. Dr. Clemens Wendtner
Chefarzt der Infektiologie und Tropenmedizin sowie Leiter der dortigen Spezialeinheit für hochansteckende lebensbedrohliche Infektionen, München Klinik Schwabing
Prof. Dr. Gerd Fätkenheuer
Leiter der Infektiologie, Klinik I für Innere Medizin, Uniklinik Köln