Medizin & Lebenswissenschaften

27. April 2020

Wie berechtigt sind Hoffnungen auf RNA-Impfstoffe gegen SARS-CoV-2?

Schutzimpfungen sind eine Errungenschaft der Medizin. Sie bewahren Gesunde vor schweren Infektionserkrankungen, indem das menschliche Immunsystem Geimpfter Bekanntschaft macht mit abgeschwächten, inaktivierten Erregern oder deren Bestandteilen. Nach einer Impfung bilden sich schützende Gedächtniszellen und Antikörper, die vor Ansteckung schützen oder schwere Krankheitsverläufe verhindern sollen. Allerdings waren antivirale Schutzimpfungen bisher gegen sich rasch genetisch verändernde Erreger wie Influenzaviren oder unerwartet auftretende „Emerging Disease Threats“ wie Zika und SARS kaum erfolgreich.

Hoffnungen machen RNA-Impfstoffe [1], die seit einigen Jahren erforscht werden. Sie bestehen im Prinzip nicht aus Viruspartikeln oder deren Proteinbruchstücken, sondern aus sogenannter Messenger-RNA (mRNA). Sie wird im Labor synthetisiert und enthält eine präzise Bauanleitung für erregerspezifische Antigene - das sind für den jeweiligen Erreger typische Eiweißstoffe, die eine Immunreaktion provozieren. Für die eigentliche Impfung wird diese mRNA zunächst in Nanopartikel verpackt, die sodann zum Beispiel in einen Muskel oder unter die Haut gespritzt werden. Dort wird die mRNA von Körperzellen aufgenommen und dient als Kopiervorlage für die Synthese der ausgewählten Virusantigene. Wenn die mRNA-modifizierten Zellen vorübergehend die Bruchstücke des zu bekämpfenden Virus präsentieren, lernt die Immunabwehr der Geimpften, im Falle einer tatsächlichen Infektion auch vor dem natürlichen Erreger zu schützen.

RNA-Impfstoffe könnten sich womöglich besonders als Pandemieimpfstoffe eignen. Sie ließen sich im Vergleich zu konventionellen Impfstoffen sehr viel schneller und in erheblich größeren Mengen herstellen. Zudem sind RNA-Impfstoffe toxikologisch gut charakterisierte Biopharmazeutika, die keine Infektionsrisiken bergen, bereits in niedrigen Dosen wirken und daher auf Wirkverstärker (Adjuvanzien) in der Regel verzichten könnten. Allerdings existieren bisher keine zugelassenen RNA-Impfstoffe. Es laufen derzeit gut zwei Dutzend klinische Studien der Phase I und Phase II mit den Indikatoren Krebs, monogenetische Erbleiden und Infektionskrankheiten (zum Beispiel Tollwut, Zika, Chikungunya, Cytomegalie, Influenza).

Zurzeit wollen laut WHO-Liste elf Pharmafirmen und Forschungseinrichtungen RNA-Impfstoffe gegen das Pandemie-Virus SARS-CoV-2 entwickeln, einige von ihnen wollen zugleich ihre mRNA-Plattformen zur Zulassung bringen. Unter ihnen sind die beiden deutschen Biotechunternehmen BioNTech und CureVac, die mit ersten klinischen Studien von RNA-Impfstoffen gegen SARS-CoV-2 in die Schlagzeilen kamen.

In diesem Fact Sheet werden die Grundlagen der RNA-Impfstoffe allgemein sowie der aktuelle Stand der Forschung und klinischen Entwicklung von SARS-CoV-2-Vakzinen in aller Kürze dargestellt.

Das Fact Sheet können SIe hier als pdf herunterladen.

Übersicht

  • Steckbrief SARS-CoV-2 und Relevanz für die Impfstoffentwicklung
  • Impfstoffkonzepte für COVID-19
  • Zugelassene klinische Studien zur Impfung gegen SARS-CoV-2
  • Wie wirken mRNA-Impfstoffe?
  • Literaturstellen, die zitiert wurden

Steckbrief SARS-CoV-2 und Relevanz für die Impfstoffentwicklung

  • Das SARS-CoV-2 (Severe Acute Respiratory Syndrome Coronavirus 2) ist ein neuartiges, menschenpathogenes Virus aus der Spezies der SARS-Coronaviren, Gattung Betacoronaviren. Die Evolution, Pathologie und Immunität dieser Erreger wurde intensiv erforscht [2][3][4].
  • Erste Studien haben gezeigt, dass Personen nach überwundener SARS-CoV-2-Infektion spezifische Antikörper sowie eine T-Zell-Immunität entwickeln [5].
  • Pilot-Tierversuche an Rhesusaffen [6] sowie ältere Erkenntnisse zu SARS lassen vermuten, dass nach COVID-19 genesene Patienten ein eher geringes Reinfektionsrisiko aufweisen, also einen Immunschutz aufbauen. Unklar bleibt, wie regelhaft, robust und dauerhaft dieser Immunstatus ist und ob er sich mit Impfstoffen imitieren lässt.
  • Zurzeit steht kein Impfstoff zum spezifischen Schutz vor COVID-19 zur Verfügung [1][7]. Ob eine überstandene Infektion mit dem Virus oder ältere Prototypen von SARS-Impfstoffen auch Schutz vor SARS-CoV-2 bieten, ist unklar [26].
  • Mehr als 100 Impfstoff-Kandidaten zu SARS-CoV-2 befinden sich gegenwärtig in der Entwicklung, die auf sehr unterschiedlichen Konstrukten basieren [8]. Die WHO führt eine ständig aktualisierte Liste [9].

Impfstoffkonzepte für COVID-19

  • Am 23. April registrierte die WHO 83 Impfstoffkonzepte gegen SARS-CoV-2, die von unterschiedlichen Forschungseinrichtungen und Unternehmen weltweit verfolgt werden [9].
  • Sieben dieser Konzepte befinden sich mittlerweile in klinischen Prüfungen am Menschen.
  • Folgende Konzepte werden verfolgt:
  • inaktiviertes Virus / Totimpfstoffe [10]
    • vier verschiedene Ansätze
    • ein aus Kranken isolierter SARS-CoV-2-Erreger wird in Zellkulturen vermehrt, die für die Herstellung von Impfstoffen zugelassen sind, und in Hochreinräumen chemisch und physikalisch inaktiviert
  • abgeschwächtes Lebendvirus, Lebendimpfstoffe [10]
    • zwei Ansätze
    • Sehr geringe Mengen im Prinzip ansteckender Erreger, die durch Zellpassagen, genetische Manipulation oder Mutagenese so stark abgeschwächt (attenuiert) wurden, dass sich die Impfviren im Körper zwar noch eine Zeit lang vermehren, die Krankheit bei immunkompetenten Impflingen aber nicht mehr auslösen können.
  • Peptidimpfstoffe [10]
    • 28 Ansätze
    • Identifikation und Herstellung immunogener Proteinfragmente des Virus, zum Beispiel ein Teil des SARS-CoV-2-Spike-Proteins, der Capsid-Struktur oder der Rezeptorbindedomäne, in der sich SARS-CoV-1 und SARS-CoV-2 unterscheiden.
  • Vektorimpfstoffe [11]
    • 22 Ansätze
    • Für den Menschen harmlose Viren, etwa das modifizierte Measles Virus Ankara (MVA), das Vesicular Stomatitis Virus (VSV) oder das Adenovirus (Ad), sollen das Erbmaterial des neuartigen Coronavirus in menschliche Zellen einschleusen, die daraufhin SARS-CoV-2-Antigene produzieren und dem Abwehrsystem präsentieren. Diesen Ansatz verfolgen auch Wissenschaftler im Deutschen Zentrum für Infektionsforschung (DZIF) [12]. Sie haben bereits einen Impfstoffkandidaten gegen das MERS-Coronavirus entwickelt und wollen mit ihrem MVA-Vektor Erbmaterial für das S-Protein von SARS-CoV-2 in menschliche Zellen einschleusen.
    • Bei Vektorimpfstoffen handelt es sich regulatorisch um gentechnisch veränderte Arzneimittel, was mit erheblichem Zulassungsaufwand verbunden ist. Vor allem muss das Risikopotenzial des verwendeten Vektors ergründet werden [11].
  • DNA-Impfstoffe [11]
    • acht Ansätze
    • Die DNA-Sequenz des gewünschten Antigens wird in ein bakterielles Plasmid eingefügt. Das Plasmid wird nach Injektion des Impfstoffs in der Zielzelle aufgenommen, abgelesen und dort soll das als fremde Antigen hergestellt werden.
    • DNA-Impfstoffe benötigen in der Regel starke Adjuvanzien, damit sie eine wirksame Immunantwort auslösen können [13].
    • Bisher sind erste DNA-Impfstoffe nur in der Tiermedizin zugelassen [14].
  • mRNA-Impfstoffe
    • zwölf Ansätze
    • eine ausführliche Darstellung der mRNA-Impfstoffe folgt in den nächsten Abschnitten.
  • Virusartige Partikel [15]
    • fünf Ansätze
    • Bei virusartigen Partikeln handelt es sich quasi um leere Virushüllen. Sie werden in Zelllinien generiert und anschließend als Impfstoff benutzt. Die Viruspartikel können sich im menschlichen Gewebe nicht vermehren, da sie keine Nukleinsäure enthalten.
  • Der Impfstoff BCG wird nicht als Ansatz von der WHO aufgeführt, könnte bei der Stärkung des Immunsystems gegen SARS-CoV-2 aber auch eine Rolle spielen [16].
    • Der Tuberkulose-Impfstoff Bacillus Calmette-Guerin (BCG) ist ein abgeschwächter Lebendimpfstoff, der aus einem Isolat von Mykobacterium bovis gewonnen wird.
    • Der Impfstoff aktiviert nicht nur eine Immunität gegen Tuberkulose, sondern schützt auch gegen andere Krankheitserreger wie zum Beispiel gegen Influenza, humanes Papillomavirus oder das humane Respiratorische Synzytial-Virus.

Zugelassene klinische Studien zur Impfung gegen SARS-CoV-2

  • Stand 24. April 2020: Sieben von Behörden zugelassene klinische Studien am Menschen [9]
    • Vektor-Impfstoff: (Adenovirus Typ 5 Vector), Beijing Institute of Biotechnology, China
    • Vektor-Impfstoff: ChAdOx1; Universität Oxford, UK
    • DNA-Impfstoff: Inovio Pharmaceuticals, USA
    • Inaktiviertes Virus: Beijing Institute of Biological Products/Wuhan Institute of Biological Products, China
    • Inaktiviertes Virus: Sinovac, China
    • mRNA-Impfstoff: Moderna, USA
    • mRNA-Impfstoff: BioNTech/Pfizer/Fosun, Deutschland/USA/China

Wie wirken mRNA-Impfstoffe?

Prinzipien der mRNA-Impfung [17]

  • Es werden RNA-Sequenzen ausgewählt und synthetisiert, die Proteine oder Proteinabschnitte (Peptide) des Erregers codieren (Antigene).
  • Die freie Boten-RNA (mRNA) wird in die menschliche Zelle transportiert und dort
    • von der Zellmaschinerie (Ribosomen) in Protein umgeschrieben
    • oder von der mitgelieferten Replikationsmaschinerie in Protein umgeschrieben
  • Da die Antigene in den natürlichen Proteinfabriken der Zelle hergestellt werden, lässt sich die natürliche Faltung der Virusproteine meist sicherstellen.
  • Die in der Zelle gebildeten Antigene können dann in der Zelle oder nach dem Transport aus der Zelle heraus vom Immunsystem erkannt werden. Sie induzieren die Produktion von Antikörpern sowie von spezifischen T-Zellen, die im Fall einer natürlichen Ansteckung virusinfizierte Zellen erkennen und eliminieren.
  • Die verwendeten RNA Sequenzen werden vor ihrem Einsatz meist chemisch modifiziert, stabilisiert und typischerweise in ein Transportvehikel verpackt – zum Beispiel in sogenannte Lipid Nano Partikel (LNP). Zwar lässt sich dadurch die in vivo Lebensdauer der mRNA verlängern, allerdings können erhebliche Modifikationen auch mit einer verringerten Effizienz der Impfstoffe einhergehen.
  • Ein Vorteil von RNA-Impfstoffen ist, dass sich die Aufnahme und die Ausprägung der Proteine außerhalb des Zellkerns ereignet, was ihr Design als effektive Therapeutika erleichtert.
  • Um eine robuste und kontrollierte Impfwirkung auszulösen, müssen die für eine Immunabwehr entscheidenden Virusantigene gezielt ausgewählt werden.

Welche Inhaltsstoffe enthalten RNA-Impfstoffe?

  • Nackte mRNA: Die Aufnahme von nackter mRNA funktioniert bei intra-dermalen und intra-nodalen Injektionen, die auf antigen-präsentierende Zellen (dendritische Zellen) abzielen; Nachteil: bei intra-muskulärer Injektion wird unverpackte mRNA von Ribonukleasen rasch abgebaut. Zudem alarmieren diese womöglich sogar das angeborene Immunsystem.
  • Deshalb wird die nackte mRNA meist chemisch modifiziert. So ist zum Beispiel Protamin ein kationisches Peptid, dass die RNA stabilisieren hilft. In die mRNA-Kette können modifizierte Basen eingebaut werden, die für eine längere Lebensdauer der RNA sorgen sollen [1].
  • Transport-Vehikel schützen die fragile mRNA und sorgen zugleich für die effiziente Aufnahme in Körperzellen. Kationische Lipid- und Polymer-basierte Nanopartikel erwiesen sich als beste Transportmedien [1].

Welche Typen von mRNA-Impfstoffen gibt es? [17]

  • nicht-selbstvermehrende mRNA-Impfstoffe
    • bestehen aus der mRNA-Sequenz für das Antigen; am 5´ Ende eine CAP-Struktur, am 3`Ende ein Poly-A Schwanz
    • Vorteil: simples Konstrukt, geringe Größe der zu generierenden RNA und keine weiteren Proteine, die eine ungewollte Immunantwort hervorrufen können
  • selbstvermehrende mRNA-Impfstoffe
    • Basieren meistens auf dem Genom des Alphavirus, bei dem die Gene für die Strukturproteine mit denen für das gewünschten virusspezifische Antigen ausgetauscht werden
    • Vorteil: das Antigen wird in der Zelle eigenständig von der mitgebrachten RNA-Polymerase vervielfacht, das bedeutet viel Antigen bei geringer Impfstoffdosis
    • Die mRNA ist deutlich größer als die von nicht-selbstvermehrenden RNA-Impfstoffen, trägt aber ähnliche essenzielle Elemente, wie die CAP am 5‘-Ende und den Poly-A-Schwanz am 3‘-Ende
    • Aufgrund der Größe kommt es eher zu Beeinträchtigungen der Ableserate und fehlgeschlagen Konstrukten
  • nicht-selbstvermehrende mRNA-Impfstoffe in dendritischen Zellen in vitro
    • Dendritische Zellen sind Immunzellen, die anderen Arten von Immunzellen Antigene auf ihrer Zelloberfläche präsentieren können, um eine Immunantwort zu stimulieren.
    • Dendritische Zellen werden aus dem Blut des Patienten extrahiert, mit dem RNA-Impfstoff transfiziert und dann an den Patienten zurückgegeben, um eine Immunreaktion zu stimulieren.

Applikationsarten für RNA-Impfstoffe [17][19]

  • mRNA ist ein im Körper außerhalb von Zellen sehr schnell abgebautes Molekül, deshalb müssen RNA-Impfstoffe meist chemisch modifiziert werden. Die Modifizierung lässt sich zudem patentieren.
  • Um mit mRNA impfen zu können, werden derzeit in präklinischen und klinischen Versuchen unterschiedliche Applikationsarten erprobt, die je nach Indikation mehr oder weniger wirksam sind.
  • Mit klassischen Spritzen können RNA-Partikel intravenös, intradermal, intramuskulär oder direkt in Lymphknoten oder sogar innere Organe verabreicht werden.
  • Zusätzlich werden auch nadelfreie Injektionssysteme erprobt, die Impfantigene in die oberen Hautschichten bringen, wo sie von patrouillierenden Immunzellen aufgenommen werden. In Lymphknoten transportiert sollen sie dort eine Immunreaktion auslösen.
  • Die optimale Route der Injektion ist bisher nicht hinreichend validiert und hängt vom jeweiligen Impfstoff ab. Für SARS-CoV-2-RNA-Impfstoffe dürften zunächst intramuskuläre Applikationsformen erprobt werden, da diese Injektion weltweit die bekannteste ist und überall ohne Vorwissen angewendet werden könnte.
  • Nach intradermaler und intramuskulärer Injektion konnte für eine längere Zeit eine Proteinexpression an der Injektionsstelle nachgewiesen werden [18].
  • Welche Dosis nötig ist für einen Impfschutz, muss für jeden Impfstoff im Rahmen klinischer Versuche erkundet werden.

Herausforderungen bei der Entwicklung von mRNA-Impfstoffen [17][19]

  • Zunächst müssen geeignete virale Antigene identifiziert und validiert werden – zum Beispiel die relevanten immunogenen Proteine und Peptide von Viren.
  • Die Menge des in Körperzellen gebildeten Antigens muss ausreichen, um eine angemessene Immunantwort in den Zielzellen auszulösen. Es braucht dazu meist strategische Modifikationen der mRNA (zum Beispiel 5`-UTR oder Poly-A-Schwanz), um die Translationsmaschinerie der Ribosomen zu überlisten.
  • Die Ko-Expression von immunogenen Proteinen im RNA-Impfstoff kann helfen, dass der Körper eine Immunreaktion gegen das virale Protein startet.
  • Zugleich muss verhindert werden, dass die mRNA unerwünschte Immunreaktionen auslöst. Um die Wahrscheinlichkeit fehlgeleitender Mustererkennung viraler RNA durch die natürliche Immunantwort zu minimieren, sollten die verwendeten RNA-Sequenzen denen von Säugetierzellen möglichst ähneln.
  • Impfungen mit RNA-Vakzinen müssen einerseits eine wirksame Immunantwort anstacheln, die modifizierten mRNA-Moleküle dürfen jedoch keine übertriebenen Immunreaktionen provozieren (zum Beispiel einen Zytokin-Sturm durch Aktivierung der angeborenen Immunabwehr).
  • Weil nackte RNA im Körper sehr schnell abgebaut wird, muss die RNA chemisch stabilisiert und zugleich in Nanopartikel verpackt werden, die eine Aufnahme in die gewünschten Zielzellen erleichtern.
  • RNA-Impfstoffe sind chemisch labil und benötigen daher in der Regel eine ununterbrochene Kühlkette, was ihren Einsatz in Entwicklungsländern erschwert. Thermostabile RNA-Vakzine befinden sich jedoch in der Entwicklung [17].

Mögliche Risiken und Nebenwirkungen von mRNA-Impfstoffen

  • Das Risiko für Nebenwirkungen sollte im Allgemeinen geringer sein als bei klassischen Impfstoffen, weil bei der Herstellung keine giftigen Substanzen oder Zellkulturen verwendet werden, die zu einer Verunreinigung des fertigen Impfstoffs führen könnten.
  • Trotzdem stellen das Kapern der körpereigenen Proteinfabriken und die potenzielle Überaktivierung der Immunabwehr klinisch relevante Risiken dar.
  • Mögliche immunologische Kreuzreaktionen der verwendeten viralen Proteine mit körpereigenen Eiweißen müssen analysiert werden, um zum Beispiel das Risiko für Autoimmunreaktionen zu minimieren.
  • Nach der Impfung besteht keine Gefahr, dass sich die eingeschleuste RNA langfristig in den Zellen manifestiert [1].
  • In den bisherigen präklinischen und den wenigen klinischen Studien wurde über Nebenwirkungen berichtet, die allerdings im Schnitt eher mild bis mäßig ausfielen. Nur in Einzelfällen wurden ausgeprägtere oder schwerere Begleiterscheinungen beobachtet (internationale CTC (Common Toxicity Criteria) Grade von 2 bis 3) [20][21][22].

SARS-CoV-2-Antigene für mRNA-Impfstoff-Kandidaten [17]

  • Das Spike-Protein ist in der Entwicklung der Antigen-codierenden mRNA die am häufigsten verwendete Zielsequenz. Es wird entweder als Ganzes oder teilweise verwendet – wie zum Beispiel die Rezeptor-Bindungsdomäne.
  • Proteinsequenzen in voller Länge behalten wahrscheinlich die korrekte natürliche Faltung des Proteins bei, können mehr Epitope liefern (jene Teile des Antigens, die eine Abwehr auslösen) und weisen daher eine höhere Immunogenität auf
    • das Monomer des Spike-Proteins aus SARS-CoV-2 enthält 1.273 Aminosäuren mit einem Molekulargewicht von etwa 140 kDa, es enthält zwei Untereinheiten (S1 und S2).
    • Die S1-Untereinheit kann mit zwei Domänen, der sogenannten N-terminalen Domäne (NTD) und der C-terminalen Domäne (CTD), weiter definiert werden.
    • Die Rezeptorbindungsdomäne (RBD) befindet sich in der CTD.
    • Die S2-Untereinheit enthält die Grundelemente, die für die Membranfusion mit der Körperzelle erforderlich sind, darunter ein internes Membranfusionspeptid (FP), zwei 7-Peptidwiederholungen (HR), eine proximale äußere Membranregion (MPER) und eine trans-Membrandomäne (TM).
  • Die RNA-Impfstoffe, die sich laut WHO momentan in der Entwicklung befinden, verwenden folgende mRNA-Konzepte [9]:
  • Moderna: mRNA-1273 ist ein neuartiger Lipid-Nanopartikel (LNP)-eingekapselter mRNA-basierter Impfstoff, der für ein präfusionsstabilisiertes Spike-(S)-Protein von SARS-CoV-2 in voller Länge codiert.
  • BioNTech: verwendet mRNA für definierte Teile des Spike-Proteins und der Rezeptorbindungsdomäne.
  • Fudan University/Shanghai JiaoTong University/RNACure Biopharma arbeiten an zwei Strategien:
    • mRNA, die virusartige Partikel codiert
    • mRNA, die die Rezeptorbindedomäne codiert
  • Centro Nacional Biotecnología (CNB-CSIC) aus Spanien: selbst-replizierende defekte RNA des SARS-CoV-2. Bei diesem Ansatz soll die fremde Virus-RNA selbst als Antigen in den Zellen erkannt werden.

Laufende und geplante klinische Studien

  • Gegenwärtig (Stand 27. April 2020) prüfen bereits zwei Pharmaunternehmen mRNA-Impfstoffe in klinischen Studien [9]:
  • Moderna/NIAID (NCT04283461)
    • Phase I, Open-Label, Dose-Ranging Study of the Safety and Immunogenicity of 2019-nCoV Vaccine (mRNA-1273) in 45 gesunden Erwachsenen (18-55 Jahre)
    • Start: 03. März 2020
  • BioNTech/Pfizer/Fosun Pharma (2020-001038-36)
    • Phase I/II Trial zur Untersuchung der Sicherheit und des Effektes von vier BNT162 Impfstoffkandidaten gegen COVID-2019 in 200 gesunden Erwachsenen (18-55 Jahre)

Zulassungschancen und -hürden für RNA-Impfstoffe [19]

  • Zurzeit gibt es noch keinen zugelassenen mRNA-Impfstoff, ein etablierter Weg zur ersten Zulassung existiert nirgendwo. Regulatorischen Erfahrungen mit beschleunigten Zulassungsverfahren für RNA-Impfstoffe in Pandemiezeiten sind daher unerprobt.
  • Es gibt noch keine größeren klinischen Prüfungen der Phase III, in denen das Therapie-Prinzip validiert wurde.
  • In jedem Fall muss das in den Körperzellen hergestellte Antigen biologisch sehr gut charakterisiert sein, um in den Zielzellen keine Fehlfunktionen auslösen zu können.
  • mRNA-Impfstoffe für Infektionskrankheiten würden in Europa von der EMA vermutlich nicht als „Advanced Therapeutic Medicinal Products“ (ATMP) zugelassen, sondern wie klassische Impfstoffe behandelt. Sie würden anders als in den USA nicht als Gentherapie betrachtet, weil das Ziel der Impfung nicht ist, eine genetische Sequenz in Zellen dauerhaft zu ersetzen.
  • Klassische Impfstoffe wie etwa Ganzkeim-Impfstoffe werden derzeit ebenfalls von erfahrenen Impfstoffherstellern entwickelt, sie könnten den unvertrauten RNA-Impfstoffen Konkurrenz machen.
  • Die Produktion und Reinigung von hochpathogenen SARS-CoV-2-Viren in hohen Konzentrationen in Herstellungsanlagen könnte eine Zertifizierung der Biosicherheitsstufe 3 erfordern, was viele Pharmafirmen ad hoc nicht leisten könnten [25].

Herstellungskapazitäten für mRNA-Pandemie-Impfstoffe [17][19][24]

  • Selbst Optimisten rechnen damit, das erste spezifische SARS-CoV-2 Impfstoffe in 6 bis 18 Monaten verfügbar werden
  • Das Design und die Applikation Delivery von potenten RNA-Impfstoffen steckt noch in den Kinderschuhen, es gibt keine erprobten Vorbilder für die Massenproduktion der Vakzine.
  • Prinzipiell können spezifische mRNAs oder Liposomal Nanoparticles (LNP) eher einfach unter Good Manufacturing Principles (GMP) hergestellt werden, weil es sich dabei nicht um komplexe Biomoleküle handelt. Allerdings liegen erst wenige klinische Erfahrungen mit ersten Kandidaten-Vakzinen vor.
  • Die deutsche Firma CureVac hat verkündet, dass sie basierend auf einer niedrigen Dosierung ihres RNA-Impfstoffs für Tollwut beim Menschen [23] mit einer aktuellen GMP-III-Anlage die Kapazität hätte, bis zu 400 Millionen Dosen RNA-Massengut pro Jahr herzustellen [25]. Diese müssten allerdings auch in Liposomen-Nanopartikel verpackt werden, was derzeit weltweit nur wenige spezialisierte Firmen anbieten.
  • Insgesamt dürfte die Produktionskapazität für SARS-CoV-2 Impfstoffe knapp bleiben, auch weil noch unklar ist, welcher Impfstoff sich nach klinischen Versuchen als wirksam, sicher und in erheblichen Mengen herstellbar erweist. Daher drohen Verteilungskämpfe um die zuerst verfügbaren Vakzine.
  • Auch könnte es in Pandemiezeiten zu einer Knappheit von Reagenzien zur Herstellung von mRNA und LNP kommen [25].
  • Staaten müssten Impfstoffherstellern bereits vor dem Ende klinischer Prüfungen Ressourcen für den Aufbau von Herstellungskapazitäten bereitstellen- selbst für den Fall, dass die Impfung nicht zur Zulassung kommt [25].

Literaturstellen, die zitiert wurden

[1] Pardi N et al. (2018): mRNA vaccines — a new era in vaccinology. Nat Rev Drug Discov 17, 261–279. DOI: 10.1038/nrd.2017.243.

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[3] Roper RL et al. (2009): SARS vaccines: where are we? Expert Rev. Vaccines; 8,7: 887-898. DOI: 10.1586/ERV.09.43.

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[12] Deutsches Zentrum für Infektionsforschung (21.04.2020): MERS-Coronavirus: Impfstoffstudie im Menschen vielversprechend - auch für die Impfstoffentwicklung gegen SARS-CoV-2. Pressemitteilung.

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[26] World Health Organisation (WHO): "Immunity passports" in the context of COVID-19. Scientific Brief. 24. April 2020.