Sonstiges

19. Juli 2018

Pseudo Journale – worum es sich handelt und wie die Wissenschaft gegensteuert

In einer investigativen, datengetriebenen Recherche widmen sich Journalisten des NDR, WDR und der Süddeutschen Zeitung sowie weitere internationale Medienpartner dem Phänomen der sogenannten Raubverleger („Predatory Publisher“) [1]. Gemeint sind in der Regel dubiose Verleger, die zum Schein wissenschaftliche Pseudo-Zeitschriften anbieten, die sich allein über Publikationsgebühren finanzieren und zahlenden Forschern keine oder unzureichende verlegerische Leistungen bieten.

Weil die Verbreitungskosten von wissenschaftlichen Originalartikeln ab der ersten Kopie beim digitalen Publizieren entfallen, entstanden vor allem in Asien und Afrika in den vergangenen Jahren tausende Webpages von Raubverlegern. Ihr Geschäftsmodell basiert im Kern darauf, Autoren aus wissenschaftlichen Institutionen anzuwerben, um dann gegen Gebühr Forschungsergebnisse zu veröffentlichen – ungeprüft oder ohne ernsthafte wissenschaftliche Qualitätskontrolle wie etwa einer externen Begutachtung („Peer Review“). Die Folge: Die Flut wertloser Publikationen beschädigt die Integrität des wissenschaftlichen Kommunikations- und Publikationssystems. Erst allmählich beginnt die Wissenschaftsgemeinde, sich zu wehren.

Dieses Fact Sheet des Science Media Center Germany beschreibt Ursachen für das Entstehen der Raubverleger. Es ordnet die Dimension der Entwicklung ein und dokumentiert Initiativen, mit denen die Wissenschaft versucht, die entstandenen Fehlanreize des wissenschaftlichen Publikationssystems im digitalen Zeitalter zu beseitigen.

Das Fact Sheet können Sie hier auch als PDF herunterladen.

Übersicht

  • Welche Dimension hat das Problem in Deutschland?
  • Wieso veröffentlichen Wissenschaftler in dubiosen Zeitschriften?
  • Welche Maßnahmen, Tools und Initiativen helfen gegen Pseudo-Zeitschriften und deren dubiose Verleger?
  • Wie bewegt sich die Wissenschaft in Deutschland?
  • Literaturstellen, die zitiert wurden

Welche Dimension hat das Problem in Deutschland?

  • Anlass: Eine datenbasierte Auswertung von mehreren hunderttausenden Veröffentlichungen will mehr als 5000 Namen von Autorinnen und Autoren in wissenschaftlichen Institutionen in Deutschland identifiziert haben, die zumindest einmal in „pseudowissenschaftlichen Zeitschriften“ („Predatory Journals“) publiziert haben [1].
  • Entspräche diese Zahl der Wirklichkeit, dann hätte rund 1,3 Prozent des wissenschaftlichen Personals an deutschen Universitäten und Fachhochschulen statistisch gesehen mindestens einmal in einer mutmaßlichen Raubzeitschrift publiziert [2].
  • Tatsächlich dürfte die Zahl der Wissenschaftler, die wissentlich in Zeitschriften mit dubiosen Geschäftspraktiken veröffentlicht haben, niedriger liegen. Der Grund: Viele wissenschaftliche Autoren werden Opfer betrügerischer Geschäftspraktiken von Raubverlegern.
  • Raubverleger verwenden meist Namen, die denen etablierter Journale ähneln. Sie imitieren deren Websites und locken Forscher mit Angeboten. Häufig finden sich zudem falsche Angaben zum Ranking der Journale, die Portale sind auf Täuschung hin optimiert [3] [4].
  • Wichtige Faktoren, die Forscher zur Beute von räuberischen Verlegern machen, sind mangelnde Erfahrung im wissenschaftlichen Publikationssystem sowie fehlende Kenntnisse der relevanten Titel im eigenen Spezialgebiet. Auch können ehemals seriöse Zeitschriften zu Raubzeitschriften degenerieren, z. B. wenn der Verleger wechselt. Autoren können unwissentlich zu Co-Autoren einer Publikation werden.
  • Erste Rückmeldungen aus befragten Universitäten legen nahe, dass der Prozentsatz der betroffenen Forscher in Deutschland realistisch eher im Promille-Bereich als im Prozentbereich liegen dürfte – bezogen auf die Zahl der insgesamt von Forschern in Deutschland veröffentlichten Manuskripte.
  • Eine Analyse der NZZ am Sonntag hatte im Februar 2018 eine Stichprobe von 9569 Wissenschaftlern über Google Scholar identifiziert, die an einer Schweizer Universität oder einer Fachhochschule beschäftigt waren. Dabei fanden sich 146 Wissenschaftler, die mindestens eine wissenschaftliche Abhandlung in insgesamt 220 Pseudo-Journals veröffentlicht hatten. Das entsprach 1,5 Prozent der untersuchten Stichprobe [5].
  • International dagegen verschärft sich das Problem der dubiosen „Predatory Publisher“, vor allem in Asien und Afrika. Cenyu Shen und Bo-Christer Björk von der Universität Helsinki unterzogen mutmaßliche „Predatory Journals“ 2015 einer ersten umfassenden Analyse. Danach stieg das Publikationsvolumen dubioser Zeitschriften von 53 000 Manuskripten im Jahr 2010 auf mehr als 400 000 vier Jahre später. [6]
  • Den Umsatz von Raubverlegern schätzten die Forscher der Universität Helsinki damals auf rund 75 Millionen US-Dollar. Seriöse Open Access Publisher erzielten im selben Jahr Erlöse in Höhe von 370 Millionen US-Dollar. Der Umsatz mit wissenschaftlichen Zeitschriften auf der Basis von Abonnements lag damals jährlich noch bei rund 10 Milliarden US-Dollar [7].

Wieso veröffentlichen Wissenschaftler in dubiosen Zeitschriften?

  • Wissenschaftler wollen die Früchte ihrer Erkenntnisse veröffentlichen. Wissenschaftler ringen dabei nicht nur um die wissenschaftliche Wahrheit, sondern auch um ihren Status innerhalb der Wissenschaft. Eine Karriere in der Wissenschaft hängt zu einem nicht unerheblichen Teil davon ab, dass die eigenen Publikationen in der jeweiligen Fachdisziplin wahrgenommen werden. [8]
  • Wissenschaftliche Zeitschriften sorgen für die Verbreitung von neuen Forschungsergebnissen, organisieren die Begutachtung relevanter Erkenntnisse (Peer Review) und archivieren das Wissen der Wissenschaft.
  • Der veröffentlichte Fachartikel wird damit letztlich zu einer Währung in der Wissenschaft, die Reputation verschafft. Publikationen etablieren eine Art „symbolisches Kapital“, das sich in Form von Reputationshierarchien manifestiert.
  • In Zeiten, in denen es immer mehr Forscher gibt und die Anzahl von Fachpublikationen exponentiell steigt, wurde die Anzahl der Artikel und die Menge der Zitationen von Publikationen zu Messeinheiten, an denen man die Reputation von Forschern, wissenschaftlichen Institutionen oder Ländern festzumachen versucht hat. Das hat zu fatalen Fehlanreizen geführt, wie inzwischen vielfach nachgewiesen werden konnte. [9]
  • Mit der Digitalisierung des wissenschaftlichen Publikationssystems verschieben sich zudem die ökonomischen Anreize für Verleger von Manuskripten fundamental. [10]
  • Bei einer Abo-Zeitschrift entscheiden am Ende die Abonnenten über den Wert und die Reputation einer wissenschaftlichen Zeitschrift, also z. B. Forschungsinstitutionen oder Bibliotheken. Hohe Ablehnungsraten von eingereichten Manuskripten steigern die Reputation der Top-Journale und sollen im Gegenzug die Kosten der Informationssuche ihrer Leser senken. [11]
  • Im Gegensatz zu gedruckten Fachzeitschriften fallen bei digitalen wissenschaftlichen Publikationen fast alle Kosten bei Herstellung des Originalmanuskripts an; die Verbreitungskosten weiterer Kopien dagegen sind minimal. Das hat zunächst einmal die Verhandlungsmacht der Wissenschaftsverlage gegenüber Bibliotheken erhöht.
  • In der Folge stiegen Beschaffungskosten ebenso wie die Renditen der wissenschaftlichen Verlage, die wiederum die Anzahl der Zeitschriften steigerten. Die Allianz der Wissenschaftsorganisationen führt derzeit Verhandlungen im Projekt DEAL [12], um die Beschaffungskosten für wissenschaftliche Fachliteratur zu senken und Open Access Optionen und damit die Verfügbarkeit von Forschungsergebnissen zu erzwingen [13].
  • Im Fall von digitalen Open Access Journals zahlen nun in der Regel die Autoren bzw. deren institutionellen Förderer die Kosten der Veröffentlichung ihres Manuskripts. Diese Gebühren, in der Branche als „Article Processing Costs“ bezeichnet, schwanken je nach Qualität und Reputation der Zeitschrift zwischen rund 50 und mehr als 5000 US-Dollar [14].
  • Entscheidend ist, dass kommerzielle Verleger bei Open Access-Zeitschriften im Kern ökonomisch keine Anreize haben, eingereichte Manuskripte nach einer strengen Begutachtung abzulehnen.
  • Raubverleger maximieren ihren Profit, indem sie die Zahl der veröffentlichten Manuskripte und Zeitschriften vervielfältigen. Solange sich Wissenschaftler finden, die unbedingt veröffentlichen wollen, steigt also der Gewinn selbst dann, wenn eine Zeitschrift keine Leser findet und keine Reputation aufbaut
  • Als Trittbrettfahrer des Trends zu Open Access beuten „Predatory Publisher“ und unseriöse Verleger den Digitalisierungstrend aus. Sie gründen Journals mit wohlklingenden Namen, legen eigene, seriös anmutende Websites an, täuschen eine Begutachtung vor (Peer Review) oder ermitteln fiktive Impact Faktoren. Faktisch nehmen sie alle eingereichten Manuskripte gegen Bezahlung zur Publikation an [15].
  • In einer im Internet zirkulierenden, seit 2017 allerdings nicht mehr aktualisierten „Schwarzen Liste“ von Pseudo-Zeitschriften verzeichnete der Bibliotheksforscher Jeffrey Beall von der University of Colorado in Denver zuletzt 1000 Verleger und Zeitschriften, die er als „potentially predatory“ einstufte. Eine archivierte, nicht mehr aktualisierte Version der „Beall“-Liste findet sich hier: [16].
  • Im Bereich der Open Access-Zeitschriften lässt sich derzeit eine Dreiteilung des Marktes beobachten. Es existieren seriöse Herausgeber, meist gelehrte Gesellschaften und Universitäten, die Open-Access Zeitschriften mit hohem Impact als „non profits“ führen und verbreiten (z.B. eLife). Daneben existieren „echte“ kommerzielle Verleger, die sich um eine Begutachtung eingereichter Artikel nach wissenschaftlichen Kriterien bemühen (z.B. Public Library of Science, kurz PLoS). Schließlich existiert die wachsende Flut der „Predatory Publisher“, die allein deshalb auf Jagd nach Forschern gehen, um die Rendite zu maximieren und Forschern Publikations- und Karrieremöglichkeiten vorgaukeln.

Welche Maßnahmen, Tools und Initiativen helfen gegen Pseudo-Zeitschriften und deren dubiose Verleger?

  • Vor allem müssen Forscher selbst ein Verständnis dafür entwickeln, welche Journals eher zu vermeiden sind. [17] [18]
  • „White Listing“ ist der Versuch, in „weißen Listen“ seriöse Verleger und deren Zeitschriften zu versammeln, in denen sich Forscher über seriöse Publikationsorte informieren können. Das Committee on Publication Ethics (COPE), das Directory of Open Access Journals (DOAJ), die Open Access Scholarly Publishers Association (OASPA), und die World Association of Medical Editors (WAME) haben Anfang 2018 “Principles of Transparency and Best Practice in Scholarly Publishing” veröffentlicht: [19].
  • Beim „Black Listing“ handelt sich um Sammlungen, die unseriöse Zeitschriften und Verleger benennen. Bei der inzwischen offiziell vom Netz genommenen bekanntesten „schwarzen Listen“ von Open Access-Zeitschriften, der „Beall’s List“, handelt es sich nach Angaben ihres Schöpfers um eine Liste von „möglicherweise oder wahrscheinlich“ räuberischen Zeitschriften [16]. Inzwischen fordern Forscher eine Art „Beall’s List 2.0“, also eine schwarze Liste, die auf objektiveren und robusteren Kriterien basiert. [20]
  • Die private US-Firma Cabell’s International („Scholarly Analytics“) vertreibt derzeit sowohl eine „weiße“ Positivliste als auch eine „schwarze Liste“ von Pseudojournals nach festgelegten und transparenten Kriterien – gegen Gebühr: [21].
  • Die Website „Retraction Watch“ [22] der US-Journalisten Ivan Oransky und Adam Marcus beschäftigt sich immer wieder aktuell mit Themen und Trends beim Predatory Publishing, z. B. [23].
  • Es gibt viele praktische Hilfen für Wissenschaftler für die Auswahl seriöser Zeitschriften:

Wie bewegt sich die Wissenschaft in Deutschland?

  • Die Zentralbibliothek der Medizin (ZB-Med) veröffentlicht Informationen zu „Schwarzen Schafen“ bei Open-Access-Publishern. [28]
  • Manche Universitäten und Forschungseinrichtungen in Deutschland stellen Informationen zum Thema „Predatory Journals“ für Forscherinnen und Forscher bereit:
    • Johannes Gutenberg Universität Mainz [29]
    • Humboldt-Universität zu Berlin [30]
    • Forschungszentrum Jülich [31]
  • Die Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften hat 2015 Empfehlungen zur Zukunft des wissenschaftlichen Publikationssystems ausgesprochen, die sich vor allem mit den Folgen der Digitalisierung beschäftigen. [32]
  • Mitte Juli 2018 forderten Präsidenten von Wissenschaftsorganisationen und der Generalsekretär der Volkswagenstiftung in einem Manifest grundlegende Reformen in der Bewertung der Qualität von wissenschaftlichen Arbeiten: „Der herrschende Konformitäts- und Publikationsdruck“ stehe der Qualität von Forschung und der Risikobereitschaft von Forschern entgegen. „Quantifizierung, Indikatorisierung“ und der „unsachgemäße Einsatz von Metriken“ in der wissenschaftlichen Leistungsbewertung verschärften das Problem zusätzlich. [33]
  • Erste Reaktionen der Berliner Forschungseinrichtungen: [34].

Literaturstellen, die zitiert wurden

[1] Eckert S et al. (2018): Recherche "Fake Science". Wissenschaft auf Abwegen. NDR, 19.07.2018.

[2] Statistisches Bundesamt (Destatis) (2017): Personal an Hochschulen 2016. Bildung und Kultur. Fachserie 11, Reihe 4.4.

[3] Beall J (2017): What I learned from predatory publishers. Biochemia Medica;27(2): 273-278. DOI: 10.11613/BM.2017.029.

[5] Amrein M (2018): So tricksen Schweizer Forscher die Hochschulen aus. NZZ am Sonntag, 03.02.2018.

[6] Shen C et al. (2015): ‘Predatory’ open access: a longitudinal study of article volumes and market characteristics. BMC Medicine; 13:230. DOI 10.1186/s12916-015-0469-2.

[7] Bohannon J (2015): Predatory publishers earned $75 million last year, study finds. Science, 30.09.2015.

[9] Smaldino PE et al. (2016): The natural selection of bad science. R Soc Open Sci;3(9):160384. DOI: 10.1098/rsos.160384.

[10] West JD et al. (2014): Cost Effectiveness of Open Access Publications. Economic Inquiry;52(4):1315-1321. DOI: 10.1111/ecin.12117.

[11] Lariviére V et al. (2015): The Oligopoly of Academic Publishers in the Digital Era. PLOS ONE; 10(6). DOI: 10.1371/journal.pone.0127502.

[14] Gillis A (2017): Beware! Academics are getting reeled in by scam journals. University Affairs, 12.01.2017.

[15] Bohannon J (2017): Who’s Afraid of Peer Review? Science; 342(6154): 60-65. DOI: 10.1126/science.342.6154.60.

[17] Directory of Open Access Journals (DOAJ): Frequently Asked Questions.

[18] Shamseer L et al. (2017): Potential predatory and legitimate biomedical journals: can you tell the difference? A cross-sectional comparison. BMC Medicine; 15:28. DOI 10.1186/s12916-017-0785-9.

[19] Open Access Scholarly Publishers Association (2013): Principles of Transparency and Best Practice in Scholarly Publishing.

[20] Vence T (2017): On Blacklists and Whitelists. The Scientist, 17.07.2017.

[21] Anderson R (2017): Cabell’s New Predatory Journal Blacklist: A Review. The Scholarly Kitchen; 25.07.2017.

[24] Think, Check, Submit: Choose the right journal for your research.

[25] Journal Guide: Find the best journal for your research.

[28] ZB MED-Publikationsportal Lebenswissenschaften (Publisso): Predatory Publishing oder „Schwarze Schafe“ bei Open-Access-Zeitschriften.

[29] Johannes Gutenberg Universität Mainz: Informationen über Predatory Open Access.

[30] Humboldt-Universität zu Berlin: Predatory Publishing.

[31] Forschungszentrum Jülich: Predatory Publishers.

[32] Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (2015): Empfehlungen zur Zukunft des wissenschaftlichen Publikationssystems.

[33] Wider den Zwang zur Konformität in der Wissenschaft. Forschung & Lehre, 12.07.2018.

[34] Wurnig D (2018): So reagieren die Forschungseinrichtungen in der Region. RBB24, 19.07.2018.