Kohleausstieg und Stromnetz
Die 20 schmutzigsten Braunkohlekraftwerke bis 2020 abschalten, fordern in den ersten Sondierungsgesprächen die Grünen. Der Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU), das Umweltbundesamt oder die Agora Energiewende unterstützen diese Forderungen mit Zahlen. Physikalisch unmöglich, hielt die FDP dagegen, ein gleichzeitiger Ausstieg aus Kohle und Atom sei nicht machbar. Die CDU steht in den Sondierungsgesprächen einem Kohleausstieg ablehnend gegenüber. Tatsächlich jedoch werden im kommenden Jahrzehnt viele Kohlekraftwerke altersbedingt stillgelegt, zugleich wurden viele Neubauprojekte aufgegeben und die Atomkraftkraftwerke werden vom Netz gehen. Eine Art stiller, langsamer, paralleler Ausstieg aus Kohle- und Atomenergie hat bereits begonnen. Er wird zudem in der Stromnetzplanung durch die Übertragungsnetzbetreiber (ÜNB) und die Bundesnetzagentur berücksichtigt [1].
Dieses Fact-Sheet liefert einen kurzen Einblick in die Studien und die durch die Planungen der ÜNB und der Bundesnetzagentur bereits bekannten Folgen der altersbedingten Stilllegung von Kohlekraftwerken bei gleichzeitigem Ausstieg aus der Atomenergie. Es erläutert zudem Einschätzungen zu den möglichen physikalischen Konsequenzen einer schnelleren Stilllegung von bis zu 20 Kohlekraftwerken, wie von den Grünen oder dem SRU gefordert.
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Häufig geäußerte Sorge angesichts des Atomausstiegs und eines zusätzlichen Kohleausstiegs ist, ohne Kohlekraftwerke würde das Stromnetz zusammenbrechen oder es würde Atomstrom aus Frankreich und Kohlestrom aus Polen importiert. Implizit wird dabei vermutet, physikalisch sei ein gleichzeitiges Abschalten von 20 Kohlekraftwerken und der Atomkraftwerke bis zum Jahr 2020 beziehungsweise 2022 nicht möglich oder müsste in seinen Folgen für die Versorgungssicherheit zunächst geklärt werden. Mit Blick auf das Stromnetz als Kern der Stromversorgung lassen sich physikalisch wichtige Fakten bereits heute festhalten:
Die Steuerung von Stromnetzen und die physikalischen Vorgänge sind erforscht. Dazu kommt: Seit Jahren rechnen sowohl Netzbetreiber wie auch Forscher, Think Tanks oder Verbände die Folgen der Energiewende für das Stromnetz und die Stromversorgung mit sogenannten Netz- und Marktsimulationen durch. Die dafür verwendeten Modelle kommen inzwischen stets auch institutionenübergreifend zu ähnlichen Ergebnissen. Ein Beispiel für eine aufwändige Simulation, mit der die Belastung von Stromnetzen getestet wird, ist der Netzentwicklungsplan Strom der Bundesnetzagentur. Er wurde bislang jedes Jahr fortgeschrieben, seit diesem Jahr erfolgt die Fortschreibung alle zwei Jahre:
Netzingenieure verstehen die Physik des Stromnetzes also sehr gut. Sie weisen gerne darauf hin, dass sie über ein großes Arsenal an Techniken verfügen, um die Folgen der Energiewende zu beherrschen und machmal auch die Physik zu "überlisten".
Die Notwendigkeit, die Braunkohleverstromung über die kommenden 15 bis 20 Jahre hinaus zu verlängern, besteht nicht. Die Folgen eines langsamen, zum Teil aus technischen, zum Teil aus Klimaschutz- oder aus Marktgründen veranlassten Ausstiegs aus der Kohleverstromung ist bereits seit längerer Zeit Teil der Netzplanung der Bundesnetzagentur.
Wie das Stromnetz auf ein schnelleres Abschalten von Braunkohlekraftwerken vorzubereiten wäre, lässt sich in Simulationen sehr gut berechnen. Der Aufwand dafür läge bei etwa drei Monaten. Die Planungen der Bundesnetzagentur zeigen aber bereits jetzt schon, dass dafür das Netz weiter umgebaut und ertüchtigt werden muss. Bevor ein Projekt für den Netzausbau zwischen Genehmigung und Fertigstellung installiert ist, braucht es erfahrungsgemäß etwa zwölf Jahre. Sollte ein Kohleausstieg schneller erfolgen, müsste die Politik dafür sorgen, dass auch das Stromnetz schneller umgebaut wird. Allerdings weisen Energietechniker darauf hin, dass der derzeit durch die Politik zugelassene maximale Ausbau der erneuerbaren Energien bisher nicht ausreicht, um das Klimaschutzziel von Paris zu erreichen.
[1] Das Stromnetz ist ähnlich wie das Straßennetz aufgebaut: Es gibt Autobahnen, Bundesstraßen, Landstraßen usw. Die "Autobahnen" des Stromnetzes nennt man Übertragungsnetz. Ihre Betreiber sind dafür verantwortlich, Stromerzeugung und verbrauch permanent auszubalancieren. Die übrigen "Straßen" des Stromnetzes werden von den Verteilnetzbetreibern betrieben. Derzeit (2017) gibt es davon rund 800 in Deutschland.
[1] Netzentwicklungsplan Strom 2030, Version 2017, Zweiter Entwurf der Übertragungsnetzbetreiber.
[2] Fraktionsbeschluss der Grünen Bundestagsfraktion vom 13.01.2017, Fahrplan Kohleausstieg.
[3] Bundesnetzagentur: Kraftwerksliste Stand 31.03. 2017.
[4] Agora Energiewende: Kohleausstieg, Stromimporte- und exporte sowie Versorgungssicherheit. Kurz-Analyse, 10. 11. 2017.
[5] Bundesnetzagentur, Bundeskartellamt: Monitoringbericht 2016, Stand November 2016.
[6] Bundesnetzagentur: Veröffentlichung Zu- und Rückbau, Stand 31.03.2017.
[7] Sachverständigenrat für Umweltfragen: Kohleausstieg jetzt einleiten. Stellungnahme Oktober 2017.
[8] Umweltbundesamt: Kohleverstromung und Klimaschutz bis 2030. Diskussionsbeitrag des Umweltbundesamts zur Erreichung der Klimaziele in Deutschland. Position November 2017.
[9] Agora Energiewende: Die Deutsche Braunkohlenwirtschaft. Historische Entwicklungen, Ressourcen, Technik, wirtschaftliche Strukturen und Umweltauswirkungen, 2017.
[10] Agora Energiewende: Elf Eckpunkte für einen Kohlekonsens. Konzept für eine schrittweise Dekarbonisierung des Deutschen Stromsektors, 2016.