Erster Fall von heterozygoter Creutzfeldt-Jakob-Krankheit bestätigt
Im Jahr 1996 wurde erstmals über die neue Variante der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit beim Menschen berichtet – als Folge der BSE-Epidemie bei Rindern in Großbritannien (siehe Weitere Recherchequellen: Will et al. (1996)). Alle Fälle dieser tödlichen Prionen-Erkrankung, die fortan kurz „vCJK“ genannt wurde, hatten eines gemeinsam: Die Betroffenen hatten in ihrer DNA den sogenannten „MM-Genotyp beim PRNP-Codon 129“.
Leiterin des Nationalen Referenzzentrums für die Surveillance Transmissibler Spongiformer Enzephalopathien und Leiterin der Forschungsgruppe Prionen, Universitätsmedizin Göttingen
„Der im New England Journal of Medicine berichtete Fall einer Variante der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit (vCJK) ist insbesondere von wissenschaftlichem und gesundheitspolitischem Interesse, da es sich um einen Patienten mit vCJK handelt, der am Codon 129 des Prionprotein-Gens heterozygot für die Aminosäuren Methionin und Valin ist. Alle bisher aufgetretenen Fälle einer vCJK waren homozygot an dieser Position. Die Homozygotie am Codon 129 beeinflusst die Inkubationszeit der Erkrankung. Dies ist aus früheren Ausbrüchen einer Creutzfeldt-Jakob-Krankheit nach Wachstumshormongabe bzw. nach Transplantation der Dura mater (äußere Hirnhaut; Anm. d. Red.) bekannt. Bei dieser Erkrankung mit einer extrem langen Inkubationszeit (Jahre bis Jahrzehnte) erkranken nach einer Exposition zunächst die Homozygoten am Codon 129 (MM) und mit einer längeren Inkubationszeit die Heterozygoten (MV).“
„Das Auftreten einer Erkrankung bei den Heterozygoten war schon über viele Jahre befürchtet und nie gänzlich ausgeschlossen worden. Es ist davon auszugehen, dass weitere Fälle zu erwarten sind. Die Fallzahlen können jedoch nicht zuverlässig abgeschätzt werden, da zu viele unbekannte Faktoren in die Berechnung einfließen.“
„Die Risiken von subklinischen Fällen sind eindeutig. Zum Beispiel wurden Übertragungen der vCJK von subklinischen Fällen über Blut und Blutprodukte beschrieben, auch wenn es derzeit nur sehr wenige sind. Das Risiko einer Erkrankungsübertragung von nicht diagnostizierten vCJK-Fällen über Blut, Organspende, chirurgische Instrumente kann nicht gänzlich ausgeschlossen werden. Aus diesem Grund muss besonderes Gewicht auf die Entwicklung diagnostischer Verfahren gelegt werden, die früh genug die Infektiosität bzw. die Erkrankung anzeigen und als Screening-Verfahren angewendet werden können.“
Leiter der Forschungsgruppe Prionen und Prionoide, Robert Koch-Institut (RKI), Berlin
„Neben Hirn und Rückenmark können auch andere Körperteile und Blut von subklinisch infizierten Personen vCJK-Erreger enthalten. Daher besteht ein potenzielles Risiko, vCJK-Erreger bei ärztlichen Maßnahmen durch Blut- und Blutprodukte, Transplantate oder chirurgische Instrumente zu übertragen. Bisher wurden aus dem Vereinigten Königreich vier Fälle einer wahrscheinlichen vCJK-Übertragung durch Blut im Transfusionsempfänger sowie ein Fall einer mutmaßlichen Infektion durch ein Plasmapräparat berichtet. Drei der betreffenden Transfusionsempfänger sind dabei auch klinisch an vCJK erkrankt. Es gibt allerdings keine Anhaltspunkte für ein vCJK-Übertragungsrisiko bei üblichen sozialen oder pflegerischen Kontakten oder über die Luft.“
„Der Sicherheit von chirurgischen Instrumenten, Transplantaten sowie Blut und Blutprodukten wird im Hinblick auf vCJD seit vielen Jahren große Aufmerksamkeit gewidmet. Dabei wurden umfangreiche Schutzmaßnahmen gegen mögliche Übertragungen der varianten Creutzfeldt-Jakob-Krankheit durch chirurgische Instrumente sowie in der Transplantations- und Transfusionsmedizin ergriffen [2]. Vor dem Hintergrund, dass es bisher keine praktikablen Testverfahren zur allgemeinen Untersuchung von Blutspendern oder Blutspenden auf vCJK-Erreger gibt, werden in Deutschland beispielsweise Personen, die sich im Zeitraum zwischen 1980 und 1996 insgesamt länger als sechs Monate im Vereinigten Königreich aufgehalten haben, von der Blutspende ausgeschlossen. Daneben wurden vorsorglich Empfehlungen zur Minimierung des Risikos einer Übertragung der vCJK durch chirurgische Instrumente herausgegeben. So soll die Aufbereitung von chirurgischen Instrumenten grundsätzlich zumindest zwei für die Dekontamination und Inaktivierung von vCJK-Erregern wenigstens partiell geeignete Verfahren kombinieren. Hierzu gehören insbesondere die Reinigung in alkalischem Milieu und eine nachfolgende Dampfsterilisation bei 134 Grad Celsius. Diese und weitere Schutzmaßnahmen sollten nach dem aktuellen Kenntnisstand der Übertragung von varianter Creutzfeldt-Jakob-Krankheit zwischen Menschen effektiv entgegenwirken. Dies ist im Prinzip auch für die nun neu berichtete Form der vCJK anzunehmen; zumal im beschriebenen Fall lymphatisches Gewebe und die Milz wohl schwächer betroffen waren, als es üblicherweise bei den bisherigen vCJK-Fällen beobachtet wurde.“
„Im Lichte der aktuellen Publikation besteht Forschungsbedarf, um die von der neuen vCJK-Form gegebenenfalls ausgehenden Risiken weitergehend abzuklären. Dabei wäre es unter anderem wünschenswert, das infektiöse Agens der neuen vCJD-Form zum Vergleich mit den Erregern der BSE und bisherigen vCJD-Fälle noch genauer zu typisieren.“
Direktor des Instituts für Neuropathologie, Universitätsklinikum des Saarlandes
„Der Fallbericht beschreibt, wie eine klinisch und bildgebend sporadisch – also althergebracht – erscheinende Creutzfeldt-Jakob-Erkrankung eines 36-jährigen Mannes sich als wahrscheinlich BSE-assoziiert erweist, also als variante Creutzfeldt-Jakob-Krankheit (vCJK).“
„Dies ist der erste vCJK-Fall bei einem Patienten, der nicht – wie alle anderen diagnostizierten Patienten zuvor – am Codon 129 des variablen Prionprotein-Gens die homozygote Ausstattung mit der Aminosäure Methionin (MM) trägt, wie 40 Prozent der europäischen Bevölkerung, sondern heterozygote Ausstattung Methionin/Valin (MV), wie 45 Prozent der Bevölkerung. (Die restlichen 15 Prozent der europäischen Bevölkerung haben die VV-Variante; Anm. d. Red.) Aufgrund der Uniformität der bislang über 20 Jahre hinweg erkannten Erkrankungsfälle bestand die Möglichkeit, dass die 60 Prozent der Bevölkerung, die nicht die MM-Ausstattung haben, immun gegen vCJK sein könnten. Dies ist offensichtlich nicht der Fall.“
„Die pathologischen Veränderungen in Gehirn und Körper des Patienten unterscheiden sich von denen der sporadischen, das heißt schon immer bei Menschen auftretenden, Creutzfeldt-Jakob-Krankheit. Unterscheidungsmerkmale sind die floriden Prionprotein-Plaques, die ähnlich aussehen wie Gänseblümchen, weil sich in der Mitte die Proteine verdichten und in einem Kranz außen herum die Vakuolen sind, und der Nachweis von Prionablagerungen im lymphatischen Gewebe.“
„Bislang haben wir eine Form der BSE-assoziierten Creutzfeldt-Jakob-Krankheit beobachtet, die auch nach 20 Jahren keinen wesentlichen Altersanstieg der Betroffenen zeigt und bislang nur bei einem genetisch charakterisierbaren Teil der Bevölkerung diagnostiziert wurde, nämlich jenem mit Methionin-homozygotem Codon 129 des Prionprotein-Gens. Diese epidemiologischen Aspekte machten es wahrscheinlich, dass diese Patienten eine besondere Empfänglichkeit (Suszeptibilität) für vCJK haben. Je länger nach dem BSE-Eintrag vCJK-Patienten erkranken und je breiter das Spektrum der potenziell Betroffenen wird, desto wahrscheinlicher wird, dass die Länge der Inkubationszeit bislang unterschätzt wurde und demzufolge deutlich mehr Personen, als die bislang 230 diagnostizierten Personen, zu dem potenziell gefährdeten Personenkreis gehören.“
„In einer epidemiologischen Studie haben Gill und Mitarbeiter [1] anhand der Untersuchung von 32 441 Appendix-, also Wurmfortsatz-Biopsien gezeigt, dass statistisch bei jedem 2000. Briten der Geburtsjahrgänge 1941 bis 1985 pathologisches Prionprotein im lymphatischen Gewebe nachweisbar ist. Nach heutigem Kenntnisstand sind dieses Personen, die eine vCJK inkubieren (entwickeln, Anm. d. Red.) könnten. In Tierversuchen geht die lymphatische Ablagerung des Erregers der Hirnerkrankung voraus. Unter den Personen, deren Lymphgewebe positiv getestet wurde, waren auch Personen mit MV-und VV-Polymorphismen am Codon 129 des Prionprotein-Gens. Bislang wusste man nicht, ob andere Personen als die 40 Prozent MM-Träger am Prion-Codon 129 in der Bevölkerung eine BSE-assoziierte vCJK ausprägen können und wie das Krankheitsbild bei diesen Personen aussehen könnte. Mit der vorliegenden Arbeit gibt es Hinweise darauf, dass das klinische Bild etlicher der bislang nicht als vCJK-empfänglich eingestuften Personengruppe den sporadischen Erkrankungen ähnlicher sein könnte als dem klinischen Bild der bislang beobachteten vCJK, während das Schädigungsmuster im Gehirn die Erkrankung jedoch einer BSE-assoziierten vCJK zuordnen lässt.“
„Seit dem wirkungsvollen Unterbrechen der Infektionskette im Rinder-Reservoir und wegen der strikten Testungen von Tieren für den menschlichen Verzehr ist kein relevanter Neueintrag des BSE-Erregers in die Nahrungskette mehr zu erwarten. Das eigentliche Risiko ist der an den Menschen adaptierte, und damit um ein Vielfaches hinsichtlich einer Verbreitung gefährlichere Erreger in unerkannten vCJK-Träger. Glücklicherweise ist eine Übertragung durch soziale Kontakte nach derzeitigem Kenntnisstand auszuschließen. Demzufolge setzt eine Übertragung eine den Körper verletzende Maßnahme, etwa ärztliches Handeln, voraus.
„In Deutschland sind im Jahr 2001 die Vorgaben für die Aufbereitung von Medizinprodukten im Hinblick auf potentielle Gefahren durch unerkannte vCJK deutlich verschärft worden; diese wurden 2012 vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte für Arzneimittel und der Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention fortgeschrieben. Die Reinigung von Medizinprodukten unter alkalischen Bedingungen in Kombination mit einer Hitzesterilisation hat sich als sehr effektiv erwiesen. Unter Beachtung dieser Maßnahmen ist nicht mit einer vCJK-Verbreitung in Deutschland zu rechnen. Dies sieht für andere europäische Länder deutlich kritischer aus.“
Das Gen für das Prion-Protein (PrP) kann in verschiedenen Formen vorkommen und dadurch beeinflussen, wie empfänglich ein Mensch für die fehlgefalteten Prionen und damit einen Prionen-Erkrankung ist. Eine entscheidende Stelle für Unterschiede ist das sogenannte „Codon 129“: Hier beschreibt der genetische Code den Bauplan entweder für die Aminosäure Methionin (M) oder Valin (V). MM bedeutet, dass der Mensch von beiden Elternteilen das Gen in der Methionin-Variante erhalten hat (homozygot); auch homozygot VV ist möglich. Und MV bedeutet, dass der Mensch von einem Elternteil die M-Variante erhalten hat und vom anderen Elternteil die V-Variante (heterozygot). Bisher war unbekannt, ob Menschen mit heterozygoter Erbanlage für das Prionprotein immun sind gegen die vCJK oder sie diese Prionenerkrankung erst nach längerer Inkubationszeit (etwa 35 Jahre nach Infektion) entwickeln. In der Fachliteratur gibt es bereits mindestens zwei ähnliche Fallberichte; allerdings wurde bei diesen die variante Creutzfeldt-Jakob-Krankheit nicht zweifelsfrei diagnostiziert (siehe Weitere Recherchequellen: Green AJ et al. (2010) und Kaski D et al. (2009)).
„Ich bin in keinen finanziellen Abhängigkeiten mit irgendwelchen Firmen und habe keine kommerziellen Interessen.“
Alle anderen: Keine Angaben erhalten.
Primärquelle
Tzehow M et al. (2017): Variant Creutzfeldt-Jakob Disease in a Patient with Heterozygosity at PRNP Codon 129. Correspondence. NEJM, 376;3. DOI: 10.1056/NEJMc1610003.
Weiterführende Recherchequellen
Robert Koch-Institut: Creutzfeldt-Jakob-Krankheit, Variante Creutzfeldt-Jakob-Krankheit (deutsch). Stand: 29.06.2015.
European Centre for Disease Prevention and Control (ECDC): Factsheet Variant Creutzfeldt-Jakob Disease (englisch).
Robert Koch-Institut: Zur Situation bei wichtigen Infektionskrankheiten in Deutschland – Creutzfeldt-Jakob-Krankheit für das Jahr 2014. Epidemiologisches Bulletin, Nr. 26, 29.06.2015.
Concha-Marambio L et al. (2016): Detection of prions in blood from patients with variant Creutzfeldt-Jakob disease. Sci Transl Med;8(370):370ra183. DOI: 10.1126/scitranslmed.aaf6188.
Holznagel E et al. (2015): Foodborne-Transmitted Prions From the Brain of Cows With Bovine Spongiform Encephalopathy Ascend in Afferent Neurons to the Simian Central Nervous System and Spread to Tonsils and Spleen at a Late Stage of the Incubation Period. J Infect Dis;212(9):1459-68. DOI: 10.1093/infdis/jiv232.
Mead S et al. (2014): Variant Creutzfeldt-Jakob Disease With Extremely Low Lymphoreticular Deposition of Prion Protein. JAMA Neurol; 71(3): 340–343. DOI: 10.1001/jamaneurol.2013.5378.
Rubenstein R et al. (2013): Re-Assessment of PrPSc Distribution in Sporadic and Variant CJD. PLoS One; 8(7): e66352. DOI: 10.1371/journal.pone.0066352.
de Marco MF et al. (2010): Large-scale immunohistochemical examination for lymphoreticular prion protein in tonsil specimens collected in Britain. J Pathol;222(4):380-7. DOI: 10.1002/path.2767.
Green AJ et al. (2010): Elevated phosphorylated tau pT-181 in a possible PRNP codon 129 MV vCJD case. J Neurol Neurosurg Psychiatry;81(12):1408-9. DOI: 10.1136/jnnp.2009.183418.
Kaski D et al. (2009): Variant CJD in an individual heterozygous for PRNP codon 129. Lancet;374(9707):2128. DOI: 10.1016/S0140-6736(09)61568-3.
Will RG et al. (1996): A new variant of Creutzfeldt-Jakob disease in the UK. Lancet;347(9006):921-5.
Literaturstellen, die von den Expert:innen zitiert wurden
[1] Gill ON et al. (2013): Prevalent abnormal prion protein in human appendixes after bovine spongiform encephalopathy epizootic: large scale survey. BMJ;347:f5675. DOI: 10.1136/bmj.f5675.
[2] Beekes M (2010): Die variante Creutzfeldt-Jakob-Krankheit (vCJK). Epidemiologie und Schutzmaßnahmen gegen eine Übertragung von Mensch zu Mensch. Review. Bundesgesundheitsblatt Gesundheitsforschung Gesundheitsschutz;53(6):597-605. DOI: 10.1007/s00103-010-1070-7.
Prof. Dr. Inga Zerr
Leiterin des Nationalen Referenzzentrums für die Surveillance Transmissibler Spongiformer Enzephalopathien und Leiterin der Forschungsgruppe Prionen, Universitätsmedizin Göttingen
PD Dr. Michael Beekes
Leiter der Forschungsgruppe Prionen und Prionoide, Robert Koch-Institut (RKI), Berlin
Prof. Dr. Walter Schulz-Schaeffer
Direktor des Instituts für Neuropathologie, Universitätsklinikum des Saarlandes