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12.05.2023

KI und Arbeitsmarkt – welche Effekte sind zu erwarten?

     

  • laut Studien könnten viele Tätigkeiten durch KI mindestens teilautomatisiert werden
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  • Forschende: Effekte empirisch noch unklar, jedoch grundlegende Mechanismen am Arbeitsmarkt bekannt
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  • große Arbeitsplatzverluste unplausibel, eher verändern sich Löhne und welche Tätigkeiten Menschen ausüben
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Seit ChatGPT und andere generative KI-Modelle ihr Potenzial für verschiedenste Anwendungen demonstriert haben, ist klar, dass diese Technologie die Arbeitswelt nachhaltig verändern könnte. Zudem scheinen die Effekte im Gegensatz zu vergangenen technologischen Innovationen nun Berufsbilder mit höheren Bildungsabschlüssen und Einkommen in besonders hohem Maße zu betreffen. Das zeigen zumindest erste Überlegungen dazu, welche Berufe zu großen Anteilen aus Tätigkeiten bestehen, die KI ersetzen könnte.

So wurde viel über eine Veröffentlichung von OpenAI [I] berichtet, in der untersucht wird, aus welchen Tätigkeiten sich Jobprofile zusammensetzen und welche dieser Tätigkeiten wie stark durch KI beschleunigt beziehungsweise ersetzt werden könnten. Demnach könnte KI in etwa einem Fünftel aller US-Jobs für die Hälfte der zu diesen Jobs zählenden Tätigkeiten relevante Auswirkungen haben: Für diese Tätigkeiten könnte KI die Arbeitszeit mindestens halbieren. Welchen Anteil an der gesamten Arbeitszeit im jeweiligen Job diese Tätigkeiten wiederum ausmachen, ist jedoch nicht untersucht worden.

Eine weitere Veröffentlichung, die Aufsehen erregte, stammte von der Bank Goldman Sachs [II]. Auch hier wurde untersucht, welche Tätigkeiten womöglich durch KI automatisiert werden könnten. Das Ergebnis lautete, dass ein Viertel der derzeitigen Arbeit in den USA und Europa durch KI ersetzt werden könnte. Gleichzeitig würden jedoch neue Jobs entstehen und außerdem könnte KI das Wirtschaftswachstum deutlich erhöhen. Die Sorge, KI könnet in großem Stil Jobs „wegautomatisieren“ – und zwar auch die „erfüllenden“ –, nannten außerdem die Befürworter eines Moratoriums für die Weiterentwicklung generativer KI als einen ihrer Gründe [III]. Wissenschaftliche Publikationen zu den empirischen Arbeitsmarkteffekten generativer KI gibt es jedoch bislang kaum, da diese Effekte zwangsläufig noch in der Zukunft liegen.

Um einzuordnen, inwiefern die Angst vor großen Umwälzungen und Arbeitslosigkeit berechtigt ist, hat das SMC Expertinnen und Experten angefragt. Sie wurden gebeten, zu erläutern, was sich aus Sicht der Wissenschaft überhaupt schon sagen lässt und was für Auswirkungen von KI sie auf Basis vergangener Forschung zu den Arbeitsmarkteffekten neuer Technologien erwarten.

Übersicht

     

  • Prof. Dr. Wolfgang Dauth, Leiter des Forschungsbereichs Regionale Arbeitsmärkte, Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit (IAB), Nürnberg

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  • Prof. Dr. Sebastian Findeisen, Professor für Wirtschaftspolitik, Universität Konstanz

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  • Prof. Dr. Georg Graetz, Assistenzprofessor am Institut für Ökonomie, Universität Uppsala, Schweden

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  • Prof. Dr. Melanie Arntz, Leibniz-Professorin für Arbeitsmarktökonomie, Universität Heidelberg

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Statements

Die folgenden Statements sind bewusst mit Blick auf langfristige Verwendbarkeit eingeholt und können auch in Zukunft zu diesem Thema Hintergrundinformationen bieten und zitiert werden.

Prof. Dr. Wolfgang Dauth

„Bei KI handelt es sich um eine technisch fortgeschrittene Form der Automatisierung. Bis die konkreten Arbeitsmarkteffekte und Anpassungsreaktionen empirisch untersucht werden können, werden voraussichtlich noch drei bis fünf Jahre vergehen.“

„Die grundlegenden Mechanismen, wie sich Automatisierung auf den Arbeitsmarkt auswirkt, sind in der Forschung jedoch bereits eingehend untersucht. Es besteht auch kein Grund zur Annahme, dass sich diese Mechanismen im Fall von KI unterscheiden würden. Zur Einschätzung können also Erkenntnisse aus bisherigen Formen der Automatisierung herangezogen werden.“

Prof. Dr. Sebastian Findeisen

„Die neuesten Anwendungen, die gerade in aller Munde sind, die sogenannten LLMs (große Sprachmodelle; Anm. d. Red.), werden gerade erst adoptiert. Um wirklich die Auswirkung zu sehen, wird es noch einige Jahre dauern, bis die Adoption viel weiter vorangeschritten ist.“

Prof. Dr. Georg Graetz

„Es gibt verschiedene Forschungsansätze, die geeignet sind, die Arbeitsmarkteffekte von KI zeitnah einzuschätzen beziehungsweise Prognosen zu erstellen. Dazu gehören der Vergleich von Tätigkeitsbeschreibungen und KI-Anwendungen [1] [2] und die Analyse von Stellenanzeigen [3] [4] sowie Befragungen von Arbeiter*innen und Betrieben [5] [6]. Außerdem kann KI recht zügig auf Tätigkeitsebene untersucht werden, insbesondere die Auswirkungen von KI-basierten Hilfsmitteln auf die Produktivität der Arbeiter*innen [7] [8].“

„Zur Einschätzung der volkswirtschaftlichen Effekte von KI, zum Beispiel auf Löhne und Beschäftigungsquote, bedarf es Daten, die normalerweise jährlich erhoben werden. Bisher war die Nutzung von KI zu gering ausgeprägt, um diese Effekte messen zu können [4]. Allgemein ist der Forschungsstand aufgrund der hohen Geschwindigkeit von Entwicklung und Ausbreitung der KI nicht ausreichend gesichert.“

Prof. Dr. Melanie Arntz

„Die Studienlage zu den Auswirkungen von KI auf den Arbeitsmarkt ist bisher noch überschaubar. Insbesondere mangelt es an Daten, die es ermöglichen, die tatsächliche Anwendung von KI in Betrieben auf ihre Wirkungen hin zu überprüfen. Die meisten Studien betrachten stattdessen entweder ‚AI Exposure‘ oder den KI-Anteil in Stellenanzeigen als ein Maß, um die möglichen Wirkungen der KI abzuschätzen.“

„Im Fall der ‚AI Exposure‘ wird abgeschätzt, ob eine Tätigkeit potenziell durch eine KI übernommen werden kann. Anhand der in Berufen benötigten Tätigkeiten kann dann abgeschätzt werden, welcher Anteil der Tätigkeiten einer KI-Anwendung potenziell ausgesetzt sind. Entsprechende Maße werden dann verwendet, um abzuschätzen, ob sich Berufe oder auch Betriebe mit einem hohen Anteil KI-fähiger Tätigkeiten – ‚high exposure‘ – anders entwickeln als Berufe und Betriebe mit einem niedrigen Anteil KI-fähiger Tätigkeiten. Bei der Interpretation dieser Ergebnisse ist jedoch zu berücksichtigen, dass sie nicht die Auswirkungen einer tatsächlichen KI-Nutzung messen und es daher auch denkbar ist, dass die gemessenen Effekte andere Unterschiede zwischen Berufen mit hoher versus niedriger KI-Fähigkeit einfangen. Ein Beispiel dafür ist eine Studie von Felten et al. [9], die Hinweise finden, dass Berufe mit starker KI-Exponiertheit leicht positive Lohnentwicklungen verzeichnen und sich keine negativen Beschäftigungstrends abzeichnen.“

„Alternativ verwenden Studien den KI-Anteil von Stellenanzeigen. Eine aktuelle Studie von Acemoglu et al. [3] nutzt dafür die Stellenausschreibungen von Betrieben mit KI-Bezug als Indikator der Einführung von KIs im Betrieb. Sie finden heraus, dass diese Betriebe weniger nach Beschäftigten ohne KI-Kenntnissen suchen und sich die Anforderungen in den Stellenausschreibungen verändern. Hinweise auf negative Beschäftigungseffekte gibt es hingegen nicht.“

„Diese Studien werden in den nächsten ein, zwei Jahren vermutlich ergänzt durch Studien, welche die Auswirkungen einer tatsächlichen Nutzung von KI im Betrieb analysieren, um Beschäftigungs- und Lohnwirkungen abzuschätzen. Denn bei den Studien auf Basis der KI-Exponiertheit ist der Zusammenhang zu einer tatsächlichen Nutzung der KI nur sehr indirekt. Und selbst mit dem Maß der KI-bezogenen Stellenausschreibungen messen die Effekte oftmals nur die Auswirkungen in einer sehr frühen Phase der KI-Implementation im Betrieb. Die Auswirkungen könnten sich noch verändern, wenn KI in größerem Maße in Betrieben zum Einsatz kommt.“

Prof. Dr. Wolfgang Dauth

„Berufe können als Bündel von verschiedenen Tätigkeiten verstanden werden. Ein Teil dieser Tätigkeiten kann und wird von Maschinen übernommen werden. Dabei handelt es sich um Routinetätigkeiten, die repetitiv sind und klaren Regeln folgen. Durch neue Technologien wie KI wird sich die Zahl der Tätigkeiten weiter steigern, die in diese Kategorie fallen und damit automatisierbar sind. Mehr als zuvor werden kognitive Tätigkeiten betroffen sein. Beispiele sind das Steuern von Fahrzeugen, die Buchhaltung, aber auch sehr anspruchsvolle Tätigkeiten wie das Programmieren von Software oder die medizinische Diagnostik.“

„Wichtig ist, dass dies immer nur einen Teil des Tätigkeitsspektrums eines Berufes betrifft und sich das konkrete Spektrum auch bei demselben Beruf zwischen verschiedenen Betrieben unterscheiden kann. Innerhalb eines Berufes werden sich Menschen auf die nicht-automatisierbaren Tätigkeiten spezialisieren, die soziale Interaktion und Kreativität erfordern – und so produktiver werden. Beispielsweise können Ärzte die Auswertung von CT-Bildern der KI überlassen und dadurch mehr Patienten betreuen oder mehr Zeit in die persönliche Kommunikation mit den Patienten investieren. Nur wenige Berufe, die gänzlich auf automatisierbaren Tätigkeiten beruhen, werden ganz verschwinden, wie zum Beispiel Lokführer oder Lkw-Fahrer.“

Prof. Dr. Georg Graetz

„Einerseits wird erwartet, dass KI einen Trend fortsetzt, indem sie, wie vorherige Technologien, routinemäßige Aufgaben in der Produktion, im Büro und im Handel ersetzt [5] [6]. Andererseits wird KI wohl Aufgaben übernehmen, die bisher nicht oder weniger von Automatisierung betroffen waren, wie zum Beispiel Übersetzen, Erstellung von Texten, Graphiken, und Musik, und das Führen von Fahrzeugen [2].“

„Im Durchschnitt scheinen besonders hochbezahlte Berufe betroffen zu sein [2], wobei aber noch nicht klar ist, ob es überwiegend zum Ersetzen oder Komplementieren von Aufgaben kommt [6]. Wenn KI als Hilfsmittel verwendet wird, scheinen besonders weniger fähige Arbeiter*innen zu profitieren [7] [8]. Insofern es eine intrinsische Wertschätzung gibt für menschliche Ausübung von Arbeit – zum Beispiel eher bei persönlichen Dienstleistungen, im Handwerk, in Kunst und Unterhaltung – sind die entsprechenden Berufe von KI nicht bedroht, und werden mit steigenden Einkommen verstärkt nachgefragt.“

Prof. Dr. Melanie Arntz

„Die bereits angesprochenen Maße zur KI-Exponiertheit sind ein guter Indikator dafür, welche Berufe potenziell mit besonders starken Veränderungen aufgrund einer zunehmenden KI-Nutzung zu rechnen haben. Dabei zeichnet sich ab, dass insbesondere kognitive Routinetätigkeiten, zum Beispiel administrative Tätigkeiten, aber auch komplexere, analytische Tätigkeiten – wie bei Finanzanalysten, Mathematikern, Juristen – in hohem Maße durch KI-Anwendungen verändert werden könnten. Insbesondere all jene Tätigkeiten, bei denen Informationen gesammelt, aufbereitet und in strukturierter Form weitergegeben werden müssen, können in hohem Maße durch KI übernommen werden. Insgesamt betreffen Anwendungsmöglichkeiten von KI somit im Vergleich zu vorherigen Technologien eher Berufe, die einen hohen Bildungsstand und häufig einen Universitätsabschluss erfordern.“

„Das heißt aber nicht automatisch, dass die davon betroffenen Berufe und Jobs ersetzt werden. In vielen Berufen wird es lediglich zu einer neuen Arbeitsteilung zwischen Mensch und Maschine kommen. Menschen werden sich somit stärker auf Tätigkeiten fokussieren, die KIs nicht übernehmen können.“

Prof. Dr. Wolfgang Dauth

„KI trifft auf einen durch Fachkräfteengpässe gekennzeichneten Arbeitsmarkt. Sie wird vermutlich insbesondere dort eingesetzt werden, wo es Engpässe gibt und die Produktivität der Personen in diesen Berufen erhöhen. In einzelnen Berufen wie etwa in der Softwareprogrammierung führen Fachkräfteengpässe zu besonders hohen Löhnen. Durch die Produktivitätssteigerungen werden sich in diesen Berufen die Engpässe auflösen, was bei gleichbleibender Nachfrage auch das Lohnniveau senken kann. Es ist jedoch nicht davon auszugehen, dass dies zu Jobverlusten führt. Stattdessen werden junge Menschen verstärkt in jene Berufe gehen, bei denen die Nachfrage in Zukunft steigt.“

Prof. Dr. Sebastian Findeisen

„Es ist wahrscheinlich, dass es in den ersten Jahren nach weiterer Verbreitung natürlich auch Verlierer geben wird. Das ist bei jeder neuen disruptiven Technologie so. Die neue ‚Code Interpreter‘ Anwendung von OpenAI zeigt, wohin die Reise geht. Bei Softwareentwicklung und Datenanalysen wird in den nächsten Jahren viel mehr automatisiert werden können. Viele Unternehmen werden sich fragen, ob sie wirklich einen großen eigenen IT-Stab brauchen oder nur weniger Leute, die mit der KI die Software der Firma am Laufen halten.“

„Allerdings wird meiner Meinung nach oft stark überschätzt, wie schnell so etwas geht. Oft gehen viele Jahre ins Land, bis wirklich viele Firmen Wege gefunden haben, neue Technologien produktiv in ihre Abläufe zu integrieren. Bis dahin haben Beschäftigte und Unternehmen Zeit, Anpassungen zu implementieren, sodass Entlassungen vermieden werden können. Hinzu kommt für Deutschland ein weiterer wichtiger Aspekt, und das ist der relative Mangel an IT-Experten im Verhältnis zur aktuellen Nachfrage von Firmen nach IT-Fachkräften. Steigende Automatisierung im IT-Bereich wird hier kaum zu Massenarbeitslosigkeit führen.“

Prof. Dr. Georg Graetz

„Es ist schwer vorstellbar, dass es durch KI insgesamt zu Einkommensverlusten kommt. Im Gegenteil, höhere Produktivität sollte zu höheren Einkommen führen, wobei sich aber die Frage nach der Verteilung stellt.“

„Was das Arbeitseinkommen angeht, gibt es erste Zeichen, dass KI besonders den Hochlohnbereich betrifft, und andererseits weniger fähige Arbeiter*innen besonders profitieren – siehe meine Antwort auf Frage zwei. Dies würde zu geringerer Ungleichheit beim Arbeitseinkommen führen. Andererseits hat Automatisierung die Tendenz, Einkommen von Arbeit auf Kapital zu verschieben [10]. Da Kapitaleinkommen generell sehr ungleich verteilt ist, könnte ein höherer Grad staatlicher Umverteilung nötig werden, damit KI der breiten Gesellschaft zugutekommt.“

Prof. Dr. Melanie Arntz

„In einigen Berufsfeldern wird der Bedarf nach Arbeitskräften durch KI tatsächlich auch insgesamt sinken. Es ist jedoch – auch angesichts des Fachkräftemangels – nicht davon auszugehen, dass in großem Stil Menschen technologiebedingt entlassen werden.“

„Vielmehr ist, auch gestützt durch Studien zu den Wirkungen des technologischen Wandels in der jüngeren Vergangenheit, zu erwarten, dass Betriebe nach anderen Arbeitskräften suchen und vor allem ihre Einstellungspraxis anpassen. Auch wenn keine größeren Entlassungswellen und Jobverluste zu erwarten sind, stehen wir somit dennoch vor einem starken Strukturwandel, der sich auch auf die Lohnentwicklung in Berufen und Branchen auswirken dürfte.“

„Berufe und Branchen, deren Nachfrage aufgrund von KI rückläufig ist, wie möglicherweise Berufe in der Finanz- und Versicherungsbranche, werden vermutlich eine schwächere Lohnentwicklung sehen als Branchen und Berufe, die in diesem Wandel zunehmend gefragt sind, zum Beispiel Data Scientists, oder von der KI-Technologie wenig beeinflusst werden, zum Beispiel Pflegeberufe. Eine mögliche Konsequenz könnte sein, dass die Lohnungleichheit in der oberen Hälfte der Lohnverteilung zunimmt, sich die Löhne von Hochschulabsolventen weiter ausdifferenzieren.“

Prof. Dr. Wolfgang Dauth

„Es wird innerhalb von Berufen zu Verschiebungen des Tätigkeitsspektrums kommen, welches von Menschen übernommen wird. Die verbleibenden Tätigkeiten werden durch hohe Anforderungen an kreative und soziale oder handwerkliche Fähigkeiten gekennzeichnet sein. Das Bildungssystem sollte junge Leute mit diesen Fähigkeiten ausstatten und sie gleichzeitig zur Anpassung an neue Anforderungen befähigen. Gleichzeitig können Weiterbildungsbedarfe bei bereits am Arbeitsmarkt etablierten Menschen entstehen. Systematische Weiterbildung ist bislang vor allem in Großunternehmen zu beobachten. In kleinen und mittleren Unternehmen besteht dagegen Nachhol- und Unterstützungsbedarf.“

Prof. Dr. Sebastian Findeisen

„Aus einer wissenschaftlichen Studie, die wir zur Reaktion des deutschen Arbeitsmarktes auf die rasante Entwicklung von Industrierobotern gemacht haben [1], wissen wir, dass die Anpassung erstaunlich gut innerhalb der Betriebe geklappt hat. Betroffene Unternehmen und deren Angestellte haben oft – aber natürlich nicht immer – neue Aufgaben für ihre Belegschaft gefunden und so für Beschäftigungs- und Lohnstabilität gesorgt. Institutionen wie das deutsche Modell der Mitbestimmung können diese Transition besonders für Arbeiter erleichtern.“

„Das heißt nicht, dass es keine gute Idee ist, trotzdem an der Bildungs- und Fortbildungspolitik zu feilen, um vor allem älteren Individuen, die ihren Job verlieren, den Wiedereinstieg in die Arbeitswelt zu erleichtern. Wichtig ist, dass die Fortbildungsprogramme mit der Zeit gehen und im besten Fall ermöglichen, dass Beschäftigte mit den neuen Technologien zusammenarbeiten können. Außerdem ist es, wie bereits erwähnt, wichtig, ältere Individuen mitzunehmen, weil diese Gruppe aus vielfältigen Gründen erfahrungsgemäß die größten Anpassungsschwierigkeiten hat. Wie man diese Programme zielgerichtet ausgestaltet, sollte allgemein mithilfe von Experimenten in den nächsten Jahren noch viel besser erforscht werden.“

Prof. Dr. Georg Graetz

„Ein besonderes Risiko ergibt sich aus der hohen Geschwindigkeit von Entwicklung und Verbreitung der KI. Hier sollte die Arbeitsmarktpolitik Szenarien entwickeln – zum Beispiel was die Konsequenzen einer raschen Ausbreitung automatischer Fahrzeuge wären. Zudem sollten, gemeinsam mit Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden, Strategien entwickelt werden. Diese sollten sicherstellen, dass die Einführung neuer Technologien keine sozialen Verwerfungen verursacht und zu weit verbreitetem Wohlstandsgewinn führt.“

„Verschiedene Arten von Marktversagen rechtfertigen die Einflussnahme des Staates. Die Berufswahl der Menschen geschieht unter Ungewissheit und der Markt bietet keine Versicherung an für den Fall, dass technologische Entwicklungen die Nachfrage nach bestimmten Fähigkeiten und Kenntnissen verringern. Unternehmen haben oft begrenzte Anreize, in die digitalen Fähigkeiten ihrer Angestellten zu investieren, da solche Investitionen den konkurrierenden Firmen zugutekommen können. Daher ist es Aufgabe des Staates, sicherzustellen, dass das Bildungssystem solche allgemeinen Fähigkeiten vermittelt – der technologischen Entwicklung entsprechend.“

„Ebenso besteht die Möglichkeit des Staatsversagens zum Beispiel durch Beschränkungen der Berufswahl, etwa ausgehend von staatlich sanktionierten berufsständischen Organisationen. Solche Beschränkungen können die Anpassung des Arbeitsmarktes and die technologische Entwicklung verlangsamen. Auf der anderen Seite könnten staatliche Eingriffe den negativen Effekten einer rapiden technologischen Entwicklung entgegenwirken. Zum Beispiel könnte die persönliche Begleitung von autonomen Fahrzeugen während einer Übergangszeit gesetzlich vorgeschrieben werden. Welcher Richtung es Bedarf, hängt vom Einzelfall ab.“

„Nicht zuletzt sind besonders jene Teile des Arbeitsmarktes, in denen der Staat eine starke Rolle spielt, von Arbeitskraftmangel betroffen – nämlich Bildungs- und Gesundheitswesen. Volkswirtschaftliches Produktivitätswachstum, etwa aufgrund der Verbreitung von KI, sollte mit Hilfe geeigneter Politik zur Überwindung dieser Mängel führen.“

Prof. Dr. Melanie Arntz

„Die Arbeitsmarktpolitik sollte sich darauf konzentrieren, Betriebe und Beschäftigte dabei zu unterstützen, den anstehenden Strukturwandel zu bewältigen. Dazu gilt es einerseits, Weiterbildungs- und Qualifizierungsmöglichkeiten weiter zu stärken. Denn durch die betriebliche Weiterbildung werden bisher nicht alle Beschäftigtengruppen erreicht. Zwar gibt es bereits eine Vielzahl an Förderinstrumenten, doch das Weiterbildungssystem muss insgesamt transparenter und bedarfsgerechter ausgestaltet werden. Darüber hinaus ist es vor allem für KMUs (Kleinstunternehmen, kleine und mittlere Unternehmen; Anm. d. Red.) wichtig, den überbetrieblichen Wissenstransfer zum Beispiel durch entsprechende Netzwerke zu stärken, um den Betrieben die Einführung neuer Technologien zu erleichtern und ihnen zu helfen, entsprechende Weiterbildungsbedarfe zu identifizieren.“

„Darüber hinaus zeichnet sich aktuell ein im Zuge der ökologischen Transformation wachsender Fachkräftemangel in einigen Ausbildungsberufen ab, der kaum durch einen KI-Einsatz abzumildern ist. Die Arbeitsmarktpolitik tut daher auch gut daran, weniger auf eine weiterhin steigende Akademisierung zu setzen, sondern auch die Attraktivität des Ausbildungssystems verstärkt in den Blick zu nehmen.“

Prof. Dr. Wolfgang Dauth

„In der Vergangenheit wurden neue Automatisierungstechniken zuerst von großen, produktiven Unternehmen eingesetzt, was deren Wettbewerbsvorteile verstärkt hat. Diesen Unternehmen fällt es aufgrund ihrer Größe leichter, die bestehenden Mitarbeitenden weiterzubilden und in anderen Tätigkeitsschwerpunkten einzusetzen. Gleichzeitig sorgen Institutionen am Arbeitsmarkt wie die Sozialpartnerschaft und der im Vergleich zu den USA starke Kündigungsschutz dafür, dass Anpassungen eher innerhalb der Betriebe und nicht durch Kündigung von bestehenden Mitarbeitenden erfolgen. Bei allen Defiziten im Umgang mit neuen Technologien und der digitalen Infrastruktur ist der deutsche Arbeitsmarkt für die Anpassung an neue Technologien gut aufgestellt.“

Prof. Dr. Sebastian Findeisen

„Es ist eher wahrscheinlich, dass von den ersten Wellen neuer KI-Anwendungen – ich rede hier von den LLM-Anwendungen wie ChatGPT – erstmal gut aufgestellte Software- und Hardware-Hersteller profitieren werden. Dazu gehören die Big-Tech-Konzerne wie etwa Alphabet, Amazon, Apple, Meta, Microsoft, sowie auch andere Firmen. Diese sind eher in den USA und teilweise in Asien angesiedelt und werden vor allem dort Profiteure schaffen.“

Prof. Dr. Georg Graetz

„Deutschland liegt bei der Digitalisierung generell im Mittelfeld verglichen mit anderen EU-Ländern und hat besonders bei digitalen Kompetenzen der Arbeiter*innen Aufholbedarf [12]. Andererseits besitzt Deutschland starke Arbeitsmarktinstitutionen, die das gemeinschaftliche Entwickeln von Anpassungsstrategien erleichtern sollten [13].“

Prof. Dr. Melanie Arntz

„Deutschland hinkt im internationalen Vergleich im Hinblick auf die digitale Infrastruktur immer noch hinter den Spitzenländern hinterher. Das beschränkt die Nutzung aller digitalen Technologien, auch die der KI. Zudem hat Deutschland auch im Bereich der Entwicklung von KI-Technologien Aufholbedarf. Auch das hat zum Teil mit unzureichender Infrastruktur wie etwa fehlenden leistungsstarken Rechenzentren zu tun. Diese Mängel zu beheben, ist daher wichtig, um die Rahmenbedingungen für einen breiten KI-Einsatz zu schaffen und somit sicherzustellen, dass Deutschland seine Wettbewerbsfähigkeit erhält. Abgesehen von der fehlenden Infrastruktur stellt der Fachkräftemangel dabei jedoch ein zusätzliches Problem dar.“

Angaben zu möglichen Interessenkonflikten

Prof. Dr. Wolfgang Dauth: „Es gibt keine Interessenkonflikte.“

Prof. Dr. Sebastian Findeisen: „Kein Interessenkonflikt.“

Prof. Dr. Georg Graetz: „Ich habe keine Interessenkonflikte.“

Prof. Dr. Melanie Arntz: „Es bestehen keine Interessenkonflikte.“

Weiterführende Recherchequellen

Autor DH (2015): Why Are There Still So Many Jobs? The History and Future of Workplace Automation. Journal of Economic Perspectives. DOI: 10.1257/jep.29.3.3.
Ausführliche Beschreibung von historischen Automatisierungsprozessen anhand konkreter Beispiele und Vermutungen zu den Effekten von KI.

Arntz M et al. (2018): Digitalisierung und die Zukunft der Arbeit: Makroökonomische Auswirkungen auf Beschäftigung, Arbeitslosigkeit und Löhne von morgen. ZEW – Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung GmbH.
Ausführliche Betrachtung der Arbeitsmarkteffekte von Digitalisierung in den vergangenen Jahren in Deutschland.

Arntz M et al. (2020): Digitalisierung und die Zukunft der Arbeit. Wirtschaftsdienst.
Knappe Übersicht dazu, weshalb Digitalisierung nicht automatisch Arbeitsplatzverluste bewirkt.

Lane M et al. (2021): The impact of Artificial Intelligence on the labour market: What do we know so far?. OECD Social, Employment and Migration Working Papers. DOI: 10.1787/7c895724-en.
Zusammenfassung der wissenschaftlichen Literatur zu Arbeitsmarkteffekten von KI.

Literaturstellen, die von den Experten zitiert wurden

[1] Webb M (2020): The Impact of Artificial Intelligence on the Labor Market. SSRN. DOI: 10.2139/ssrn.3482150.

[2] Eloundou T et al. (2023): GPTs are GPTs: An Early Look at the Labor Market Impact Potential of Large Language Models. Arxiv.
Hinweis der Redaktion: Es handelt sich hierbei um eine Vorabpublikation, die noch keinem Peer-Review-Verfahren unterzogen und damit noch nicht von unabhängigen Experten und Expertinnen begutachtet wurde.

[3] Acemoglu D et al. (2022): Artificial Intelligence and Jobs: Evidence from Online Vacancies. Journal of Labor Economics. DOI: 10.1086/718327.

[4] Alekseeva L et al. (2021): The demand for AI skills in the labor market. Labour Economics. DOI: 10.1016/j.labeco.2021.102002.

[5] Lane M et al. (2023): The impact of AI on the workplace: Main findings from the OECD AI surveys of employers and workers. OECD Social, Employment and Migration Working Papers. DOI: 10.1787/ea0a0fe1-en.

[6] Milanez A (2023): The Impact of AI on the Workplace: Evidence from OECD Case Studies of AI Implementation. OECD Social, Employment and Migration Working Papers. DOI: 10.1787/2247ce58-en.

[7] Noy S et al. (2023): Experimental Evidence on the Productivity Effects of Generative Artificial Intelligence. SSRN. DOI: 10.2139/ssrn.4375283.

[8] Brynjolfsson E et al. (2023): Generative AI at Work. NBER. DOI: 10.3386/w31161.

[9] Felten EW et al. (2020): The Occupational Impact of Artificial Intelligence: Labor, Skills, and Polarization. SSRN. DOI: 10.2139/ssrn.3368605.

[10] Acemoglu D et al. (2019): Automation and New Tasks: How Technology Displaces and Reinstates Labor. Journal of Economic Perspectives. DOI: 10.1257/jep.33.2.3.

[11] Dauth W et al. (2021): The Adjustment of Labor Markets to Robots. Journal of the European Economic Association. DOI: 10.1093/jeea/jvab012.

[12] Europäische Kommission (2023): The Digital Economy and Society Index (DESI).

[13] Jäger S et al. (2022): The German Model of Industrial Relations: Balancing Flexibility and Collective Action. Journal of Economic Perspectives. DOI: 10.1257/jep.36.4.53.

Literaturstellen, die vom SMC zitiert wurden

[I] Eloundou T et al. (2023): GPTs are GPTs: An Early Look at the Labor Market Impact Potential of Large Language Models. Arxiv.
Hinweis der Redaktion: Es handelt sich hierbei um eine Vorabpublikation, die noch keinem Peer-Review-Verfahren unterzogen und damit noch nicht von unabhängigen Experten und Expertinnen begutachtet wurde.

[II] Briggs J et al. (2023): The Potentially Large Effects of Artificial Intelligence on Economic Growth.

[III] Future of Life Institute (22.03.2023): Pause Giant AI Experiments: An Open Letter.