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26.11.2019

Weicht neue EPA-Regel die Umweltgesetzgebung in USA auf?

Künftig sollen in den USA für Umweltgesetze, wie etwa Schadstoff-Grenzwerte, nur noch Studien herangezogen werden, deren Daten vollständig transparent und offengelegt sind. Das ist der Kern einer geplanten Regel der Umweltbehörde Environmental Protection Agency (EPA) mit der Bezeichnung „Strengthening Transparency in Regulatory Science“ (Originalfassung aus dem Jahr 2018 [I] und aktuelle Überarbeitung (nach New York Times) [II]), deren Anhörungsverfahren gerade zu Ende gegangen ist [III]. Offizielles Ziel dieser neuen Richtlinie ist es, Studien, auf die sich der US-Gesetzgeber bezieht, besser reproduzierbar zu machen.

In einer gemeinsamen Veröffentlichung im Fachjournal „Science“ haben sich die Herausgeber der sechs großen Wissenschaftsjournale Science, Nature, Cell, PNAS, PLOS und The Lancet gegen diese Richtlinie ausgesprochen (siehe Primärquelle). Ihre Kritik: Nicht in allen Fällen, wie beispielsweise bei medizinischen und personenbezogenen Daten, könnten Studiendaten prinzipiell offengelegt werden, die betreffenden Studien seien jedoch genauso aussagekräftig und wichtig wie andere. Als „Katastrophe“ bewerten die Journale, dass die EPA bei künftigen Überarbeitungen von Grenzwerten mit Hilfe dieser Richtlinie grundlegende Studien aus der Vergangenheit für die Bewertung gesundheitlicher Folgen ausschließen kann, zum Beispiel über den Zusammenhang von Luftverschmutzung und Asthma.

Übersicht

     

  • Assoz.-Prof. PD Dr. Hans-Peter Hutter, Stellvertretender Leiter der Abteilung für Umwelthygiene und Umweltmedizin am Zentrum für Public Health, Medizinische Universität Wien, Österreich
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  • Dr. Dr. Ulrich Franck, Senior Scientist  im Department Umweltimmunologie und Core Facility Studien, Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung GmbH (UFZ), Leipzig
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Statements

Assoz.-Prof. PD Dr. Hans-Peter Hutter

Stellvertretender Leiter der Abteilung für Umwelthygiene und Umweltmedizin am Zentrum für Public Health, Medizinische Universität Wien, Österreich

„Das ist sicher eine dramatische Entwicklung. Eine solche Regulierung, wie sie die EPA anstrebt, kann Signalwirkung auf Europa haben und ist schlicht und einfach als Fehlentwicklung zu werten.“

„Diese Regulierung wird ganz klar alle Umweltbereiche betreffen – von Luftschadstoffen, über Lärm, Chemikalien bis hin zum Mobilfunk. Es ist davon auszugehen, dass dieses Vorgehen in all diesen Sektoren Schule machen wird. Es kann als Startschuss einer umfassenden Deregulierung im Sinne einer Aufweichung von Umweltgesetzen gewertet werden.“

„Wenn bestimmte Erkenntnisse nun einfach ausgeschlossen werden dürfen, à la ‚die passen nicht mehr zu unserem jetzigen Standpunkt‘, dann müsste man wieder bei Adam und Eva anfangen. Viele Forschungsergebnisse müssten dann erneut erarbeitet werden. Wir würden unglaublich viel Zeit verlieren, die wir im Grund nicht haben, um etwa wieder auf den aktuellen Stand der Erkenntnis zu kommen.“

„Ein weiterer Wehrmutstropfen: Wir hinken in der Umweltmedizin ohnehin oft den Entwicklungen hinterher, wie beispielsweise beim Mobilfunk generell. Diese ohnehin prekäre Situation wird dadurch noch verstärkt.“

„Ein solches Hinterherhinken wird durch Regelungen, wie sie die EPA nun vorhat, noch potenziert. Und zwar auch in Forschungsbereichen, in denen wir gegewärtig schon ausreichend Evidenz haben, um fundierte Aussagen zu den gesundheitlichen Folgen für die Bevölkerung treffen zu können, wie es etwa beim Feinstaub oder Straßenverkehrslärm der Fall ist.“

„Es ist eine weitere Deregulierung in einer Zeit, in der uns ohnehin schon der Hut brennt – Stichwort Klimakrise. Wir haben sowieso kaum Zeit mehr, ‚das Ruder herumzureißen‘. Wenn wir jetzt auch noch alles neu erforschen und neu überdenken würden, dann wären wir in das wissenschaftliche Steinzeitalter zurück katapultiert.“

„Eine solche Deregulierung ist nicht akzeptabel, eine herbe Enttäuschung und traurige Entwicklung, der sich die Wissenschaft ganz klar entgegenstellen muss. Die Wissenschaft hat einen klaren Auftrag, nämlich fundiert und nachvollziehbar Fragen zu beantworten. Man kann nun nicht so tun, als ob alles, was sie bisher gemacht hat, falsch ist.“

Dr. Dr. Ulrich Franck

Senior Scientist im Department Umweltimmunologie und Core Facility Studien, Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung GmbH (UFZ), Leipzig

„Selbstverständlich müssen Ergebnisse wissenschaftlicher Studien immer nachprüfbar sein. Das bedeutet zuerst, dass vor einer Veröffentlichung in einer Fachzeitschrift mehrere Gutachter die Plausibilität der Resultate überprüfen. Gerade wenn gesetzliche Normen wie beispielsiweise Grenz- oder Richtwerte abgeleitet werden und es nicht zahlreiche Studien gibt, die zu ähnlichen Schlussfolgerungen führen, ist es wünschenswert, dass Ergebnisse detailliert nachvollzogen, das heißt, auch nachgerechnet werden können. Dazu müssen im Allgemeinen die entsprechenden Rohdaten zur Verfügung stehen. Es ist jedoch häufig notwendig, anonymisierte oder pseudonymisierte Datensätze zu nutzen. Eine Forderung, auf die Anonymisierung zu verzichten, um eine absolute Überprüfbarkeit zu erreichen, ist unrealistisch, da der Vertrauensschutz der Studienteilnehmer ein hohes Gut darstellt. Wenn die Erkenntnisse aller solcher Studien bei der Festlegung von Grenzwerten und allgemein bei der Ableitung von gesetzlichen Regelungen ignoriert würden, kann dies zu einer Schwächung des Gesundheitsschutzes führen.“

Angaben zu möglichen Interessenkonflikten

Alle: Keine angegeben.

Primärquelle

Thorp HH et al. (2019): Joint statement on EPA proposed rule and public availability of data (2019). Science. DOI: 10.1126/science.aba3197.

Literaturstellen, die vom SMC zitiert wurden

[I] Federal Register (30.04.2018): Strengthening Transparency in Regulatory Science. ENVIRONMENTAL PROTECTION AGENCY. 40 CFR Part 30. 

[II] Federal Register (30.04.2018): Strengthening Transparency in Regulatory Science. ENVIRONMENTAL PROTECTION AGENCY. 40 CFR Part 30.

[III] Eric Niller (13.11.2019): The EPA's Anti-Science ‘Transparency’ Rule Has a Long History. Wired.

Weitere Recherchequellen

Science Media Center Germany (2017): Wie werden die Grenzwerte für Luftschadstoffe wie Feinstaub und Stickoxide festgelegt? Fact Sheet. Stand: 27.01.2017.

Science Media Center Germany (2018): Luftverschmutzung durch Stickstoffdioxid. Fact Sheet. Stand: 26.02.2018.