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18.11.2019

Wälder können zukünftig CO2 kürzer als angenommen speichern

Wälder sind eine der wichtigsten Kohlenstoffsenken. In ihnen werden jährlich rund ein Viertel der vom Menschen verursachten Kohlenstoffemissionen gebunden. Damit spielen sie eine herausragende Rolle, die CO2-Konzentration der Atmosphäre zu beeinflussen. Wissenschaftler um Kailiang Yu analysierten nun in einer Studie aus dem Journal „PNAS“ (siehe Primärquelle) Langzeitdaten von 1955 bis 2018 über die Qualität von fast 700 Waldgebieten unterschiedlicher Klimazonen, Wälder kalter, gemäßigter und tropischer Regionen in Europa und in Nord- und Südamerika. Sie bestimmten die Zeit, die benötigt wird, bis Kohlenstoff von Wäldern aufgenommen wird, bevor er wieder in die Atmosphäre abgegeben wird, die sogenannte Kohlenstoffdurchflussrate. Es ergab sich ein erhöhter Kohlenstoffverlust und eine verkürzte Kohlenstoffumschlagszeit aufgrund einer erhöhten Baumsterblichkeit. Die Autoren stellen fest, dass die anhaltenden Klimaveränderungen wahrscheinlich das Pflanzenwachstum und die Sterblichkeitsrate der Wälder beeinflussen werden. Daher sollten Erdsystemmodelle, die den Kohlenstoffkreislauf mit Klimaschwankungen koppeln, nach Ansicht der Autoren die Baumsterblichkeit genauer berücksichtigen.

 

Übersicht

     

  • Prof. em. Dr. Christian Körner, Emeritus am Institut für Botanik, Department Umweltwissenschaften, Universität Basel, Schweiz
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  • Dr. Cornelius Senf, Wissenschaftlicher Projektmitarbeiter am Institut für Waldbau, Universität für Bodenkultur Wien, Österreich
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  • Prof. em. Dr. Martin Heimann, ehemaliger Direktor der Abteilung Biogeochemische Systeme, Max-Planck-Institut für Biogeochemie, Jena und Research Director, Division of Atmospheric Sciences, Department of Physics, Universität Helsinki, Finnland
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  • Prof. Dr. Harald Bugmann, Professor am Institut für Terrestrische Ökosysteme, Departement Umweltsystemwissenschaften, ETH Zürich, Schweiz
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Statements

Prof. em. Dr. Christian Körner

Emeritus am Institut für Botanik, Department Umweltwissenschaften, Universität Basel, Schweiz

„Der überwiegende Teil des in der Vegetation der Erde gebundenen Kohlenstoffes befindet sich in Baumstämmen. Vielfach wird erwartet, dass Bäume infolge der CO2-Anreicherung der Atmosphäre schneller wachsen und daher die Atmosphäre von CO2 entlasten. Abgesehen davon, dass bis heute kein einziger in einem naturnahen Wald wachsender Baum bei experimentell erhöhtem CO2-Angebot tatsächlich schneller wuchs, ist bereits die Grundannahme fundamental falsch, dass man aus einer Wachstumsrate etwas über den Kohlenstoffvorrat im Wald aussagen kann [1]. Die Autoren dieser Studie haben exakt den wunden Punkt der bisherigen, populären Argumentation und Modellierung erkannt. Für die Vorratsbildung in Wäldern ist nicht die Geschwindigkeit des Kohlenstoffumsatzes maßgeblich, sondern dessen mittlere Verweildauer im System. Daher darf man niemals aus der Wachstumsrate von Bäumen auf eine Änderung des Kohlenstoffvorrates in Wäldern schließen. Das ist wie in der Wirtschaft, in der niemand auf die Idee käme, den Umsatz mit dem Kapital gleichzusetzen.“

„Die Autoren erarbeiteten aus Forstinventaren einen soliden Datensatz, aus dem sie den Zusammenhang zwischen Zuwachs und Vorrat auf großer räumlicher Skala herausschälen können. Dabei zeigt sich, dass man ohne gleichzeitige Berücksichtigung der Sterblichkeit von Bäumen den tatsächlichen Vorrat nicht errechnen und in Modellen vorhersagen kann. Die mittlere Lebenserwartung von Bäumen lässt sich aber wegen der langen Zeiträume experimentell nicht ermitteln, weshalb selbst Modelle dazu, wenn überhaupt, nur vage Abschätzungen beinhalten. Die Autoren dieses Artikel zeigen, dass ein beschleunigtes Wachstum (warum auch immer – sie tippen auf erhöhtes CO2, was ich als Erklärung eher bezweifle), sich wie zu erwarten in einer Verkürzung der Lebensdauer auswirkt. Die Bäume durchlaufen ihren Lebenszyklus einfach schneller. Erst kürzlich wurde das auch an einem großen Datensatz für boreale Nadelbäume gezeigt [2]. Nachdem nahezu die Hälfte des biosphärischen Biomasse-Kohlenstoffs in tropischen Wäldern gebunden ist, hängt auch jede Prognose für dieses System davon ab, wie lange Bäume leben. Die erwiesenermaßen heute schnellere Entwicklung von Lianen wird diese Lebenspanne statistisch verkürzen und damit den Kohlenstoffvorrat eher senken [3].“

„Die Einsicht, dass schnelleres Wachstum die Verweildauer des Kohlenstoffes im System Wald tendenziell verkürzt, setzt sich unglaublich schwer und langsam durch. Dieser PNAS Beitrag ist daher im Sinne einer realistischen Einschätzung der potenziellen Fähigkeit von Wäldern, mehr Kohlenstoff zu binden, höchst willkommen. Vielleicht begreifen dann irgendwann einmal auch viele wohlmeinende Biologen und Modellierer des Kohlenstoffkreislaufes, dass Umsatz (wozu Wachstum gehört) nicht gleich Kapital (Vorrat) ist, auch wenn es um Kohlenstoff und nicht um Geld geht.“

Dr. Cornelius Senf

Wissenschaftlicher Projektmitarbeiter am Institut für Waldbau, Universität für Bodenkultur Wien, Österreich

„Soweit ich die Methoden beurteilen kann, sehe ich keine methodischen Fehlschlüsse. Die Studie untersucht ein bisher in dieser Größe nicht dagewesenes Netzwerk an Datenpunkten, was einen bedeutender Schritt zum globalen Verständnis von Baummortalität darstellt.“

„Gängige globale Vegetationsmodelle berücksichtigen nicht, dass es mit zunehmendem Klimawandel zu einer höheren Baumsterblichkeit kommt, wodurch das von den Bäumen aufgenommene CO2 kürzer als angenommen gespeichert wird. Viele Vegetationsmodelle sagen daher voraus, dass die globalen Wälder eine wichtige globale CO2-Senke sind, da erwartet wird, dass Bäume zukünftig besser und schneller wachsen. Das Potenzial der Senke kann aber durch eine höhere Mortalität abgeschwächt oder sogar umgekehrt werden. Dies wird bisher nicht in den Modellen berücksichtigt.“

„Die zugrundeliegenden Prozesse gelten global, sodass eine Übertragung auf Regionen, welche nicht gemessen wurden, durchaus zulässig ist. Dass Bäume vermehrt durch Dürren und Hitzewellen sterben, ist ein globales Phänomen und als solches auch recht gut gesichert.“

Auf die Frage, was die konkreten Auswirkungen auf den Klimawandel und das CO2-Budget sein könnten:
„Das Potenzial von globalen Wäldern als CO2-Senke könnte überschätzt sein, was im Umkehrschluss bedeutet, dass weniger CO2 durch Bäume aus der Atmosphäre entfernt wird als angenommen. Die Politik sollte sich daher nicht auf Aufforstungen als einzige oder wichtigste Klimaschutzmaßnahme verlassen, sondern sollte aktiv den Ausstoß von CO2 reduzieren.“

Prof. em. Dr. Martin Heimann

ehemaliger Direktor der Abteilung Biogeochemische Systeme, Max-Planck-Institut für Biogeochemie, Jena und Research Director, Division of Atmospheric Sciences, Department of Physics, Universität Helsinki, Finnland

„In der terrestrischen Biosphäre ist die Verweilzeit des Kohlenstoffs von der CO2-Aufnahme bei der Photosynthese bis zur Respiration durch Mikroorganismen eine wichtige Größe, da sie das Speichervermögen von atmosphärischem Überschuss-CO2 mitbestimmt.“

„In der Studie haben die Autoren überzeugend aus langjährigen Forstinventaren die Verweilzeit in der lebenden Biomasse, also in Bäumen, an einer weltweit verteilten Reihe von Standorten ermittelt und auf ihre Abhängigkeiten vom lokalen Klima untersucht. Ein Hauptergebnis dabei ist, dass sich die Kohlenstoff-Verweilzeit bei wachsender Vegetation verkürzt, zum Beispiel durch CO2-Düngung aufgrund der steigenden atmosphärischen CO2-Konzentration, und damit das Kohlenstoff-Speichervermögen der Wälder beeinträchtigt.“

„Ein Vergleich mit heutigen ‚state-of-the-art‘ Erdsystem-Modellen zeigt, dass diese den Effekt zwar partiell darstellen können, jedoch können sie die beobachtete Abhängigkeit der Verweilzeit auf unterschiedliches Klima nicht korrekt wiedergeben. Dies ist ein wichtiger Befund, der bei der Entwicklung der nächsten Modellgeneration berücksichtigt werden muss.“

„Eine allgemeine Reduktion der Verweilzeit des Kohlenstoffs würde sich negativ auf die zukünftige CO2-Speicherfähigkeit der Landbiosphäre auswirken. Allerdings befasst sich die Studie nur mit der lebenden Biomasse in Bäumen. Die Verweilzeit in anderen Ökosystemen sowie in der toten Biomasse (Laubblätter, Totholz, Böden) können mit der gewählten Methode der Studie nicht erfasst werden.“

„Neben der Kohlenstoff-Verweilzeit gibt es jedoch noch eine Vielzahl von weiteren zum Teil schlecht verstandenen Prozessen, welche die globale CO2-Speicherfähgkeit der Landbiosphäre heute und in Zukunft unter sich änderndem Klima kontrollieren. In diesem Kontext ist auch der direkte Einfluss des Menschen durch Landnutzung und Landmanagement zu berücksichtigen. Die Untersuchungsstandorte der Studie sind alles naturnahe Wälder. Effekte durch unterschiedliche Forstwirtschaft und Änderungen der Biodiversität sind jedoch auch sehr wichtig für die CO2-Aufnahme der Landbiosphäre.“

Prof. Dr. Harald Bugmann

Professor am Institut für Terrestrische Ökosysteme, Departement Umweltsystemwissenschaften, ETH Zürich, Schweiz

„Die Studie ist methodisch grundsätzlich solide, wobei festzuhalten ist, dass der verwendete Datensatz einen sehr großen Bias enthält. Zudem stammen etwa 67 Prozent der Daten aus der Zeit nach 1990, sie decken also nur die letzten rund 25 Jahre ab, was die Analyse von zeitlichen Trends sehr schwierig macht. Aufgrund des Supplements ist nicht genau zu eruieren, wie die statistischen Analysen abgelaufen sind und ob diese wirklich zuverlässig sind.“

„Es ist bekannt, dass die Kohlenstoff-Speicherung in terrestrischen Systemen nicht konstant ist: Die Abholzung setzt Kohlenstoff frei, und der ‚residual carbon sink‘ gemäß dem IPCC impliziert, dass viele Landökosysteme Kohlenstoff aufnehmen, was auch in vielen Inventuren klar nachweisbar ist. Die ‚bisherigen Modelle‘ berücksichtigen das. Diese Aussage im Paper ist meines Erachtens nicht zutreffend. Was aber korrekt ist: Es gibt bisher nur wenige Studien, welche versucht haben, Veränderungen in der ‚Umsatzrate‘ des Kohlenstoffs großflächig zu analysieren und zu quantifizieren. Die Studie von Yu et al. ist aus dieser Perspektive sehr wertvoll.“

„Die untersuchten Flächen liegen fast ausschließlich auf dem amerikanischen Kontinent: 100 Prozent der Tropen, 86,3 Prozent gemäßigte Zonen und 97 Prozent Kaltgebiete. Afrika und Asien fehlen in der Analyse komplett, aus Europa stammen nur gerade 28 der 695 untersuchten Flächen (4 Prozent). Es handelt sich um eine wertvolle Fallstudie. Globale Aussagen kann man aus den verwendeten Daten nicht ableiten.“

„Die Vermutung, dass der CO2-Gehalt zu einer erhöhten Umsatzrate (größerer Mortalität) führt, ist bereits vor knapp zehn Jahren erstmals analysiert und auch quantifiziert worden [4]. Yu et al. finden, dass CO2 als ‚erklärende‘ Variable am meisten beiträgt, sie warnen aber gleichzeitig vor der Verwechslung von Korrelation mit Kausalität. Gemäß unserer früheren Analysen müsste es so sein, dass Bäume, welche in der Jugend ein stark erhöhtes Wachstum aufweisen (zum Beispiel aufgrund der CO2-Düngung), im späteren Leben eine frühere Mortalität erfahren werden. Dies ist aber etwas anderes als die von Yu et al. gefundene erhöhte Mortalität in ‚old-growth‘-Beständen, deren Bäume typischerweise schon relativ alt sind und in ihrer Jugend noch keine wesentliche CO2-Düngung erfahren haben.“

„Insgesamt: Es ist wahrscheinlich, dass die Klimaveränderung und die CO2-Düngung zu einer erhöhten Umsatzrate des Kohlenstoffs in terrestrischen Ökosystemen führen werden, was die Menge an Kohlenstoff reduziert, der in Landökosystemen gespeichert wird. Das kann ein wichtiger Feedback-Mechanismus im Klimasystem werden, der aber in Erdsystem-Modellen bisher nur ungenügend Beachtung gefunden hat. Die Studie von Yu et al. ist ein Puzzlestein auf dem Weg zu besserem Verständnis und besserer Prognose dieser Effekte.“

Angaben zu möglichen Interessenkonflikten

Prof. Dr. Harald Bugmann: „Interessenskonflikte sehe ich keine.“

Prof. em. Dr. Martin Heimann: „Keine.“ 

Alle anderen: Keine Angaben erhalten. 

Primärquelle

Yu K et al. (2019): Pervasive decreases in living vegetation carbon turnover time across forest climate zones. PNAS. DOI: 10.1073/pnas.1821387116.

Literaturstellen, die von den Experten zitiert wurden

[1] Körner C (2017): A matter of tree longevity. Science Vol. 355, Issue 6321, pp. 130-131. DOI: 10.1126/science.aal2449.

[2] Büntgen U et al. (2019): Limited capacity of tree growth to mitigate the global greenhouse effect under predicted warming. Nature Communications 10, 2171. DOI:10.1038/s41467-019-10174-4.

[3] Körner C (2009): Responses of Humid Tropical Trees to Rising CO2. Annual Review of Ecology, Evolution, and Systematics, Vol. 40:61-79. DOI: 10.1146/annurev.ecolsys.110308.120217.

[4] Bugmann H et al. (2011): Will the CO2 fertilization effect in forests be offset by reduced tree longevity? Oecologia 165: 533-544. DOI 10.1007/s00442-010-1837-4.