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28.09.2022

Verhaltensauffälligkeiten bei Kindern durch Paracetamol in der Schwangerschaft?

     

  • Studie warnt vor Paracetamol-Einnahme während der Schwangerschaft
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  • Forschende berichten von Schlaf- und Aufmerksamkeitsproblemen bei Kleinkindern
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  • Fachleute weisen auf die begrenzte Aussagekraft der Studie hin
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Die Einnahme von Paracetamol während der Schwangerschaft kann zu verhaltensneurologischen Auffälligkeiten, genauer Schlaf- und Aufmerksamkeitsstörungen, bei Kleinkindern führen. Das schlussfolgert ein Forschungsteam der Pennsylvania State University in einer Studie, die im Fachjournal „Plos One“ erschienen ist (siehe Primärquelle).

Die Forschenden haben die Daten von insgesamt 2.422 Mutter-Kind Paaren untersucht, indem sie die Paracetamol-Einnahme der werdenden Mütter abfragten. Davon gaben 41,7 Prozent an, das Schmerzmittel während der Schwangerschaft eingenommen zu haben. Anschließend wurde das Verhalten der Kinder im Alter von drei Jahren anhand eines Elternfragebogens bewertet. Erfasst wurden sieben Problemskalen, darunter beispielsweise die emotionale Reaktivität, körperliche Beschwerden, Aufmerksamkeitsprobleme, aggressives Verhalten sowie Schlafprobleme. Nach einer Anpassung der Ergebnisse um potenzielle Störfaktoren, insbesondere einer übermäßigen Belastung von Mutter und Kind während der Schwangerschaft (pränataler Stress), konnte eine signifikant erhöhte Chance für das Auftreten von Schlaf- und Aufmerksamkeitsproblemen bei einer pränatalen Paracetamol-Exposition festgestellt werden.

Paracetamol, in den USA auch als Acetaminophen geläufig, gilt in Deutschland als sicheres Schmerzmittel während der Schwangerschaft. Dennoch wird die Eignung zur Behandlung von Schwangeren immer wieder in Frage gestellt. Verschiedene Studien beschreiben erhöhte Risiken für das Auftreten von beispielsweise Asthma [I], Aufmerksamkeitsproblemen [II] und Sprachentwicklungsstörungen bei Kindern [III], deren Mütter Paracetamol während der Schwangerschaft eingenommen haben.

Die Aussagekraft dieser Studien wird jedoch vielseitig diskutiert. So werde beispielweise nicht berücksichtigt, welche Rolle die Auslöser der Medikamenteneinnahme bei den Auffälligkeiten der Kinder spielt. Ebenso seien Faktoren wie etwa pränataler Stress oder Vorbelastungen der Eltern mit verhaltensneurologischen Auffälligkeiten häufig nicht mitberücksichtigt.

In der vorliegenden Studie wird zwar pränataler Stress als Störfaktor mit eingerechnet, die Forschenden weisen dennoch auf eine Reihe von Limitationen hin. Zum einen beruhen die Daten zur Einnahme auf einem einmaligen Telefoninterview in der 35. Schwangerschaftswoche. Außerdem wurden weder die Dosis und die Häufigkeit noch der Zeitpunkt der Einnahme des Schmerzmittels während der Schwangerschaft berücksichtigt. Ebenso wurde das Verhalten der Kinder nicht von Lehrern und Lehrerinnen oder Ärztinnen und Ärzten beurteilt, sondern von den Müttern.

In den nachfolgenden Statements schätzen Fachleute den Stellenwert der Studie für die Behandlung von Schwangeren mit Paracetamol ein.

Übersicht

     

  • Dr. Wolfgang Paulus, Oberarzt und Leiter der Beratungsstelle für Reproduktionstoxikologie, Universitätsfrauenklinik Ulm
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  • Dr. Ann Z. Bauer, Postdoktorandin im Zentrum für Autismusforschung und -bildung, University of Massachusetts Lowell, Vereinigte Staaten
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Statements

Dr. Wolfgang Paulus

Oberarzt und Leiter der Beratungsstelle für Reproduktionstoxikologie, Universitätsfrauenklinik Ulm

„Ziel der vorliegenden Studie war es, Zusammenhänge zwischen pränataler Paracetamol-Exposition und neurologischen Verhaltensproblemen der Nachkommen im Alter von drei Jahren zu untersuchen, wobei insbesondere pränataler Stress als Einflussgröße berücksichtigt wurde. Als Datenquelle diente die First Baby Study, eine prospektive Kohortenstudie in Pennsylvania (USA) mit 2.422 Mutter-Kind-Paaren. Verhaltensprobleme von Kindern wurden im Alter von drei Jahren unter Verwendung der Child Behavior Checklist gemessen (CBCL) beurteilt. Die CBCL ist ein Fragebogen, der Hinweise auf psychische Störungen, zum Beispiel auf ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung) liefern kann. Der Fragebogen wird von den Eltern ausgefüllt. Es gibt kein testpsychologisches Verfahren, mit dem ADHS definitiv festgestellt werden kann. Die Diagnose einer ADHS ist eine klinische Diagnose. Neuropsychologische Tests zur Erfassung der Aufmerksamkeit, der Impulsivität und der exekutiven Funktionen können bei der Erfassung umschriebener Defizite hilfreich sein, sie sind aber nur begrenzt aussagekräftig.“

„Die Daten der vorliegenden Studie stammen aus der First Baby Study (FBS), einer Längsschnitt-Kohortenstudie, die Erstgebärende in Pennsylvania rekrutierte. Das primäre Ziel der FBS war es, den Zusammenhang zwischen Entbindungsart und nachfolgender Geburt zu untersuchen. Das Studiendesign war also gar nicht für die Erfassung der Auswirkungen von Paracetamol auf die Nachkommen angelegt. Dementsprechend wurde erst in der Spätschwangerschaft um die 35. Schwangerschaftswoche im Rahmen eines Telefoninterviews nach der Einnahme von bis zu zehn Medikamenten in den vorausgegangenen Monaten gefragt. Nach Dosis und Einnahmedauer wurde nicht differenziert. Vermutlich ließen sich diese Angaben auch nicht mehr retrospektiv erheben. Angesichts der unterschiedlichen Stadien der Sensibilität in der kindlichen Entwicklung wäre auch die Einnahmephase während der Schwangerschaft von Bedeutung. Dazu fehlen jedoch auch entsprechende Informationen.„Positiv hervorzuheben ist die Adjustierung an das Stressniveau in der Schwangerschaft. Die Autoren betonen selbst, dass der mütterliche Stress einen wesentlich größeren Einflussfaktor auf die CBCL-Befunde der Kinder darstellt als die Einnahme von Paracetamol.“

„Und daran schließt sich die nächste kritische Frage an: Bis zur Beurteilung der kindlichen Entwicklung nach der Child Behavior Checklist befinden sich die Kinder in einer familiären Umgebung, die als gravierende Einflussgröße zu betrachten ist. Möglicherweise unterscheiden sich eben Mütter, die während der Schwangerschaft häufiger zu Paracetamol greifen, in ihren Verhaltensmustern während der Erziehung ihrer Kinder auch von Schwangeren, die bewusst auf die Medikamenteneinnahme verzichten.“

„Betrachtet man die Ergebnisse im Detail, bleiben nach Adjustierung für pränatalen Stress und andere Störfaktoren nur Schlafprobleme (adjustierte Odds Ratio (aOR) = 1,23; 95 Prozent Konfidenzintervall (CI) = 1,01 bis 1,51) und Aufmerksamkeitsprobleme (aOR = 1,21; 95 Prozent CI = 1,01 bis 1,45) übrig. Und hier liegen die unteren Grenzen der Konfidenzintervalle mit 1,01 nur minimal über der Grenze zur Nichtsignifikanz. Damit besteht auch statistisch nur ein marginaler Zusammenhang. Eine kausale Verknüpfung zwischen Einnahme von Paracetamol in der Schwangerschaft und neurologischen Defiziten der Kinder ist damit keinesfalls nachgewiesen.“

„Die Frage, ob die Einnahme von Paracetamol während der Schwangerschaft mit einer erhöhten Rate an angeborenen Fehlbildungen und neurologischen Entwicklungsstörungen bei Kindern verbunden ist, wird immer wieder aufgeworfen [1][2][3][4]. Im letzten Jahr wurden diese Bedenken in einer Konsensuserklärung von Wissenschaftlern in Nature Reviews Endocrinology erneut vorgebracht [5]. Angesichts der weiten Verbreitung des altbewährten Schmerzmittelns werden solche Warnungen auch in den Laienmedien rasch verbreitet. Das sorgt bei schwangeren Frauen oft für Zweifel, Angst, Schuldgefühlen und Misstrauen gegenüber der Ärzteschaft.“

„Um aus epidemiologischen und Beobachtungsdaten kausale Schlüsse zu ziehen, sind Studien von hoher methodischer Qualität erforderlich.“

„Daten zur neurologischen Entwicklung und zur Entwicklung von ADHS beziehungsweise Autismus beruhen auf Fragebögen, die von Eltern oder Lehrern ausgefüllt wurden. Diese Fragebögen können zwar als Screening-Instrument dienen, um gefährdete Kinder zu identifizieren, sind jedoch weder für eine quantitative Bewertung der neurologischen Entwicklung validiert, noch sind sie ein Diagnoseinstrument für ADHS.“

„In Studien zu ADHS und Autismus muss man die Vererbbarkeit dieser Erkrankungen bedenken. Unter Berücksichtigung der genetischen Veranlagung verschwinden teilweise die Assoziationen zu den genannten Störungen [6].“

„Eine norwegische Analyse fand das gleiche Ausmaß der Assoziation zwischen einer intrauterinen-Exposition (innerhalb der Gebärmutter; Anm. der Red.) und einer väterlichen präkonzeptionellen Paracetamol-Exposition (vor der Befruchtung; Anm. der Red.) und einem erhöhten ADHS-Risiko beim Kind [7]. Diese Ergebnisse deuten stark darauf hin, dass ein Störfaktor, das heißt, die Erblichkeit von ADHS oder familiäre Umweltbedingungen, und nicht die Anwendung von Paracetamol, die Ursache für ein erhöhtes ADHS-Risiko darstellt.“

„Paracetamol ist nach wie vor ein gut dokumentiertes, sicheres Analgetikum während der Schwangerschaft. Die Alternativen wie NSAIDs (Nichtsteroidale Antirheumatika wie zum Beispiel Ibuprofen; Anm. der Red.), die zu einem vorzeitigen Verschluss des Ductus arteriosus (kleines Gefäß, das beim Fetus die Körperhauptschlagader mit der Lungenschlagader verbindet; Anm. d. Red.) und einer verminderten fetalen Nierendurchblutung führen, und Opioid-Analgetika, die mit postpartaler Sedierung und einem Opioid-Entzugssyndrom beim Neugeborenen verbunden sind, weisen keine entscheidenden Vorteile auf.“

„Die grenzwertig signifikanten Resultate in etlichen Studien zu Entwicklungsstörungen nach mütterlicher Einnahme von Paracetamol erwecken den Eindruck eines Publikationsbias.“

„Insofern sollte man sich bis zum Vorliegen weiterer wissenschaftlicher Daten auf folgende Hinweise beschränken. Erstens: Der Einsatz von Paracetamol sollte in der Schwangerschaft so kurz und moderat dosiert wie möglich erfolgen. Zweitens, sollte stattdessen nicht zwangsläufig auf potentere Analgetika mit noch problematischerem Wirkungsprofil ausgewichen werden. Drittens: Die beobachteten Veränderungen in der Verhaltens- und Geschlechtsentwicklung sind in der Größenordnung nicht vergleichbar mit Schädigungen durch bekannte Teratogene (fruchtschädigende Stoffe; Anm. d. Red.) wie zum Beispiel Contergan. Viertens: Die vermehrte Aufklärung in medizinisch-pharmazeutischen Fachkreisen aber auch bei Laien sollte das Bewusstsein für einen verantwortungsvollen Umgang mit Paracetamol in der Schwangerschaft stärken.“

Dr. Ann Z. Bauer

Postdoktorandin im Zentrum für Autismusforschung und -bildung, University of Massachusetts Lowell, Vereinigte Staaten

„Diese Studie steht im Einklang mit einer Vielzahl von Forschungsergebnissen, die einen Zusammenhang zwischen pränataler Exposition mit Acetaminophen (APAP, Paracetamol) und Aufmerksamkeitsproblemen bei den Nachkommen vermuten lassen. Frühere Studien haben einen Zusammenhang zu Aufmerksamkeitsproblemen, ADHS, Autismus, Sprachverzögerungen und verringertem IQ nahegelegt [5]. Das ermittelte Risiko für Aufmerksamkeitsprobleme (aOR = 1,21; 95 Prozent CI = 1,01 bis 1,45) liegt in der gleichen Größenordnung wie bei den früheren Studien, in denen die mütterliche Exposition angegeben wurde.“

„Dies ist ein besonderer Beitrag zur Fachliteratur, da es sich um eine der ersten Studien handelt, die sich speziell mit den potenziell störenden Auswirkungen von pränatalem Stress befasst. In dieser Studie wurde außerdem die neue Erkenntnis gewonnen, dass ein potenzieller Zusammenhang zwischen pränatalem APAP und Schlafproblemen beim Nachwuchs besteht. Wenn sich dieser Befund reproduzieren lässt, könnte er wichtig sein, da Schlafstörungen bei Menschen mit Verhaltensstörungen, ADHS und Autismus häufig auftreten [8][9].“

„Für diese Studie wurden Daten aus der prospektiven Kohortenstudie Pennsylvania First Baby verwendet, an der 2.422 Mutter-Kind-Paare teilnahmen. Die Frauen machten Angaben zur Medikamenteneinnahme und füllten in der 35. Schwangerschaftswoche ein pränatales Stressprotokoll aus (mithilfe der modifizierten Instrumente der Psychosocial Hassle Scale und der Edinburgh Depression Scale). Als das Kind 36 Monate alt war, wurde die Mutter zu Verhaltensproblemen des Kindes befragt, die anhand der sieben Syndromskalen der validierten Child Behavior Checklist (CBCL) für die Altersstufen eineinhalb bis fünf gemessen wurden.“

„Die Autoren waren besonders an den potenziell störenden Auswirkungen von pränatalem Stress interessiert. Sie stellten fest, dass bei Frauen, die APAP einnahmen, mit größerer Wahrscheinlichkeit Angstzustände oder Depressionen diagnostiziert wurden und dass sie von einem höheren Maß an Stress während der Schwangerschaft berichteten als Frauen, die kein APAP einnahmen. Als sie diese und andere potenzielle Störfaktoren in ihrer Analyse kontrollierten, wurde der Zusammenhang zwischen den Aufmerksamkeitsproblemen und dem Schlaf der Nachkommen und APAP nur minimal abgeschwächt und blieb stabil.“

„Diese Erkenntnisse sind durch die angewandten Methoden zur Beurteilung der Exposition potenziell limitiert. Die Forscher stützten sich auf Berichte der Mütter zu einem bestimmten Zeitpunkt, um die 35. Schwangerschaftswoche, um den APAP-Konsum während der gesamten Schwangerschaft zu bewerten. Sie erhoben keine Angaben zur Dosis, zur Häufigkeit der Einnahme oder zu den Schwangerschaftswochen, in denen das APAP eingenommen wurde. Die in den meisten früheren Studien festgestellte Dosis-Wirkungsbeziehung konnten sie also nicht untersuchen und somit auch nicht bestätigen. Da die Einnahme von APAP von vielen als sicher und harmlos angesehen wird, haben Mütter möglicherweise Schwierigkeiten, sich an die Einnahme von APAP-haltigen Medikamenten zu erinnern (APAP ist ein Bestandteil von über 600 verschiedenen Medikamenten). Diese Art der Fehlklassifikation der Exposition führt im Allgemeinen zu einer Verzerrung, die eine Unterschätzung der Auswirkungen zur Folge hat. Zudem wurde bei dieser Methode die APAP-Einnahme in den letzten Wochen der Schwangerschaft nicht erfasst, was von Bedeutung sein kann. Drei Studien, in denen die APAP-Exposition kurz vor der Geburt anhand von Biomarkern (Nabelschnurblut, Merconium (Erster Stuhl des Neugeborenen; Anm. d. Red.) und mütterliches Plasma) gemessen wurde, berichteten über wesentlich stärkere Assoziationen zu ADHS-Symptomen als Studien, in denen die APAP-Einnahme von der Mutter gemeldet wurde, wie es hier der Fall war [10][11][12]. Darüber hinaus wurde in der vorliegenden Studie die Einnahme von APAP durch das Kleinkind nicht erfasst, was möglicherweise die Ergebnisse beeinflusst hat.“

„Künftige Studien sollten die Verwendung von Müttertagebüchern in Betracht ziehen, um Nutzungsdaten und Gründe für die Nutzung von APAP zu erfassen. Noch besser wäre es, eine App zur Datenerfassung auf dem Mobiltelefon zu verwenden, die die Mutter täglich auffordert, die Medikamenteneinnahme zu notieren. Auch wenn dies aufgrund der kurzen Halbwertszeit von APAP nur begrenzt möglich ist, sollten künftige Studien auch unverzerrte, biologische Messwerte oder Daten zur fetalen und kindlichen APAP-Exposition erheben.“

„In dieser Studie beurteilte die Mutter das Verhalten anhand der CBCL anstatt eines Lehrers oder Psychologen. In einer früheren Studie wurde festgestellt, dass die Resultate je nach Beurteilendem voneinander abweichen [13]. Es ist ungewiss, ob die im Alter von drei Jahren festgestellten Verhaltens- und Schlafschwierigkeiten fortbestehen werden. Frühere Studien deuten jedoch darauf hin, dass ein erheblicher Anteil derjenigen, bei denen im Kindesalter ADHS diagnostiziert wurde, auch im Erwachsenenalter noch klinische ADHS-Symptome aufweist [14].“

„Künftige Studien sollten die Symptome und Diagnosen zu mehreren Zeitpunkten, mit mehreren psychologischen Methoden und Informationsquellen überprüfen. Darüber hinaus sollten sie unvoreingenommene physiologische Messgrößen wie die Vernetzungsfähigkeit des Gehirns mittels MRT verwenden, wie dies in der APAP- und ADHS-Studie von Baker et al. [10] geschehen ist.“

„Da die ermittelten erhöhten Risiken für Aufmerksamkeits- und Schlafprobleme gering sind, kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Ergebnisse auf ungemessenes Confounding (Einfluss einer Störvariable in der Statistik; Anm. d. Red.) zurückzuführen sind. Während die Autoren in der Lage waren, für mütterlichen Stress zu kontrollieren, waren sie nicht in der Lage, für Confounding durch die Nutzungsindikation zu kontrollieren. Dies ist insofern bedenklich, als dass Fieber und Infektionen bei der Mutter mit negativen Auswirkungen auf die neurologische Entwicklung der Kinder in Verbindung gebracht werden [15] [16]. Künftige Studien sollten die Anwendung von APAP bei Indikationen, von denen keine Zusammenhänge mit der neurologischen Entwicklung bekannt sind, wie z. B. Kopfschmerzen bei der Mutter (die häufigste Indikation in der Schwangerschaft) oder die Beschneidung männlicher Säuglinge (in einigen Teilen der Welt (USA) eine häufige Indikation bei männlichen Säuglingen) gesondert untersuchen.“

„Diese Langzeitstudie bestätigt andere Studien, in denen ein Zusammenhang zwischen pränataler APAP-Einnahme und Aufmerksamkeitsstörungen bei den Nachkommen festgestellt wurde, wobei der wichtige Störfaktor pränataler Stress besser kontrolliert werden konnte. Sie ergänzt eine Vielzahl von Forschungsergebnissen, die insgesamt darauf hindeuten, dass Frauen über die Einnahme von APAP-haltigen Medikamenten während der Schwangerschaft informiert und gewarnt werden sollten.“

„Diese Befunde sind wichtig, weil der Gebrauch von APAP so weit verbreitet ist. Es ist weltweit das von Schwangeren am häufigsten verwendete Medikament und das Medikament, das am häufigsten an Kleinkinder verabreicht wird. Da die Einnahme von APAP so häufig vorkommt, könnte das Medikament, auch wenn es nur für einen geringen Anstieg des individuellen Risikos verantwortlich ist, dennoch für einen großen Teil der neurologischen Probleme in der Gesamtbevölkerung verantwortlich sein. Weitere Untersuchungen mit aussagekräftigen Methoden sollten höchste Priorität haben, insbesondere die Untersuchung der Einnahme bei Kleinkindern und Kindern, da es hier besonders viele Forschungslücken gibt [17].“

Angaben zu möglichen Interessenkonflikten

Dr. Wolfgang Paulus: „Interessenkonflikte bestehen meinerseits hinsichtlich der kommentierten Studie nicht.“

Dr. Ann Z. Bauer: „Ich habe keine Interessenkonflikte anzugeben." Frau Bauer ist Hauptautorin des Nature Reviews [5] zur achtsamen Verwendung von Paracetamol in der Schwangerschaft.

Alle anderen: Keine Angaben erhalten.

Primärquelle

Sznajder KK et al. (2022): Maternal use of acetaminophen during pregnancy and neurobehavioral problems in offspring at 3 years: A prospective cohort study. Plos One. DOI: 10.1371/journal.pone.0272593.

Literaturstellen, die von den Experten zitiert wurden

[1] Olsen J et al. (2017): Fetal programming of mental health by acetaminophen? Response to the SMFM statement: prenatal acetaminophen use and ADHD. Expert Opinion on Drug Safety. DOI: 10.1080/14740338.2017.1384812.

[2] Damkier P et al. (2015): Annotations and reflections: pregnancy and paracetamol: methodological considerations on the study of associations between in utero exposure to drugs and childhood neurodevelopment. Basic & Clinical Pharmacology & Toxicology. DOI: 10.1111/bcpt.12322.

[3] Kristensen DM et al. (2011): Intrauterine exposure to mild analgesics is a risk factor for development of male reproductive disorders in humans and rat. Human Reproduction. DOI: 10.1093/humrep/deq323.

[4] Lind DV et al. (2017): Maternal use of mild analgesics during pregnancy associated with reduced anogenital distance in sons: a cohort study of 1027 mother-pairs. Human Reproduction. DOI: 10.1093/humrep/dew285.

[5] Bauer AZ et al. (2021): Paracetamol use during pregnancy — a call for precautionary action. Nature Reviews Endocrinology. DOI: 10.1038/s41574-021-00553-7.

[6] Masarwa R et al. (2020): Acetaminophen Use during pregnancy and the risk of attention deficit hyperactivity disorder: a causal association or bias? Paediatric and Perinatal Epidemiology. DOI: 10.1111/ppe.12615.

[7] Ystrøm E et al. (2017): Prenatal exposure to acetaminophen and risk of ADHD. Pediatrics. DOI: 10.1542/peds.2016-3840.

[8] Yin H et al. (2022): Relationship between sleep disorders and attention-deficit-hyperactivity disorder in children. Frontiers in Pediatrics. DOI: 10.3389/fped.2022.919572.

[9] Whelan S et al. (2022): Examining the Relationship Between Sleep Quality, Social Functioning, and Behavior Problems in Children with Autism Spectrum Disorder: A Systematic Review. Nature and Science of Sleep. DOI: 10.2147/NSS.S239622.

[10] Baker BH et al. (2020): Association of Prenatal Acetaminophen Exposure Measured in Meconium With Risk of Attention-Deficit/Hyperactivity Disorder Mediated by Frontoparietal Network Brain Connectivity. JAMA Pediatrics. DOI: 10.1001/jamapediatrics.2020.3080.

[11] Ji Y et al. (2020): Association of Cord Plasma Biomarkers of In Utero Acetaminophen Exposure With Risk of Attention-Deficit/Hyperactivity Disorder and Autism Spectrum Disorder in Childhood. JAMA Psychiatry. DOI: 10.1001/jamapsychiatry.2019.3259.

[12] Ji Y et al. (2018): Maternal Biomarkers of Acetaminophen Use and Offspring Attention Deficit Hyperactivity Disorder. Brain Sciences. DOI: 10.3390/brainsci8070127.

[13] Parker SE et al. (2020): Maternal acetaminophen use during pregnancy and childhood behavioural problems: Discrepancies between mother- and teacher-reported outcomes. Paediatric and Perinatal Epidemiology. DOI: 10.1111/ppe.12601.

[14] Skogli EW et al. (2022): Attention-deficit/hyperactivity disorder persistence from childhood into young adult age: a 10-year longitudinal study. Cognitive Neuropsychiatry. DOI: 10.1080/13546805.2022.2123735.

[15] Zhu CY et al. (2021): Maternal infection during pregnancy and the risk of attention-deficit/hyperactivity disorder in the offspring: A systematic review and meta-analysis. Asian Journal of Psychiatry. DOI: 10.1016/j.ajp.2021.102972.

[16] Croen LA et al. (2019): Infection and Fever in Pregnancy and Autism Spectrum Disorders: Findings from the Study to Explore Early Development. Autism Research. DOI: 10.1002/aur.2175.

[17] Cendejas-Hernandez J et al. (2022): Paracetamol (Acetaminophen) Use in Infants and Children was Never Shown to be Safe for Neurodevelopment: A Systematic Review. European Journal of Pediatrics. DOI: 10.1007/s00431-022-04407-w.

Literaturstellen, die vom SMC zitiert wurden

[I] Fan G et al. (2017): Prenatal paracetamol use and asthma in childhood: a systematic review and meta-analysis. Allergologia et Immunopathologia. DOI: 10.1016/j.aller.2016.10.014.

[II] Gou X et al. (2019): Association of maternal prenatal acetaminophen use with the risk of attention deficit/ hyperactivity disorder in offspring: A meta-analysis. Australian & New Zealand Journal of Psychiatry. DOI: 10.1177/0004867418823276.

[III] Bornehag CG et al. (2018): Prenatal exposure to acetaminophen and children’s language development at 30 months. European Psychiatry. DOI: 10.1016/j.eurpsy.2017.10.007.