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27.02.2020

Toxin von E. coli kann Darmkrebs auslösen

Escherichia coli-Bakterien, die die DNA-schädigende Substanz Colibaktin produzieren (pks+ E. coli), begünstigen die Entstehung von Darmkrebs. Einer neuen Studie zufolge hinterlässt das Toxin ein spezifisches Mutationsmuster im Erbgut von Saumzellen im Darm (Epithel), das sich direkt auf eine Infektion mit pks+ E. coli zurückführen lässt. Die Ergebnisse veröffentlichten die Wissenschaftler um Hans Clevers vom niederländischen Hubrecht-Institut im Fachmagazin „Nature“ (siehe Primärquelle).

Um die DNA-verändernde Wirkung von Colibaktin zu untersuchen, injizierten die Studienautoren über einen Zeitraum von fünf Monaten wiederholt pks+ E. coli in menschliche Darm-Organoide – organähnliche Nachbildungen des Darms in Zellkultur. Vor und nach den Injektionen sequenzierten sie jeweils das Erbgut der Organoid-Zellen. Nach dem Infektionszeitraum identifizierten sie ein spezifisches Mutationsmuster in der DNA der Wirtszellen. Dieses fehlte hingegen bei Organoiden, die einen E. coli-Kontrollstamm ohne Colibaktin-Produktion erhielten.

Um ihre Erkenntnisse zu validieren, suchte das Team in den Erbgutdaten von 3.668 Proben aus Metastasen verschiedener Krebspatienten nach dem durch Colibaktin verursachten Mutationsmuster und wurde fündig. Die Erbgutveränderungen durch die Bakterien fanden sich deutlich häufiger bei Darmkrebspatienten als bei anderen Krebsarten. In einem weiteren unabhängigen Datensatz von 2.208 Darmtumoren fanden die Forscher das pks+-spezifische Muster immerhin bei einem von 20 Darmkrebspatienten.

Colibaktin-produzierende E. coli-Stämme lassen sich bei etwa 20 Prozent aller gesunden Menschen und bei 60 Prozent der Patienten mit erblichem Darmkrebs nachweisen. Den Autoren zufolge könnte der Nachweis und wenn möglich die Entfernung von pks+ E. coli das Krebsrisiko für eine große Gruppe von Individuen verringern.

 

Übersicht

     

  • Dr. Georg Zeller, Arbeitsgruppenleiter, Structural and Computational Biology, European Molecular Biology Laboratory (EMBL), Heidelberg
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  • Dr. Erik Thiele Orberg PhD, Arzt an der Medizinischen Klinik für Hämatologie und Onkologie, Klinikum rechts der Isar der Technischen Universität München (TUM)
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  • Dr. Julian Heuberger, Wissenschaftlicher Mitarbeiter der Medizinischen Klinik mit Schwerpunkt Hepatologie und Gastroenterologie, Charité – Universitätsmedizin Berlin
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Statements

Dr. Georg Zeller

Arbeitsgruppenleiter, Structural and Computational Biology, European Molecular Biology Laboratory (EMBL), Heidelberg

„Etliche Darmbakterien, darunter pks-positive (pks+) E. coli-Stämme, sind bereits in früheren Arbeiten mit Darmkrebs in Verbindung gebracht worden und die DNA-schädigende Wirkung des von pks+ E. coli produzierten Colibactin wurde zuvor in Versuchen mit menschlichen Zellen und Mäusen gezeigt. Die Studie aus dem Labor von Hans Clevers setzt zum ersten Mal Darmorganoide – miniaturisierte Teil-Organe, die in der Petrischale aus einzelnen Zellen gezüchtet und vital erhalten werden – als Modell ein, um die krebserregende Wirkung eines bakteriellen Toxins direkt nachzuweisen.“

„Wirklich spannend ist die zentrale neue Erkenntnis dieser Studie, dass die durch das Colibactin-Toxin hervorgerufenen DNA-Schäden in den Genomen von Tumorzellen ein eindeutiges Mutationsmuster hinterlassen. Das erlaubt Forschern und Ärzten mit einer Momentaufnahme des Tumorgenoms Rückschlüsse zu ziehen auf möglicherweise Jahre oder gar Jahrzehnte zurückliegende bakterielle Einflüsse in der Tumorentstehung – ohne den schwierigen direkten Nachweis der Bakterien führen zu müssen. Das Colibactin-Mutationsmuster finden die Autoren in vielen Krebsgenomen, die hauptsächlich von Darmtumoren stammen, interessanterweise aber auch von einigen anderen Krebstypen, für die eine bakterielle Besiedelung plausibel ist.“

„Die Studie setzt eine experimentell anspruchsvolle, sehr aussagekräftige und gut kontrollierte Methodik ein, um mithilfe der Darmorganoide und ihrer Genome das durch Colibactin hervorgerufene Mutationsmuster eindeutig zu bestimmen. Die Suche nach diesem Mutationsmuster wurde in tausenden von Tumorgenomen (selbst solchen aus Krebs-Metastasen), die aus mehreren unabhängigen Studien stammen, durchgeführt, wodurch sich statistisch klare Schlussfolgerungen ziehen lassen.“

„Die Studie liefert klare Belege für eine ursächliche Rolle von pks+ E.coli-Bakterien bei der Entstehung mancher Darmkrebsformen und legt so zusammen mit vielen früheren Studien nahe, dass ein besseres Verständnis bakterieller Prozesse bei der Krebsentstehung auch neue Möglichkeiten für Prävention und Therapie eröffnen wird. So haben andere Studien [1][2] gezeigt, dass etliche Darmbakterien (und ihre Gene, einschließlich des pks-Genomfragments), deren Häufigkeit in Stuhlproben bestimmt werden kann, gute Biomarker für Darmkrebs sind und dass diese für die Entwicklung neuer nicht-invasiver Screening-Test gut geeignet erscheinen. Solche Tests sind wichtig, da gerade Darmkrebs-Früherkennungsprogrammen eine entscheidende und erfolgreiche Rolle im Kampf gegen den Krebstod spielen.“

Auf die Frage, welche therapeutischen Optionen man hätte, wenn man frühzeitig wüsste, dass das Bakterium vorliegt, und welche Präventionsmaßnahmen denkbar wären:
„Neueste Erkenntnisse über den Einfluss des Darmmikrobioms auf den Verlauf etlicher Erkrankungen, werfen immer stärker die Frage auf, wie sich die Zusammensetzung des Mikrobioms gezielt verändern lässt, um das allgemeine Wohlbefinden zu fördern, Krankheits- (auch Krebs-)Entstehung zu verhindern und Krebstherapien, insbesondere der Immuntherapie [3], zum Erfolg zu verhelfen. Gezielt einzelne Darmbakterienspezies mit Antibiotika aus der komplexen mikrobiellen Gemeinschaft des Darms zu entfernen, ist derzeit leider nicht möglich, auch weil die meisten verfügbaren Antibiotika gegen ein breites Spektrum an Krankheitserregern optimiert wurden und deswegen meist mikrobielle Gemeinschaften als Ganzes schädigen. Es bedarf daher dringend stärkerer Anstrengungen, um neuartige Antibiotika – auch solche mit einem weniger breiten Wirkspektrum – zu entwickeln und insgesamt Wege zu erforschen, wie sich die Zusammensetzung des Darmmikrobioms gezielt beeinflussen lässt. Das schließt einerseits spezielle Nahrungsbestandteile ein, andererseits aber auch Wirkstoffe, die gezielt die Produktion bakterieller Toxine blockieren. Im Fall von Colibactin gibt es erste experimentelle Formen [4], die die Toxin-Synthese unterbinden, aber ob diese oder ähnliche Wirkstoffe über längere Zeiträume sicher und mit dem gewünschten Effekt in Patienten eingesetzt werden können, bleibt abzuwarten.“

Auf die Frage nach einem möglichen Zusammenhang zwischen dem Befall durch bestimmte Bakterien wie pks+ E.coli und der zunehmenden Anzahl an frühen Fällen von Darmkrebs:
„Dass sich die mikrobielle Besiedelung des Darms durch die Veränderungen der Lebens- und Ernährungsweise des modernen Menschen ebenfalls stark gewandelt hat, legen Vergleichsstudien mit Probanden aus nicht-industrialisierten Kulturen nahe. So ist es denkbar, dass diese Veränderungen des mikrobiellen Ökosystems unserer Darmbakterien (-Viren und -Pilze) mit dem vermehrten Auftreten von möglicherweise krebserregenden Bakterienstämmen und ihren Toxinen einhergehen. Derzeit ist aber unklar, welche Bakterien oder welche bakteriellen Wechselwirkungen mit Nahrungsbestandteilen für die Zunahme an Darmkrebsfällen verantwortlich sein könnten und in welchem Maße relativ zu den gesicherten Risikofaktoren, wie zum Beispiel einer fleischreichen Ernährung.“

Dr. Erik Thiele Orberg PhD

Arzt an der Medizinischen Klinik für Hämatologie und Onkologie, Klinikum rechts der Isar der Technischen Universität München (TUM)

„Die Studienergebnisse sind neu, weil sie erstmals einen direkten krebserregenden Effekt durch Bakterien (in diesem Fall pks+ E. coli) auf das Darmepithel nachweisen. Die Autoren haben in menschlichen Darmepithelkulturen (Organoiden) gezeigt, dass eine Besiedelung durch diese Bakterien ausreichend ist, um Mutationen auszulösen – unabhängig von anderen Zelltypen wie Immunzellen.

„Die Studie ist absolut relevant, weil zwar bereits gezeigt werden konnte, dass eine Besiedlung mit bestimmten Darmbakterien mit Krebsentstehung assoziiert ist [5], jedoch nicht klar war, dass eine alleinige Besiedelung durch einen Keim – zumindest in Organoidkulturen – für die Krebsentstehung ausreichend ist.“

„Organoidkulturen sind in der Krebsforschung gut etabliert. Das Labor von Letztautor Hans Clevers ist führend auf diesem Gebiet. Technisch ist die Kultur von humanen Organoiden und die Mikro-Injektion mit pks+ E. coli zwar sehr aufwendig, jedoch absolut valide.“

„Die bioinformatischen Mutationsanalyse von Stratton et al. ist eine relative neue Methode (publiziert in 2013 und 2020). Sie wird sich somit bewähren müssen, aber die Schlussfolgerungen scheinen durchaus valide.“

„Die Studie liefert noch mehr Evidenz, dass ein Screening für pks+ E. coli in bestimmten Risikopopulationen, zum Beispiel Familien mit Mutationen in APC (familiäre adenomatöse Polyposis) sinnvoll wäre. Als Prävention denkbar wären ein Impfstoff gegen Colibaktin oder Colibaktin-produzierende E. coli und spezifische antibiotische Eradikationstherapien bei positivem Screening-Befund.

Auf die Frage, welche therapeutischen Optionen man hätte, wenn man frühzeitig wüsste, dass das Bakterium vorliegt, und welche Präventionsmaßnahmen denkbar wären:
„Nach meinem Wissen gibt es keine Studien zum Zusammenhang zwischen der Prävalenz für die Besiedelung mit pks+ E. coli und bestimmten Diäten oder Ernährungsgewohnheiten.“

„Außerdem ist hervorzuheben, dass die Autoren nur bei fünf Prozent der Darmkrebsfälle die Signaturen von pks+ E. coli nachweisen konnten, obwohl bis zu 60 Prozent der Darmkrebspatienten mit dem Keim besiedelt sein können. Gleichzeitig kann pks+ E. coli bei bis zu 20 Prozent der gesunden Individuen vorkommen. Um gezielte Prävention von pks+ E. coli-Darmkrebsfällen betreiben zu können, brauchen wir ein besseres Verständnis davon, wie bei manchen Patienten die Besiedelung zu Darmkrebs führen kann, und ob und welche genetischen oder immunologischen Prädispositionen bei diesen Patienten vorliegen müssen.“

Auf die Frage nach einem möglichen Zusammenhang zwischen dem Befall durch bestimmte Bakterien wie pks+ E.coli und der zunehmenden Anzahl an frühen Fällen von Darmkrebs:
„Hier sind Populationsstudien notwendig mit der Fragestellung, ob sich durch Änderungen in Ernährung oder Lebensstil bei jungen Patienten das Mikrobiom derart verändert hat, dass es zu einer vermehrten Besiedelung mit krebserregende Darmbakterien (zum Beispiel pks+ E. coli, Fusobacterium nucleatum, bft+ Bacteroides fragilis) gekommen ist.“

Dr. Julian Heuberger

Wissenschaftlicher Mitarbeiter der Medizinischen Klinik mit Schwerpunkt Hepatologie und Gastroenterologie, Charité – Universitätsmedizin Berlin

„Die Autoren decken hier Mutationsmuster auf, die auf den Kontakt mit Colibaktin produzierenden E. coli zurückzuführen sind und zeigen anhand dieser Mutationsmuster einen Zusammenhang zwischen Bakterienexposition und CRC (Kolorektales Karzinom, Darmkrebs; Anm. d. Red.). Die hier entschlüsselte Colibaktin-Mutationssignatur ist neu und unterstreicht die Bedeutung von Bakterien und deren Auswirkung auf Epithelzellen unabhängig von Immunreaktionen. Mutationssignaturen bestimmter Tumore, die zum Teil im Zusammenhang mit beispielsweise Zigarettenrauch und UV-Licht stehen, sind bekannt. Die Autoren postulieren mit dieser Studie einen weiteren kausalen Zusammenhang zwischen Tumorentstehung und extrinsischen Faktoren, in diesem Fall der Exposition mit Colibaktin-produzierenden Bakterien.“

„Der Mensch lebt in Symbiose mit Mikroorganismen und weist eine individuelle Komposition von Bakterien (Mikrobiom) im Darm auf. Ein Zusammenhang des intestinalen Mikrobioms mit der Entstehung von Darmtumoren wird schon seit längerer Zeit untersucht. 20 Prozent der gesunden Menschen und 60 Prozent der Patienten mit CRC und familiärer adenomatöser Polyposis (Form des erblichen Darmkrebses, Anm. d. Red.) zeigen eine Besiedlung mit dem hier untersuchten genotoxischen Colibaktin-produzierenden E. coli-Stamm.“

„Die Autoren beschreiben hier anhand moderner Analyse-Techniken (Gesamtgenomsequenzierung) eine spezifische Genmutationssignatur in CRC, die mit Mutationssignaturen von mit Colibaktin-produzierenden Bakterien infizierten humanen Organoiden übereinstimmt. Die Analyse einer CRC-Kohorte zeigt, dass immerhin fünf Prozent der CRC-Patienten Mutationen der Colibaktin-Mutationssignatur tragen. Diese Mutationssignaturen zeigen an bestimmten DNA-Sequenzabschnitten Mutationen – dabei sind einzelne Basen ausgetauscht oder entfernt. Die Studie zeigt eine Übereinstimmung entsprechender Colibaktin-Ziel-DNA-Sequenzen mit 2,4 Prozent von bekannten Treibermutationen (Mutationen, die für das bösartige Wachstum von Tumorzellen verantwortlich sind; Anm. d. Red.) in CRC. Diese Daten zeigen, dass eine Colibaktin-Exposition zumindest anteilig die Tumorgenese fördern kann.“

„Neben den Mutationsmustern zeigen die Autoren jedoch nicht, ob die behandelten Organoide Tumoreigenschaften angenommen haben. Interessanterweise finden sie entsprechende Sequenzmotive auch in anderen Tumorarten. Die Autoren schlussfolgern, dass diese definierten Mutationen durch vorangegangenen Kontakt mit Colibaktin-produzierenden Bakterien hervorgerufen wurde und dass diese Mutationen bereits zuvor in gesunden Zellen stattgefunden haben. Dies würde bedeuten, dass Zellen, die durch Colibaktin verursachte Mutationen tragen, in sich schnell erneuernden Geweben wie dem Darm bestehen bleiben und damit eine Art Tumor-Prädisposition vermitteln. Damit wäre das Risiko, an Dickdarmkrebs zu erkranken, für Individuen mit genotoxischen E. coli erhöht. Deshalb ist die Schlussfolgerung der Autoren richtig, dass die Identifizierung von Colibaktin-produzierenden Bakterien im Mikrobiom und eine entsprechende Eliminierung der Baktierien das Risiko an Krebs zu erkranken, reduzieren könnte.“

Angaben zu möglichen Interessenkonflikten

Dr. Georg Zeller: „Ich habe keine Interessenkonflikte“

Alle anderen: Keine Angaben erhalten.

Primärquelle

Pleguezuelos-Manzano C et al. (2020): Mutational signature in colorectal cancer caused by genotoxic pks+ E. coli. Nature. DOI: 10.1038/s41586-020-2080-8. 

Literaturstellen, die von den Experten zitiert wurden

[1] Thomas AM et al. (2019): Metagenomic analysis of colorectal cancer datasets identifies cross-cohort microbial diagnostic signatures and a link with chol ine degradation. Nature Medicine; 25, 667–678. DOI: 10.1038/s41591-019-0405-7.

[2] Wirbel J et al. (2019): Meta-analysis of fecal metagenomes reveals global microbial signatures that are specific for colorectal cancer. Nat Med 25, 679–689. DOI: 10.1038/s41591-019-0406-6.

[3] Routy B et al. (2018): Gut microbiome influences efficacy of PD-1–based immunotherapy against epithelial tumors. Science; 359, 6371: 91-97. DOI: 10.1126/science.aan3706.

[4] Cougnoux A et al. (2016): Small-molecule inhibitors prevent the genotoxic and protumoural effects induced by colibactin-producing bacteria. Gut; 65: 278-285. DOI: 10.1136/gutjnl-2014-307241.

[5] Dejea CM et al. (2018): Patients with familial adenomatous polyposis harbor colonic biofilms containing tumorigenic bacteria. Science; 359, 6375: 592-597. DOI: 10.1126/science.aah3648.