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30.10.2023

Studie: CO2-Budget nur halb so groß wie im IPCC-Bericht angegeben

     

  • statt 500 Gigatonnen CO2-Emissionen im IPCC-Bericht sieht neue Studie bei nur 250 Gigatonnen das 1,5-Grad-Ziel überschritten
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  • diese Budget wäre bei aktuellem Emissionenniveau in sechs Jahren aufgebraucht
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  • befragte Forschende loben die Methodik, weisen aber auf irreführende Botschaft aus begleitender Kommunikation des Verlags
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Das Budget der Kohlenstoffemissionen, die im Einklang mit dem 1,5-Grad-Ziel des Pariser Abkommens stehen, könnte nur halb so groß sein, wie im jüngsten IPCC-Sachstandsbericht angegeben. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie, die soeben im Fachjournal „Nature Climate Change“ veröffentlicht wurde (siehe Primärquelle). Wurde im IPCC-Sachstandsbericht das verbleibende Budget im Beitrag der Arbeitsgruppe III noch mit 500 Gigatonnen CO2-Emissionen benannt [I], sieht die aktuelle Studie lediglich 250 Gigatonnen weiterer Emissionen, die noch möglich sind, um das 1,5-Grad-Ziel mit einer Wahrscheinlichkeit von 50 Prozent zu erreichen. Dies würde bedeuten, dass dieses Budget bei gleichbleibendem aktuellem Niveau der globalen Treibhausgasemissionen in sechs Jahren aufgebraucht wäre.

Beim Konzept des verbleibenden Kohlenstoffbudgets wird geschätzt, wie viel Kohlendioxid noch emittiert werden kann, ohne ein bestimmtes Temperaturziel zu erreichen. Es ist eines der zentralen Elemente bei der Planung von möglichen Pfaden zur Dekarbonisierung. Obwohl die Berechnung dieses Budgets mit großen Unsicherheiten verbunden ist, bietet es einen attraktiven Ansatz für die Kommunikation mir der Öffentlichkeit und politischen Entscheidungsträgern. Die Unsicherheiten entstehen, da alle zu berücksichtigenden Faktoren ihrerseits wiederum nur mit wesentlichen Unsicherheiten einfließen.

Das Autorenteam verwendete für die aktuelle Studie einen gegenüber dem Sachstandsbericht des IPCC aktualisierten Datensatz und verfeinerte die methodischen Ansätze zur Berechnung des verbleibenden Budgets. Sie finden, dass das verbleibende Emissionsbudget für eine 50-prozentige Chance, die Erwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen, bei insgesamt 250 Gigatonnen Kohlendioxid liegt. Der Beitrag der Arbeitsgruppe III zum IPCC-Bericht hält hier noch 500 Gigatonnen möglich.

Die Emissionen, die noch im Einklang mit dem 2-Grad-Ziel stehen, beziffert das Team dieser Studie auf 940 Gigatonnen, für eine 67-prozentige Chance, die Erwärmung nicht über 2 Grad steigen zu lassen – im IPCC-Bericht waren dies noch 1.150 Gigatonnen CO2. Das Budget für das 2-Grad-Ziel wäre nach 23 Jahren erschöpft, wenn die Emissionen auf dem aktuellen Niveau stagnieren.

Bei kontinuierlichen Emissionsminderungen bedeute dies, so das Autorenteam der aktuellen Studie, dass Netto-Null-Emissionen für das 1,5-Grad Ziel im Jahr 2035 erreicht sein müssten. Um das 2-Grad-Ziel mit einer 67-prozentigen Chance zu erreichen, wäre dies bis 2070 notwendig, für eine Chance von 90 Prozent bereits 2050.

Übersicht

     

  • Prof. Dr. Niklas Höhne, Leiter und Geschäftsführer, New Climate Institute, und Professor für Mitigation of greenhouse gas emissions, Wageningen Universität, Niederlande
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  • Dr. Oliver Geden, Senior Fellow, Abteilung EU/Europa, Stiftung Wissenschaft und Politik – Deutsches Institut für Internationale Politik und Sicherheit (SWP), Berlin
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  • Gabriel Abrahão, Ph.D.,Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Department Transformationspfade, Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK)
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  • Prof. Dr. Klaus Hubacek, Professor in Science, Technology and Society, Faculty of Science and Engineering, Universität Groningen, Niederlande
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  • Prof. Dr. Carl-Friedrich Schleussner, Leiter der Forschungsgruppe Zeitliche Entwicklung von Anpassungshindernissen und ihre Bedeutung für klimabedingte Verluste und Schäden, Integratives Forschungsinstitut zum Wandel von Mensch-Umwelt-Systemen (IRI THESys), Humboldt-Universität zu Berlin, und Leiter des Bereiches Klimawissenschaft und Auswirkungen, Climate Analytics, Berlin
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  • Prof. Dr. Tatiana Ilyina, Professur für Ozean im Erdsystem im Exzellenzcluster Climate, Climatic Change, and Society (CLICCS), Universität Hamburg, und Helmholtz Zentrum Hereon und am Max-Planck-Institut für Meteorologie, Hamburg
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Statements

Prof. Dr. Niklas Höhne

Leiter und Geschäftsführer, New Climate Institute, und Professor für Mitigation of greenhouse gas emissions, Wageningen Universität, Niederlande

„Die aktuelle Studie zeigt vor allem eines: Für das 1,5-Grad-Ziel wird es sehr, sehr knapp. Es ist fast irrelevant, ob das Budget bei gleichbleibenden Emissionen in sechs Jahren – wie in dieser Studie – oder in zehn Jahren – wie vorher gedacht – aufgebraucht ist. Es ist in jedem Fall extrem eng. Und das ist keine neue Erkenntnis.”

„Das heißt aber keinesfalls, wir sollten aufgeben. Ganz im Gegenteil. Es zeigt, dass jede eingesparte Tonne Kohlendioxid umso wichtiger ist, weil das Budget so extrem knapp ist. Und selbst wenn 1,5 Grad im mehrjährigen Mittel überschritten werden, ist es gut, vorher so viele Emissionen wie möglich eingespart zu haben, da jede eigesparte Tonne zu geringerer globaler Temperaturerhöhung führt und damit zu geringeren Schäden.”

„Selbst wenn die 1,5 Grad für eine gewisse Zeit überschritten werden, könnte die globale mittlere Temperatur wieder sinken, wenn Emissionen auf null gesenkt sind und mehr CO2 aus der Atmosphäre entfernt wird. Auch dafür ist es von Vorteil, wenn vorher weniger emittiert wurde.”

„Gerade die extremen Temperaturen und die damit einhergehenden Dürren, Stürme und Extremwetterereignisse des vergangenen Sommers haben gezeigt, dass wir uns an einen ungebremsten Klimawandel einfach nicht anpassen können. Diese Studie ist ein weiterer Aufruf, in den Notfallmodus zu schalten und alles daran zu setzen, Treibhausgasemissionen so schnell wie irgend möglich zu reduzieren.”

Dr. Oliver Geden

Senior Fellow, Abteilung EU/Europa, Stiftung Wissenschaft und Politik – Deutsches Institut für Internationale Politik und Sicherheit (SWP), Berlin

„Die Studie zeigt vor allem, dass die Berechnung verbleibender CO2-Budgets von vielen Annahmen abhängig ist und dass es sich nicht unveränderbare Größen handelt. Wichtig ist vor allem zu verstehen, dass die Budgets nur Kohlendioxid umfassen und dass diese CO2-Mengen von Annahmen über die zukünftige Minderung von anderen wichtigen Treibhausgasen – etwa Methan und Lachgas – abhängig sind, und genau diese Annahmen haben sich verändert. Das Problem ist, dass die Budgets im Beitrag der Arbeitsgruppe I zum IPCC-Sachstandsbericht – veröffentlicht 2021 – noch ohne das Wissen über die Emissionsminderungspfade aus dem Beitrag der Arbeitsgruppe III – veröffentlicht 2022 – kalkuliert wurden. Im IPCC-Synthesebericht durften diese beiden Wissensstränge aufgrund der strengen IPCC-Regularien nicht kombiniert werden. Im Grunde holt diese aktuelle Studie dies jetzt nach. Eine ähnliche Neuberechnung findet sich auch schon in [1], insofern kommt die Neujustierung der CO2-Budgets nach unten für Expert/innen nicht überraschend.“

Irreführende Interpretation der Zahlen

„Die begleitende Kommunikation, dass sich mit dieser Methode das verbleibende CO2-Budget halbiert, ist grob irreführend. Das Budget im IPCC-Bericht von 500 Gigatonnen CO2 beginnt am 01.01.2020, das in dieser aktuellen Studie neu berechnete Budget am 01.01.2023. Dazwischen liegen drei Jahre, also grob geschätzt 120 bis 125 Gigatonnen CO2-Emissionnen. Die Differenz beträgt also nur 125 bis 130 Gigatonnen. Von den 375 bis 380 Gigatonnen des IPCC-Budgets, die Anfang 2023 noch übrig waren, ist es also etwa ein Drittel.“

Neuberechnung des Restbudgets

„Ohne dass es besondere Aufmerksamkeit erregt hätte, sind die verbleibenden CO2-Budgets während der Erstellung der IPCC-Berichte – der 1,5-Grad-Sonderbericht und der Beitrag der Arbeitsgruppe I zum Sachstandsbericht – aufgrund methodischer Verbesserungen stark angewachsen, um mehrere Hundert Gigatonnen – [2] hier finden sich Grafiken, die das anschaulich zeigen. Für das 2-Grad-Ziel sind sie selbst in der aktuellen Studie – also ab 2023 – noch in etwa so groß wie im vorangegangenem, also dem Fünften IPCC-Sachstandsbericht für die Zeit ab 2011 berechnet – die berühmten 1.000 Gigatonnen, die der Welt noch bleiben. Alle diese Richtungsänderungen zeigen, dass die Berechnung von verbleibenden CO2-Budgets zwar wichtige Anhaltspunkte liefert, die Zahlen selbst aber nicht absolut gesetzt werden dürfen. Aufgrund ihrer permanenten Neuberechnung eignen sich globale Restbudgets auch nicht, um daraus nationale oder europäische Restbudgets abzuleiten, weil diese Richtungs- und Größenänderungen für die deutsche und europäische Klimapolitik nicht kurzfristig umsetzbar sind und jede klimapolitische Erwartungssicherheit untergraben.“

Gabriel Abrahão, Ph.D.

Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Department Transformationspfade, Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK), Potsdam

Unterschied zu vorherigen Berechnungen

„Obwohl die Ergebnisse der Studie auf den ersten Blick wie eine radikale Abweichung von den Ergebnissen des Sechsten Sachstandsberichts des IPCC erscheinen mögen, ist die Korrektur der Budgets nach unten vor allem eine Folge neuer Daten und methodischer Aktualisierungen, die in vielerlei Hinsicht seit Beginn dieser Arbeit erwartet wurden. Ein großer Teil der Senkung der Kohlenstoffbudgets ergibt sich aus der einfachen Tatsache, dass die Menschheit seit der Veröffentlichung des bislang letzten Budgets weiterhin jedes Jahr rund 40 Gigatonnen CO2 ausstößt. Da die Budgetschätzungen für das 1,5-Grad-Ziel bereits sehr knapp bemessen waren, macht jedes Jahr, in dem die Emissionen nicht zurückgehen, einen großen Unterschied.“

„Der größte Teil der verbleibenden Überarbeitung ergibt sich indirekt aus der Aktualisierung der Daten und Harmonisierungsverfahren für historische Aerosolemissionen. Aerosolemissionen sind größtenteils mit der Verbrennung fossiler Brennstoffe verbunden und aufgrund ihrer schädlichen Auswirkungen auf die regionale Luftqualität für die Menschheit meist unerwünscht, haben aber eine kühlende Wirkung auf das Klima. Mit der Verbesserung der Luftqualitätsnormen und dem Ausstieg aus der Verbrennung fossiler Brennstoffe wird diese kühlende Wirkung abnehmen, so dass die Erwärmung zunimmt und somit das verbleibende Kohlenstoffbudget verringert wird. Dieser Effekt wurde schon immer im Budget berücksichtigt und hatte einen spürbaren Einfluss darauf. Die revidierten Daten über frühere Aerosolemissionen deuten jedoch darauf hin, dass ihre kühlende Wirkung etwas unterschätzt wurde, und diese revidierten Erkenntnisse führten letztlich zu einem geringeren Budget.“

Irreführende Interpretation der Zahlen

„Es ist wichtig, darauf hinzuweisen, dass sich das tatsächliche Wissen darüber, wie das Klima auf CO2- oder andere Treibhausgasemissionen reagiert, durch diese Revision des Kohlenstoffbudgets nicht wesentlich geändert hat. Die großen relativen Änderungen des verbleibenden Budgets, um unter 1,5 Grad Erwärmung zu bleiben, sind einfach darauf zurückzuführen, dass es von vornherein sehr klein war. Der Großteil der Auswirkungen der Revisionen kommt von den jüngsten Emissionen und den Auswirkungen der Aerosole, die beide zu großen absoluten Reduzierungen der Budgets führen. Dadurch werden die relativen Unterschiede bei den ohnehin schon kleinen mit 1,5 Grad kompatiblen Budgets im Vergleich zu den 2-Grad-Budgets noch viel größer.“

„Es besteht die sehr reale Möglichkeit, dass wir das 1,5-Grad-Ziel bereits in diesem Jahrzehnt überschreiten werden. Das Pariser Abkommen deckt diese Möglichkeit der Überschreitung ab, aber nur, wenn Anstrengungen unternommen werden, um das Ziel langfristig zu erreichen. In der öffentlichen Debatte und den internationalen Klimaverhandlungen sollte daher bereits darüber diskutiert werden, wie man nach einer Überschreitung wieder auf 1,5 Grad Erwärmung zurückkehren kann, damit die vorläufige Überschreitung nicht dauerhaft wird.“

„Die Tatsache, dass wir das Budget so schnell ausschöpfen, zeigt, wie langsam Veränderungen in den menschlichen Systemen zur Reduzierung der Emissionen sein können. Das bedeutet, dass selbst wenn sich das Klima nicht von einem Jahr zum anderen oder beim Überschreiten eines bestimmten Ziels sichtbar und spürbar verändert, Maßnahmen zur Emissionsreduzierung schnell und entschlossen ergriffen werden müssen, um die schlimmsten Auswirkungen des Klimawandels in einigen Jahren zu vermeiden.“

Prof. Dr. Klaus Hubacek

Professor in Science, Technology and Society, Faculty of Science and Engineering, Universität Groningen, Niederlande

„Berechnungsverfeinerungen basierend auf den neuesten Daten und Robustheitsprüfungen, wie sie in der aktuellen Studie vorgestellt werden, sind wichtig, um das Vertrauen in sie zu stärken. Der Prozess endet nicht mit jeder Runde des IPCC, sondern muss fortgesetzt werden. Zu diesem Prozess leistet diese Studie einen wichtigen Beitrag.”

„Ein wichtiges Problem besteht darin, wie man der Öffentlichkeit die unvermeidbaren Unsicherheiten in den Modellergebnissen am besten mitteilt – obwohl sich an der allgemeinen Botschaft nicht viel ändert, da alle Schätzungen auf eine zunehmende Dringlichkeit hindeuten, weil die globalen Emissionen immer noch steigen und das verbleibende Emissionsbudget schnell sinkt und zu neuen Temperaturrekorden und katastrophaler Ereignisse beiträgt.“

„In der Tat liegt die Trägheit in der Reaktion und Widerständen im politischen System. Wissenschaft, Politik und Ölkonzerne sind sich des Problems schon seit vielen Jahrzehnten bewusst, doch es wurden noch keine ausreichenden Maßnahmen ergriffen, wir haben immer noch steigende Emissionen. Der Fokus muss daher darauf gerichtet werden, wie man Emissionsreduzierungen erreichen kann und dabei ein verstärkter Schwerpunkt gelegt werden auf sozial-, wirtschafts- und politikwissenschaftliche Fragestellungen, wie man Wirtschaft und Gesellschaft schnellstmöglich dekarbonisieren kann.“

„Während Studien wie die vorliegende wichtig und akademisch interessant sind, sollten sie angesichts der überwältigenden Evidenz und der Dringlichkeit politisch keinen Unterschied mehr machen. Die Forschung muss sich auf Mechanismen konzentrieren, die uns daran hindern, dringende Maßnahmen zu ergreifen. Leider brauchen wir jetzt auch immer mehr Forschung zur richtigen Anpassung, da wir es vermasselt haben, dem Klimawandel Einhalt zu gebieten und potenziell bereits irreversible Veränderungen ausgelöst haben.”

Prof. Dr. Carl-Friedrich Schleussner

Leiter der Forschungsgruppe Zeitliche Entwicklung von Anpassungshindernissen und ihre Bedeutung für klimabedingte Verluste und Schäden, Integratives Forschungsinstitut zum Wandel von Mensch-Umwelt-Systemen (IRI THESys), Humboldt-Universität zu Berlin, und Leiter des Bereiches Klimawissenschaft und Auswirkungen, Climate Analytics, Berlin

„Das ist eine solide Studie, die die Methodik zur Berechnung des verbleibenden CO2-Budgets aktualisiert. Die Ergebnisse sollten aber nicht überinterpretiert werden. Das verbleibende CO2-Budget, insbesondere für eine 50-prozentige Chance, die 1,5-Grad-Grenze zu überschreiten, ist leider sehr klein und schrumpft mit jedem Jahr weiterer ungebremster Emissionen. Das ist auch einer der Hauptgründe für das kleinere Budget in dieser Studie – die Emissionen zwischen 2020 und 2022. Darüber hinaus führen kleine Änderungen in unserem wissenschaftlichen Verständnis bei so einem kleinen Restbudget zu sehr großen relativen Effekten.“

„Solche Änderungen sind Teil des wissenschaftlichen Prozesses. Methodische Änderungen zwischen dem IPCC-Sonderbericht zu 1,5 Grad und dem Beitrag der Arbeitsgruppe I zum Sechsten Sachstandsbericht führten zu einem größeren Budget. Weitere Aktualisierungen in der Arbeitsgruppe III und jetzt in dieser Studie wieder führen zu einem größeren Budget [3, Abbildung 3]. Weitere Aktualisierungen in der Arbeitsgruppe III und jetzt dieser Studie führen wieder zu einem kleineren Budget. Diese sind aber alle im Rahmen der Unsicherheitsbereiche.“

Neuberechnung des Restbudgets

„Das CO2-Budget ist eines der wichtigsten Konzepte der Klimaforschung und Klimakommunikation. Allerdings ist es – wie andere Kerngrößen des Klimasystems natürlich auch – mit einiger Unsicherheit behaftet. Der Fokus auf eine einzelne Zahl war daher schon immer problematisch. Das ist jetzt insbesondere der Fall, wenn die Unsicherheiten größer werden als das verbleibende Budget. Der wahrscheinliche Bereich für das CO2-Budget für das 1,5-Grad-Ziel – mit einer Wahrscheinlichkeit von 17 bis 83 Prozent – wird in dieser aktuellen Studie mit minus 200 bis 830 Gigatonnen CO2 geschätzt. Der Unsicherheitsbereich ist damit viermal größer als das verbleibende Budget von 250 Gigatonnen CO2 ab 2023 als beste Abschätzung. Dabei wird die Rolle von anderen, nicht-CO2-Gasen und Emissionen wie Aerosolen immer wichtiger. So wird das Erwärmungsniveau von 1,5 Grad dann wohl erst Jahre nach dem Ausschöpfen des Budgets erreicht werden. Ein verschwindend kleines Budget heißt daher nicht automatisch, dass das 1,5-Grad-Ziel nicht mehr erreicht werden kann. Es wird aber zunehmend unwahrscheinlicher.“

„Gleichzeitig – und auch das ist wichtig zu erwähnen – liefern die Autoren der aktuellen Studie auch eine Abschätzung für das Budget, um ‚deutlich unter 2 Grad zu bleiben‘ – mit 90% Wahrscheinlichkeit: Das Restbudget dafür ist 500 Gigatonnen CO2.“

„Die Nutzung des CO2-Budgets als ‚einer Zahl‘ anstatt eines generellen Konzepts hat klare Grenzen. Die Studie zeigt also einmal mehr: Das verbleibende CO2-Budget für das Erreichen der Ziele des Pariser Abkommens ist sehr klein – egal welche Methode man heranzieht. Und die Botschaft immer die Gleiche: Um die Ziele noch zu erreichen, müssen die Emissionen schnellstmöglich reduziert werden – die aktuelle Dekade ist die kritische Dekade. Die Ergebnisse der Studie sind dabei im Wesentlichen konsistent mit der Analyse der Emissionspfade im Beitrag der Arbeitsgruppe III des IPCC. Arbeitsgruppe III zeigt klar, wie wir das Ziel in Reichweite halten können, die Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen. Dazu müssen die globalen Treibhausgasemissionen noch vor 2025 endlich sinken – auf dem Weg zu einer ungefähren Halbierung im Jahr 2030 und Netto-Null-Emissionen bis 2050. Das muss der Fokus auf der nahenden Klimakonferenz in Dubai sein.“

Prof. Dr. Tatiana Ilyina

Professur für Ozean im Erdsystem im Exzellenzcluster Climate, Climatic Change, and Society (CLICCS), Universität Hamburg, und Helmholtz Zentrum Hereon und am Max-Planck-Institut für Meteorologie, Hamburg

Methodik

„Die Studie verwendet eine robuste Methodik, die auf einem Modell mit reduzierter Komplexität basiert, das den durch Treibhausgase verursachten Klimawandel simuliert. Die Autoren aktualisierten die Emissionsdatensätze seit dem IPCC-Bericht und verwendeten eine größere Auswahl an Emulatoren, um die Robustheit ihrer Schlussfolgerungen zu erhöhen.”

„Ein wichtiger Faktor, der zum Unterschied zum IPCC-Bericht beiträgt, ist beispielsweise, dass die Autoren aktualisierte CO2-Emissionsdaten verwendet haben. Das ursprüngliche Budget des IPCC-Berichts deutete darauf hin, dass die Emissionen nach der COVID-19-Pandemie weiter zurückgingen, während sie in Wirklichkeit wieder anstiegen.“

„In Bezug auf Aerosole argumentieren die Autoren, dass die technologischen Veränderungen, die erforderlich sind, um CO2-Netto-Null-Emissionen zu erreichen, auch Auswirkungen auf andere Treibhausgas- und Aerosolemissionen haben werden. Die Autoren vermuten, dass bei sinkenden Aerosolemissionen und damit deren Kühleffekt das verbleibende Kohlenstoffbudget weiter sinken wird.“

„Die Autoren dokumentieren ausführlich die methodischen Aktualisierungen, die sie vorgenommen haben. In dieser Hinsicht ist es aufgrund einer Reihe aktualisierter Annahmen, die in der Studie diskutiert werden, unvermeidlich, dass ihre Schätzung anders wird.“

„Schätzungen des verbleibenden Kohlenstoffbudgets gehen immer mit Unsicherheiten einher, da zugrunde liegende Unsicherheiten im Zusammenhang mit den gemeldeten Treibhausgasemissionen – CO2 und nicht-CO2-Gase –, dem quantitativen Verständnis der Rückkopplungen des Erdsystems, dem Effekt der Aerosole und so weiter bestehen. Daher benötigen wir regelmäßige und strenge Bewertungen der verbleibenden Kohlenstoffbudgets, die alle Beweislinien und alle Methoden umfassen. Beispielsweise nicht nur durch Modelle mit reduzierter Komplexität wie in dieser Studie, sondern auch mit Erdsystemmodellen, die explizit die Prozesse berechnen, die den globalen Kohlenstoffkreislauf und den sich verändernden Kohlenstoff regulierenden Klima-Feedbacks.“

„Die Schätzungen dieser Studie stimmen insgesamt mit den anderen aktuellen Schätzungen des verbleibenden Kohlenstoffbudgets überein, wie zum Beispiel im Global Carbon Budget 2022 [4] oder in [1]. Diese früheren Studien kommen zu ähnlichen aktualisierten Budgets, die mit dem 1,5-Grad-Ziel kompatibel sind.“

„Im Rahmen des globalen Bestandsaufnahmeprozesses des UNFCCC – einem grundlegenden Bestandteil des Pariser Abkommens – müssen die Länder ihre national festgelegten Beiträge, die Nationally Determined Contributions (NDCs), melden und so die Ambitionen jedes Landes zur Reduzierung der Treibhausgasemissionen nachweisen. Dazu ist eine Bestandsaufnahme des CO2-Budgets sowohl auf Länder- als auch auf globaler Ebene erforderlich.“

„Eine reguläre Bewertung der verbleibenden Kohlenstoffbudgets im Zusammenhang mit einem Temperaturziel ist ein äußerst wichtiger Bestandteil dieses Prozesses. Im Moment handelt es sich größtenteils um eine akademische Tätigkeit, die den Wissenschaftlern und der unbeständigen Finanzierungssituation überlassen bleibt. Angesichts der Dringlichkeit des Klimanotstands muss diese Aktivität vorrangig unterstützt und in die Tat umgesetzt werden.“

„Wir brauchen ein Überwachungssystem für Treibhausgase, das alle Beobachtungs-, Modellierungs- und Vorhersagemethoden für Treibhausgasemissionen vereint, um laufende Maßnahmen – oder Unterlassungen – zu verfolgen und zu verifizieren.“

„Doch allen wissenschaftlichen Erkenntnissen und internationalen Vereinbarungen zum Trotz nehmen die CO2-Emissionen immer noch zu! Wir müssen dringend mit der Reduzierung der Treibhausgasemissionen beginnen! Trotz der verbleibenden Unsicherheiten wissen wir genug, um zu handeln.“

Angaben zu möglichen Interessenkonflikten

Dr. Oliver Geden: „Keine Interessenkonflikte.”

Prof. Dr. Klaus Hubacek:  „Ich habe keine Interessenkonflikte. Ich war im Sechsten Sachstandsbericht des IPCC als Leitautor in der Arbeitsgruppe III beteiligt.“

Prof. Dr. Carl-Friedrich Schleussner:  „Ich arbeite mit den meisten der Co-Autoren eng zusammen und bin auch Teil des CONSTRAIN Forschungskonsortiums.“

Alle anderen: Keine Angaben erhalten.

Primärquellen

Lamboll RD et al. (2023): Assessing the size and uncertainty of remaining carbon budgets. Nature Climate Change. DOI: 10.1038/s41558-023-1848-5.

dazu gleichzeitig veröffentlichter „News & Views”-Artikel:
Sanderson BM (2023): Estimating vanishing allowable emissions for 1.5 °C. Nature Climate Change. DOI: 10.1038/s41558-023-1846-7.

Literaturstellen, die von den Expertinnen und Experten zitiert wurden

[1] Forster PM et al. (2023): Indicators of Global Climate Change 2022: annual update of large-scale indicators of the state of the climate system and human influence. Earth System Science Data. DOI: 10.5194/essd-15-2295-2023.

[2] Knopf B et al. (2022): Ist Deutschland auf dem 1,5-Grad-Pfad? Eine Einordnung der Diskussion über ein nationales CO2-Budget. Publikation des Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change (MCC).

[3] Constrain (2022): Zero in on the critical decade: Insights from the latest IPCC reports on the Paris Agreement, 1.5°C, and climate impacts. DOI: 10.5281/zenodo.711315.

[4] Friedlingstein P et al. (2022): Global Carbon Budget 2022. Earth System Science Data, DOI: 10.5194/essd-14-4811-2022. Das Update für das Jahr 2023 ist im Review.

Literaturstellen, die vom SMC zitiert wurden

[I] IPCC (2022): Climate Change 2022: Mitigation of Climate Change. Contribution of Working Group III to the Sixth Assessment Report of the Intergovernmental Panel on Climate Change.