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06.05.2022

Stärkere Immunantwort durch Impfung an gleicher Stelle

     

  • Studie an Mäusen zeigt, dass eine Zweitimpfung an gleicher Stelle zu stärkerer Immunantwort führt
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  • Sollte auch bei Menschen bei einer Impfserie immer in denselben Arm geimpft werden?
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  • Experten: Relevanz des Effektes nicht klar, geimpft wird ohnehin häufig in den gleichen Arm
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Alle Impfungen einer Impfserie sollten immer in dieselbe Körperstelle gegeben werden, weil dadurch die Immunantwort stärker ausfallen kann. Zu diesem Ergebnis kommen US-amerikanische Forschende in einer Studie an Mäusen, die am 06.05.2022 im Fachjournal „Science Immunology“ erschienen ist (siehe Primärquelle).

Für ihre Untersuchung konzentrierten sich die Forschenden auf die sogenannten B-Gedächtniszellen des Immunsystems. Diese werden nach einem Erstkontakt mit einem Erreger oder durch eine Impfung in den Keimzentren in nächstgelegenen Lymphknoten gebildet und sind wichtig für ein langanhaltendes Immungedächtnis. Einige B-Gedächtniszellen durchlaufen mehrere Reifezyklen in den Keimzentren, wodurch die Affinität der Rezeptoren für die Antigene des Erregers spezifischer wird. Bei einem erneuten Kontakt mit dem Krankheitserreger oder den Antigenen einer Impfung wandeln sich ein Teil der B-Gedächtniszellen zu Plasmazellen um und bilden erneut Antikörper, die Krankheitserreger gezielter erkennen und bekämpfen können. Die Autorinnen und Autoren der Studie gingen der Frage nach, inwiefern der Injektionsort einer Zweitimpfung sich auf die Wiederverwendung und Weiterentwicklung bereits bestehender B-Gedächtniszellen auswirkt, die durch eine Erstimpfung gebildet wurden.

Hierfür immunisierten sie Mäuse in der rechten hinteren Pfote mit einem Influenza-Proteinimpfstoff (Prime Impfung). Eine zweite Dosis (Booster) folgte dann ein bis drei Monate nach der ersten entweder in dieselbe oder gegenüberliegende Pfote. Sie konnten beobachten, dass eine Zweitimpfung an derselben Stelle wie die Erstimpfung zu einer effektiveren Wiederbelebung der Keimzentren und einer höheren Anzahl an spezifischen B-Zellen führte, als wenn die Impfung in weiter entfernteres Gewebe gegeben wurde.

Untersucht wurde auch der Effekt zweier aufeinanderfolgender Impfstoffe, die sich in ihren Antigenen etwas unterscheiden, wie zum Beispiel die jährlichen Grippeimpfstoffe oder auch angepasste Impfstoffe, wie aktuell gegen COVID-19. Auch bei diesen heterologen Impfungen schien die Gabe an derselben Körperstelle vorteilhaft zu sein. Es wurden verstärkt B-Zellen gebildet, die kreuzreaktive Antikörper bilden können, also sowohl gegen die Antigene aus der ersten als auch der zweiten Impfung effektiv waren. Wenn die zweite Impfung in die andere Pfote gegeben wurde, konnte diese kreuzreaktive Antikörper-bildenden B-Zellen nur seltener beobachtet werden.

Inwiefern die an Mäusen gewonnen Erkenntnisse auch auf das Immunsystem beim Menschen übertragbar sind und inwiefern sich aus der Studie bereits ableiten lässt, dass bei einer Impfserie immer in den gleichen Oberarm geimpft werden sollte, das ordnen Fachleute in den nachfolgenden Statements ein.

Übersicht

     

  • Prof. Dr. Thomas Winkler, Professor für Genetik, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg
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  • PD Dr. Marc Seifert, Leiter der Nachwuchsgruppe "B-Zell-Immunologie und Lymphompathogenese", Universität Duisburg-Essen
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  • Prof. Dr. Meinrad Busslinger, stellvertretender wissenschaftlicher Direktor des Forschungsinstitut für Molekulare Pathologie GmbH (IMP), Wien, Österreich
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  • Prof. Dr. Hedda Wardemann, Leiterin der Abteilung B-Zell-Immunologie, Deutsches Krebsforschungszentrum (DKFZ), Heidelberg
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Statements

Prof. Dr. Thomas Winkler

Professor für Genetik, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg

„Die Kernaussage der Studie ist, dass die Immunantworten nach einer Booster-Impfung – hier in der Studie ist ausdrücklich die zweite Immunisierung gemeint, nicht wie nun in der Öffentlichkeit für SARS-CoV-2 die dritte Impfung – einen kleinen Anteil an B-Zellen erneut rekrutieren. B-Zellen sind die Immunzellen, die Antikörper produzieren. Es wird also ein gewisser Anteil der B-Zellen aus der ersten Immunantwort ‚reaktiviert‘ und dabei weiter verbessert. Das war eigentlich immer das Dogma, ohne es je genau bewiesen zu haben. Allerdings hatten Arbeiten einer Forschergruppe der Rockefeller Universität [1] kürzlich darauf hingewiesen, dass dies sehr selten bis fast nie passiert. Die Arbeit aus der Arbeitsgruppe von Garnett Kelsoe zeigt nun, dass dies (doch häufiger) passieren kann, insbesondere wenn man die zweite Immunisierung an der gleichen Stelle setzt – also zum Beispiel in den gleichen Arm – bei der Maus nimmt man die Füße oder Beine.“

Auf die Frage, wie stark beziehungsweise überzeugend die Unterschiede in der Immunantwort abhängig vom Applikationsort sind:
„Der Effekt ist insgesamt nicht riesig aber doch gut nachweisbar und eindeutig.“

„Als vielleicht im Moment besonders wichtigen Aspekt zeigt die Studie auch, dass dieser Effekt (bei einem Booster am selben Ort zu impfen; Anm. d. Red.) wichtig sein kann für eine heterologe Booster-Impfung wie zum Beispiel bei zwei Stämmen des Influenzavirus oder in Analogie der ‚Original‘-COVID-19-Impfstoff versus zum Beispiel einem Omikron-angepassten Impfstoff. ‚Kreuzreagierende Antikörper‘ gegen beide Impfantigene bekommt man praktisch nur bei Impfung am gleichen Ort. Die Menge solcher kreuzreagierenden Antikörper war allerdings recht niedrig in diesen Experimenten.“

Auf die Frage, wie übertragbar die an Mäusen gewonnen Erkenntnisse auf die Immunantwort beim Menschen sind:
„Die hier gewonnenen Erkenntnisse können sehr wohl wichtig und übertragbar auf den Menschen sein. Allerdings muss relativiert werden: Bei den allermeisten Menschen wird wohl in der Regel sowieso in denselben Arm geimpft, alleine um die Beeinträchtigung des ‚bevorzugten‘ Arms zu vermeiden wie zum Beispiel bei Rechtshändern, die man links impft. Auf einem Meeting wurde dieser Aspekt kürzlich diskutiert, allerdings sind entsprechende Daten von Menschen schwer zu bekommen.“

„Die aktuelle Diskussion betrifft die Booster-Impfung, also die Drittimpfung. Es scheint nach neueren Daten einer zweiten Gruppe des Rockefeller Instituts in New York um Herrn Nussenzweig so zu sein, dass die Booster-Impfungen eine sehr hohe Diversität erzeugt und diese durch ähnliche Mechanismen erreicht wird wie in der vorliegenden Studie. Deshalb kann man nach der dritten Impfung auch einen sehr guten Schutz gegen die Omikron-Variante beobachten [2].

„Diese und andere Ergebnisse, die von Kuraoka et al. diskutiert werden [3] zeigen schon direkt am Menschen, dass die Keimzentrumsantworten beim Menschen wohl sogar viel mehr dazu beitragen können, bessere und vor allem breitere Antikörper zu generieren. Unklar ist, ob das beim Menschen insbesondere durch die neuen mRNA-Impfstoffe geschieht oder sogar durch das ‚besondere‘ schnelle Impfschema (zweite Impfung nach bereits drei Wochen). Genauso unklar ist, ob nun gleicher oder unterschiedlicher Arm besser ist, das wird aber sicher bald untersucht werden oder sogar bald publiziert werden.

Auf die Frage, ob die in der Studie gewonnene Erkenntnisse auf unterschiedliche Impfstofftypen übertragbar sind:
„Das kann man nicht sagen, in den Experimenten in der Maus wurden Proteinimpfstoffe verwendet, mit einem Standard Adjuvanz. Meine Einschätzung der neuen Befunde aus dem Menschen mit den mRNA-Impfstoffen ist, dass das Prinzip der Verbesserung bestehender Gedächtniszellen durch einen Boost und außerdem die Verbreiterung der Antikörperspezifitäten sehr stark (viel stärker als in den Mausexperimenten) beobachtet werden kann. Ob das nur so ist, wenn man in den gleichen Arm impft, kann man nicht sagen.“

Auf die Frage, inwiefern diese Studie bereits eine Handlungsoption aufwirft, bei einer Impfserie möglichst immer in den gleichen Oberarm zu impfen:
„Wie oben gesagt, erfolgt das wohl sowieso immer im gleichen Arm, wenngleich es wohl keine ‚Handlungsempfehlung‘ gibt. Man müsste eine Vergleichsstudie abwarten, dann wäre es bewiesen. Ich gehe sehr stark davon aus, dass diese Ergebnisse in wenigen Monaten spätestens vorliegen, wenn nicht sogar früher. Genau diese Frage wurde zum Abschluss der Key-Stone-Konferenz in Hannover mit einer ‚Abstimmung‘ unter den etwa 200 Teilnehmern gewissermaßen als Spaß in den Raum geworfen. Die Mehrheit war für die Impfung im gleichen Arm.“

PD Dr. Marc Seifert

Leiter der Nachwuchsgruppe "B-Zell-Immunologie und Lymphompathogenese", Universität Duisburg-Essen

„Die Studie Kuraoka et al. zeigt überzeugend und anschaulich, dass der Applikationsort einer Booster-Immunisierung einen gewissen Einfluss auf die Intensität einer sekundären Immunantwort haben kann. Dieser Einfluss ist auf molekularer und zellulärer Ebene messbar, ist aber insgesamt mild und wahrscheinlich für den Erfolg einer sekundären Infektion oder einer Booster-Immunisierung nicht entscheidend.“

Auf die Frage, wie übertragbar die an Mäusen gewonnen Erkenntnisse auf die Immunantwort beim Menschen sind:
„Eine Übertragbarkeit von Erkenntnissen aus Mausmodellen auf den Menschen ist immer fraglich. Die diskutierten Ursachen für die beobachteten Unterschiede, das heißt eine lokale Häufung von immunerfahrenen, vorbereiteten (primed) Lymphozyten und Gedächtnis-Lymphozyten im betroffenen Gewebe ist plausibel. Sie stimmen auch überein mit Erkenntnissen aus anderen Studien, die zum Beispiel zeigen konnten, dass das zirkulierende Gedächtnis-B-Zell-Kompartiment zwar repräsentativ für das Gewebe-assoziierte Gedächtnis-B-Zell-Kompartiment in der Milz ist – aber eben nicht identisch mit diesem [4]. Auch das lymphatische Darmgewebe zeigt spezialisierte, räumlich-zeitlich getrennte anatomische Nischen für Marginalzonen- und Gedächtnis-B-Zell-Populationen [5].“

Auf die Frage, ob die in der Studie gewonnene Erkenntnisse auf unterschiedliche Impfstofftypen übertragbar sind:
„Einen solchen Schluss lässt vielleicht das Mausmodell zu, aber es ist fraglich, inwiefern die beobachteten Unterschiede die Wirksamkeit von Booster-Immunisierungen beim Menschen beeinträchtigen würden. Gerade im Hinblick auf die aus der SARS-CoV-2-Pandemie bekannt gewordenen überaus stark wirkenden RNA-Impfstoffe bezweifle ich, dass eine lokale Wiederholung ‚kriegsentscheidend‘ wäre.“

Auf die Frage, inwiefern diese Studie bereits eine Handlungsoption aufwirft, bei einer Impfserie möglichst immer in den gleichen Oberarm zu impfen:
„Das sehe ich hier nicht gegeben. Dazu müssten konkrete Studien am Menschen durchgeführt werden.“

Prof. Dr. Meinrad Busslinger

stellvertretender wissenschaftlicher Direktor des Forschungsinstitut für Molekulare Pathologie GmbH (IMP), Wien, Österreich

„Die Immunantwort auf Pathogene sowie Impfstoffe finden in Lymphknoten statt, die über den ganzen Körper verteilt sind. Der Ort der Infektion oder Injektion bestimmt, welche nächstgelegenen Lymphknoten an der Immunantwort teilnehmen. Die Immunantwort ist dafür verantwortlich, dass spezifischer Antikörper gegen die Pathogene oder Impfstoffe gebildet werden, die über die Verteilung durchs Blut den ganzen Körper schützen können. Dabei werden in den Lymphknoten ebenfalls B-Gedächtniszellen gebildet, die bei einer zweiten Infektion oder Auffrischungen der Impfung eine schnellere Produktion der Antikörper verursachen. Die publizierte Studie der Gruppe um Gernett Kelsoe hat an Mäusen untersucht, ob die Qualität der Immunantwort davon abhängt, ob die Auffrischung der Impfung am Ort der ersten Immunisierung oder auf der Gegenseite durchgeführt wird. Dabei haben die Forscher gefunden, dass bei Immunisierung am gleichen Ort die lokalen B-Gedächtniszellen einen größeren Beitrag zur sekundären Immunantwort leisten. Hinweise auf die Existenz eines lokalen Gedächtnisses wurden ebenfalls von anderen Forschungsgruppen gefunden. Dass dieses lokale B-Zellgedächtnis auch bei uns Menschen existiert, ist wahrscheinlich. Es muss nun anhand von Impfstudien überprüft werden, ob die Qualität der Immunantwort von der Einstichstelle der Auffrischungsimpfung abhängig ist. Des Weiteren muss untersucht werden, ob Impfstoffe gegen verschiedenartige Pathogene auf gleiche Weise vom lokalen Immungedächtnis profitieren können.“

Prof. Dr. Hedda Wardemann

Leiterin der Abteilung B-Zell-Immunologie, Deutsches Krebsforschungszentrum (DKFZ), Heidelberg

„Die Autoren der Studie versuchen zu verstehen, ob sich die Immunantwort nach einer Booster-Immunisierung unterscheidet, wenn man nochmal an der gleichen Stelle immunisiert oder einen anderen Applikationsort wählt. Sie bestimmen quantitative und qualitative Unterschiede in der B-Zellantwort gegen Immunisierung mit einem Influenza-Antigen und sehen Anzeichen für eine stärkere Beteiligung von Gedächtniszellen, wenn die Immunisierungen an der gleichen Stelle durchgeführt wurden. Einzelzellanalysen legen nahe, dass Antiköper dieser Zellen das Influenza-Antigen im Schnitt besser binden und bei Booster-Immunisierung mit einem veränderten Antigen auch kreuzreaktiv sein können, das heißt beide Impf-Antigene erkennen. Die Unterschiede sind nicht sehr stark ausgeprägt und die zugrundliegenden Datenmengen sind insbesondere bei den Einzelzell-basierten Analysen limitiert. Zudem wurde die Bedeutung der Beobachtungen für den Schutz vor Influenzainfektionen nicht analysiert.“

„Eine direkte Übertragung der Daten auf den Menschen oder andere Impfstoffe ist nicht möglich. Humane B-Gedächtniszellen sind wesentlich höher mutiert, was nahelegt, dass sie über lange Zeit in immer wieder in Keimzentrumsreaktionen rekrutiert werden und dort mutieren. Dieser Zeitrahmen ist in dem Modell nicht abgebildet und die Beobachtungen sind auf einen experimentellen Impfstoff limitiert. Influenzaimpfungen finden in jährlichem Abstand statt. Zudem sind Menschen im Gegensatz zu Labortieren permanent Krankheitserregern ausgesetzt, was die Dynamik von Immunantworten zusätzlich beeinflusst.“

Auf die Frage, inwiefern diese Studie bereits eine Handlungsoption aufwirft, bei einer Impfserie möglichst immer in den gleichen Oberarm zu impfen:
„Um eine Impfempfehlung auszusprechen, müssten Daten vorliegen, die die Beobachtungen an den Impfschutz knüpfen, das heißt, es müsste gezeigt werden, dass Mäuse und dann auch Menschen, die zwei Impfungen an der gleichen Stelle erhalten haben, besser vor der Infektion geschützt sind. Die Autoren zeigen, dass zumindest die Antikörpertiter und Stärke der Keimzentrumsantwort unabhängig vom Applikationsort gleich ist. Ob die Unterschiede in der Antikörperbindung auch auf Ebene der Serumantikörper-Antwort relevant sind, bleibt offen.“

Angaben zu möglichen Interessenkonflikten

PD Dr. Marc Seifert: „Ich habe keinen Interessenkonflikt mit der Studie von Kuraoka et al.“

Prof. Dr. Meinrad Busslinger: „Ich habe keine Interessenkonflikte.“

Prof. Dr. Hedda Wardemann: „Ich habe keine Interessenkonflikte.“

Alle anderen: Keine Angaben erhalten.

Primärquelle

Kuraoka M et al. (2022): Recall of B cell memory depends on relative locations of prime and boost immunization. Science Immunology. DOI: 10.1126/sciimmunol.abn5311.

Literaturstellen, die von den Experten zitiert wurden

[1] Mesin L et al. (2020): Restricted Clonality and Limited Germinal Center Reentry Characterize Memory B Cell Reactivation by Boosting. Cell. DOI: 10.1016/j.cell.2019.11.032.

[2] Muecksch F et al. (2022): Increased Memory B Cell Potency and Breadth After a SARS-CoV-2 mRNA Boost. Nature. DOI: 10.1038/s41586-022-04778-y.

[3] Kim W et al. (2022): Germinal centre-driven maturation of B cell response to mRNA vaccination. Nature. DOI: 10.1038/s41586-022-04527-1.

[4] Kibler A et al. (2021): Systematic memory B cell archiving and random display shape the human splenic marginal zone throughout life. Journal of Experimental Medicine. DOI: 10.1084/jem.20201952.

[5] Zhao Y et al. (2018): Spatiotemporal segregation of human marginal zone and memory B cell populations in lymphoid tissue. Nature Communications. DOI: 10.1038/s41467-018-06089-1.