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06.04.2020

Sind selbst billige Emissions-Zertifikate gut fürs Klima?

Eines der viel diskutierten wirtschafts- und klimapolitischen Instrumente, die Ziele des Pariser Klimaabkommens zu erreichen und die Emissionen von Kohlendioxid (CO2) verbindlich und drastisch zu verringern, ist die Bepreisung von CO2 und der Handel mit Emissionszertifikaten. In den Diskussionen über die Wirksamkeit dieses Instrumentes, etwa des Emissionshandels der Europäischen Union (European Union Emissions Trading System, EU ETS), geht es auch um die Frage, ob die jetzigen Preise nicht viel zu niedrig sind im Vergleich zu den Umwelt- und gesamt-gesellschaftlichen Kosten, die durch das freigesetzte CO2 entstehen.

Eine aktuelle Studie, die im Fachjournal PNAS erschienen (siehe Primärquelle), untersucht die Gründe und Auswirkungen eines niedrigen – potenziell zu niedrigen – Preises für CO2-Zertifikate. Die Autoren benutzten ein statistisches Modell, das zwei Datensätze von Emissionsdaten unterschiedlicher volkswirtschaftlicher Sektoren für den Zeitraum 1990-2016 zusammenführte.

Demnach hat das EU ETS zwischen 2008 und 2016 die Emissionen um etwa 1,2 Milliarden Tonnen Kohlendioxid gemindert. Auch während der Finanzkrise zwischen 2007 und 2008 waren schätzungsweise acht bis zwölf Prozent der geminderten Emissionen in regulierten Sektoren immer noch dem EU ETS zuzuschreiben. Diese Ergebnisse belegen, so die Studie, dass der Emissionshandel auch mit niedrigen CO2-Preise effektiv sein kann und mit der Zeit sogar an Effektivität zunimmt.

Die Autoren argumentieren, dass die Effektivität auch an eine glaubwürdige Institution gebunden ist, die für sich zeitlich verschärfende und verbindliche Randbedingungen sorgt und diese durchsetzt.

Unternehmen würden so dem zu erwartenden finanziellen Druck zuvorkommen und versuchen, ihre Emissionen zu reduzieren. Niedrige Preise wären dann darauf zurückzuführen, dass die Nachfrage nach Emissionsrechten nachlässt und wären, so die Autoren, mit erfolgreichem CO2-Emissionshandel vereinbar.

 

Übersicht

     

  • Prof. Dr. Andreas Löschel, Professor am Lehrstuhl für Mikroökonomik, Westfälische Wilhelms-Universität Münster
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  • Dr. Johannes Emmerling, Senior Researcher am RFF-CMCC European Institute on Economics and the Environment (EIEE), Mailand, Italien
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  • Prof. Dr. Anita Engels, Professorin für Soziologie, Universität Hamburg, stellvertretende Sprecherin des Exzellenzclusters „Klima, Klimawandel und Gesellschaft“ („Climate, Climatic Change, and Society – CLICCS“)
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Statements

Prof. Dr. Andreas Löschel

Professor am Lehrstuhl für Mikroökonomik, Westfälische Wilhelms-Universität Münster

„Der in der Studie angewandte ‚synthetic control‘-Ansatz ist eine mittlerweile beliebte sogenannte quasi-experimentelle Methode zur Bestimmung von kausalen Effekten. Dabei geht es immer darum, die kontrafaktische Situation zu bestimmen, also was wäre gewesen, wenn die Intervention nicht stattgefunden hätte. Das Besondere daran ist, dass für die Bestimmung des durchschnittlichen kausalen Effekts für die Installationen/Unternehmen, die dem kausalen Faktor ausgesetzt waren (also dem ETS), dem ‚average treatment effect on the treated‘ (ATT), eine synthetische Kontrollgruppe gebildet wird aus einer datengetriebenen Kombination von nicht-betroffenen Unternehmen. Es gibt also keinen direkten Vergleich von einzelnen Unternehmen im und außerhalb des ETS. Das ist insbesondere dann hilfreich, wenn es wenige Beobachtungen gibt – also auch für Kausalanalysen der Wirkungen des ETS, da es oft wenig gute Vergleichsunternehmen gibt. Das Problem wird auch in anderen Papieren diskutiert und adressiert.“

„In einem Papier von mir und Kollegen zu den Wirkungen des EU ETS auf Effizienz und Performance von Unternehmen wird zur kausalen Identifikation zum einen ein sogenannter ‚Difference in Difference Schätzer‘ als quasi experimenteller Ansatz genutzt, bei dem Unternehmen, die sich sehr ähnlich sind, aber wegen ihrer Kapazität gerade im oder außerhalb des ETS sind, vor und nach Einführung des ETS verglichen werden. Daneben zum anderen wird ein Ansatz genutzt, der dem synthetischen Ansatz im Papier sehr ähnlich ist (nicht-parametisches nearest neighbour matching). Es zeigt sich, dass die Leistungsfähigkeit der Unternehmen durch Einfügung des ETS nicht gemindert wurde. Im Gegenteil: In einigen Sektoren wurden die Unternehmen sogar effizienter [1].“

„Mir scheint das Verfahren sehr gut geeignet. Die Verwendung verschiedener Strategien zur Identifikation der Effekte hätte Hinweise zur Robustheit der Ergebnisse geliefert. Das sehe ich im Papier und dem Anhang nicht. Da die bestehende Literatur aber in die gleiche Richtung deutet, ist das vielleicht auch nicht kritisch.“

„Die Studie ist eine sehr gelungene und interessante Ergänzung zu bestehenden Studien zum EU ETS, die mit anderen Methoden die Wirksamkeit des EU ETS in verschiedenen Dimensionen (Emissionsminderung, Innovationstätigkeit, Effizienz und so weiter) gezeigt hat. Dass das EU ETS zu Emissionsminderungen führt, ist nicht überraschend.  Dies gilt auch für niedrige Preise und auch in größerem Umfang als vielleicht vermutet, da Unternehmen bei ihren Emissionsminderungsentscheidungen zum Beispiel nicht nur die augenblicklichen Preise, sondern auch die erwarteten Zertifikatepreise in der Zukunft betrachten. Die meisten Minderungen in Unternehmen außerhalb der Stromerzeugung sind ja langlebige Investitionen.“

Zur Frage, inwiefern die Ergebnisse der Studie geeignet sein könnten, Kritik an den niedrigen Preisen des EU ETS zurückzuweisen:
„Das ist aus meiner Sicht schwierig. Was mir wichtig erscheint, ist die Betonung auf die kontrafaktische Analyse. Das ist ein zentrales Problem in der Kommunikation, die zum Beispiel gerade bei den Kommentaren zu 20 Jahre EEG beobachtet werden konnte. Das EEG war effektiv, hat aber CO2-Preise im Emissionshandel reduziert. Was wäre gewesen, wenn stattdessen konsequent auf höhere CO2-Bepreisung gesetzt worden wäre? Das Papier erwähnt diese Zusammenhänge, macht aber keine weiteren Aussagen zur Politikinteraktion.“

„Ein anderer Aspekt ist wiederum die im Papier nur angedeutete Bedeutung der Erwartungen zukünftiger Zertifikatepreise. Das ist leicht nachvollziehbar: Der CO2-Preis wäre bei null, wenn es keine intertemporale Abwägung gäbe, da der Zertifikatemarkt heute durch Überschüsse an Zertifikaten gekennzeichnet wäre. Es gibt heute keine reale Knappheit, sondern eine erwartete Knappheit in der Zukunft. Die Studie zeigt dies noch einmal. Dadurch wird deutlich, dass eine Stabilisierung der CO2-Preiserwartung wichtig ist. Das gilt insbesondere in diesem Markt, der keine physischen Knappheiten für einige Zeit sehen wird und stark von politischen Erwartungen getrieben ist. Das wird sich sogar verstärken, wenn man die gesteigerten Unsicherheiten durch die Corona-Pandemie berücksichtigt.“

„Schließlich (und aus den beiden oben beschriebenen Perspektiven): Die Minderungen sind in der betrachteten Zeit überschaubar. Das spricht für die Bedeutsamkeit von überlappenden Maßnahmen zum Klimaschutz und gegen besonders starke Erwartungen an zukünftige Zertifikatepreise oder reale Knappheiten auf dem ETS.“

Dr. Johannes Emmerling

Senior Researcher am RFF-CMCC European Institute on Economics and the Environment (EIEE), Mailand, Italien

Zur Frage, wie gut die in der Studie angewandte „synthetic control method“ geeignet ist, um den Effekt des Emissionshandels zu berechnen:
„Da man nie mit Sicherheit sagen kann, wie sich die Emissionen in der EU ohne das ETS entwickelt hätten, bietet diese Methode der Synthetischen Kontrollgruppe die bestmögliche Analyse der Frage, was ohne die Einführung des CO2-Preises passiert wäre.“

„Die ermittelte Reduzierung der CO2-Emissionen durch das EU ETS seit 2008 in der Größenordnung von vier Prozent liegt im Rahmen bisheriger Schätzwerte. Aufgrund der sorgfältigen Methodik erscheint dieses Ergebnis daher sehr robust, und zeigt, dass das System zwar zu einer signifikanten Reduktion der Emissionen geführt hat, jedoch hinter den ursprünglichen Erwartungen zurückgeblieben ist. Zudem sind die regionalen Unterschiede gravierend. Während in Italien, Spanien, Polen und Großbritannien starke Emissionsverringerungen erreicht wurden, kam es in mehreren Ländern sogar zum gegenteiligen Effekt. Eine genauere Analyse dieser Unterschiede wäre notwendig, um die Gründe dafür besser zu verstehen und damit das System langfristig zum Erfolg zu führen, vor allem im Hinblick auf deutlich striktere Emissionsreduzierungen.“

Zur Frage, inwiefern die Ergebnisse der Studie geeignet sein könnten, Kritik an den niedrigen Preisen des EU ETS zurückzuweisen:
„Eine Verringerung der Emissionen um vier Prozent bei einem durchschnittlichen Preis von zehn Euro pro Tonne zeigt, dass eine CO2-Bepreisung grundsätzlich den erwünschten Effekt hat. Allerdings ist damit auch klar, dass der Preis für Reduktionen im Hinblick auf das Pariser Abkommen deutlich darüber liegen müssten, und damit wohl auch über den 10 bis 35 Euro je Tonne des deutschen Klimapakets.“

Prof. Dr. Anita Engels

Professorin für Soziologie, Universität Hamburg, stellvertretende Sprecherin des Exzellenzclusters „Klima, Klimawandel und Gesellschaft“ („Climate, Climatic Change, and Society – CLICCS“)

„Im Moment besteht das Hauptproblem für den Klimaschutz darin, einen substanziellen Wandel herbeizuführen, der über inkrementelle und allmähliche Verbesserungen hinausgeht. Dabei geht um zwei Fragen: Erstens, welche weitergehenden Klimaschutzmaßnahmen über eine reine CO2-Bepreisung hinaus beschlossen werden müssten, und zweitens, ob eine CO2-Bepreisung auch mit niedrigen Einstiegspreisen funktionieren kann.“

„Die Studie zeigt: Billige Emissions-Zertifikate sind nicht vollkommen nutzlos – aber daraus folgt nicht, dass sie ausreichend gut für das Klima sind. Die Autoren zeigen lediglich, dass niedrige Preise nicht vollkommen effektfrei sind. Sie vermuten, dass zumindest bei einigen Unternehmen im EU-Emissionshandelssystem selbst die niedrigen Preise Investitionen in emissionssparende Technologien ausgelöst haben. In der Summe ist dieser Effekt nicht zu vernachlässigen. Die Methode prüft aber gar nicht erst, ob diese niedrige Preise auch in der Lage wären, einen Pfadwechsel hin zu einer klimaneutralen Wirtschaftsweise zu bewirken.“

„Die Messlatte liegt also eigentlich wesentlich höher, und es geht viel grundsätzlicher um die Frage, ob marktförmige Instrumente und (moderate) CO2-Bepreisung den Quantensprung im Klimaschutz überhaupt herbeiführen können. Die COVID-19 Krise bringt möglicherweise als Nebeneffekt mit sich, dass die Leistungsfähigkeit von Markt und Staat im Vergleich zueinander für den Klimaschutz neu bewertet wird – unabhängig von der Frage, ob billige Emissions-Zertifikate überhaupt einen Effekt haben oder nicht.“

Angaben zu möglichen Interessenkonflikten

Prof. Dr. Anita Engels: „Keine Interessenkonflikte bekannt.“

Alle anderen: Keine Angaben erhalten. 

Primärquelle

Bayer P et al. (2020): The European Union Emissions Trading System reduced CO2 emissions despite low prices. PNAS. DOI: 10.1073/pnas.1918128117.

Literaturstellen, die von den Experten zitiert wurden

[1] Löschel A et al. (2019): The impacts of the EU ETS on efficiency and economic performance – An empirical analyses for German manufacturing firms. Resource and Energy Economics. DOI: 10.1016/j.reseneeco.2018.03.001.