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12.03.2018

Schmelzwasser aus Grönland mögliche Gefahr für den Golfstrom

Das zunehmende Abschmelzen des Grönlandeises und der damit verbundene Eintrag von Süßwasser in die angrenzenden Meere könnte langfristig zu einer Abschwächung oder sogar zu einem Erliegen der ozeanischen Konvektion in diesen Regionen führen. Dies könnte zur Überschreitung eines der so genannten ‚Tipping Points' des Golfstroms führen, diesen stark abschwächen und so zu enormen klimatischen Veränderungen in Europa führen. Die Autoren um Marilena Oltmanns vom GEOMAR in Kiel stellen fest, dass sich das Schmelzwasser besonders nach warmen und salzarmen Sommern nicht ausreichend mit dem salzigeren Meerwasser vermischt und sehen die Gefahr, dass mehrere warme Sommer in Folge massive Auswirkungen auf die ozeanische Konvektion haben könnten. Die Ergebnisse wurden am 12.März 2018 im Fachjournal Nature Climate Change publiziert.

 

Übersicht

  • Prof. Dr. Torsten Kanzow, Leiter der Sektion Physikalische Ozeanographie der Polarmeere und Leiter der Fachbereichs Klimawissenschaften, Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung (AWI), Bremerhaven
  • Dr. Florian Ziemen, Wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Abteilung Ozean im Erdsystem, Arbeitsgruppe Physik des Ozeans, Max-Planck-Institut für Meteorologie, Hamburg

Statements

Prof. Dr. Torsten Kanzow

Leiter der Sektion Physikalische Ozeanographie der Polarmeere und Leiter der Fachbereichs Klimawissenschaften, Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung (AWI), Bremerhaven

„Die Studie hat nicht zum Ziel, das Abschmelzen des grönländischen Eisschildes zu untersuchen. Vielmehr besagt die Studie, dass im Winter 2010/2011 an der Oberfläche in der Irmingersee (Meeresgebiet südöstlich von Grönland; Anm. d. Red.) anormal salzarmes Wasser gefunden wurde, das vermutlich kontinentalen Ursprungs war. Die Kernaussage der Studie ist, dass anormal warme und salzarme Bedingungen im Ozean nahe der Meeresoberfläche im Sommer im darauffolgenden Winter zu einer verringerten vertikaler Vermischung führen. Der Einfluss von Süßwassereinträgen auf die Durchmischung im Winter war auch schon vor dieser Studie bekannt – beispielsweise im Bereich der Grönlandsee (Meeresgebiet östlich von Grönland; Anm. d. Red.). Aktuell an der vorliegenden Studie ist zum einen die Quelle des Süßwassers – möglicherweise kontinentalen Ursprungs – die im Zusammenhang mit der verringerten Konvektion diskutiert wird. Zum anderen ist es die aus Korrelationsanalysen abgeleitete Fernwirkung von Südwassereinträgen in die Irmingersee auf Durchmischungsereignisse in der Labradorsee (Meeresgebiet südwestlich von Grönland; Anm. d. Red.).“

„Die Zufuhr von warmem Wasser nahe der Meeresoberfläche von niederen Breiten in die hohen Breiten des Nordatlantiks und bis ins europäische Nordmeer hinein – oft als Golfstrom-Zirkulation bezeichnet – hängt entscheidend davon ab, dass in den hohen Breiten Wasser von der Oberfläche in die Tiefsee absinkt. Dies geschieht nur, wenn sich dieses Wasser hinreichend abkühlt und gleichzeitig auch hinreichend hohe Salzgehalte aufweist.“

„Sowohl Süßwasser aus Schmelzprozessen in Grönland als auch Süßwasser, das in variablen Mengen aus dem Nordpolarmeer nach Süden in den Atlantik gelangt, kann durch die ozeanische Zirkulation in die für die Golfstrom-Zirkulation kritischen Ozeangebiete eingetragen werden, in denen durch tiefe vertikale Durchmischung im Winter das Oberflächenwasser in die Tiefe gelangt – in die Grönlandsee, Labradorsee und Irmingersee. Derzeit ist der Süßwassereintrag von Grönland klein – aber zunehmend – verglichen mit dem Eintrag aus dem Nordpolarmeer. In den oben genannten Gebieten kann dann durch die Süßwassereinträge die Durchmischung abgeschwächt werden. Gleichermaßen schwächt eine Erwärmung der Meeresoberfläche die Durchmischung ab. Wie in der Studie von Oltmanns et al. beschrieben, ist es letztlich das Zusammenspiel von Süßwassereintrag und Erwärmung in den Sommermonaten, das die Stärke der winterlichen Durchmischung bestimmt.“

„Ich sehe derzeit keine akute Gefahr für die Konvektion.“

„Die Durchmischung in der Irmingersee und auch in anderen Meeresgebieten wird grundsätzlich durch einen niedrigen Salzgehalt und eine hohe Temperatur an der Oberfläche behindert. Dies ist die ungünstigste Konstellation, eine andere ungünstige gibt es nicht. Beide Parameter zusammen bestimmen die Dichte und damit die Stabilität der Wassersäule. Je stabiler die Wassersäule, das heißt, je wärmer und salzärmer, desto mehr Wärme muss im Winter abgeführt werden, um wenigstens die Stabilität durch die Temperatur zu reduzieren.“

Dr. Florian Ziemen

Wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Abteilung Ozean im Erdsystem, Arbeitsgruppe Physik des Ozeans, Max-Planck-Institut für Meteorologie, Hamburg

„Es gibt vielfältige Beobachtungen und Computer-Simulationen, die zeigen, dass Süßwasser aus Schmelzwasser oder Niederschlägen die Tiefenwasserbildung im Atlantik schwächt. Das grundlegende Phänomen ist seit Längerem bekannt."

„Ich finde an dieser Studie interessant, dass sie moderne Beobachtungsmethoden wie fest verankerte Messsysteme, Satelliten und Argo-Floats – frei im Ozean driftende Messgeräte – mit modell-gestützten Atmosphären-Re-Analysen kombiniert, um den Einfluss vom Süßwasser auf die Entwicklung des Ozeans in dieser Region in einzelnen Jahren zu dokumentieren.“

„Beobachtungen der vergangenen beiden Jahrzehnte zeigen eine Erwärmung des Klimas, ein verstärktes Abschmelzen des Grönländischen Eisschildes und eine leichte Abschwächung des Golfstromes [1]. Modell-Studien haben gezeigt, dass die zukünftige Erwärmung der Erde zu mehr Niederschlägen und einer weiteren Verstärkung der Schmelze des Grönländischen Eisschildes führen wird, und dass diese Effekte die Ozeanzirkulation im Nordatlantik schwächen werden [2][3][4][5]. In diesen Studien zeigt sich der Einfluss der höheren Temperaturen und Niederschläge stärker als der des Schmelzwassers. Die Vorhersage der Stärke des Abschmelzens des Grönländischen Eisschildes bleibt jedoch eine große Herausforderung. Insgesamt zeigen die Modell-Studien, dass in der Zukunft der Effekt der globalen Erwärmung auf die Temperaturen in Europa stärker sein wird, als der der Abschwächung des Wärmetransportes im Ozean.“

„Die hier diskutierten Regionen spielen eine wichtige Rolle für den Golfstrom. Sie sind jedoch nicht die einzigen relevanten Gebiete. Auch zwischen Grönland und Norwegen findet Tiefenwasserbildung statt. Für die Tiefenwasserbildung ist der Salzgehalt im Nordatlantik essentiell. Die Dichte des Wassers wird von Temperatur und Salzgehalt bestimmt. Je geringer der Salzgehalt, desto stärker muss sich das Wasser abkühlen, um die gleiche Dichte zu erreichen.“

„Ich bin von dem Teil der Studie, in dem die Autoren von einer potentiellen Gefahr für die Konvektionsprozesse aufgrund von vierzig Prozent nicht untergemischten Süßwassers sprechen, nicht sonderlich überzeugt."

„Ich tendiere allerdings grundsätzlich zur Skepsis bei ‚revolutionären’ Erkenntnissen. Mein Eindruck ist, sie sprechen von einer potentiellen Gefahr, weil sie keinen klaren Effekt auf die Konvektion im kommenden Winter nachweisen – oder vielleicht nicht nachweisen können. Die Schichtung an der Oberfläche am Ende eines Winters ist nicht der einzige Parameter, der über die Schichtung im nächsten Winter entscheidet. Auch der horizontale Wassertransport und das Wetter im Rest des Jahres sind hier entscheidend. 2013 und 2014 hatten jeweils wieder starke Tiefenwasserbildung [1].“

„Es gibt viele Faktoren, die die Tiefenwasserbildung beeinflussen. Ein Wesentlicher ist der Salzgehalt der Oberflächenschichten, aber auch die darunterliegenden Schichten des Ozeans und Wind und Wetter spielen eine Rolle."

„In Modell-Simulationen führt ein erhöhter Süßwassereintrag über Jahrzehnte zu einer zunehmenden Schwächung des Golfstromes. Einzelne Jahre sind eher irrelevant [6].“

Angaben zu möglichen Interessenkonflikten

Dr. Florian Ziemen: keine relevanten Interessenkonflikte

Alle anderen: keine Angaben erhalten

Primärquelle

Oltmanns M. et al. (2018): Increased risk of a shutdown of ocean convection posed by warm North Atlantic summers. Nature Climate Change. DOI: 10.1038/s41558-018-0105-1.

Literaturstellen, die von den Experten zitiert wurden

[1] Frajka-Williams E. et al. (2016): Greenland melt and the Atlantic meridional overturning circulation. Oceanography 29(4):22–33, doi:10.5670/oceanog.2016.96.

[2] Vizcaíno M. et al. (2010): Climate modification by future ice sheet changes and consequences for ice sheet mass balance. Climate Dynamics 34:301. DOI: 10.1007/s00382-009-0591-y.

[3] Ridley J.K. et al. (2005): Elimination of the Greenland Ice Sheet in a High CO2 Climate. Journal of Climate (18). DOI: 10.1175/JCLI3482.1.

[4] Swingedouw D. et al. (2014): On the reduced sensitivity of the Atlantic overturning to Greenland ice sheet melting in projections: a multi-model assessment. Climate Dynamics 44:3261. DOI: 0.1007/s00382-014-2270-x.

[5] Bakker P. et al. (2016): Fate of the Atlantic Meridional Overturning Circulation: Strong decline under continued warming and Greenland melting. Geophyical Research Letters 43(23). DOI:10.1002/2016GL070457.

[6] Stouffer R. J. et al. (2006): Investigating the Causes of the Response of the Thermohaline Circulation to Past and Future Climate Changes. Journal of Climate (19). DOI: 10.1175/JCLI3689.1.