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11.02.2020

Robotergestützte Supermikrochirurgie: erster Test an Menschen

Als erster Assistenzroboter für Supermikrochirurgie soll das von niederländischen Forschern entwickelte System MUSA Chirurgen bei Operationen an Gefäßen von bis zu 0,3 Millimetern Durchmesser unterstützen. Jetzt haben die Wissenschaftler den Roboter zum ersten Mal am Menschen erprobt. Die Ergebnisse veröffentlichten sie im Fachjournal „Nature Communications“ (siehe Primärquelle).

Im Rahmen der Pilotstudie führte ein erfahrener Chirurg lymphatisch-venöse Anastomosen (LVA) – Verbindungen von Lymph- und Venengefäßen zur Verbesserung des Lymphdurchflusses – an einer Gruppe von 20 Patienten durch, die infolge von Brustkrebsoperationen Lymphödeme entwickelt hatten. Zwölf der Betroffenen operierten sie manuell, die restlichen acht mit Hilfe von MUSA, einem System, dass die Bewegungen des Mikrochirurgen unterstützen soll, indem es sie verkleinert und Zitterbewegungen des Chirurgen filtert. Anschließend verglichen die Studienautoren die beiden OP-Methoden in Bezug auf folgende Punkte: Qualität der Ergebnisse, Dauer des Eingriffs, Zufriedenheit des Chirurgen, Komfort der Patienten und Zustand der Patienten einen und drei Monate nach dem Eingriff. Die Studie zeige, dass die Methode in der Praxis anwendbar ist und sich auch bei den robotergestützten Operationen der Zustand der Patienten nach drei Monaten etwas verbessert hat. Dennoch schneidet der herkömmliche Eingriff in allen Vergleichspunkten entweder besser oder ohne signifikanten Unterschied ab.

Das führt zu der Frage, inwiefern solche Systeme bereits für die klinische Anwendung empfohlen werden können beziehungsweise wie lange es noch dauern wird, bis sie dahingehend optimiert sind. Einerseits sind gerade im Bereich der Supermikrochirurgie schon fast die Grenzen des Machbaren erreicht und Medizintechniker hoffen, menschliche Grenzen von Präzision und Geschicklichkeit mit Hilfe solcher Roboter überwinden zu können. Andererseits dürfen diese bereits klinisch eingesetzt werden, bevor überhaupt klar ist, ob sie das OP-Ergebnis für den Patienten tatsächlich verbessern. MUSA zum Beispiel hat vergangenen Sommer eine CE-Kennzeichnung in Europa erhalten und darf damit offiziell vertrieben werden.

 

Übersicht

     

  • PD Dr. Christian Taeger, Facharzt für Plastische und Ästhetische Chirurgie und Geschäftsführender Oberarzt der Abteilung für Plastische, Hand- und Wiederherstellungschirurgie, Universitätsklinikum Regensburg
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  • Prof. Dr. Hans-Günther Machens, Direktor der Klinik und Poliklinik für Plastische Chirurgie und Handchirurgie, Klinikum rechts der Isar der Technischen Universität München (TUM)
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  • Prof. Dr. Dr. Raymund E. Horch, Direktor der Plastisch- und Handchirurgischen Klinik, Universitätsklinikum Erlangen, und Alt-Präsident Deutsche Gesellschaft der Plastischen Rekonstruktiven und Ästhetischen Chirurgen (DGPRÄC)
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Statements

PD Dr. Christian Taeger

Facharzt für Plastische und Ästhetische Chirurgie und Geschäftsführender Oberarzt der Abteilung für Plastische, Hand- und Wiederherstellungschirurgie, Universitätsklinikum Regensburg

„Supermikrochirurgische Eingriffe im Sinne von lymphovenösen Anastomosen (Verbindungen von Lymph- und Venengefäßen zur Verbesserung des Lymphdurchflusses; Anm. d. Red.) können bei Patienten mit chronischen Lymphödemen in vielen Fällen zu einer deutlichen Symptomlinderung führen, wenn auch selten eine vollständige Ausheilung zu erreichen ist. Die Eingriffe sind technisch sehr anspruchsvoll und können nur von sehr erfahrenen und trainierten Mikrochirurgen erfolgreich durchgeführt werden. Jede technische Unterstützung für derartige Eingriffe ist willkommen, muss aber hinsichtlich ihrer Relevanz und dem einhergehenden Aufwand korrekt eingeordnet werden. Größter Vorteil des vorgestellten Mikrochirurgie-Roboters MUSA ist die Führung der Operationsinstrumente mit einer Verringerung des Tremors (Muskelzittern; Anm. d. Red.) des Operateurs. Gerade diejenigen Operateure, die sich diesem Thema widmen und supermikrochirurgische Operationen durchführen, sollten damit am wenigsten Probleme haben. Aus eigener Erfahrung ist der Tremor bei derartigen Eingriffen nicht der eigentlich limitierende Faktor und es gelingen Anastomosen ohne Roboter sogar in kleineren Dimensionen als in der vorgestellten Studie.“

„Die Autoren versuchen mit unterschiedlichen Tools die Sinnhaftigkeit des eingesetzten Roboters objektiv und kritisch zu beurteilen. Es werden unterschiedliche Scores hinsichtlich der intraoperativen Ergebnisqualität der Anastomosen wie auch zum klinischen Outcome eingesetzt. Der Roboter soll im Wesentlichen qualitativ bessere Anastomosen ermöglichen, deren Qualität durch zwei Scores bewertet wird. Diese Scores sind allerdings nicht geeignet, den entscheidenden Faktor – nämlich die Durchgängigkeit der Anastomosen – abschließend zu beurteilen. Hierzu bieten moderne Hochleistungsmikroskope unterschiedlicher Hersteller ein entscheidendes Tool: die intraoperative Indocyaningrün-Fluoreszenz. Nur damit kann abschließend rein objektiv die Durchgängigkeit der Anastomosen beurteilt werden. Die Bemerkung der Autoren ‚All completed anastomoses were patent‘ kann aus meiner Sicht ohne intraoperative Fluoreszenz nicht abschließend getroffen werden. Wie die Autoren selbst kritisch bemerken, ist der Nachuntersuchungszeitraum von drei Monaten sehr kurz, Ergebnisse einer objektiven Volumetrie fehlen, was die Aussagekraft der Ergebnisse leider schwächt. Die Patientenzahl ist zudem extrem gering, was die Autoren allerdings selbst bemängeln. Leider wurde kein Untersuchungszeitraum angegeben, aus dem man die klinische Expertise der Kollegen auf dem Gebiet der Lymphchirurgie aufgrund ihrer Fallzahlen schließen könnte.“

„Zwar wird die rasche Lernkurve bei der robotergestützten Technik erwähnt, allerdings muss man zusammenfassend folgendes Resümee ziehen: Der Roboter adressiert ein Problem, nämlich den Tremor des Chirurgen, das bei Kollegen mit entsprechenden manuellen Voraussetzungen, hoher Erfahrung und einer ausreichend hohen Anzahl an Eingriffen im Bereich der Supermikrochirurgie nicht den entscheidenden limitierenden Faktor darstellt. Erfolgreiche Supermikrochirurgie ist an erhebliche monetäre Investitionen gebunden, die Einrichtung benötigt sehr empfindliche ‚High-End‘-Instrumente, eine Fluoreszenzbildkamera und möglichst ein Operationsmikroskop mit intraoperativer Fluoreszenz. Man müsste nun also eine weitere Investition tätigen, die zum gegenwärtigen Zeitpunkt zu einer längeren (und sehr teuren) Operationsdauer, weniger Anastomosen bei ansonsten annähernd gleichen Ergebnissen führt. Zum jetzigen Zeitpunkt sehe ich daher keine klinische Relevanz für derartige Systeme, gegebenenfalls können aber künftige Generationen von Roboter-Operationsmikroskopen mit integrierter künstlicher Intelligenz Vorteile bieten, die eine derartige Investition rechtfertigen.“

„Man könnte jetzt entgegnen, dass der Roboter auch weniger erfahrenen Chirurgen die Möglichkeit bietet, derartige Eingriffe durchzuführen. Hierzu sei allerdings erwähnt, dass eine erfolgreiche Therapie nicht nur im OP entschieden wird. Es benötigt eine sehr hohe Fallzahl an Patienten und einer weitreichenden Expertise bezüglich Indikationsstellung und im Bereich der konservativen Nachbehandlung, um dauerhaft gute Ergebnisse zu erreichen. Dies ist mit Sicherheit nur an Zentren mit sehr hoher Patientenfallzahl zu erreichen. Diese sind aufgrund der dann doch überschaubaren Patientenzahlen allerdings sehr selten.“

Prof. Dr. Hans-Günther Machens

Direktor der Klinik und Poliklinik für Plastische Chirurgie und Handchirurgie, Klinikum rechts der Isar der Technischen Universität München (TUM)

„Jedes neue technische Verfahren, welches die Sicherheit und das klinische Ergebnis von Patientenbehandlungen verbessert ohne den Nachteil unerwünschter Nebenwirkungen, ist zunächst einmal ein Fortschritt. Das hier vorgestellte und erstmals in einer klinischen Studie an Patienten getestete Verfahren (MUSA) scheint in diese Richtung zu gehen, allerdings mit einem sehr erheblichen Aufwand. Das allein muss jedoch kein dauerhafter Nachteil sein. Zahlreiche disruptive Technologien und Techniken sind in der Vergangenheit mit massivem Materialaufwand gestartet worden, den man später durch weitere technische Optimierungen geradezu logarithmisch herunterskalieren konnte. Im Falle der Mikrochirurgie und der Supra-Mikrochirurgie haben wir – was die visuellen Hilfsmittel betrifft – im Laufe der letzten 20 Jahre weitere erhebliche Fortschritte gemacht. Im gleichen Zeitraum haben wir von einer deutlichen Qualitätsverbesserung mikrochirurgischer Instrumente operativ profitiert. Das hier vorgestellte Verfahren ist vielleicht nicht disruptiv, denn es stellt keinen neuen operativen Ansatz in der Mikrochirurgie dar. Aber es hilft, technische Fehler zu vermeiden beziehungsweise operativ auf höchstem Niveau mit bestmöglicher Qualität zu arbeiten. Deshalb macht hier eine technische Unterstützung in der physischen Umsetzung haptischer und taktiler Arbeitsschritte durchaus Sinn. Allerdings wird es sicherlich längere Zeit dauern, bis solche technischen Neuerungen Einzug in die mikrochirurgische Routine halten. Bis dahin wird MUSA einzelnen Zentren vorgehalten bleiben, die ehrlich und kritisch ihre Erfahrungen in Multicenterstudien publizieren sollten.“

„Jede ‚first-in-man‘-Studie ist zunächst einmal mit Vorsicht zu betrachten und bedarf sicherlich weiterer Studien in einem gut kontrollierten Setting. Insofern ist dieser Ansatz sicherlich bemerkenswert, aber nur der Ausgangspunkt für weiterführende Studien. Methodisch ist für diesen Ansatz sicherlich positiv zu bewerten, dass nur ein Operateur sämtliche Eingriffe in beiden Gruppen durchgeführt hat. Die Tatsache, dass es in der nicht-MUSA-Gruppe gegen Ende einen deutlichen Ausreißer hinsichtlich der OP-Zeit gab, in der MUSA-Gruppe aber nicht, deutet auf die Stabilität der MUSA-Technologie im Gegensatz zu der Nicht-Robotik-Gruppe.“

Prof. Dr. Dr. Raymund E. Horch

Direktor der Plastisch- und Handchirurgischen Klinik, Universitätsklinikum Erlangen, und Alt-Präsident Deutsche Gesellschaft der Plastischen Rekonstruktiven und Ästhetischen Chirurgen (DGPRÄC)

„Zunächst einmal möchte ich zusammenfassen, dass es sich bei der sogenannten Mikrochirurgie um eine Technik handelt, bei welcher unter einem Operationsmikroskop kleinste Blutgefäße oder Nerven oder Lymphbahnen genäht werden können. Ich verweise in diesem Zusammenhang auf unser aktuelles Lehrbuch Mikrochirurgie [1]. Weitere Informationen können auf der Webseite der deutschsprachigen Arbeitsgemeinschaft Mikrochirurgie (DAM) gefunden werden.“

„Die Mikrochirurgie hat mittlerweile einen fest etablierten Platz bei der Behandlung aufwendiger Wiederherstellungsoperationen. Durch die Verbesserung der Operationsmikroskope konnten immer kleinere Strukturen mikrochirurgisch behandelt werden. Je kleiner die zu operierenden Gefäße, desto größer kann die Rolle des individuellen Tremors des Mikrochirurgen sein. Deshalb ist der Versuch, gerade bei solchen OPs den Tremor durch robotergestützte Verfahren zu minimieren beziehungsweise zu eliminieren, seit einigen Jahren Ziel von verschiedenen Arbeitsgruppen.“

„Die Gruppe von van Mulken und Mitarbeitern beschreibt nun in ‚Nature Communications‘ den ersten Einsatz einer robotergestützten Supermikrochirurgie bei der Behandlung von Lymphödem nach Brustkrebs. Es handelt sich um einen Pilotversuch, der allerdings als randomisierte Studie angelegt wurde. Die Autoren haben dabei robotergestützte und manuelle supermikrochirurgische lymphatisch-venöse Anastomose (LVA) miteinander verglichen. Das Ergebnis wurde nach einem und drei Monaten nach der Operation beurteilt, ebenso die Dauer der Operation und die Qualität der Anastomose. Nach drei Monaten verbesserte sich das Patientenergebnis. Außerdem wurde in der roboterunterstützten Gruppe mit zunehmender OP-Zahl eine starke Verkürzung der Zeit beobachtet, die der Chirurg zur Vollendung der Anastomose benötigte, beobachtet – von 33 auf 16 Minuten. Allerdings stellen die Autoren auch fest, dass für die konventionelle manuelle Anastomose die Zufriedenheit der Chirurgen höher war als beim Einsatz des Roboters.“

„Ein Nachteil dieser Studie ist, dass die Operationen von einem sehr erfahrenen Mikrochirurgen durchgeführt wurden, sodass sich die Ergebnisse derzeit nicht ohne weiteres auf andere übertragen lassen, die weniger geübt sind. Hier bleibt in der Zukunft noch Arbeit zu leisten, um diesen Umstand zu evaluieren.“

„Die Autoren berichten somit über die Machbarkeit einer robotergestützten supermikrochirurgischen Anastomose in der LVA, was vielversprechende Ergebnisse für die Zukunft der rekonstruktiven Supermikrochirurgie bedeuten könnte.“

„Die vorliegende Studie ist durchaus interessant, weil sie ein klassisches Problem der Mikrochirurgie untersucht und dieses verbessern möchte. Werden Blutgefäße oder Lymphgefäße mikrochirurgisch operiert, die kleiner als 0,5 Millimeter im Durchmesser sind, spielt der Einfluss des menschlichen Tremors (Zitterns) eine wichtige Rolle. Durch den Einsatz eines Roboters kann die Anfertigung einer mikrochirurgischen Anastomose, einer Verbindung von Blut- oder Lymphgefäßen, in diesem Bereich der Supermikrochirurgie künftig wahrscheinlich verbessert werden.“

„Darüber hinaus sehe ich einen möglichen Einsatzbereich der roboterassistierten Mikrochirurgie darin, dass in tiefer gelegenen Körperstellen künftig Anastomosen sicherer angelegt werden können, wohin man mit der Hand nicht ohne weiteres kommt.“

„Die grundsätzliche Machbarkeit wurde in dieser Studie ja bereits gezeigt. Ob es zu einem flächendeckenden Einsatz kommen kann, scheint mir nicht ganz sicher vorhersagbar. Ich denke, dass es sich hier um den Bereich von einigen Jahren handeln dürfte.“

„Soweit mir bekannt ist, kommt dieses System, welches bisher lediglich in Studien eingesetzt wurde, noch nicht routinemäßig in deutschen, österreichischen oder schweizerischen Krankenhäusern zum Einsatz.“

„Es handelt sich hier aus meiner Sicht nicht um ein typisches Medizinprodukt – auch wenn es selbstverständlich in der Medizin eingesetzt wird –, sondern um die Erweiterung der mikrochirurgischen Technik durch eine verbesserte Apparatur (Roboterunterstützung). Das ist meines Erachtens anders zu bewerten, als wenn ein Medizinprodukt (zum Beispiel eine Insulinpumpe oder ein Herzunterstützungssystem) bei einem Menschen eingepflanzt wird, was in Bezug auf die Sicherheitsaspekte die höchste Stufe einer Medizinprodukte-Beurteilung wäre. Andere Medizinprodukte, die nicht in Patienten implantiert werden, sondern unterschiedliche Einwegprodukte, wie Spritzen und ähnliches, seien anders zu beurteilen. Nach meinem Wissen bedeutet aber eine CE-Kennzeichnung – die Buchstaben CE stehen für ‚Conformité Européenne‘ –, dass der Verantwortliche durch das Anbringen der CE-Kennzeichnung erklärt, dass das Produkt allen geltenden EU-Vorschriften entspricht und dass ein entsprechendes Konformitätsbewertungsverfahren durchgeführt wurde.“

Angaben zu möglichen Interessenkonflikten

PD Dr. Christian Taeger: „Interessenkonflikte: - Beraterverträge: KCI, Stryker, Zeiss; - Produktentwicklungen: Lea Medizintechnik, Merete, S&T; - Referententätigkeit: Arthrex, BEMER, Drescher-Lung, JUZU, KCI, Medi, Reiss, Seitz, Stryker, Zeiss.“

Alle anderen: Keine Angaben erhalten.

Primärquelle

Van Mulken TJM et al. (2020) First-in-human robotic supermicrosurgery using a dedicated microsurgical robot for treating breast cancer-related lymphedema: a randomized pilot trial. Nature Communications. DOI: 10.1038/s41467-019-14188-w. 

Literaturstellen, die von den Experten zitiert wurden

[1] Kneser U et al. (2016): Grundkurs Mikrochirurgie. Springer-Verlag Berlin-Heidelberg. DOI: 10.1007/978-3-662-48037-3. ISBN: 978-3-662-48036-6.