Zum Hauptinhalt springen
14.07.2020

Prostatakrebs durch HPV – Evidenz und Impfempfehlung

Die systematische Auswertung von 26 Studien lässt zwei australische Wissenschaftler zu dem Schluss kommen, dass ein kausaler Zusammenhang zwischen einer Infektion mit humanen Papillomviren (HPV) und Prostatakrebs sehr wahrscheinlich ist. Die Ergebnisse ihres systematischen Reviews veröffentlichten sie im Fachjournal „Infectious Agents and Cancer“ (siehe Primärquelle).
Die Literaturauswertung ergab, dass HPV-Infektionen die Onkogenese der Prostata direkt oder indirekt über Elemente des Immunsystems initiieren könnten. Allerdings sei es auch möglich, dass die Viren bei der Onkogenese der Prostata auch mit anderen Erregern interagieren. Die Rolle von HPV bei Prostatakrebs sei sehr komplex und unterscheide sich von HPV-assoziiertem Gebärmutterhalskrebs.
Ein weiterer Hinweis auf den Zusammenhang einer HPV-Infektion mit Prostatakrebs lieferten Daten zur Sterblichkeit durch Gebärmutterhalskrebs und Prostatakrebs in mehreren Ländern: In Ländern, in denen die Sterblichkeit durch Gebärmutterhalskrebs hoch war, war auch die Sterblichkeit durch Prostatakrebs hoch, während in Ländern, in denen die Sterblichkeit durch Gebärmutterhalskrebs niedrig war, die Sterblichkeit durch Prostatakrebs ebenfalls niedrig ausfiel.
In allen deutschsprachigen Ländern wird eine HPV-Impfung auch für Jungen empfohlen. Diese Empfehlungen weisen zwar auch auf einen karzinogenen Effekt einer HPV-Infektion bei Jungen im Hals- und Rachenraum hin, allerdings wird diese Empfehlung hauptsächlich damit begründet, dass HPV sexuell übertragbar sind und eine Impfung bei Jungen auch Mädchen schütze [I][II][III].

Übersicht

     

  • Prof. Dr. Peter Hammerer, Leiter der Urologischen Klinik, Städtisches Klinikum Braunschweig, und Vorstandsmitglied der Europäischen Urologischen Krebsgesellschaft (ESOU)
  •  

  • Prof. Dr. Michael Muders, Direktor des Rudolf-Becker-Labors für Prostatakarzinomforschung und Oberarzt der Pathologie am Zentrum für Pathologie, Universitätsklinikum Bonn
  •  

Statements

Prof. Dr. Peter Hammerer

Leiter der Urologischen Klinik des Städtischen Klinikums Braunschweig und Vorstandsmitglied der Europäischen Urologischen Krebsgesellschaft (ESOU), Klinikum Braunschweig

„Es ist bekannt, dass Infektionen mit den humanen Papillomviren (HPV) verantwortlich sind für zervikale Karzinomerkrankungen (Krebserkrankung des Gebärmutterhalses; Anm. d. Red.) und oropharyngeale Karzinomerkrankungen (Krebserkrankung im Mund- und Rachenraum; Anm. d. Red.) sowie weitere andere Krebserkrankungen.“

„Die genauen Mechanismen sind meines Wissens nicht vollständig geklärt. Auch wird der Zusammenhang zwischen verschiedenen HPV-Infektionen und dem Auftreten von Prostatakarzinom-Erkrankungen seit mehreren Jahren intensiv untersucht [1][2][3]. Ich halte es für wichtig, auf diesen Zusammenhang zwischen Virusinfektion und Krebsrisiko hinzuweisen. Inwieweit weitere genetische Voraussetzungen vorhanden sein müssen, ist aktuell noch unklar.“

„Es ist wahrscheinlich, dass eine prophylaktische Impfung das Risiko für HPV-induzierte Karzinomerkrankungen senken kann, die Daten für die Zervixkarzinome sind bekannt. Ich bin mir nicht sicher, ob es bereits Daten bei anderen Krebserkrankungen gibt, allerdings würde ich einen Zusammenhang vermuten. Aus diesem Grunde erscheint es auch logisch, auf die Impfung bei Jungen hinzuweisen. Ob eine spätere Impfung einen Vorteil hat, ist meines Erachtens unklar.“

Prof. Dr. Michael Muders

Direktor des Rudolf-Becker-Labors für Prostatakarzinomforschung und Oberarzt der Pathologie am Zentrum für Pathologie, Universitätsklinikum Bonn

„Seit 2015 gab es mehrere Publikationen, die eine Assoziation von HPV mit dem Entstehen von Prostatakarzinom nahelegen. All dies sind Assoziationsstudien, ein wirklich wissenschaftlicher Beweis steht weiterhin aus. Auch in dem aktuellen, hier vorliegenden Review wird ein Zusammenhang zwischen einer HPV-Infektion und Prostatakarzinom nur aufgrund von Assoziationen nahegelegt. Dabei wurden stringentere Kriterien als in den früheren Metaanalysen angewandt. Trotzdem fehlt immer noch ein stichhaltiger wissenschaftlicher Beweis, auf dessen Grundlage weitere Handlungsempfehlungen ausgesprochen werden können. Dies wird auch in dem vorliegenden Manuskript so kommentiert.“

Auf die Frage mit welchen Methoden man nachweisen könne, dass hoch riskante HPVs eine kausale Rolle beim Prostatakrebs spielen:
„Sowohl Experimente in Zellkulturen, in denen onkogene Humane Papillomaviren der sogenannten ‚high risk‘-Subtypen wie dem Subtyp 16 oder 18 in nicht-neoplastischen Zellen mittels genetischer Manipulation eingeführt werden, als auch mögliche Tierexperimente mit derartigen Zellen sind bisher nicht publiziert. Nur solche Studien könnten einen zweifelsfreien Zusammenhang zwischen HPV und maligner Transformation von Prostatadrüsen beweisen.“

„Eine HPV-Impfung sowohl von Mädchen und Jungen ist aus medizinischer Sicht absolut zur primären Prävention des Gebärmutterhalskrebses aber auch von Plattenepithelkarzinomen im HNO-Bereich zu empfehlen. Die Ständige Impfkommission (STIKO) empfiehlt die Impfung von Jungen und Mädchen im Alter von 9 bis 14 Jahren. Jugendliche, die in diesem Altern noch nicht geimpft sind, wird empfohlen, die Impfung bis zum 18. Lebensjahr vorzunehmen. Nachdem Infektionen mit HPV zu den sexuell übertragbaren Krankheiten gehören, wird eine Impfung vor dem ersten Sexualkontakt empfohlen. Leider ist in Deutschland diese Art der primären Prävention nicht so verbreitet wie zum Beispiel in skandinavischen Ländern. Hier besteht eindeutig Handlungsbedarf. Natürlich kann diese Assoziationsstudie der Impfempfehlung mehr Nachdruck verleihen, obwohl im Fall des azinären Adenokarzinom der Prostata – so der medizinische Terminus – der Zusammenhang zwischen HPV-Infektion und onkogener Transformation ungleich komplexer zu sein scheint als bei den oben genannten Erkrankungen. Ich betone, ein eindeutiger wissenschaftlicher Nachweis einer kausalen Assoziation zwischen Infektion und Krebserkrankung im Falle des Prostatakarzinoms fehlt bisher.“

Angaben zu möglichen Interessenkonflikten

Alle: Keine Angaben erhalten.

Primärquelle

Lawson JS et al. (2020): Evidence for a causal role by human papillomaviruses in prostate cancer – a systematic review. Infectious Agents and Cancer. DOI: 10.1186/s13027-020-00305-8.

Literaturstellen, die von den Experten zitiert wurden

[1] Yin B et al. (2017): Association between human papillomavirus and prostate cancer: A meta-analysis. Oncol Lett.; 14(2): 1855–1865. DOI: 10.3892/ol.2017.6367.

[2] Medel-Flores O et al. (2018): Association between HPV infection and prostate cancer in a Mexican population. Genet Mol Biol.; 41(4): 781–789. DOI: 10.1590/1678-4685-GMB-2017-0331.

[3] de Martel C et al. (2017): Worldwide burden of cancer attributable to HPV by site, country and HPV type. Int J Cancer.; 141(4): 664–670. DOI: 10.1002/ijc.30716.

Literaturstellen, die vom SMC zitiert wurden

[I] AG HPV der Ständigen Impfkommission (STIKO)(2018): Wissenschaftliche Begründung für die Empfehlung der HPV-Impfung für Jungen im Alter von 9 bis 14 Jahren. Epid Bull 2018;26:233–250. DOI: 10.17886/EpiBull-2018-032.1

[II] Bundesministerium Arbeit, Soziales, Gesundheit und Konsumentenschutz (2020): Impfplan Österreich 2020.

[III] Bundesamt für Gesundheit, Eidgenössische Kommission für Impffragen (2015): HPV-Impfung: ergänzende Impfempfehlung für Jungen und Männer im Alter von 11 bis 26 Jahren. Bulletin 10.