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02.03.2022

Potenzielle Immunisierung gegen RSV für gesunde Säuglinge

Eine einzige Dosis des monoklonalen Antikörpers Nirsevimab bietet einer aktuellen Studie im „New England Journal of Medicine“ (siehe Primärquelle) zufolge bei Säuglingen einen guten Schutz gegen das respiratorische Synzytial-Virus (RSV). Die Wirksamkeit des Präparats gegen RSV-bedingte Infektionen der unteren Atemwege gaben die Forschenden mit 74,5 Prozent an. Insgesamt wurden 1490 Säuglinge untersucht: 994 wurden der Nirsevimab-Gruppe und 496 der Placebo-Gruppe zugewiesen. RSV-Infektionen traten bei zwölf Säuglingen (1,2 Prozent) in der Nirsevimab-Gruppe und bei 25 Säuglingen (5) in der Placebo-Gruppe auf. Die Wirksamkeit gegen Hospitalisierung lag bei 62,1 Prozent.

RSV ist ein weit verbreitetes Virus, das saisonale Epidemien verursacht. Bei Säuglingen kann RSV zu Bronchiolitis und Lungenentzündung führen. Es ist eine der Hauptursachen für Krankenhausaufenthalte bei allen Kleinkindern. Die einzige derzeit verfügbare Möglichkeit zur Prävention ist Palivizumab, ebenfalls ein monoklonaler Antikörper, der jedoch auf Hochrisikokinder beschränkt ist [1]. Für eine RSV-Saison sind fünf Injektionen erforderlich. Nirsevimab soll der Studie zufolge dagegen alle Säuglinge während ihrer ersten RSV-Saison mit einer einzigen Dosis schützen.

Schwerwiegende unerwünschte Ereignisse wie wiederkehrendes Erbrechen, Unterzuckerung und Blutarmut wurden im Rahmen der aktuellen Studie bei 6,8 Prozent der Nirsevimab-Empfänger (67 Säuglinge) und bei 7,3 Prozent der Placebo-Empfänger (36) gemeldet. Bis knapp ein Jahr nach Injektion traten drei Todesfälle in der Nirsevimab-Gruppe auf. Keine dieser unerwünschten Ereignisse, einschließlich der Todesfälle, wurden von den Prüfärzten mit Nirsevimab oder dem Placebo in Verbindung gebracht. Bei Säuglingen mit angeborenen Herzfehlern, chronischen Lungenerkrankungen und Frühgeborenen, die ihre erste RSV-Saison erleben, zeigte Nirsevimab ein ähnliches Sicherheits- und Verträglichkeitsprofil wie Palivizumab.

Der monoklonale Antikörper wurde von den Pharmaunternehmen Astrazeneca und Sanofi entwickelt. Einen aktiven Impfstoff gegen RSV gibt es bislang nicht. Weitere Forschungsansätze wie passive Antikörper, die durch die Impfung der Mutter während der Schwangerschaft erworben werden, führten bisher nicht zum Erfolg [2].

Das SMC hat Forschende darum gebeten, die Studie einzuschätzen und den Kosten-Nutzen-Gewinn von Nirsevimab gegenüber Palivizumab herauszustellen.

Übersicht

     

  • Prof. Dr. Johannes Liese, Leiter der pädiatrischen Infektiologie und Immunologie, Kinderklinik und Poliklinik, Universitätsklinikum Würzburg
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Statements

Prof. Dr. Johannes Liese

Leiter der pädiatrischen Infektiologie und Immunologie, Kinderklinik und Poliklinik, Universitätsklinikum Würzburg

„Die Ergebnisse sind bedeutsam und belegen die Wirksamkeit einer Prophylaxe mit Nirsevimab gegen RSV-Atemwegsinfektionen vor allem bei Säuglingen im ersten Lebenshalbjahr, eine Infektionskrankheit gegen die bisher bei gesunden, reifgeborenen Säuglingen keine effektive Prophylaxe oder Therapie zugelassen ist.“

„Palivizumab wird aufgrund der begrenzten Wirksamkeit und der hohen Kosten vor allem für sehr kleine Frühgeborene und andere Hochrisikopatienten empfohlen. Zu den Kosten von Nirsevimab wird in der Studie keine Aussage getroffen. Allerdings ist der Aufwand relativ hoch: Um eine Krankenhausaufnahme zu verhindern, die zum Beispiel in der Studie bei 1,6 Prozent der mit Placebo behandelten Säuglinge auftrat, müssten 50 bis 60 gesunde Säuglinge mit Nirsevimab behandelt werden. Abhängig von den Kosten des Medikaments kann das ein erheblicher finanzieller Aufwand sein.“

Auf die Frage, wie das Risiko der Nebenwirkungen von Nirsevimab im Vergleich zum Risiko von RSV-Infektionen zu bewerten ist:
„Für eine validierte Bewertung ist es noch zu früh, die vorliegenden Daten reichen hierfür nicht aus. Letztlich ist die Studie zu klein, um die aufgetretenen Todesfälle in einen kausalen Zusammenhang mit der Behandlung mit Nirsevimab zu bringen, das heißt, es könnte auch Zufall gewesen sein. Hier sind im nächsten Schritt deutlich größere Studien erforderlich. Insgesamt verlaufen die Erkrankungen von den meisten der mit RSV ins Krankenhaus aufgenommenen Säuglingen ohne schwere Komplikationen, relativ häufig muss Sauerstoff für einige Tage gegeben werden, ein kleiner Teil der Säuglinge benötigt eine Unterstützung bei der Atmung, Todesfälle kommen bei gesunden Säuglingen extrem selten vor.“

„Die vorliegende Studie kann die Verhinderung schwerer letaler oder beatmungspflichtiger RSV- Erkrankungen nicht belegen, da sie als Studie hierfür zu wenig Probanden aufgenommen hat. Damit kann die Wirksamkeit gegenüber seltenen beziehungsweise extrem seltenen Erkrankungen hier nicht belegt werden. Es werden hierzu wesentlich größere Studien benötigt, um sicher zu belegen, dass auch diese Erkrankungen verhindert werden können und wie hoch dann der Aufwand hierfür ist.“

Angaben zu möglichen Interessenkonflikten

Prof. Dr. Johannes Liese: „Wir beziehen Drittelmittel von der Firma Janssen für wissenschaftliche Forschung im Bereich der Atemwegserkrankungen.“

Alle anderen: Keine Angaben erhalten.

Primärquelle

Hammitt LL et al. (2022): Nirsevimab for Prevention of RSV in Healthy Late-Preterm and Term Infants. New England Journal of Medicine. DOI: 10.1056/NEJMoa2110275.

Literaturstellen, die vom SMC zitiert wurden

[I] Liese J et al. (2018): Prophylaxe von schweren Erkrankungen durch Respiratory Syncytial Virus (RSV) bei Risikokindern. S2-Leitlinie. AWMF online.

[II] Madhi SA et al. (2020): Respiratory Syncytial Virus Vaccination during Pregnancy and Effects in Infants. New England Journal of Medicine. DOI: 10.1056/NEJMoa1908380.