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13.11.2023

Potenzial der Kohlenstoffspeicherung in Wäldern laut Studie nicht ausgeschöpft

     

  • laut neuer Untersuchung könnten Wälder weltweit 226 Gigatonnen mehr Kohlenstoff binden als aktuell der Fall
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  • Wiederherstellung degradierter Wälder hat größeres Potenzial als Aufforstung
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  • unabhängige Forschende loben Methodik, betonen aber, dass das Potenzial nicht vollständig ausgeschöpft werden kann
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Würden weltweit geeignete Flächen aufgeforstet und bestehende, degradierte Wälder instand gesetzt werden, könnten dadurch 226 Gigatonnen Kohlenstoff zusätzlich gebunden werden. Das ist das Ergebnis einer Studie, die am 13.11.2023 im Fachjournal „Nature“ erschienen ist (siehe Primärquelle). Zum Vergleich: Die globalen fossilen CO2-Emissionen im Jahr 2022 entsprachen rund 10 Gigatonnen Kohlenstoff [I]. Die Ergebnisse zeigten das große Potenzial von Wäldern für den Klimaschutz, sollten aber nicht als Argument gegen die Verringerung von Treibhausgas-Emissionen missverstanden werden, so die Autorinnen und Autoren.

Die Studie verknüpft Daten von Messungen der Biomasse am Boden mit Satellitendaten, um den in Wäldern gebundenen Kohlenstoff zu bestimmen. Dabei werden neben den Bäumen auch Wurzelsysteme, Totholz und Böden berücksichtigt. Mithilfe verschiedener Modellierungen schätzen die Forschenden, dass Wälder weltweit 328 Gigatonnen weniger Kohlenstoff speichern, als es ohne den Einfluss des Menschen der Fall wäre. Der Großteil dieses unausgeschöpften Potenzials – 226 Gigatonnen – befinde sich in Gebieten, in denen es keine Siedlungen oder Agrarflächen gebe. Das Wiederherstellen von degradierten Wäldern trage (mit 61 Prozent) deutlich mehr zu diesem Potenzial bei als das Aufforsten entwaldeter, aber ungenutzter Flächen (mit 39 Prozent). Ein großer Teil der Kohlenstoffspeicherung könne darum mit „minimalen Landnutzungskonflikten“ umgesetzt werden.

An der Studie waren Autorinnen und Autoren von über 200 Institutionen weltweit beteiligt. Angeleitet wurde das Projekt von der Arbeitsgruppe von Thomas Crowther an der ETH Zürich, die bereits 2019 mit einer ähnlichen Studie unter dem Titel „The global tree restoration potential“ für Aufsehen sorgte [II]. Die damalige Studie bezifferte das Potenzial der Kohlenstoffbindung durch Aufforstung mit 205 Gigatonnen. Diese Schätzung wurde von vielen anderen Forschenden als viel zu hoch kritisiert [III] [IV] [V] [VI]. Anders als die aktuelle Studie berücksichtigten die Forschenden 2019 nicht, wie viel zusätzlichen Kohlenstoff bestehende Wälder bei einem besseren Management binden könnten. Die Ergebnisse sind also nicht direkt vergleichbar.

Übersicht

  • PD Dr. Florian Zabel, Privatdozent am Department für Geographie, Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU)
  • Prof. em. Dr. Christian Körner, Emeritierter Professor, Institut für Botanik, Department Umweltwissenschaften, Universität Basel, Schweiz
  • Prof. Dr. Markus Reichstein, Direktor der Abteilung Biogeochemische Integration, Max-Planck-Institut für Biogeochemie, Jena
  • Dr. Melvin Lippe, Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Arbeitsbereich Waldwirtschaft Weltweit, Institut für Waldwirtschaft, Johann Heinrich von Thünen-Institut, Bundesforschungsinstitut für Ländliche Räume, Wald und Fischerei, Hamburg

Statements

PD Dr. Florian Zabel

Privatdozent am Department für Geographie, Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU)

Kernaussage und Methodik

„Die Autoren wenden Verfahren des maschinellen Lernens an, um die potenzielle Kohlenstoffspeicherung von Wäldern weltweit mit einer sehr hohen räumlichen Auflösung – circa ein Kilometer – zu berechnen. Dabei werden sowohl oberirdische als auch unterirdische Speicherpools berücksichtigt. Aus globaler Sicht kommen die Autoren zu dem Ergebnis, dass potenziell bis zu 328 Gigatonnen mehr Kohlenstoff in Wäldern gespeichert werden könnte, als dies derzeit der Fall ist. Davon befinden sich jedoch 102 Gigatonnen auf Flächen, die derzeit landwirtschaftlich genutzt werden – Grünland, Weideland oder Ackerland – oder die dicht besiedelt sind. Somit ist eine Wiederbewaldung dort unrealistisch. Obwohl auch hier Potenziale vorhanden sind, zum Beispiel durch Agroforstwirtschaft oder Carbon Farming (Speicherung von Kohlenstoff in Agrarböden durch landwirtschaftliche Praktiken; Anm. d. Red.), wurden diese Flächen in dieser Studie bewusst nicht berücksichtigt. Damit wurde ein wesentlicher Kritikpunkt aus früheren Studien vermieden, die landwirtschaftlich genutzte Flächen für die Aufforstung berücksichtigt hatten [1] [2].“

„Demgegenüber befinden sich 139 Gigatonnen dieses Potenzials auf den heutigen Waldflächen und 87 Gigatonnen in Regionen mit geringem menschlichem Einfluss. Diese Flächen eignen sich somit besonders gut, um sie zum Beispiel unter Schutz zu stellen und dadurch ihr natürliches Potenzial für die Speicherung von Kohlenstoff voll auszuschöpfen. So kann Kohlenstoff aus der Atmosphäre gebunden werden, um die Klimaerwärmung zu bremsen. Wie andere Studien zeigen, könnte ein Schutz dieser Flächen zusätzlich positive Effekte auf die Artenvielfalt haben. Die Autoren weisen jedoch darauf hin, dass auch diese identifizierten Flächen – wenn auch in geringem Maße – zum Beispiel durch lokale Gemeinschaften und indigene Bevölkerungsgruppen genutzt werden könnten, was zu Zielkonflikten führen könnte.“

Bedeutung der Ergebnisse für den Klimaschutz

„Die Ergebnisse dieser Studie könnten genutzt werden, wenn es um die Ausweisung zukünftiger Schutzgebiete geht. Wie es im Kunming-Montreal Abkommen vorgesehen ist, sollen bis 2030 30 Prozent der Landoberfläche unter Schutz stehen. Hier könnten Regionen mit einem hohen Potenzial zur Kohlenstoffspeicherung, also einer großen Klimaschutzwirkung, von besonderer Bedeutung sein. Ein politisches Problem liegt aber darin, dass sich ein Großteil der identifizierten Potenziale in tropischen Regionen befinden. Dies wirft die Frage auf, ob und in welcher Art und Weise diese Regionen mit Kompensationszahlungen unterstützt werden können oder sollten. Bisherige Aufforstungs- und Waldschutzprojekte in tropischen Ländern standen jedoch oft stark in der Kritik, da sie teilweise erst Anreize zur Abholzung geschaffen haben und auch sonst wenig effektiv waren. Vor allem in Trockenregionen konnte in anderen Studien gezeigt werden, dass auf Grund einer niedrigeren Albedo von Waldflächen der Gesamteffekt durch Aufforstung für den Klimaschutz sogar kontraproduktiv war [3].“

Kritikpunkte und Unsicherheiten

„Die Ergebnisse dieser Studie werte ich als robust, sie liegen insgesamt in ähnlicher Größenordnung wie andere Studien. Dennoch gibt es nach wie vor große Unsicherheiten, vor allem, was die Kohlenstoffspeicher in den Tropen angeht. Bessere Instrumente für die Erdbeobachtung und weitere Feldarbeiten sind daher dringend notwendig, um zukünftig ein besseres Bild für die vorhandenen und potenziellen Kohlenstoffspeicher in Boden und Pflanzen zu erhalten.“

Einfluss des Klimawandels auf die Kohlenstoffspeicherung

„Ein Defizit der Studie ist, dass die Folgen des Klimawandels nicht berücksichtigt werden – zum Beispiel eine Zunahme von Dürren und Waldbränden durch höhere Temperaturen, aber auch ein mögliches stärkeres Pflanzenwachstum durch CO2-Düngung. Ebenso wird nicht berücksichtigt, dass der Druck auf Land durch eine steigende Lebensmittelnachfrage zukünftig steigen könnte – insbesondere durch einen höheren Fleischkonsum – und somit geringere Flächen für die vorgeschlagenen Maßnahmen zur Verfügung stehen als gedacht. Insgesamt verdeutlicht die Arbeit aber den potenziellen Beitrag der Erhaltung, Wiederherstellung und nachhaltigen Bewirtschaftung von Wäldern zur Bindung von Kohlenstoff aus der Atmosphäre. Für die Einschätzung der Studienergebnisse ist allerdings wichtig, dass dies langfristig kein Ersatz für die Minderung von Treibhausgasemissionen sein kann.“

Prof. em. Dr. Christian Körner

Emeritierter Professor, Institut für Botanik, Department Umweltwissenschaften, Universität Basel, Schweiz

„Mit einer Inflation des Begriffes der Autorenschaft (gemeint ist die sehr lange Liste an Autorinnen und Autoren; Anm. d. Red.) – die allermeisten Autoren forschen nicht zu dem Thema – wird hier eine methodisch sehr sorgfältige, genaue Analyse der bestehenden und theoretisch möglichen Kohlenstoffbindung in Waldbiomasse geboten. Die gröbsten Fehler der Studie von Bastin et al. von 2019 [1] werden dadurch vermieden, da Landnutzungskonflikte und Bewaldungspotentiale besser berücksichtigt werden.“

Vergleich der Ergebnisse mit früheren Studien

„Die Zahlen sind zwar genauer, aber nicht neu. Eine Analyse aus dem Jahr 2001 [4], die auf ungestörten Idealflächen basiert, kommt auf Vorräte von 610 Gigatonnen Kohlenstoff, plus etwa 40 Gigatonnen Kohlenstoff in der Biomasse außerhalb von Wäldern. Eine Studie von 2018 [5] kommt auf Basis von Satellitendaten zu einer realen Waldbiomasse von etwa 410 Gigatonnen Kohlenstoff, plus 40 Gigatonnen Kohlenstoff in der Biomasse außerhalb von Wäldern und zu einer Differenz von grob 200 Gigatonnen Kohlenstoff. Diese Zahlen sind fast identisch zu denen aus der neuen Studie von Mo et al. Beide Quellen werden nicht zitiert. Schlüsselreferenzen zu Kohlenstoffumsatz (,turnover‘), -verweildauer und -akkumulation in globalem Maßstab wurden nicht zitiert, weil die Autoren einen weltfremden, statischen Waldbegriff pflegen.“

Kritikpunkte und Unsicherheiten

„Obwohl die Methodik sehr solide ist, ist die Studie aus zwei Hauptgründen grob irreführend: Erstens ignorieren die Autoren, dass Wälder dynamische Systeme sind, die sich auch in unberührter Natur in ständigem Wechsel zwischen langsamem – Jahrhunderte andauerndem – Aufbau und plötzlichem Zusammenbruch – innerhalb von Stunden bis Wochen – durch Feuer, Windbruch oder Insekten befinden. Auch der Wald-erntende Mensch erzeugt diese zeitliche Asymmetrie zwischen raschem Kohlenstoffverlust und sehr langer Akkumulation. Wälder, die dauerhaft einen maximalen ,Idealspeicher‘ aufweisen, wie hier angenommen, gibt es nicht [6].“

„Jedes Stück Wald befindet sich auf irgendeiner Etappe in diesem Zyklus. In den Tropen ist diese Walddynamik eher kleinräumig – durch Baumlücken – und wird durch die Assessments mit Daten vom Boden oder von Satelliten zum Großteil miterfasst. Außerhalb der Tropen ist das größtenteils nicht der Fall.“

„Jeder Quadratmeter subtropischer und warm-temperater Halbtrockenwälder – wie in Australien – , Savannen, mediterraner Wälder und borealer Wälder erlebte in den letzten Jahrhunderten einmal ein Feuer. Bis die Vorräte wieder hergestellt sind, vergehen mehr als 100 Jahre. Ohne gelegentliche Feuer degenerieren boreale Wälder. Im Schnitt beträgt der dauerhafte Vorrat an Biomasse über alle Flächen daher eher grob der Hälfte des Maximalen. Der Schlüssel zu einem realistischen Vorratsszenario ist die Wahrscheinlichkeit, dass natürliche Störungen wiederkehren, beziehungsweise die Umtriebszeit in genutzten Wäldern. Dies ist aber kein Thema in dieser Studie.“

„Zweitens ist die Studie irreführend, weil die Autoren den ,trade-off‘ zwischen Speichern und Nutzen ignorieren. Wenn man eine Gigatonne Kohlenstoff in Waldbiomasse festlegt, kann man diese Gigatonne Kohlenstoff nicht gleichzeitig zur Substitution von fossilen Rohstoffen einsetzen. Wie jedes Kind verstehen kann, kann man auf einem Stück Land Wald nur einmal installieren, hingegen kann man bei nachhaltigem Management den Wald theoretisch ewig nutzen. Dies ist der Ursprung und das Wesen des Nachhaltigkeitsbegriffes.“

„Nachhaltige Waldnutzung – bei gegenüber einem theoretischen Maximum vermindertem Vorrat – ist langfristig der viel effizientere Weg, einen forstlichen Beitrag für die Lösung des CO2-Problems zu leisten, als Wald, wie hier suggeriert, außer Nutzung zu stellen und dabei das Risiko einzugehen, dass Feuer, Sturmschäden oder Dürre-Mortalität das angesparte Kapital in kürzester Zeit vernichten. Das bedeutet jedoch nicht, dass alle Wälder genutzt werden sollten.“

„Aus diesen beiden Gründen nährt die Arbeit – trotz sehr sorgfältig erhobener Daten – dieselbe Illusion wie die Studie von Bastin et al. [1]. Aufforstung von brach liegendem, waldfähigem Land ist ökologisch absolut wünschenswert, die Wirkung als Kohlenstoffspeicher folgt dabei aber sehr stark verzögert. Mit den hier berechneten, maximal möglichen Vorräten ist, unabhängig von der Flächengröße, wohl erst in 100 bis 200 Jahren zu rechnen, wenn man sofort überall gleichzeitig beginnen würde. Das kommt zu den beiden oben genannten Bedenken noch dazu. Die Verhinderung der Abholzung alter Wälder hat hingegen sofortige Wirkung. Mit den paar Entschuldigungen in der Diskussion zeigen die Autoren, dass ihnen diese Einschränkungen größtenteils bewusst sind, es entsteht aber zunächst ein anderer Eindruck.“

„Um abschließend noch etwas Positives zu sagen: Die detaillierte Aufteilung nach Landnutzungstypen und Eignungsflächen zeigt ein differenziertes Bild, das für globale Fragen des Waldzustandes und möglicher Entwicklungen sehr wertvoll ist.“

Prof. Dr. Markus Reichstein

Direktor der Abteilung Biogeochemische Integration, Max-Planck-Institut für Biogeochemie, Jena

Kernaussage und Methodik

„Die Studie bestätigt ein hohes Potenzial, Kohlenstoff in Wäldern zu speichern, mehr als 200 Gigatonnen. Das Neue der Studie liegt in der Zusammenschau von Waldinventuren und Fernerkundungsmethoden sowie dem Testen unterschiedlicher Modelle, wodurch Unsicherheiten besser abgeschätzt werden können.“

Vergleich mit Vorgängerstudie aus 2019

„Die Autoren kommen zu ähnlichen Ergebnissen wie Bastin et al. [1], weil sich zwei Effekte kompensieren. Einerseits sieht die Studie jetzt davon ab, Savannen und ähnliche, eher ungeeignete Gebiete, zu berücksichtigen, wodurch das Potenzial sinkt. Andererseits werden jetzt potenzielle Bodenkohlenstoffgewinne hinzugerechnet, wodurch das Potenzial steigt. Die Schätzungen der Bodenkohlenstoffgewinne basieren jedoch auf deutlich weniger gesicherten Daten als die Baumbiomasse, das heißt auf nur einer einzigen Studie und sind daher mit Vorsicht zu genießen.“

„Die Studie berücksichtigt allerdings nicht, wie lange es dauert, bis das Potenzial erreicht werden kann. Dies ist natürlich eine entscheidende Größe, wenn es darum geht, in den nächsten Jahrzehnten den Klimawandel zu bekämpfen. Insofern suggeriert das Kohlenstoffpotenzial der Studie mehr, als in begrenzter Zeit möglich ist. Gerade im Boden ist der Kohlenstoffgewinn langsam.“

„Ein weiteres Problem, welches nicht berücksichtigt wird, ist der Einfluss auf den Wasserkreislauf, mit Einflüssen auf Grundwasserneubildung und Abfluss – nicht nur in Savannen und Trockengebieten, sondern auch in Teilen Mittel- und Osteuropas.“

„Eine alternative, weniger riskante und möglicherweise ökonomisch wertschöpfende Strategie ist nachhaltige Bewirtschaftung und langlebige Verwendung von Holzprodukten, die damit dem Kohlenstoffkreislauf entzogen sind.“

„Es ist jedenfalls nicht davon auszugehen, dass das Potenzial ausgeschöpft werden kann. Dennoch kann die Restaurierung von degradierten Wäldern Teil eines Klimaschutz-Portfolios sein.“

Einfluss des Klimawandels auf die Kohlenstoffspeicherung

Auf die Frage, ob zu erwarten ist, dass sich das Potenzial zur Kohlenstoffspeicherung von Wäldern durch den Klimawandel verändert:
Dies ist in der Tat eine weitere Schwäche der Studie. Jegliche Kohlenstoffspeicherung in ,ungeschützten‘ Ökosystemen ist Störungen wie Feuern ausgesetzt, die in kurzer Zeit viel CO2 frei setzen können. Auch wenn das global nicht überall gleichzeitig passiert, muss gerade mit dem Klimawandel mit mehr Störungen – zum Beispiel durch Trockenheit oder Hitzewellen – gerechnet werden, so dass das vollständige Potenzial nicht erreicht wird. In Mitteleuropa haben wir – durch Trockenheit und Waldsterben – in den Jahren 2018 bis 2021 entsprechendes erlebt.“

Dr. Melvin Lippe

Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Arbeitsbereich Waldwirtschaft Weltweit, Institut für Waldwirtschaft, Johann Heinrich von Thünen-Institut, Bundesforschungsinstitut für Ländliche Räume, Wald und Fischerei, Hamburg

Kernaussage und Methodik

„Die Studie ist der nächste Schritt zur besseren Abschätzung des globalen Kohlenstoffsenken-Potenzials von Wäldern und dessen Unsicherheiten. Bisherige Studien und Bewertungsmethoden beruhten auf der Kombination von Satelliteninformationen und Fernerkundung, sowie In-situ-Daten, die aber nicht immer alle Ökozonen gleichwertig abbildeten. Die Studie ist in diesem Sinne eine methodische Weiterentwicklung der bisherigen Ansätze. Ein inhaltlich neuer Wissenstand oder Überraschendes ist für mich nicht unbedingt erkennbar, da solche Studien auf globaler Skala immer eine gewisse Unsicherheit im Vergleich zu anderen ähnlichen Studien aufweisen.“

„Die methodische Herangehensweise ist nachvollziehbar und transparent dargestellt worden. Eine Einbeziehung von zukünftigen Klimadekaden folgend den RCPs (,representative concentration pathways‘ beschreiben globale Emissionsszenarien; Anm. d. Red.) wäre sicherlich sinnvoll gewesen, da die zugrundeliegende Referenzperiode 1979 bis 2013 noch nicht sehr stark auf die seit einer Dekade stärker auftretenden Klimawandelunsicherheiten – wie Dürren und Hitzewellen – eingeht. Hier wäre zum Beispiel die Nutzung von Daten des RCP4.5 oder auch RCP8.5 sinnvoll gewesen und könnte eine bessere Abschätzung der zukünftigen Unsicherheiten des Kohlenstoffsenken-Potenzials von Wäldern aufzeigen. Dieser Aspekt wurde von den Autoren als Einschränkung der Studie angesprochen und diskutiert.“

Einfluss des Klimawandels auf die Kohlenstoffspeicherung

„Die bisherigen Expertenmeinungen ging mehrheitlich davon aus, dass Wälder langfristig eines der am einfachsten zu bewahrenden Kohlenstoffsenken-Potenziale darstellen. Die vergangenen Dürrejahre in Deutschland und anderen Weltregionen haben aber gezeigt, dass die immer stärker hervortretenden Unsicherheiten des Klimawandels – wie lange Dürreperioden oder erratische Regenfallereignisse, die oftmals durch Starkregen und Überflutungen gekennzeichnet sind – den Wäldern und deren Kohlenstoffsenken-Potenzialen global zusetzen können. Die Folge sind systemische Kaskadeneffekte wie erhöhte Baummortalitäten und Waldfeuerrisiken, die aufgrund der langen Zeitperioden nicht mehr durch Aufforstung gleichwertig kompensiert werden können.“

„Es ist entsprechend davon auszugehen, dass sich die Kohlenstoffsenken-Potenziale von Wäldern langfristig reduzieren. Die wissenschaftliche Herausforderung wird sein, diese Unsicherheiten auch in den entsprechenden Klima- und Landnutzungsmodellen mit zu berücksichtigen, da nicht klar ist, wie stark diese Reduktion langfristig Einfluss auf die Menge an Treibhausgasen in der Atmosphäre haben wird und welche Rückkopplungseffekte dadurch wirken werden.“

Bedeutung der Ergebnisse für den Klimaschutz

„Die Studie ist sicherlich ein wichtiger Beitrag für globale Klimaschutzbemühungen durch Aufforstung und Waldmanagement aufgrund der zugrundeliegenden Bewertungsmethodik. Es sollte aber darauf hingewiesen werden, dass die produzierten Karten auf lokaler Landschaftsebene oftmals nur eingeschränkt nutzbar sein werden, da die räumliche Auflösung eines Pixels in dieser Studie etwa einen Quadratkilometer am Äquator darstellt. Für Aufforstungsprojekte oder ein nachhaltiges Waldmanagement sind Pixelauflösungen von zehn Metern oder feiner von höherer Relevanz als die hier genutzte Auflösung.“

„Wie bereits vorherige Studien aufzeigten, gibt es globale Regionen, in denen der Schutz bestehender Wälder mit den Zielen von Biodiversitätserhalt und Kohlenstoffsenken-Potenzialen gut vereinbar ist. Das gilt zum Beispiel für das Amazonas- oder Kongobecken, da hier (noch) die global höchste Dichte an lebender Baumbiomasse in tropischen Regionen zu finden ist. In diesem Sinne bestätigt die Studie die bisherigen wissenschaftlichen Sichtweisen.“

„Als Unsicherheit sollte die zugrundliegende genutzte Klimaperiode 1979 bis 2023 genannt werden, da das aufgezeigte Potenzial dieser Region zur Verringerung der globalen Treibhausgasemissionen und zur Nutzung als langfristiges Kohlenstoffsenken-Potenzial durch die Fortschreitung des Klimawandels immer mehr in Frage gestellt wird.“

Angaben zu möglichen Interessenkonflikten

PD Dr. Florian Zabel: „Ich habe keine Interessenkonflikte und war an der Studie nicht beteiligt.“

Prof. em. Dr. Christian Körner: „Ich habe keine Interessenkonflikte.“

Prof. Dr. Markus Reichstein: „Ich sehe keinen Interessenkonflikt.“

Dr. Melvin Lippe: „Ich habe keinen Interessenkonflikt.“

Primärquelle

Mo L et al. (2023): Integrated global assessment of the natural forest carbon potential. Nature. DOI: 10.1038/s41586-023-06723-z.

Literaturstellen, die von den Expertinnen und Experten zitiert wurden

[1] Bastin et al. (2019): The global tree restoration potential. Science. DOI: 10.1126/science.aax0848.

[2] Delzeit R et al. (2019): Forest restoration: Expanding agriculture. Science. DOI: 10.1126/science.aaz0705.

[3] Rohatyn S et al. (2022): Limited climate change mitigation potential through forestation of the vast dryland regions. Science. DOI: 10.1126/science.abm9684.

[4] Roy et al. (2001): Terrestrial global productivity. Elsevier.

[5] Bar-On YM et al. (2018): The biomass distribution on earth. PNAS. DOI: 10.1073/pnas.1711842115.

[6] Körner C (2003): Slow in, rapid out - carbon flux studies and Kyoto targets. Science. DOI: 10.1126/science.1084460.

Literaturstellen, die vom SMC zitiert wurden

[I] Friedlingsstein P et al. (2022): Global Carbon Budget 2022. Earth System Science Data Discussions. DOI: 10.5194/essd-14-4811-2022.

[II] Bastin J et al. (2019): The global tree restoration potential. Science. DOI: 10.1126/science.aax0848.

dazu: Science Media Center (2019): Weltweit verfügbare Flächen zur Aufforstung zum Klimaschutz. Research in Context. Stand: 04.07.2019.

[III] Veldmann JW et al. (2019): Comment on “The global tree restoration potential”. Science. DOI: 10.1126/science.aay7976.

[IV] Skidmore AK et al. (2019): Comment on “The global tree restoration potential”. Science. DOI: 10.1126/science.aaz0111.

[V] Lewis SL et al. (2019): Comment on “The global tree restoration potential”. Science. DOI: 10.1126/science.aaz0388.

[VI] Friedlingsstein P et al. (2019): Comment on “The global tree restoration potential”. Science. DOI: 10.1126/science.aay8060.