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05.04.2023

Pille danach für sexuell übertragbare Krankheiten

     

  • Einmal-Antibiotikum kann die Ansteckung mit sexuell übertragbaren Krankheiten verringern
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  • innerhalb von 72 Stunden wird diese „Pille danach“ nach Sex ohne Kondom angewendet
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  • diese Form der Infektions-Prophylaxe ist laut Experten effektiv in Hochrisikopopulationen, aber Resistenzen müssen bedacht werden
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Eine Dosis eines gewöhnlichen Antibiotikums soll als „Pille danach“ die Entstehung von bakteriellen sexuell übertragbaren Krankheiten (STI) wie Syphilis, Tripper oder Chlamydien verhindern. Wenn diese innerhalb von 72 Stunden nach ungeschütztem Sex eingenommen wurde, konnten zwei Drittel der STIs abgewendet werden. Die Daten wurden am 05.04.2023 im Fachjournal „New England Journal of Medicine“ veröffentlicht (siehe Primärquelle).

In ihre randomisierte Studie schlossen die Autorinnen und Autoren Männer, die Sex mit Männern haben (MSM), und Transfrauen ein, die eine Präexpositionsprophylaxe (PrEP) gegen das humane Immundefizienzvirus (HIV) einnahmen (PrEP-Kohorte) oder mit einer HIV-Infektion lebten (Kohorte der Personen, die mit einer HIV-Infektion leben (PLWH)). Alle Probanden hatten im Jahr vor Studienbeginn eine Infektion mit einer sexuell übertragbaren Krankheit durchgemacht. Die Teilnehmer und Teilnehmerinnen wurden nach dem Zufallsprinzip in einem Verhältnis von 2:1 entweder für die Einnahme von 200 Milligramm Doxycyclin innerhalb von 72 Stunden nach kondomlosem Sex (Doxycyclin-Postexpositionsprophylaxe, DoxyPEP) oder für die Standardbehandlung ohne Doxycyclin ausgewählt. STI-Tests wurden vierteljährlich durchgeführt. Der primäre Endpunkt der Studie war die Inzidenz von mindestens einer STI pro Nachbeobachtungsquartal.

Im Studienzeitraum konnte die DoxyPEP in der Versuchsgruppe etwa zwei Drittel aller STIs verhindern. Die Pille wurde durchschnittlich vier Mal pro Monat von den Versuchsteilnehmern verwendet, wobei 25 Prozent sogar zehn Dosen oder mehr von der Pille einnahmen. Laut Studienautoren und -autorinnen wurden keine Bedenken hinsichtlich des Nebenwirkungsprofils, der Sicherheit oder der Akzeptanz festgestellt.

Die Zahl der STIs hat in den vergangenen Jahren auch in Deutschland wieder zugenommen und tritt gehäuft in der Gruppe MSM auf [I]. Inwiefern DoxyPEP eine wirksame Maßnahme zur STI-Prävention für MSM nach ungeschütztem Geschlechtsverkehr darstellt, ob eine sehr häufige Anwendung gesundheitliche Auswirkungen haben könnte und inwiefern die wiederholte Anwendung von Antibiotika zur Entstehung von antibiotikaresistenten Bakterien führen könnte, erläutern Forschende in den nachfolgenden Statements.

Übersicht

     

  • Assoc. Prof. Dr. Georg Stary, Leiter der Forschungsgruppe „Translational Immunology in Mucosa and Skin (TIMS)“ am Institut für Dermatologie, Medizinische Universität Wien, Österreich
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  • PD Dr. Christoph Spinner, Oberarzt Infektiologie, Klinik und Poliklinik für Innere Medizin II, Klinikum rechts der Isar der Technischen Universität München (TUM)
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  • Prof. Dr. Norbert Brockmeyer, Leiter des Zentrums für Sexuelle Gesundheit und Medizin, Katholisches Klinikum Bochum, und Direktor für Forschung und Lehre, Klinik für Dermatologie, Venerologie, und Allergologie, Ruhr-Universität Bochum und Vorsitzender der Deutschen-STI-Gesellschaft
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Statements

Assoc. Prof. Dr. Georg Stary

Leiter der Forschungsgruppe „Translational Immunology in Mucosa and Skin (TIMS)“ am Institut für Dermatologie, Medizinische Universität Wien, Österreich

„Die vorliegende Arbeit weist ein sehr klares Studiendesign auf mit einer Patientenkohorte mit Hochrisikoprofil in Bezug auf sexuell übertragbare Infektionen (STI). Es handelt sich dabei um Patientinnen und Patienten, die ein hohes Risiko für STIs haben: Männer, die Sex mit Männern haben (MSM) und Transfrauen, die eine sogenannte HIV-PrEP (steht für Pre-exposure Prophylaxis) verwenden (PrEP-Kohorte) oder Personen, die HIV haben (HIV-Kohorte) und eine Infektion mit Gonokokken, Chlamydia trachomatis oder Syphilis innerhalb des Jahres vor Studieneinschluss hatten. Die Daten zeigen, dass die Anwendung von DoxyPEP als einmalige Gabe nach einem Hochrisikokontakt in dieser Patientengruppe effektiv zu sein scheint.“

„Man weiß, dass Patienten, die eine HIV-PrEP nehmen, um sich vor einer Ansteckung mit HIV zu schützen, häufig ungeschützten Geschlechtsverkehr haben und sich ein Teil davon mit vielen STIs ansteckt. Bei dieser speziellen Subgruppe scheint die Anwendung von DoxyPEP als Prophylaxe einen hohen Vorteil zu bieten. Wenn sich aufgrund der DoxyPEP in dieser Kohorte weniger Personen mit jenen drei bakteriellen STIs anstecken, dann sind insgesamt weniger STIs im Umlauf. Dementsprechend werden unter Umständen auch diejenigen geschützt, die das Medikament nicht prophylaktisch einnehmen.“

„Auch bei regelmäßiger Anwendung von durchschnittlich vier Dosen pro Monat haben die Patientinnen und Patienten, die Doxycyclin als Prophylaxe verwendet haben, insgesamt nicht mehr Antibiotika eingenommen als die Kontrollgruppe. Denn eine akute Infektion mit STIs wird teilweise auch über mehrere Tage antibiotisch behandelt.“

„Besorgniserregend ist allerdings, dass es in dieser Patientengruppe zu vermehrten Resistenzen bei Gonokokken kam. Während bei Chlamydien und Syphilis wenig Resistenzen auftreten, ist das bei Gonokokken ein großes Problem. Da stellt sich mir die Frage, wo das hinführen wird, weil in dieser Gruppe schon häufig Resistenzen aufgetreten sind. In diesem Sinne scheint mir die langfristige Verwendung von DoxyPEP nicht sehr zukunftsträchtig. Wichtig ist jedenfalls, Gonokokken-Abstriche regelmäßig durchzuführen und das Resistenzprofil der Kulturen zu bestimmen. Patienten sollten dazu angehalten werden, regelmäßig STI-Zentren für Abstriche und Aufklärungsgespräche aufzusuchen.“

„Abschließend bleibt zu betonen, dass die Anwendung nicht generell empfohlen werden kann. Eine Empfehlung wäre – wenn überhaupt – nur für eine selektive Gruppe sinnvoll und auch da ist das mit den Resistenzen ein Problem, welches sehr ernst genommen werden muss.“

PD Dr. Christoph Spinner

Oberarzt Infektiologie, Klinik und Poliklinik für Innere Medizin II, Klinikum rechts der Isar der Technischen Universität München (TUM)

„Die Verwendung einer Einmaldosis von 200 Milligramm Doxycyclin nach kondomlosem Verkehr als Postexpositionsprophylaxe reduziert in der vorgestellten Studie wirksam und klinisch relevant die Wahrscheinlichkeit einer bakteriellen, sexuell übertragbaren Infektion. Hierbei sind sowohl Chlamydien-, Syphilis- als auch Gonokokken-Infektionen signifikant seltener berichtet worden. Die prospektive Studie ist methodisch gut konzipiert. Bakterielle sexuell übertragbare Infektionen verursachen weltweit weiter eine erhebliche gesundheitliche Belastung für Gesundheitssysteme und einzelne Patient*innen. Zugleich ist der unkritische Einsatz von antimikrobellen Substanzen für Resistenzen und Problemkeime mitverantwortlich, weshalb ein breiter ungezielter Einsatz von Antibiotika nicht (mehr) gewünscht ist. Für die Übersetzung der klinischen Studienergebnisse in den medizinischen Alltag braucht es daher dringend auch entsprechende Leitlinien und Empfehlungen für Patient*innen und Ärzt*innen – insbesondere auch in welchen Konstellationen und Zielgruppen der Einsatz denkbar sein könnte.“

Prof. Dr. Norbert Brockmeyer

Leiter des Zentrums für Sexuelle Gesundheit und Medizin, Katholisches Klinikum Bochum, und Direktor für Forschung und Lehre, Klinik für Dermatologie, Venerologie, und Allergologie, Ruhr-Universität Bochum und Vorsitzender der Deutschen-STI-Gesellschaft

Auf die Frage, inwiefern die Verwendung von Doxycyclin als Pille nach ungeschütztem Sex eine gute Methode wäre, um die Ausbreitung von STIs einzudämmen:
„Bedeutsam ist, dass die Resistenzraten für Gonokokken (GO) in den USA bezüglich Doxycyclin mit etwa 25 Prozent deutlich geringer sind als in Europa mit etwa 60 bis 70 Prozent und in Deutschland mit nahezu 80 Prozent. Also können wir in der EU nur noch – wie auch die Molina Studien gezeigt haben – mit einer Verringerung der Infektionen bei Chlamydien und Syphilis rechnen (wenn Doxycyclin als Prophylaxe verwendet wird; Anm. d. Red.).“

Auf die Frage, inwiefern bei wiederholter mehrfacher Anwendung im Monat langfristig gesundheitliche Auswirkungen zu erwarten sind:
„Man muss davon ausgehen, dass es eine deutliche Veränderung des Mikrobioms geben wird und bei langer Anwendung auch vermehrt Nebenwirkungen auftreten werden. Auch Wirkungen auf die Spermatogenese (Fruchtbarkeit des Mannes) und Wirkungen auf die Entzündungsreaktion sind zu erwarten.“

Auf die Frage, inwiefern die Gefahr besteht, dass sich bei häufiger Anwendung resistente Bakterienstämme entwickeln:
„Die Gefahr der Bildung von Resistenzen ist sehr groß, gerade gegen Gonokokken – siehe Daten in der EU –, aber auch bei anderen STI-Erregern und anderen Bakterien insgesamt, die mitbehandelt werden.“

Auf die Frage, wie er das Nutzen-Wirkungs-Profil der DoxyPEP einschätzt und ob es Risiko-Personen als Prophylaxe empfohlen werden sollte:
„Für eine klare Aussage fehlen uns immer noch Daten. Die Daten aus den USA sind nicht eins zu eins auf Europa übertragbar. In Deutschland gibt es die DoxyPEP/PrEP. Wichtig wäre, alle Behandelten in einer Studie zu erfassen, damit wir mehr Daten erhalten, anders sehe ich die Vergabe kritisch.“

„Wir sollten vielmehr über die Impfung von Risikopersonen bezüglich Gonokokken mit dem MenB-Impfstoff nachdenken, bei einer zu erwartenden Immunität von 30 bis 40 Prozent (eine vollständige MenB-4C-Impfserie war bis zu 40 Prozent wirksam gegen Gonorrhoe [II]; Anm. d. Red.).“

Angaben zu möglichen Interessenkonflikten

PD Dr. Christoph Spinner: „Relevante Interessenkonflikte bestehen für Doxycyclin keine.“

Alle anderen: Keine Angaben erhalten.

Primärquelle

Luetkemeyer AF et al. (2023): Postexposure Doxycycline to Prevent Bacterial Sexually Transmitted Infections. New England Journal of Medicine. DOI: 10.1056/NEJMoa2211934.

Literaturstellen, die vom SMC zitiert wurden

[I] Jansen K et al. (2020): STI in times of PrEP: high prevalence of chlamydia, gonorrhea, and mycoplasma at different anatomic sites in men who have sex with men in Germany. BMC Infectious Disease. DOI: 10.1186/s12879-020-4831-4.

[II] Abara WE et al. (2022): Effectiveness of a serogroup B outer membrane vesicle meningococcal vaccine against gonorrhoea: a retrospective observational study. The Lancet Infectious Diseases. DOI: 10.1016/S1473-3099(21)00812-4.