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05.04.2023

Pfizer-Daten zu RSV-Impfstoff

     

  • Zwischenergebnisse für Schwangeren-Impfstoff zum Schutz von Neugeborenen vor RSV
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  • Impfung verhindert in klinischer Studie wirkungsvoll schwere RSV-Erkrankungen bei Neugeborenen 90 und 180 Tage nach Geburt
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  • Impfung könnte laut Experten viele schwere Infektionen verhindern, sie weisen aber auf einige Einschränkungen hin
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Nachdem der Pharmahersteller Pfizer im November 2022 bereits in einer Pressemitteilung seine positiven Zwischenergebnisse zu seinem maternalen RSV-Impfstoff vermeldet hat, sind nun im Fachjournal „The New England Journal of Medicine“ die umfassenden Studiendaten erschienen (siehe Primärquelle), die die Wirksamkeit und Sicherheit des Impfstoffes bestätigen sollen.

Forschende hatten die Ergebnisse aus der Pressemitteilung und die Relevanz der Impfung für die klinische Praxis bereits im November eingeordnet [I], verwiesen aber für eine umfassende Bewertung auf die heute erscheinende Veröffentlichung. Von besonderem Interesse sind dabei die Daten zur Sicherheit der Impfung. Der bivalente Impfstoff auf Basis des RSV-Präfusionsproteins (RSVpreF) wird der werdenden Mutter intramuskulär während der 24. und 36. Schwangerschaftswoche verabreicht und ist eine sogenannte maternale Immunisierung: Die durch den Impfstoff erzeugten Antikörper werden über die Plazenta im Mutterleib und später über die Muttermilch an den Säugling weitergegeben. Sie sollen diesen vor allem vor potenziell schwerwiegenden Infektionen mit RSV schützen.

Der Pharmahersteller GlaxoSmithKline (GSK) musste seine klinische Studie zu seinem maternalen RSV-Impfstoff frühzeitig pausieren, da der unabhängige Datenüberwachungs-Ausschuss die Unterbrechung aufgrund der Beobachtung vermehrter Frühgeburten bei einer routinemäßigen Sicherheitsbewertung empfohlen hatte [II].

Anhand der nun veröffentlichten Zwischenergebnisse der Phase-III-Studie von Pfizer kommen die Studienautoren und -autorinnen zu dem Fazit, dass bisher keine Sicherheitsbedenken für den maternalen RSVpreF-Impfstoff vorliegen. Die Häufigkeit von unerwünschten Ereignissen, die innerhalb eines Monats nach der Injektion oder innerhalb eines Monats nach der Geburt gemeldet wurden, war in der Impfstoffgruppe (13,8 Prozent der Frauen und 37,1 Prozent der Säuglinge) und in der Placebogruppe (13,1 Prozent beziehungsweise 34,5 Prozent) vergleichbar. Zu bedenken ist hierbei, dass in der klinischen Studie Risikoschwangerschaften von der Impfung ausgeschlossen wurden und insofern für diese Gruppe keine Sicherheitsinformationen vorliegen.

Insgesamt erhielten 3682 Mütter den Impfstoff und 3676 ein Placebo; 3570 beziehungsweise 3558 Säuglinge wurden untersucht. 90 Tage nach der Geburt konnte eine Wirksamkeit des Impfstoffs gegen schwere RSV-assoziierte Erkrankungen der unteren Atemwege von 81,8 Prozent (99,5-Prozent-Konfidenzintervall: 40,6 bis 96,3) ermittelt werden; 180 Tagen nach der Geburt betrug die Wirksamkeit des Impfstoffs 69,4 Prozent (97,58-Prozent-Konfidenzintervall: 44,3 bis 84,1). Das Erfolgskriterium für die Wirksamkeit des Impfstoffs in Bezug auf den primären Endpunkt wurde damit erfüllt. Anders das Ergebnis für die ermittelte Wirksamkeit bei milderen RSV-assoziierten Erkrankungen der unteren Atemwege, die innerhalb von 90 Tagen nach der Geburt auftraten. Diese lag bei 57,1 Prozent (99,5-Prozent-Konfidenzintervall: 14,7 bis 79,8) und erfüllte nicht das statistische Erfolgskriterium von mehr als 20 Prozent als untere Grenze des Konfidenzintervalls.

Inwiefern die ausführlichen Studiendaten die Erfolgsmeldung zur Wirksamkeit und Sicherheit des Impfstoffes bestätigen, erläutern Experten in den nachfolgenden Statements.

Übersicht

     

  • Dr. Roland Elling, pädiatrischer Infektiologe am Zentrum für Kinder- und Jugendmedizin , Universitätsklinikum Freiburg
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  • Prof. Dr. Bernhard Resch, Stellvertretender Leiter der klinischen Abteilung für Neonatologie und Forschungseinheit für neonatale Infektionserkrankungen und Epidemiologie, Medizinische Universität Graz, Österreich
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Statements

Dr. Roland Elling

pädiatrischer Infektiologe am Zentrum für Kinder- und Jugendmedizin , Universitätsklinikum Freiburg

Auf die Frage, ob der Beobachtungszeitraum die kritische Phase für RSV-Infektionen in Neugeborenen ausreichend abdeckt:
„Prinzipiell ist es sicherlich interessant, auch einen Beobachtungszeitraum von länger als sechs Monaten nach der Geburt zu analysieren. Das Risiko für eine Hospitalisierung wegen einer RSV-Infektion, und auch für schwere Verläufe mit langem Krankenhausaufenthalt oder der Notwendigkeit einer Intensivtherapie ist aber im ersten Lebenshalbjahr am größten. Insofern ist der Fokus auf das erste Lebenshalbjahr plausibel. Außerdem untersucht die Studie das Konzept der Impfung von Schwangeren, wo mütterliche Antikörper über die Plazenta auf das Neugeborene übertragen werden. Durch den Abbau dieser Leihantikörper im Neugeborenen ist dieser Nestschutz natürlicherweise zeitlich begrenzt. Insofern ist ein langanhaltender Effekt dieser Impfstrategie nicht zu erwarten.“

„Auf Grund des Abbaus aller über die Plazenta übertragenen Leihantikörper im Säugling ist ein Langzeiteffekt dieser Impfstrategie über 12 oder 24 Monate nicht zu erwarten. Dies gilt aber gleichermaßen für die zweite momentan favorisierte Strategie der passiven Immunisierung von Säuglingen mit monoklonalen anti-RSV-Antikörpern. Zwar gibt es hier schon einen Impfstoff, wo die Halbwertszeit der Antikörper mittels molekularer Tricks verlängert werden konnte, aber auch hier ist die Wirkdauer begrenzt.“

„Insgesamt muss man sich aber der Tatsache bewusst sein, dass das komplette Verhindern einer RSV-Infektion durch eine Impfung kein realistisches Ziel ist. Jedes Kind wird irgendwann mit dem Virus in Kontakt kommen. Das primäre Ziel der Impfstrategie ist die Vermeidung von Infektionen in der vulnerablen Phase der Säuglingsperiode, in der die RSV-Infektion am häufigsten zu einer Krankenhausaufnahme führt.“

Auf die Frage, inwiefern die Sicherheitsdaten auf Risikoschwangerschaften, die in die Studie nicht miteingeschlossen wurden, übertragbar sind:
„Das ist eine sehr wichtige Frage. Die Studie wurde an gesunden Frauen mit einem maximalen Alter von 49 Jahren mit unkomplizierter Schwangerschaft durchgeführt. Mehrlingsschwangerschaften oder Schwangere mit einem erhöhten Risiko für eine Frühgeburt wurden in der Studie nicht eingeschlossen. Insofern sind Ergebnisse nicht direkt auf diese Risikoschwangerschaften übertragbar.“

Auf die Frage, inwiefern die Studienergebnisse anderes bewertet werden, weil es sich um eine indirekte Impfung des Kinders über die Mutter handelt:
„Prinzipiell werden auch andere Impfungen in der Schwangerschaft, wie zum Beispiel die Impfung gegen Keuchhusten, primär zum Schutz des Neugeborenen durchgeführt. Hier ist die Impfung der Schwangeren ebenfalls sicher, und diese Erweiterung des natürlichen Nestschutzes durch eine Impfung ist natürlich etwas Positives. Aber natürlich muss bei einer Impfung, bei der der Schutz des Neugeborenen die primäre Indikation darstellt, das Sicherheitsprofil besonders hoch sein. Die hier vorgestellte Studie kommt zu dem Schluss, dass es, soweit man es bei 3682 mit dem Impfstoff geimpften Personen beurteilen kann, nicht zu erhöhten Nebenwirkungen gekommen ist. Über seltene Nebenwirkungen, die zum Beispiel in einer Rate von 1:5000 oder seltener auftreten, kann die Studie natürlich keine Aussage treffen.“

„Eine andere Studie zur maternalen RSV-Impfung mit einem vergleichbaren Impfstoff durch das Pharmaunternehmen GSK wurde im Februar 2022 unterbrochen, weil sich im Vergleich von Impfstoff- und Placebogruppe Hinweise auf ein erhöhtes Frühgeburts-Risiko durch die Impfung ergeben hatten [1]. Insofern ist es wichtig, das Sicherheitsprofil weiterhin kritisch zu betrachten. In der heute publizierten MATISSE-Studie gab es erfreulicherweise kein statistisch signifikantes Signal für ein erhöhtes Frühgeburts-Risiko. Die abschließende Sicherheitsbewertung der Studie ist aber noch ausstehend.“

Auf die Frage, inwiefern dieser Impfstoff die Versorgung von Neugeborenen mit RSV verändern könnte:
„Die Studie errechnet eine Effektivität gegen eine Hospitalisierung von Säuglingen auf Grund einer RSV-Infektion in dem ersten Lebenshalbjahr von 57 Prozent, der Schutz vor schweren RSV-Infektionen im ersten Lebenshalbjahr betrug 69 Prozent. Könnte man wirklich die Hälfte aller krankenhauspflichtigen RSV-Infektionen von Säuglingen im ersten Lebenshalbjahr verhindern, wäre das nach allen bisher nicht geglückten Versuchen einer RSV-Impfung für das Säuglingsalter ein wichtiger Erfolg. Das 99,17-Prozent-Konfidenzintervall für Hospitalisierung (bis zu 180 Tage) ist aber mit 10,1 bis 80,7 Prozent groß, sodass diese Daten sehr vorsichtig interpretiert werden müssen.“

„In der Studie wurden zwei primäre Endpunkte untersucht – Vermeidung einer ärztlichen Vorstellung wegen einer RSV-Infektion (mit erhöhter Atemfrequenz oder erniedrigter Sauerstoffsättigung) und Schutz vor schweren RSV-Infektionen (unter anderem höhere Atemunterstützung durch high flow nasal cannula (Sauerstofftherapie über die Nase; Anm. d. Red.) oder mechanische Beatmung). In der Studie wurde nur der Endpunkt des Schutzes vor schweren Infektionen erreicht, der Endpunkt der ‚medically attended RSV lower respiratory tract infection‘ konnte nicht erreicht werden. Der Schutz vor ‚medically attended RSV-associated respiratory tract illness‘ bis Lebenstag 90 (also nicht nur Infektionen der tiefen Atemwege, siehe Falldefinitionen in Tabelle S1) war mit 39,1 Prozent noch geringer (95-Prozent-Konfidenzintervall: 16,7 bis 55,7).“

„Für beide primären Endpunkte sind die Zahlen der Infizierten relativ klein, sodass die Konfidenzintervalle relativ groß sind. Das weist auf eine wichtige Limitation der Studie hin – sie wurde während der Einschränkungen der COVID-19-Pandemie durchgeführt (Juni 2020 bis Oktober 2022). Aufgrund der Beschränkungen gab es in diesem Zeitraum sehr wenige RSV-Infektionen, die RSV-Saison 2020/2021 war ja komplett ausgefallen. In der Studienkohorte traten bis zu einem Zeitraum von 180 Tagen insgesamt 174 RSV-Infektionen auf (57 bei Geimpften, 117 in der Placebo-Gruppe).“

„Weiterhin muss man betonen, dass die Impfung gegen RSV für das Säuglingsalter aus immunologischen Gründen anspruchsvoll ist. Für ein Kind, das während der RSV-Saison auf die Welt kommt, muss sie ab den ersten Lebenstagen effektiv sein. Auf der anderen Seite benötigen Kinder, die außerhalb der Saison auf die Welt kommen, erst während ‚ihrer‘ RSV-Saison, also unter Umständen erst nach einem halben Jahr, die höchste Schutzwirkung. Es kann also sein, dass wir für eine optimale Effektivität differenzierte Impfstrategien entwickeln müssen, die je nach Geburtsdatum der Kinder und individuellen Risikoprofilen unterschiedlich sein können. Dies in der Praxis flächendeckend zu realisieren wird eine große Herausforderung.“

Prof. Dr. Bernhard Resch

Stellvertretender Leiter der klinischen Abteilung für Neonatologie und Forschungseinheit für neonatale Infektionserkrankungen und Epidemiologie, Medizinische Universität Graz, Österreich

Auf die Frage, wie er die errechnete Wirksamkeit der Impfung beurteilt und ob der Beobachtungszeitraum die kritische Phase für RSV-Infektionen in Neugeborenen ausreichend abdeckt:
„Das Konfidenzintervall ist weit und die untere Grenze ist 14 Prozent, das erscheint mir nicht sehr viel. Da es sich um eine saisonale Infektion handelt, müssen eigentlich die Kinder, die vor der Saison geboren sind, besonders geschützt sein und die am Ende der Saison könnten den geringsten Schutz haben – das ist aber auf einen ersten schnellen Blick nicht zu finden.“

Auf die Frage, inwiefern es zu erwarten ist, dass sich diese Daten noch bis zum Ende der klinischen Studie ändern (weitere Endpunkte 12/24 Monate):
„Es wird sich wahrscheinlich nicht mehr viel ändern und Pfizer könnte das Rennen gewonnen haben. Unklar ist jedoch, wie diese Impfung in der Schwangerschaft aufgenommen werden wird.“

Auf die Frage, wie er das Sicherheitsprofil des Impfstoffs für die werdenden Mütter und Neugeborene beurteilt:
„Das Risikoprofil scheint nicht abschreckend zu sein, aber es sind sicher noch viele Detailfragen offen.“

Auf die Frage, inwiefern die Studienergebnisse anderes bewertet werden, weil es sich um eine indirekte Impfung des Kinders über die Mutter handelt:
„Das ist für mich der wirkliche Kernpunkt, die Kernfrage, ob sich Schwangere impfen lassen werden, wenn es sich bei RSV zwar in jungen Monaten und Wochen um eine schwere Lungenerkrankung handelt, aber in der westlichen Welt so gut wie keine Todesfälle zu beobachten sind. Auch spielen viele Risikofaktoren kindlicher Natur und im kindlichen Miteinander sowie von der Umwelt in der Ansteckung mit dem Virus eine Rolle.“

Auf die Frage, inwiefern dieser Impfstoff die Versorgung von Neugeborenen mit RSV verändern könnte:
„Der monoklonale Antikörper Nirsevimab (der Antikörper ist von der EU bereits zugelassen; Anm. d. Red.) käme – wenn preislich niedrig gehalten – für alle jungen Säuglinge in Frage. Dieser würde nicht nur die Schwangere entlasten und den zu schützenden in den Mittelpunkt stellen, die Schutzrate scheint fast höher zu sein. Das ist eine politische Frage und politische Entscheidung, die nicht leicht zu fällen sein wird. Außerdem gibt es noch viele Fragen, die nicht sicher beantwortet werden können.“

Angaben zu möglichen Interessenkonflikten

Dr. Roland Elling: „Interessenskonflikte in Bezug auf diese Studie bestehen nicht. Ich war und bin aktuell nicht in RSV-Impfstoffstudien involviert.“

Alle anderen: Keine Angaben erhalten.

Primärquelle

Kampmann B et al. (2023): Bivalent Prefusion F Vaccine in Pregnancy to Prevent RSV Illness in Infants. New England Journal of Medicine. DOI: 10.1056/NEJMoa2216480.

Literaturstellen, die von den Experten zitiert wurden

[1] ReSViNET (2023): Abstract Booklet der RSVVW-Konferenz 2023. Seite 65.

Literaturstellen, die vom SMC zitiert wurden

[I] Science Media Center (2022): Pfizer vermeldet Erfolg bei RSV-Impfstoff. Rapid Reaction. Stand: 03.11.2022.

[II] GlaxoSmithKline (18.02.2022): GSK provides update on phase III RSV maternal vaccine candidate programme. Pressemitteilung des Unternehmens.