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27.06.2017

Ozonloch schließt sich möglicherweise bis zu 30 Jahre später als angenommen

Das Ozonloch könnte sich bis zu 30 Jahre später schließen als dies zuletzt angenommen wurde – also erst etwa im Jahre 2080. Zu diesem Ergebnis kommen Wissenschaftler aus Großbritannien und begründen dies mit vermehrten Emissionen von Dichlormethan. Diese Substanz gehört zu den halogenierten Kohlenwasserstoffen, wird aber im Gegensatz zu anderen Ozon-schädigenden Verbindungen relativ schnell abgebaut. Daher wurde ihr bisher kein großer Anteil an der Zerstörung der Ozonschicht zugerechnet. Die Autoren der Studie, die am 27. Juni 2017 im Fachjournal „Nature Communications“ publiziert wurde, schließen aus ihrer Arbeit, dass sich dies nun ändern müsse.

In den 1980er Jahren wurde eine starke Ausdünnung der atmosphärischen Ozonschicht festgestellt, insbesondere über der Antarktis. Als Ursache wurden schnell halogenierte Kohlenwasserstoffe FCKW und CFC identifiziert. Die Ozonschicht spielt eine wichtige Rolle bei der Abschirmung von UV-B- und UV-C-Strahlung und schützt Lebewesen auf der Erde vor Schädigungen durch diese erbgutschädigenden Strahlungen. Bereits 1987 wurde das so genannte Montreal Protokoll beschlossen, dass alle Länder verpflichtet, Maßnahmen zum Schutz der Ozonschicht zu ergreifen. Daraufhin wurden die Emissionen Ozon-zerstörender Substanzen konsequent reduziert. Deswegen wurde zuletzt prognostiziert, dass sich das Ozonloch bis etwa Mitte des 21. Jahrhunderts wieder komplett schließen würde.

 

Übersicht

     

  • Dr. Christoph Brühl, Wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Abteilung Atmosphärenchemie, Max-Planck-Institut für Chemie, Mainz
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  • Dr. Johannes Laube, Wissenschaftlicher Mitarbeiter Centre for Ocean and Atmospheric Sciences, School of Environmental Sciences, University of East Anglia, Norwich, Großbritannien
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  • Dr. Rolf Müller, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Energie- und Klimaforschung (IEK-7), Bereich Stratosphäre, Forschungszentrum Jülich (FZJ), Jülich
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  • Prof. Dr. Andreas Engel, Außerplanmäßiger Professor am Institut für Atmosphäre und Umwelt, Johann Wolfgang Goethe-Universität, Frankfurt am Main
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  • Prof. Dr. Johannes Orphal, Leiter des Institutes Für Meteorologie und Klimaforschung – Atmosphärische Spurengase und Fernerkundung, Karlsruher Institut für Technologie (KIT), Eggenstein-Leopoldshafen
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  • Prof. Dr. Martin Dameris, Seniorwissenschaftler am Institut für Physik der Atmosphäre (IPA), Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), Oberpfaffenhofen
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  • Dr. Hauke Schmidt, Leiter der Arbeitsgruppe Mittlere und hohe Atmosphäre, Abteilung Atmosphäre im Erdsystem, Max-Planck-Institut für Meteorologie, Hamburg
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  • Prof. Dr. Reinhard Zellner, Leiter Institut für Physikalische Chemie, Universität Duisburg-Essen
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Statements

Dr. Christoph Brühl

Wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Abteilung Atmosphärenchemie, Max-Planck-Institut für Chemie, Mainz

„Systematische Messungen zu Dichlormethan gibt es seit 1994. Es ist aber neu, dass die Substanz in Chemieklima-Modellen behandelt wird, wenn auch mit stark vereinfachten Annahmen. So etwa einer linearen Fortsetzung des für etwa zehn Jahre beobachteten Emissionsanstiegs für weitere 80 Jahre – was mir übertrieben erscheint. Eine klare Zuordnung des Effekts von Dichlormethan auf Ozon ergibt sich aus der Differenz von Rechnungen mit und ohne Dichlormethan. Die Studie ist wahrscheinlich als Warnung gedacht.“

„Die Substanz ist wahrscheinlich wegen relativ kurzer atmosphärischer Verweilzeit, niedrigen Konzentrationen und teilweise natürlicher Quellen nicht im Montrealer Protokoll erfasst. Bis 2005 blieb ihre Konzentration etwa konstant.“

„Es empfiehlt sich, die im Internet verfügbaren Messungen von NOAA auch für andere Substanzen mit Chlor und Brom näher anzusehen und bei starken Anstiegen Maßnahmen zu ergreifen wenn industrielle Quellen als Ursache naheliegen.“

„Dichlormethan gelangt wie andere Halogenkohlenwasserstoffe – einschließlich FCKW und Halone – hauptsächlich über tropische Gewitterwolken oder auch den asiatischen Monsun in die untere Stratosphäre, das heißt, unter Umgehung der Zerstörung in der unteren Atmosphäre. Hier reagiert es und trägt zum Chlorgehalt bei. Dieses anorganische Chlor wird von den vorherrschenden Winden in die Polargebiete transportiert und zerstört dort im Frühling über die Ozonlochchemie Ozon, wie das Chlor aus den FCKW.“

Auf die Frage, welche Konsequenzen es hätte, wenn sich die Ozonschicht tatsächlich, wie die Studie prognostiziert, bis zu 30 Jahre später schließen würde:

„Die Verzögerung des Chlor-Rückgangs in der Stratosphäre bedeutet eine Verlängerung der Gefahr durch stark erhöhte UV-Strahlung im Frühling unter ozonarmer polarer Luft, was auch Nord- und Mitteleuropa betreffen kann, wie besonders deutlich in 1996 und 2011.“

Dr. Johannes Laube

Wissenschaftlicher Mitarbeiter Centre for Ocean and Atmospheric Sciences, School of Environmental Sciences, University of East Anglia, Norwich, Großbritannien

„Die Erkenntnisse der Studie sind definitiv neu, aber nicht überraschend. Die Dichlormethan-Konzentrationen sind seit der Jahrtausendwende im Anstieg begriffen, und es gibt zahlreiche Publikationen, die sich damit befassen. Die Projektionen in die Zukunft sind ein wichtiger Punkt, der bisher nicht berücksichtigt wurde. Wie die Autoren anhand von Modellrechnungen zeigen, könnten weitere Anstiege in der globalen Konzentration von Dichlormethan deutliche Auswirkungen auf die Ozonschicht haben. Dies ist ein wichtiges Warnsignal an die Parteien des Montreal-Protokolls: Wenn nichts unternommen wird könnte ein erheblicher Teil der bisherigen Erfolge damit kompensiert werden. Rechnerisch lässt sich im Modell das Dichlormethan sehr deutlich von den Effekten anderer Substanzen trennen.“

Auf die Frage, warum Dichlormethan nicht im Montreal Protokoll berücksichtigt ist:

„Methylchloroform ist im Montreal Protokoll berücksichtigt – und zwar zum einen, weil es in der Atmosphäre deutlich langlebiger ist und somit ein viel höherer Anteil die Stratosphäre erreicht, und zum anderen, weil die Quellen von Methylchloroform fast ausschließlich anthropogen sind. Dichlormethan und Chloroform haben hingegen auch signifikante natürliche Quellen.“

„Die steigende Verwendung von Dichlormethan ist nicht überraschend. Ein potenzieller Schwachpunkt der Studie ist allerdings die Frage der zukünftig zu erwartenden Anstiege. Die Quellenlage bei Dichlormethan ist recht unklar: Man weiß nicht genau, wo die Anstiege in den vergangenen Jahren herrührten. Sie sind sehr wahrscheinlich hauptsächlich auf industrielle Quellen zurückzuführen und von denen gibt es eine ganze Reihe. Insofern ist es schwierig zu sagen, ob die Emissionen so weitergehen werden – man sieht ja schon bei den Beobachtungen eine Stagnation der Konzentrationen in den letzten drei Jahren der Beobachtung. Allerdings sind die betrachteten Szenarien nicht unrealistisch und basieren alle drei auf bereits beobachteten Verläufen. Die Autoren selbst benennen auch die potenziellen zusätzlichen Probleme, die andere kurzlebige Substanzen verursachen könnten, wie zum Beispiel 1,2-Dichlorethan – ganz zu schweigen von bisher unbekannten anderen Ozon-zerstörenden Substanzen, die in den vergangenen Jahren wiederholt in der Atmosphäre detektiert wurden.“

„Ob der Einsatz von Dichlormethan oder auch die Kontrollmechanismen bei Lecks in Fabriken reguliert werden, muss die Politik entscheiden. In der Vergangenheit ist das Montreal-Protokoll jedoch wiederholt angepasst worden und hat sich als flexibler Mechanismus zum Schutz der Ozonschicht bewährt.“

Auf die Frage, warum trotz Emissionen vor allem auf der Nord-Halbkugel die Ozonschicht über der Antarktis am stärksten beeinträchtigt wird:

„Die Zirkulation in der Stratosphäre transportiert Luft und die enthaltenen Spurengase, die in den Tropen aufsteigen, in Richtung beider Pole. Das Ozonloch über der Antarktis ist hauptsächlich deshalb größer, weil es dort kälter wird und der entstehende Wirbel oberhalb des Pols weniger gestört wird, zum Beispiel durch Bergketten.“

Auf die Frage, welche Konsequenzen es hätte, wenn sich die Ozonschicht tatsächlich, wie die Studie prognostiziert, bis zu 30 Jahre später schließen würde:

„Weniger Ozon bedeutet mehr UV-Strahlung an der Erdoberfläche. Neuseeland ist jetzt schon das Land mit der höchsten Hautkrebsrate, die Auswirkungen dort wären wohl am höchsten. Weniger Ozon beeinflusst aber auch UV-Strahlung in nord- und mitteleuropäischen Ländern. Und natürlich ist Dichlormethan nicht das einzige Problem. Wechselwirkungen zum Beispiel mit Effekten des Klimawandels könnten da durchaus noch weitere unangenehme Synergien verursachen.“

Dr. Rolf Müller

Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Energie- und Klimaforschung (IEK-7), Bereich Stratosphäre, Forschungszentrum Jülich (FZJ), Jülich

„Die Erkenntnisse der Studie sind neu. Es werden Daten über die beobachtete Entwicklung von Dichlormethan in der Atmosphäre verwendet. Die Aussagen der Studie beruhen auf Modellrechnungen mit gut etablierten und getesteten Modellen.“

„Eine Trennung des Einflusses auf die Ozonschicht von Dichlormethan von anderen Ozonzerstörenden Substanzen ist im Modell gut machbar – bei Beobachtungen von Ozon in der Atmosphäre geht das natürlich nicht.“

Auf die Frage, warum Dichlormethan nicht im Montreal Protokoll berücksichtigt ist:

„Dichlormethan wurde bislang als nicht hinreichend schädigend für die Ozonschicht eingeschätzt. Und bislang ist diese Einschätzung richtig. Die vorliegende Studie zielt auf die Zukunft. Man sollte wissen, dass das Montreal Protokoll seit 1987 mehrfach verschärft und um weitere Substanzen erweitert wurde.“

„Die vorliegende Studie wird sicher Eingang in den laufenden WMO/UNEP-Report zur Ozonschicht finden. Diese Reports – die alle vier Jahre veröffentlich werden - dienen den ‚Parties of the Montreal Protokoll’ als Grundlage für die Verschärfungen und Erweiterungen des Montreal Protokolls.“

„Es ist wichtig zu wissen, dass gerade diese Erweiterungen und Verschärfungen entscheidend waren zur Bewahrung der Ozonschicht. Im ‚Original’ von 1987 hätte das Montreal Protokoll die Ozonschicht nicht gerettet.

„Die Produktion von Dichlormethan wird hauptsächlich in der Nord-Hemisphäre stattfinden. Aber wenn das Dichlormethan die Stratosphäre erreicht, wird es bis in die Antarktis transportiert und entfaltet dort wegen besonders niedrigen Temperaturen seine Wirkung auf das Ozon.“

„Man muss die Zirkulation in der Stratosphäre kennen um dies genauer zu verstehen. Grundsätzlich ist es aber bei ‚klassischen’ Ozonzerstörenden Substanzen (CFC-11, CFC-12) genauso.“

Auf die Frage, welche Konsequenzen es hätte, wenn sich die Ozonschicht tatsächlich, wie die Studie prognostiziert, bis zu 30 Jahre später schließen würde:

„Das Ozonloch hat Auswirkungen auf Fauna und Flora in der Süd-Hemisphäre. Es gibt weiterhin Auswirkungen auf die troposphärische Zirkulation, Ozeanzirkulation bis hin zur CO2-Aufnahme in den Ozean. All dies muss berücksichtigt werden, wenn man Klima über solche Zeitskalen – also Jahrzehnte – vorhersagen und bewerten will. So lange sich das Ozonloch grundsätzlich erholt, ist aber ‚das Schlimmste’ abgewendet.“

Prof. Dr. Andreas Engel

Außerplanmäßiger Professor am Institut für Atmosphäre und Umwelt, Johann Wolfgang Goethe-Universität, Frankfurt am Main

„Die Studie von Hossaini et al. untersucht die mögliche Auswirkung weiterhin steigender Konzentrationen von Dichlormethan CH2Cl2 in der Atmosphäre auf die stratosphärische Ozonschicht. Über die letzten ca. zehn Jahre ist die Konzentration von Dichlormethan in der Atmosphäre signifikant angestiegen [1] [2].“

„Dichlormethan gehört nicht zu den durch das Montreal Protokoll reglementierten Substanzen. Der Grund hierfür liegt in der relativ kurzen atmosphärischen Lebenszeit im Bereich von circa einem halben Jahr [1]. Bisherige Studien [3] haben sich vor allem auf die Auswirkungen des bislang beobachteten Anstieges auf das stratosphärische Ozon konzentriert. Hierbei sei angemerkt, dass Chlor, welches einmal in die Stratosphäre gelangt, dort global verteilt wird, so dass auch die Emissionen in der Nordhemisphäre das Ozonloch über der Antarktis beeinflussen.“

„Die neu vorliegende Studie versucht erstmalig eine Projektion in die Zukunft. Die größte Unsicherheit hierbei ist die zukünftige Entwicklung der atmosphärischen Konzentrationen von Dichlormethan. In ihrer Studie machen Hossaini et al. die Annahme, dass die Konzentration in der Zukunft weiterhin stark ansteigen wird. Sollte diese Projektion tatsächlich eintreten, sind die Ergebnisse nicht unerwartet, da der Einfluss von Chlor auf das stratosphärische Ozon gut verstanden ist. Die entscheidende Frage ist somit, wie realistisch das von Hossaini et al. angenommene Szenario für die zukünftige Entwicklung tatsächlich ist.“

„Die atmosphärischen Quellen von Dichlormethan sind relativ divers, da es viele Anwendungen in der chemischen Industrie hat, sowohl als Lösungsmittel, als auch als Reagenz zur Herstellung anderer Substanzen, wie zum Beispiel den fluorierten Kohlenwasserstoffen. Die Verwendung letzterer Substanzen ist in der letzten Ergänzung des Montreal Protokolls – der Kigali-Ergänzung – im Jahr 2016 in das Protokoll aufgenommen worden. Zumindest für diese Verwendung ist eine weitere Zunahme über die zweite Hälfte diesen Jahrhunderts hinaus, dann wenn die Regelungen der Kigali Ergänzung greifen, unwahrscheinlich.“

„Außerdem muss berücksichtigt werden, dass es sich bei Dichlormethan um eine relativ kurzlebige Substanz handelt. Deswegen kann die atmosphärische Konzentration langfristig nur bei weiterhin steigenden Emissionen zunehmen, so dass das verwendete Szenario mit kontinuierlich steigenden Emissionen sicherlich als ein Extremfall angenommen werden muss. Angesichts dieser Unsicherheiten in den zukünftigen Emissionen und Konzentrationen muss die Studie als eine Sensitivitätsstudie betrachtet werden, die allerdings zeigt, dass auch kurzlebige Substanzen signifikant zum stratosphärischen Ozonabbau beitragen und für die Zukunft im Auge behalten werden müssen.“

Prof. Dr. Johannes Orphal

Leiter des Institutes Für Meteorologie und Klimaforschung – Atmosphärische Spurengase und Fernerkundung, Karlsruher Institut für Technologie (KIT), Eggenstein-Leopoldshafen

der Grundlage der Messungen von Dichlormethan CH2Cl2 und eines Stratosphärenchemiemodells. Die Modellierung wurde mit und ohne CH2Cl2 gemacht, sowie unter Annahme verschiedener Szenarien für die künftige industrielle Produktion dieser Substanz. Dadurch wird klar gezeigt, dass CH2Cl2 künftig einen sehr bedeutenden Einfluss auf die Ozonschicht haben kann.“

„Im Montreal Protokoll wurden diejenigen Substanzen berücksichtigt, die damals in großen Mengen von der Industrie weltweit produziert wurden. Dazu gehörte damals noch nicht Dichlormethan CH2Cl2. Wie man in Abbildung 1 der aktuellen Studie sieht, ist die Produktion von CH2Cl2 in den letzten 20 Jahren sehr signifikant angestiegen, was man auch in den troposphärischen Konzentrationen aus verschiedenen Messungen sieht. Insofern müsste diese Substanz in der Tat nun auch in das Protokoll aufgenommen werden.“

„Es war klar, dass nach dem Montreal Protokoll verschiedene Ersatz-Substanzen in größeren Mengen produziert werden würden. In der Tat wäre es nun an der Zeit, deren Auswirkungen genauer zu untersuchen und gegebenenfalls die Produktion solcher Substanzen – wie Dichlormethan CH2Cl2 – die signifikante Auswirkungen auf die Atmosphäre und zum Beispiel die Ozonschicht haben, durch neue Vereinbarungen bzw. Protokolle zu begrenzen. Ich denke, die vorliegende Studie wird dazu führen. Allerdings ist die politische Lage in der Welt heute ja doch sehr anders als in den 1980er und 1990er Jahren.“

Auf die Frage, warum trotz Emissionen vor allem auf der Nord-Halbkugel die Ozonschicht über der Antarktis am stärksten beeinträchtigt wird:

„Die Konzentration von Dichlormethan CH2Cl2 und anderer industriell produzierter Substanzen steigt zunächst in der untersten Luftschicht, der Troposphäre – bis etwa 10­, 15 Kilometer Höhe – an. Die Luft kann einfach nicht weiter nach oben aufsteigen, weil es darüber wieder wärmer wird – hier sprechen wir von der Stratosphäre mit der Ozonschicht, bis etwa 60 Kilometer Höhe. Weil nun die industrielle Produktion solcher Substanzen hauptsächlich in der Nordhemisphäre stattfindet, reichern sich diese auch besonders über der Nord-Halbkugel an. Die atmosphärische Zirkulation zwischen beiden Hemisphären wird nämlich durch die Tropen begrenzt. Dort aber steigt die warme Luft bis in die Stratosphäre auf, und dadurch gelangen solche Substanzen auch allmählich in die Stratosphäre. Das Ozonloch ist nun über der Antarktis besonders ausgeprägt, weil dort im Winter der polare Wirbel besonders stabil ist, was dadurch zu erklären ist, dass die Antarktis im Unterschied zur Arktis aus einer großen Landmasse besteht. Darum sind die Auswirkungen dort größer als in der Arktis.“

„Die Autoren weisen selbst darauf hin, dass das Ozonloch das Klima in der südlichen Hemisphäre nachweislich beeinflusst. Übrigens beobachten wir in den letzten Jahren auch eine veränderte globale Zirkulation in der Stratosphäre. Die Kopplungen zwischen der Ozonschicht und dem Klima – und dem Wetter – sind inzwischen ein wichtiger Gegenstand unserer Untersuchungen, allerdings sind diese wirklich sehr komplex und nichtlinear. Wie die Autoren selbst schreiben, müssen künftige Klimaprojektionen auch den Einfluss solcher Substanzen auf die Ozonschicht mitberücksichtigen. In den letzten Jahrzehnten hat sich die Atmosphären- und Klimaforschung mehr und mehr mit der Troposphäre (Luftqualität, Treibhausgase …) befasst. Es wird aber allmählich klar, dass sich auch die Stratosphäre durch diese komplexen Chemie-Klima-Wechselwirkungen weiter verändert, und dadurch wiederum das Klima deutlich beeinflusst.“

Prof. Dr. Martin Dameris

Seniorwissenschaftler am Institut für Physik der Atmosphäre (IPA), Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), Oberpfaffenhofen

„Das Thema ist nicht wirklich neu. Der in Nature Geoscience von Hossani et al. in 2015 [4] erschienene Artikel hatte das Thema bereits in Fokus. Nichtsdestotrotz: Es ist ein wirklich sehr interessanter und wichtiger Beitrag! Eine wichtige wissenschaftliche Studie zum Schutz der Ozonschicht. Ein sehr guter Fachartikel, die Ergebnisse sind fundiert und sehr gut nachvollziehbar. Die Abschätzungen sind durchaus belastbar. Das verwendete atmosphärische Modellsystem ist unter Fachleuten respektiert und akzeptiert.“

„Seit einigen Jahren ist die Bedeutung von sehr kurzlebigen Substanzen – kurz VSLS (very short-lived substance; Anm. d. Red.) – bekannt. Sie sind wichtig für die vollständige Beschreibung der Ozonabnahmen. Dichlormethan ist bisher nicht bei den ‚Montreal-Gasen’ berücksichtigt. Dichlormethan ist sehr kurzlebig und sollte daher kaum in die Stratosphäre aufsteigen können. Seine Lebenszeit ist mit sechs Monaten kürzer als die mittleren Transportzeiten aus der Troposphäre in die Stratosphäre von etwa zehn Jahren. Aber wie alle bekannten anderen VSLS kommen sie doch sehr effektiv in die Stratosphäre, vor allem in den Tropen. Alle Substanzen, die Chlor enthalten, müssen daher überprüft bzw. gemessen werden. Sobald man erkennt, dass es hier ein Problem gibt, muss gehandelt werden. Die ist hier nun der Fall! Nachfolgevereinbarungen zum Montreal Protokoll werden daher immer wieder vorgenommen.“

„Ich gehe sehr stark davon aus, dass Dichlormethan sehr bald reglementiert wird.“

Auf die Frage, warum trotz Emissionen vor allem auf der Nord-Halbkugel die Ozonschicht über der Antarktis am stärksten beeinträchtigt wird:

„Die VSLS-Emissionen einschließlich Dichlormethan breiten sich in der Atmosphäre aus und können daher in der Stratosphäre über das Chlor global den Ozonabbau beeinflussen. Die meteorologischen Verhältnisse in der südpolaren Stratosphäre sind besonders, vor allem im Winter und Frühling. Hier ist es besonders kalt und der Ozonabbau besonders stark, Stichwort Ozonloch über der Antarktis. Die beschriebenen Effekte von Dichlormethan sind also nachvollziehbar und mit dem heutigen Wissen im Einklang.“

Auf die Frage, welche Konsequenzen es hätte, wenn sich die Ozonschicht tatsächlich, wie die Studie prognostiziert, bis zu 30 Jahre später schließen würde:

„Das Ozonloch wird sich nur dann schließen und damit die globale Erholung der Ozonschicht vollziehen, wenn keine Chlorhaltigen Substanzen mehr in die Atmosphäre entlassen werden. Derzeit sind wir auf einem sehr guten Weg hinsichtlich der Erholung der Ozonschicht. Das Ozonloch wird sich schließen! Allerdings sollte jede Emission von Chlorhaltigen Substanzen vermieden werden, da es dann zu einer verlangsamten Erholung führt. Das Szenario 3 in der vorliegenden Arbeit zeigt auf, dass es zu einer Verzögerung von 30 Jahren führen könnte. Ich würde dies als einen Rückschritt im Sinne des Schutzes der Ozonschicht sehen. Und dies sollte unter allen Umständen vermieden werden.“

Dr. Hauke Schmidt

Leiter der Arbeitsgruppe Mittlere und hohe Atmosphäre, Abteilung Atmosphäre im Erdsystem, Max-Planck-Institut für Meteorologie, Hamburg

„Die Rolle von sogenannten sehr kurzlebigen Substanzen – kurz VSLS (very short-lived substance; Anm. d. Red.) – die insbesondere Chlor und Brom enthalten können, für die Ozonschicht wird schon seit mehreren Jahren diskutiert. Auch Hossaini et al. haben im Jahr 2015 bereits eine Studie dazu veröffentlicht [3], die insbesondere auf den beobachteten Anstieg von Dichlormethan CH2Cl2 hinweist. Emissionen dieses Gases werden, ebenso wie die vieler anderer VSLS, nicht vom Montreal Protokoll und Nachfolgevereinbarungen eingeschränkt. Neu an der aktuellen Studie ist eine Quantifizierung des möglichen Beitrags von CH2Cl2 auf die Ozonschicht auch in der Zukunft anhand von Modellsimulationen, die verschiedene Szenarien für zukünftige CH2Cl2-Emissionen zu Grunde legen. In solchen Modellsimulationen kann man den Einfluss einzelner Spurengase sehr leicht quantifizieren, indem man Vergleichssimulationen mit unterschiedlichen Emissionen dieser Substanzen durchführt. Eine Evaluierung der Simulationen ist natürlich nur für den beobachteten Zeitraum und auch hier nur eingeschränkt möglich, da man nur eine Realität hat. Diese Art von Simulationen wird allerdings seit vielen Jahren durchgeführt und kann in meinen Augen durchaus als zuverlässig angesehen werden.“

„Laut den Autoren der Studie ist nicht geklärt, wodurch wieviel CH2Cl2 emittiert wird, auch wenn es offensichtlich verschiedene industrielle Prozesse gibt, die dazu beitragen können. Solange diese Frage offen ist, müssen auch Szenarien für die zukünftige Entwicklung als spekulativ angesehen werden.“

Auf die Frage, warum trotz Emissionen vor allem auf der Nord-Halbkugel die Ozonschicht über der Antarktis am stärksten beeinträchtigt wird:

„Das ist nicht überraschend. Spurengase gelangen zum großen Teil in den Tropen von der Troposphäre in die Stratosphäre und werden dann in beide Hemisphären verteilt. Wegen der unterschiedlichen Meteorologie mit sehr viel niedrigeren Temperaturen in der polaren Stratosphäre im Südwinter verglichen mit dem Nordwinter, kann die gleiche Menge Chlor dort Ozon sehr viel effektiver zerstören. Das ist der Grund dafür, dass man von einem tatsächlichen Ozonloch nur von dem über der Antarktis sprechen kann. Abhängig von der Meteorologie der einzelnen Winter kann es auch über der Arktis zu Ozonverlust kommen, der ist jedoch üblicherweise deutlich geringer als im Süden.“

Prof. Dr. Reinhard Zellner

Leiter Institut für Physikalische Chemie, Universität Duisburg-Essen

„In dieser Studie wird erstmals gezeigt, welche überraschenden Auswirkungen kurzlebige chlorhaltige Gase auf die Ozonschicht in der Stratosphäre haben. Solche Substanzen wurden bislang wegen ihres schnellen Abbaus in den unteren Atmosphärenschichten als unbedeutend für die Ozonzerstörung eingestuft. Diese Einstellung muss ab jetzt revidiert werden, denn diese Substanzen werden voraussichtlich in einigen Jahrzehnten die wesentlichen Lieferanten von ozonschädigenden Chlorverbindungen sein und die Erholung der Ozonschicht um einige Jahrzehnte verzögern.“

„Die Autoren benutzen ein globales Modell der Atmosphäre, in dem die Chemie mit dem Transport gekoppelt ist (Chemie-Transport-Modell, CTM), und das seit Jahren für die Beurteilung chemischer Prozesse erprobt ist. Dies erlaubt ihnen unter anderem, den Effekt des Dichlormethans von dem anderer ‚traditioneller’ Verursacher wie den FCKW abzutrennen.“

„Die Modellstudie basiert auf Messwerten der atmosphärischen Konzentration von Dichlormethan CH2Cl2 sowie auf realistischen Annahmen für dessen weitere Entwicklung. Dichlormethan ist Löse- und Entfettungsmittel in der Metallindustrie, Ausgangsstoff für die Herstellung von fluorierten HFKW (teilfluorierte Kohlenwasserstoffe, zunächst als Ersatz für FCKW in Anwendung, inzwischen auch über Montreal Protokoll reguliert; Anm. d. Red.) und Blähmittel von Polymerschäumen. Seine atmosphärische Konzentration wächst seit einigen Jahren um mehr als fünf Prozent pro Jahr an; die emittierte Menge bewegt sich in der Größenordnung von einer Megatonne pro Jahr, deutlich höher als die der ehemaligen FCKW, und vornehmlich verursacht in Südostasien.“

„Das Montrealer Protokoll zum Schutz der Ozonschicht, das gerade in diesem Jahr 30 Jahre alt wird, zählt zu den erfolgreichsten und wirksamsten internationalen Regulierungen der Umweltpolitik. Der schädliche Chlorgehalt der Stratosphäre hat seinen Peakwert um das Jahr 2000 überschritten und die Ozonschicht ist auf dem Wege der Erholung. Das globale Ozondefizit im Jahr 2000 betrug gerade mal gut fünf Prozent – ohne das Protokoll und ohne Regulierung der Hauptchlorlieferanten wie die FCKW hätte es sich bei 30 bis 40 Prozent bewegt.“

„Dichlormethan CH2Cl2 ebenso wie Trichlormethan CHCl3 (Chloroform) wurden im Montrealer Protokoll nicht geregelt, da man sie aufgrund der damals verwendeten Mengen und deren kurze Lebensdauern als unbedeutend für die Ozonschicht eingeordnet hat. ‚Unnötige’ Regulierungen wollte man nicht eingehen, da man mit der Zahl und Mengen der geregelten Substanzen ohnehin schon viel Innovationsdruck auf die chemische Industrie ausgeübt hatte.“

„Die steigende Verwendung und Emission von Dichlormethan deutete sich anhand der atmosphärischen Messungen seit einigen Jahren an. Neu in der vorliegenden Studie ist, dass deren Auswirkung auf die Ozonschicht erstmals quantifiziert wurde und eine verlässliche Basis für die Aufnahme dieser Substanz in die Ergänzungen zum Montrealer Protokoll gegeben ist, die in regelmäßigen Abständen vorgenommen werden.“

Auf die Frage, warum trotz Emissionen vor allem auf der Nord-Halbkugel die Ozonschicht über der Antarktis am stärksten beeinträchtigt wird:

„Für Dichlormethan ebenso wie für die ‚traditionellen’ FCKW sind die Hauptquellen die globalen Industriezonen der Nordhemisphäre. Nach der Entdeckung des Ozonlochs über der Antarktis im Jahre 1985 durch Farman et al. [5] stand die Atmosphärenwissenschaft genau vor diesem Rätsel, nämlich einen Ozonabbau weit entfernt über dem Südpol mit einer Emission in der Nordhemisphäre zu korrelieren. Erst über Jahre haben wir mühsam gelernt, dass es die meteorologischen Bedingungen in der Stratosphäre im Winter über der Antarktis sind, die zu besonders niedrigen Temperaturen in dieser Region führen und den Ozonabbau lokal beschleunigen. Wo die Chlorverbindungen herkommen, ist ziemlich egal. Ähnliches gilt auch für das Dichlormethan. Allerdings kommt wegen der kürzeren Lebensdauer von der ursprünglich emittierten Menge deutlich weniger in der Stratosphäre an. Und es bedarf schon einer recht großen Quelle, um die Gewinne im Chlorgehalt der Stratosphäre durch den langjährigen FCKW-Abbau durch die Zuwächse beim Dichlormethan oder anderen kurzlebigen Chlorverbindungen zu kompensieren.“

Auf die Frage, welche Konsequenzen es hätte, wenn sich die Ozonschicht tatsächlich, wie die Studie prognostiziert, bis zu 30 Jahre später schließen würde:

„Die Hauptbesorgnis des Ozonabbaus war und ist die Zunahme der bodennahen UV-Strahlung, insbesondere bezüglich der photobiologischen Effekte auf die Haut wie Hautrötung (Erythem) oder Melanom (Hautkrebs). Beide Formen nehmen aufgrund der ausgedünnten Ozonschicht und des veränderten Freizeitverhaltens zu. Dieser Trend wird sich fortsetzen über eine weitere Generation hinaus. Die FCKW-Geschichte und deren Regulierung ist damit das vielleicht größte globale Mensch gemachte Umweltproblem, das die Menschheit bislang gesehen hat.“

Mögliche Interessenkonflikte

Prof. Dr. Johannes Orphal: „Ich bin der Wissenschaftliche Sprecher des Helmholtz-Programms „Atmosphäre und Klima“ (Budget: 45 Millionen Euro pro Jahr) und kenne daher auch mehrere Autoren des Artikels. Ich habe überhaupt keinen Zweifel an der Studie, das Vorgehen und die Ergebnisse sind absolut nachvollziehbar. Ich bin aber insofern überhaupt nicht befangen, als dass ich an der Untersuchung nicht beteiligt war, sie auch nicht kannte und selbst auch sonst nicht mit den Autoren kooperiere.“

Alle anderen: Keine angegeben.

Primärquelle

Hossaini R et al. (2017): The increasing threat to stratospheric ozone from dichloromethane. Nature Communictaions. DOI: 10.1038/ncomms15962.

Literaturstellen, die von den Experten zitiert wurden

[1] Carpenter, L.J. et al. (2014): Ozone-Depleting Substances (ODSs) and Other Gases of Interest to the Montreal Protocol, Chapter 1 in Scientific Assessment of Ozone Depletion: 2014, Global Ozone Research and Monitoring Project –Report No. 55. World Meteorological Organization, Geneva, Switzerland, 2014.

[2] Leedham Elvidge, E.C. et al. (2015): Increasing concentrations of dichloromethane, CH2Cl2, inferred from CARIBIC air samples collected 1998–2012, Atmos. Chem. Phys., 15(4), 1939-1958. doi:10.5194/acp-15-1939-2015.

[3] Hossaini, R. et al. (2015): Growth in stratospheric chlorine from short-lived chemicals not controlled by the Montreal Protocol. Geophysical Research Letters, 42(11), 4573-4580. doi:10.1002/2015GL063783.

[4] Hossaini R et al. (2015): Efficiency of short-lived halogens at influencing climate through depletion of stratospheric ozone. Nature Geoscience 8, 186-190. DOI: 10.1038/ngeo2363.

[5] Farman, J et al. (1985): Large losses of total ozone in Antarctica reveal seasonal ClO2/NO2 interaction. Nature, 315 (6016), 207-210 DOI: 10.1038/315207a0.

Weitere Recherchequellen

[a] „Montreal Protokoll über Stoffe, die zu einem Abbau der Ozonschicht führen“ (1987).