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09.11.2023

Nach CT-Scans: Erhöhtes Blutkrebsrisiko bei Kindern

     

  • etwa ein bis zwei von 10.000 Kindern könnten aufgrund einer CT-Untersuchung in den nächsten zwölf Jahren Leukämie entwickeln
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  • groß angelegte internationale Studie in neun europäischen Ländern
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  • Fachleute sehen bisherige Erkenntnisse weitgehend bestätigt, einige wenige Daten seien jedoch auffällig
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Die Computertomographie (CT) ist eines der wichtigsten Diagnoseverfahren in der Medizin. Der Nutzen ist unumstritten. Gleichwohl ist auch bekannt, dass zu viel Röntgenstrahlung das Krebsrisiko erhöhen kann. Je jünger die Patienten, desto wichtiger ist ein Blick auf diese Dosis-Wirkungs-Beziehung. Jedes Jahr unterziehen sich mehr als eine Million Kinder in Europa einem CT-Scan. Wie groß das Strahlenrisiko bei ihnen genau ist, ist nicht bekannt.

In einer großen Studie im Fachblatt „Nature Medicine“ hat nun ein internationales Forschungsteam fast eine Million Menschen in neun europäischen Ländern untersucht, die vor ihrem 22. Lebensjahr CT-Scans hatten (siehe Primärquelle). Die Autorinnen und Autoren berechneten zunächst die Strahlenbelastung der Patienten. Dabei zeigte sich ein Zusammenhang zwischen der Menge an Strahlung und dem Risiko für Blutkrebs. Für jede Person wurde die Strahlendosis geschätzt, die auf das Knochenmark einwirkt, wo Blutzellen produziert werden. Bei Leukämie kommt es zu einer bösartigen Veränderung von Blutzellen. Ein bis zwei von 10.000 Kindern, die heute einen CT-Scan mit einer durchschnittlichen Strahlendosis von acht Milligray (mGy) erhalten, könnten der Studie zufolge in den nächsten zwölf Jahren aufgrund der CT-Untersuchung Blutkrebs entwickeln. Mit der Einheit mGy wird gemessen, wie viel Strahlung das Körpergewebe während eines CT-Scans aufnimmt.

Die Forschenden betonen, dass ihre Ergebnisse dazu beitragen könnten, medizinische Richtlinien zu schärfen. Sie seien ein weiterer Beleg dafür, die Strahlendosis bei Kindern so niedrig wie möglich zu halten. In Deutschland sind CT-Scans bei Kindern sehr streng geregelt [I] [II].

Übersicht

     

  • Prof. Dr. Hajo Zeeb, Leiter der Abteilung Prävention und Evaluation, Leibniz-Institut für Präventionsforschung und Epidemiologie (BIPS), Bremen
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Statements

Prof. Dr. Hajo Zeeb

Leiter der Abteilung Prävention und Evaluation, Leibniz-Institut für Präventionsforschung und Epidemiologie (BIPS), Bremen

„Das ist die lang erwartete Epi-CT-Studie, in die auch unsere (wenigen) deutschen Daten eingegangen sind. Hauptsächlich wird die Datenmenge aber von der großen Studie aus Großbritannien geprägt (rund 50 Prozent), die Daten der ersten Veröffentlichungen dieser Studie wurden allerdings für die vorliegende Analyse nochmal aktualisiert und erweitert.“

„Da viele Einzelkohorten schon vorher publiziert wurden, überrascht das Gesamtergebnis erhöhter Risiken pro Dosis für hämatologische Krebserkrankungen bei jungen Menschen nicht. Einige Auffälligkeiten gibt es aber schon. Zum Beispiel die erhöhten Risiken für das Hodgkin-Lymphom, was in der großen Referenzstudie in der Strahlenepidemiologie, der Life-Span-Study bei Überlebenden der Atombombenabwürfe in Japan, so nicht gefunden wird, und auch nicht in den bisherigen Einzelveröffentlichungen zu CT-Expositionen. Dies ist aber nur ein kleiner Anteil aller Fälle, und muss in Zukunft weiter untersucht werden.“

„Die Methodik ist insgesamt aus meiner Sicht sehr solide, insbesondere bei der Dosisabschätzung wurden sehr umfangreiche methodische Anstrengungen unternommen, und es wurden viele Analysen auch mit (geplanten) alternativen Gruppen oder Spezifikationen vorgenommen, die ganz überwiegend konsistent waren. Allerdings fehlen mögliche Confounder in allen oder in einzelnen Kohorten, so etwa der sozioökonomische Status (nur in vier Kohorten vorhanden) oder die klinische Indikation. Dies ist aber kein Übersehen, diese Informationen stehen in einer Pooling-Studie dieser Art nicht überall zur Verfügung. Durch die Wahl eines Mindestabstands von zwei Jahren zwischen CT und Beginn der Periode, in der auftretende Erkrankungen als potenziell mit der CT-Strahlendosis in Verbindung stehend gewertet werden, wird verhindert, dass zeitlich sehr früh nach CT-Aufnahme auftretende Tumoren der Bildgebung zugeschrieben werden. Das würde keinen Sinn machen (Stichwort: reverse causation). Hierzu wurden zudem noch weitere Sensitivitätsanalysen mit anderen Perioden durchgeführt.“

„Bei der Interpretation und möglichen Schlussfolgerungen ist zu beachten, dass es natürlich bei der Durchführung einer CT nicht klar ist, welche Kinder oder Jugendliche gegebenenfalls betroffen sind. Daher kann es nur für jedwede CT-Untersuchung darum gehen, die medizinische Indikation für die Durchführung einer CT genau und restriktiv zu stellen, überall wo möglich alternative Bildgebungsverfahren einzusetzen und die Durchführung von CT in Bezug auf die technischen Parameter genau auf die jungen Patient:innen abzustimmen, sodass die Dosis so niedrig wie möglich ist. Eine gute Dosisdokumentation wäre überdies hilfreich, auch für weitere Forschungsprojekte und Monitoring.“

„In Deutschland wird insgesamt schon recht restriktiv mit CT bei Kindern/Jugendlichen umgegangen, so meine Einschätzung. Insofern bestätigt die vorliegende Studie diese Praxis und kann gegebenenfalls an manchen Praxen oder Kliniken nochmal für zusätzliche Klarheit und zu Anstrengungen führen.“

Angaben zu möglichen Interessenkonflikten

Alle: Keine Angaben erhalten.

Primärquellen

Basea Gomez M et al. (2023): Risk of hematological malignancies from CT radiation exposure in children, adolescents and young adults. Nature Medicine. DOI: 10.1038/s41591-023-02620-0.

Weiterführende Recherchequellen

Science Media Centre UK (2023): expert reaction to study looking at association between CT scans in young people and increased risk of blood cancer. Stand: 09.11.2023

Literaturstellen, die vom SMC zitiert wurden

[I] Bundesamt der Justiz (2023): Gesetz zum Schutz vor der schädlichen Wirkung ionisierender Strahlung (Strahlenschutzgesetz - StrlSchG) § 83 Anwendung ionisierender Strahlung oder radioaktiver Stoffe am Menschen.

[II] Bundesärztekammer (16.02.2023): Leitlinie der Bundesärztekammer zur Qualitätssicherung in der Computertomographie.