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02.09.2019

Mikroplastik Stuhlproben von Menschen

Wissenschaftler finden Mikroplastik in menschlichen Stuhlproben. Diese Schlagzeile drehte schon im Oktober 2018 eine Runde durch die Medien, damals stellte die Wiener Arbeitsgruppe ihre Ergebnisse auf der europäischen Jahreskonferenz der Gastroenterologen (UEG) vor. Ihre Ergebnisse haben sie im peer-reviewed Fachjournal „Annals of Internal Medicine“ veröffentlicht (siehe Primärquelle).

Die Forscher haben jeweils eine Stuhlprobe von acht Probanden untersucht. Nach einer Vorbehandlung filterten sie alles heraus, was größer als 50 Mikrometer war und zählten 20 Plastikpartikel pro 10 Gramm Stuhl. Die größten Partikel maßen 500 Mikrometer. Insgesamt untersuchten sie die Proben mit Hilfe von Infrarot-Spektroskopie auf zehn verschieden Kunststoff-Typen und detektierten neun davon in den Proben. Dabei waren Partikel aus Polypropylen und Polyethylentherephthalat (PET) am häufigsten. Ein zur Studie gehöriges Editorial zeigt offene Forschungsfragen und Ungereimtheiten in diesem Forschungsfeld auf; beispielsweise übersteige die gefundene Anzahl an Plastikpartikeln in den Ausscheidungen auf ein Jahr hochgerechnet die Anzahl an bisher vermuteten aufgenommenen Partikeln. Die kommentierenden Autoren weisen im Zuge dessen auf den großen Bereich des Mikroplastiks aus der Luft hin, der eine weitere Eintragsquelle in den menschlichen Körper darstellt.

Die gesundheitlichen Auswirkungen von Mikroplastik sind bisher wenig erforscht. Erst kürzlich hat die Weltgesundheitsorganisation einen Bericht zu Mikroplastik im Trinkwasser veröffentlicht [I], demzufolge scheine „Mikroplastik im Trinkwasser nach heutigem Stand kein Gesundheitsrisiko darzustellen“. Weitere Forschung sei jedoch notwendig, wie auch Expertinnen und Experten dem SMC sagten [II]. Aus der Forschung an Tiermodellen ist bisher bekannt, dass Partikel von einer Größe bis zu 130 Mikrometern durch Lücken im Darmepithel (Persorption) in die Körperkreisläufe wandern können [III]. Wie sich das auf die Gesundheit auswirkt, ist jedoch weniger klar.

Zu diesem Zweck haben wir ein Rapid Fact Sheet mit einem kurzen Überblick über die schwierige Definition des populären Begriffs „Mikroplastik“ erstellt. Knapp dargestellt werden die magere wissenschaftliche Evidenz zum möglichen Übertritt von Mikroplastik-Partikeln in den menschlichen Körper und mögliche Forschungs- und Regulierungsfragen.

Sie können das Fact Sheet unter diesem Link als PDF herunterladen.

 

Übersicht

  • Prof. Dr. Dr. Alfonso Lampen, Leiter der Abteilung Lebensmittelsicherheit, Bundesinstitut für Risikobewertung, Berlin
  • Prof. Dr. Eicke Latz, Direktor am Institut für Angeborene Immunität, Universitätsklinikum Bonn
  • Dr. Eleonore Fröhlich, Leiterin der Abteilung Core Facility Imaging, Medizinische Universität Graz, Österreich

Statements

Prof. Dr. Dr. Alfonso Lampen

Leiter der Abteilung Lebensmittelsicherheit, Bundesinstitut für Risikobewertung, Berlin

„Nein, die Ergebnisse findet das BfR nicht überraschend. Eine orale Exposition ist bekannt, somit überrascht nicht, dass eine Ausscheidung stattfindet. Die Relevanz des Beitrages liegt darin, das es ein weiterer Beleg für die Aufnahme von Plastikpartikeln über die Nahrung ist.“

„Laut EFSA können Plastikteilchen kleiner als 150 Mikrometer Durchmesser prinzipiell die Darmbarriere durchtreten. Eine Verteilung im Körper ist nur bei Partikeln kleiner als 1,5 Mikrometer zu erwarten (1 Mikrometer ist ein tausendstel Millimeter; Anm. der Red.). Mögliche Reaktionen könnten Inflammation oder oxidativer Stress sein. Vergleichbare Substanzen, die zu einer Toleranz geführt haben können, sind nicht bekannt. Eher wahrscheinlich ist ein Vergleich zu natürlichen Partikeln wie Sand und Staub.“

„Die größten Forschungslücken sind die Quantifizierung der Plastikpartikel im Lebensmittel sowie die Messung von Effekten, die von Mikroplastik ausgelöst werden könnten.“

„Die derzeit besten einsetzbaren Methoden sind µ-FTIR- und µ-RAMAN-Spektroskopie sowie TED-GC-MS zur Untersuchung von Mikroplastik.“

Prof. Dr. Eicke Latz

Direktor am Institut für Angeborene Immunität, Universitätsklinikum Bonn

„Kleinste Plastikteilchen, sogenannte ‚Microplastics‘, sind im Essen, in Getränken und sogar in der Luft zu finden. Je nach Lebensort und Ernährungsgewohnheiten nimmt jeder Mensch tausende bis hunderttausende dieser Partikel auf. Diese kleinen Plastikpartikel kommen durch verschiedenste Quellen, wie Kosmetika, Mikrofasern in Kleidung, Plastikverpackungen oder ganz einfach Plastikflaschen, in unsere Umwelt und in den menschlichen Körper. Die Aufnahme der mikroskopisch kleinen Partikel erfolgt über die Atmung, die Haut und wohl zum größten Teil über die Nahrung.“

„In der aktuellen Publikation von Philipp Schwabl und seinen Kollegen wurde die Aufnahme dieser Partikel in den Darm analysiert und quantifiziert. Wenig verwunderlich kann man mit modernen analytischen Methoden im menschlichen Darm verschiedenste Mikropartikel aus Plastik im menschlichen Stuhl entdecken. Insgesamt wurden neun verschiedene Typen von Plastikmaterial gefunden. In der aktuellen Studie wurde allerdings nur Material untersucht, das größer als 50 Mikrometer ist. Diese Analyse zeigt, dass Menschen aus unterschiedlichen geographischen Regionen Plastik dieser Partikelgröße aufnehmen und es wieder ausscheiden.“

„Was hat das nun für eine Bedeutung und Relevanz für die Gesundheit? Diese Frage ist nicht beantwortet und aktuell lassen sich hierzu nur Vermutungen anstellen.“

„Der menschliche Darm hat neben der Aufnahme von Nährstoffen die Aufgabe, unser Immunsystem zu steuern. Das Darm-assoziierte Immunsystem ist dabei besonders wichtig für ein adäquates Training unserer Immunzellen und dabei ist die Balance dieser ‚Schulung‘ von besonderer Bedeutung bei bestimmten Erkrankungen, wie zum Beispiel Asthma oder chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen.“

„Das Immunsystem hat nun allerdings auch die Eigenschaft, Substanzen, die aggregieren oder zu kleinsten Kristallen ausfallen, zu erkennen. Diese Fähigkeit hilft dem Körper – zum Beispiel nach Gewebeschäden – eine Immunantwort zu initiieren, die dazu beiträgt, den Schaden zu beseitigen. Allerdings kann es durch diese Immunantwort auf aggregierte oder kristalline Substanzen auch zu einer chronischen Entzündungsreaktion kommen, wie zum Beispiel nach der Inhalation von nicht organischen Kristallen, wie Silikaten und Asbest. Diese Substanzen können im Gewebe von den Fresszellen nicht abgebaut werden, was eine Entzündungsreaktion aufrecht erhält – mit der langfristigen Folge von schwerwiegenden Lungenerkrankungen.“

„Auch der Darminhalt wird durch das Immunsystem ständig analysiert und dabei nehmen Immunzellen auch gerne eine Probe des Darminhaltes auf. Die Frage, die sich zwangsläufig aufdrängt, ist, ob bei diesem natürlichen Prozess die Fresszellen auch auf Plastikpartikel stoßen. Eine Aufnahme der heutzutage allgegenwärtigen Plastikpartikel, könnte tatsächlich, analog zu inhalierten Kristallen, aufgrund ihrer schlechten Verdaulichkeit, eine schwelende Immunaktivierung auslösen. So eine nicht gewollte chronische Aktivierung von Immunzellen könnte eine lokale Entzündungsreaktion im Darm begünstigen und zu der in westlichen Nationen immer häufiger werdenden Entzündungen und Tumoren im Darm beitragen.“

„Weiterhin wäre es zumindest denkbar, dass Immunzellen die im Darm aufgenommenen Plastikpartikel in andere Bereiche des Körpers transportieren und dort eine Entzündungsreaktion auslösen und aufrechterhalten. Der molekulare Sensor für aggregierte Substanzen ist mit dem ‚NLRP3 Inflammasome‘ in den vergangenen Jahren gefunden worden, und mit diesem Wissen können die wichtigen Fragen nun untersucht werden.“

„Sollte es sich in Experimenten künftig zeigen, dass Mikropartikel chronische Entzündungsreaktionen hervorrufen können und ein kausaler Zusammenhang der Aufnahme dieser Plastikpartikel mit der Entstehung von Erkrankungen besteht, wäre es spätestens an der Zeit, die Aufnahme dieser Plastikpartikel soweit wie möglich zu reduzieren. Asbest wird aus gutem Grund in vielen Staaten der Welt nicht mehr, wie vormals, als ubiquitäre Bausubstanz verwendet.“

Dr. Eleonore Fröhlich

Leiterin der Abteilung Core Facility Imaging, Medizinische Universität Graz, Österreich

„Die Ausscheidung von nicht abbaubaren Nahrungsbestandteilen im Stuhl ist nicht überraschend, pflanzliche Fasern wie Zellulose werden ebenfalls teilweise unverändert ausgeschieden. Es erscheint wahrscheinlich, dass Plastikmikropartikel, wie pflanzliche Fasern, niedermolekulare Stoffe binden. Falls sie Insektizide, Fungizide und Herbizide aus der Umwelt binden, können sie Toxine in den Körper transportieren. Es ist aber auch denkbar, dass die in der Nahrung befindlichen Toxine, beispielsweise Mykotoxine, binden und dadurch deren Resorption verhindern. Pflanzlichen Fasern können beispielsweise die Resorption von Östrogen aus dem Darm senken. Des Weiteren ist denkbar, dass am Mikroplastik gebundene kleinmolekulare Moleküle immunogen wirksam werden können, weil sie vom Immunsystem besser erkannt werden.“

„Partikel können durch die Darmepithelzellen oder zwischen ihnen das Darmepithel passieren. Zusätzlich zu den resorbierenden Zellen und den Becherzellen zur Schleimproduktion enthält das Darmepithel sogenannte M-Zellen, welche mit dem Immunsystem des Darmes in engem Kontakt stehen. Die genannten Zellen haben eine leicht unterschiedliche Präferenz in der Aufnahme von Partikeln. Generell kann man aber davon ausgehen, dass bei intaktem Darmepithel Partikel größer als 1 Mikrometer nur in geringem Ausmaß das Epithel durchdringen. Bei entzündlichen Darmerkrankungen wie Colitis ulcerosa und Morbus Crohn, ist eine höhere Durchlässigkeit des Darmes gegeben. Bei einer Partikelgröße von größer als 50 Mikrometer kann die Passage nur durch den wenig untersuchten Prozess der Persorption aufgenommen werden. Der Begriff wurde von Gerhard Volkheimer geprägt, der mittels lichtmikroskopischer Untersuchungen feststellte, dass Stärkepartikel von 8 bis 150 Mikrometer, präferentiell in der Größe zwischen 15 und 75 Mikrometer, an den Spitzen der Darmzotten durch das Epithel drangen, um sich in den darunterliegenden Blut- und Lymphgefäßen anzusammeln [1]. Abgesehen von den Untersuchungen dieser Arbeitsgruppe aus den Jahren 1965 bis 1977 existieren wenig Daten zu diesem Phänomen.“

„Plastik selbst ist im Körper nicht reaktiv, und es werden keine toxischen Abbauprodukte gebildet. Plastikpartikel können, wenn auch in geringerem Ausmaß als Nanopartikel, niedermolekulare Substanzen binden und so in den Körper transportieren. Aufgrund der hydrophoben Eigenschaften der Plastikoberfläche können dies Weichmacher (Phthalate), polychlorierte Biphenyle, sowie Insektizide, Herbizide und Fungizide sein. Die Menge dieser Toxine im menschlichen Gastrointestinaltrakt könnte durch die Anwesenheit von Mikropartikeln gesteigert werden, wobei es abhängig von der Stärke der Bindung an die Partikel ist, ob dies zu einer erhöhten Resorption dieser Stoffe führen kann.“

„Es gibt viele Fragen, die in diesem Forschungsfeld geklärt werden müssen, beginnend mit der potenziellen Retention der Partikel im Körper, indem man Aufnahme und Abnahme bestimmt. Auch die Frage, wie groß der Anteil der Mikropartikel, welcher über die Nase aufgenommen wurde, an der im Stuhl vorhanden Partikelmenge ist, wäre interessant.“

„Eine Abhängigkeit von Alter, Geschlecht, ethnischer Zugehörigkeit, Tageszeit der Abgabe, Variabilität in einem Individuum, Korrelation zu Krankheiten und Nahrungszusammensetzung wäre durch Bestimmung in einem größeren Kollektiv herauszufinden und nur sinnvoll, wenn die Belastung mit Mikropartikeln tatsächlich ein Gesundheitsrisiko darstellt. Von daher sind die vorrangigen Fragen eher: Werden Mikropartikel tatsächlich in den Körper aufgenommen? Schleusen Mikropartikel Toxine in den Körper oder können sie, im Gegenteil, die Absorption toxischer Substanzen in der Nahrung verhindern, indem sie diese binden? Können Mikropartikel die antigene Wirkung kleinmolekularer Substanzen steigern und immunologische Reaktionen auslösen? Verändern die mit Toxinen beladenen Mikropartikel die Durchlässigkeit des Darmepithels? Hat die Exposition mit Mikroplastik eine deutliche Wirkung auf die gastrointestinale Flora (Mikrobiota)?“

„Die Aussagekraft der Studie ist selbstverständlich limitiert durch die geringe Probandenanzahl. Nachdem von 100 Gramm Stuhl nur zwischen 8 und 39 Gramm gesammelt und sieben Gramm schließlich untersucht wurden, stellt sich die Frage, wie repräsentativ die Partikelanzahl für die ganze Probe ist. Des Weiteren ist unbekannt, ob die Partikel nach der Stuhlaufarbeitung tatsächlich noch als Mikropartikel vorlagen oder es zu Agglomeration oder Abbau der Partikel kam. Dies hätte eine Unter- beziehungsweise Überschätzung der gemessenen Partikel zur Folge. Die verwendete Bestimmung ist neu und die Wiederfindungsrate einer bekannten Menge an Mikropartikeln in der Stuhlmatrix wurde nicht gezeigt.“

Angaben zu möglichen Interessenkonflikten

Prof. Dr. Dr. Alfonso Lampen: „Professor Dr. Dr. Alfonso Lampen ist als Abteilungsleiter des BfR Beamter der Bundesrepublik Deutschland. Die Forschungsprojekte in seiner Abteilung werden mit Hausmitteln sowie Drittmitteln von der Europäischen Union und von der Deutschen Forschungsgemeinschaft finanziert. Informationen zur Forschung über die gesundheitlichen Risiken von Mikroplastik unter https://www.bfr.bund.de/cm/343/keine-hinweise-auf-darmschaedigungen-durch-mikroplastik-aus-polystyrol-im-labor.pdf.“

Alle anderen: Keine angegeben. 

Primärquellen

Schwabl P et al. (2019): Detection of Various Microplastics in Human Stool. Annals of Internal Medicine. DOI: 10.7326/M19-0618i.

Wright S et al. (2019): The Ins and Outs of Microplastics. Editorial. Annals of Internal Medicine. DOI: 10.7326/M19-2474.

Literaturstellen, die von den Experten zitiert wurden

[1] Volkheimer G (1974): Passage of Particles through the Wall of the Gastrointestinal Tract. Environmental Health Perspectives; 9, 215-225.

Literaturstellen, die vom SMC zitiert wurden

[I] World Health Organization (2019):Microplastics in drinking-water. ISBN: 978-92-4-151619-8.

[II] Science Media Center Germany (2019): WHO-Bericht zu Mikroplastik im Trinkwasser. Stand: 22.08.2019.

[III] Cox KD et al. (2019): Human Consumption of Microplastics. Environ. Sci. Technol.; 53 (12): 7068-7074. DOI: 10.1021/acs.est.9b01517.