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12.06.2019

Maßnahmen zur Senkung des Verbrauchs von Zuckergetränken

Der Konsum zuckerhaltiger Getränke gilt als zentraler Faktor für die weltweite Adipositas-Epidemie, die mit Karies, Diabetes und Herzerkrankungen einhergeht. Viele öffentliche Gesundheitsbehörden, darunter die Weltgesundheitsorganisation (WHO), haben Regierungen, die Lebensmittel- und Getränkeindustrie, Bildungseinrichtungen, Arbeitsstätten und die Zivilgesellschaft aufgefordert, eine gesündere Getränkeauswahl zu unterstützen.

Ein von deutschen und britischen Forschern erstelltes Cochrane Systematic Review (Primärquelle), das am Mittwoch veröffentlicht wird, analysiert 58 Studien zu verschiedenen Maßnahmen gegen den Konsum zuckerhaltiger Getränke und bewertet einzelne Interventionen nach dem Grad ihrer Evidenz. Zu den erfolgreichsten Maßnahmen zählen unter anderem das Kennzeichnen von Lebensmitteln (zum Beispiel durch das Ampel-System oder Emoticons), die Änderung von Lebensmittelstandards in öffentlichen Einrichtungen, die Preiserhöhung von zuckerhaltigen Getränken in Restaurants, Läden und Freizeiteinrichtungen, sowie die Einführung ökonomischer Instrumente (zum Beispiel einer Zuckersteuer oder Subventionen für niedrig-kalorische Lebensmittel).

In Deutschland wird schon seit längerem über Ernährungs- beziehungsweise Lebensmittelampeln diskutiert, wie sie etwa in Frankreich unter dem Namen ‚Nutriscore‘ eingeführt wurde. Mit ihrer im Dezember 2018 vorgestellten ‚nationalen Reduktions- und Innovationsstrategie: weniger Zucker, Fette und Salz in Fertigprodukten‘ setzt die Bundesministerin für Ernährung und Landwirtschaft Julia Klöckner aktuell allerdings allein auf die freiwillige Selbstverpflichtung der Industrie – eine Methode, die von den Autoren des Cochrane Reviews als eine der am wenigsten erfolgreichen Interventionen bewertet wird.

 

Übersicht

  • Prof. Dr. Bernd Weber, Direktor des Center for Economics and Neuroscience (CENs), Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn
  • Prof. Dr. Stefan K. Lhachimi, Leiter der Forschungsgruppe „Evidence-Based Public Health“, Leibniz-Institut für Präventionsforschung und Epidemiologie (BIPS)

Statements

Prof. Dr. Bernd Weber

Direktor des Center for Economics and Neuroscience (CENs), Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn

„Die Arbeit stellt umfangreich und in bisher einzigartiger Weise die Evidenz verschiedener Interventionen auf den Konsum zuckerhaltiger Getränke dar. Studien, welche Effekte außerhalb von kontrollierten Laborumgebungen zeigen sind bisher rar. Die hier aufgeführten Arbeiten legen jedoch nahe, dass es sinnvolle, einfach durchführbare und effektive Interventionsmaßnahmen geben kann, um den Konsum stark zuckerhaltiger Getränke und damit die Kalorienzufuhr und Gesundheitsrisiken zu verringern.“

„Durch den Konsum stark zuckerhaltiger Getränke kann sich das Risiko für übergewichtigs-assoziierte Erkrankungen wie beispielsweise Diabetes oder Herz-Kreislauferkrankungen erhöhen. Eine verringerte Kalorienzufuhr von stark zuckerhaltigen Getränken kann somit das Risiko für diese Erkrankungen senken.“

„Es ist dringend erforderlich, sich zu vergegenwärtigen, wie stark die Art und Weise der Präsentation von Produkten ihren Konsum beeinflusst. Saliente und einfach verständliche Signale, welche auf oder in der Nähe der Produkte während der Entscheidung platziert sind, können Verbraucher dabei unterstützen informierte Entscheidungen zu treffen. Bei Kindern können hier altersgerechte Maßnahmen, wie die Nutzung von farbigen Symbolen oder auch Anreizsysteme über Punkte oder Wettbewerbe einfach implementiert werden. Wichtig ist es die Forschung über langfristige Effekte solcher Interventionen in realen Umgebungen zu stärken und politische Strategien auf ihre Wirkungen zu überprüfen, da teilweise unerwartete oder gar paradoxe Verhaltensweisen von Verbrauchern beobachtet werden.“

Prof. Dr. Stefan K. Lhachimi

Leiter der Forschungsgruppe „Evidence-Based Public Health“, Leibniz-Institut für Präventionsforschung und Epidemiologie (BIPS)

„Systematische Übersichtsarbeiten von Cochrane gelten zu Recht als Goldstandard, wenn es um die zusammenfassende Bewertung der zwar bereits vorhandenen, aber in der Literatur verteilten Evidenz geht. Neu ist die sehr umfassende Übersicht über die Effektivität vor allem von politikrelevanten Interventionen beziehungsweise Maßnahmen, mit der erwähnenswerten Ausnahme von zusätzlichen Produktsteuern als Intervention.“

„Die Verringerung des Konsums von zuckerhaltigen Getränken ist von nicht zu unterschätzender Bedeutung, um der Adipositas-Epidemie auch in Deutschland zu begegnen. Viele Konsumenten nehmen alleine schon durch Süßgetränke mehr als die täglich empfohlene Menge an Zucker zu sich. Süßgetränke sind dabei besonders tückisch, da diese trotz hoher Kalorienmenge kein Sättigungsgefühl erzeugen.“

„Aus Sicht der Politik sind folgende Erkenntnisse wichtig: Sogenannte ‚Lebensmittel-Ampeln‘ haben vergleichsweise sicher große Effekte auf den Verkauf von Süßgetränken (eine Verringerung um die Hälfte!). Preiserhöhungen senken sicher den Kauf von Süßgetränken. Letztes ist für andere gesundheitsschädliche, öffentlich verfügbare Produkte (Zigaretten und Alkohol) schon lange bekannt und hat auch zu entsprechenden Produktsteuern geführt.“

„Der Staat und die Gesellschaft müssen durch scharfe Instrumente wie verpflichtende Lebensmittelampeln oder eine Preiserhöhung durch zusätzliche Besteuerung deutlich zeigen, dass diese Produkte potenziell gesundheitsschädlich sind.“

„Die Bundesministerin für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Klöckner kann nach Lage der Evidenz aus meiner Sicht nicht mehr lediglich auf Selbstverpflichtungen der Industrie pochen, sondern muss die vorhandene Evidenz endlich zur Kenntnis nehmen und entsprechend handeln.“

Angaben zu möglichen Interessenkonflikten

Prof. Dr. Stefan K. Lhachimi: „Stefan K. Lhachimi arbeitet zurzeit an einem Cochrane Review zur Besteuerung von Süßgetränken.“

Alle anderen: Keine Angaben erhalten.

Primärquelle

von Philipsborn P et al. (2019): Environmental interventions to reduce the consumption of sugar-sweetened beverages and their effects on health. Cochrane Database of Systematic Reviews, Issue 4. Art. No.: CD012292. DOI: 10.1002/14651858.CD012292.pub2.