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06.04.2023

Künstlicher Embryo aus Affen-Stammzellen

     

  • Forschende züchten esynthetische Affenembryonen in vitro aus Stammzellen
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  • transplantiert in Affenweibchen zeigen sich Anzeichen einer frühen Schwangerschaft
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  • Experten zufolge war Übertragung in Gebärmutter nicht erfolgreich; noch kein wissenschaftlicher Durchbruch
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Forschenden aus China ist es gelungen, aus Stammzellen von Javaneraffen synthetische Embryonen – auch genannt Embryoide – zu züchten. Die Befunde wurden am 06.04.2023 in der Fachzeitschrift „Cell Stem Cell“ veröffentlicht (siehe Primärquelle). Sie bestätigen frühere Experimente mit synthetischen Mausembryonen [I] und belegen erneut die erstaunliche Fähigkeit der Selbstorganisation von Säugetierembryoiden in vitro. Deren frühe Entwicklung lässt sich mit entsprechenden molekularen Signalen und in geeigneten Zellkulturmedien nun auch im Tiermodell Javaneraffe bis zum Stadium der frühen Organbildung mit drei Keimblättern (In-vitro-Gastrulation) rekapitulieren. Dabei gibt es molekulare Hinweise auf die Entstehung von Vorläufern der Keimzellen und von blutbildendem Gewebe.

Die Embryoide wurden in vitro aus naiven Stammzellen mit einer Effizienz von 25 Prozent erzeugt. Den Autoren zufolge ähnelte ihre Morphologie der von – durch Befruchtung entstandenen – Embryonen von Javaneraffen im Stadium von acht bis neun Tagen. Ein Teil der Embryoide wurden am achten Tag in „Leihmütter“ transplantiert, während ein anderer Teil in der Zellkultur verblieb. Bei drei von acht Affenweibchen konnten die Forschenden hormonelle Anzeichen einer frühen Schwangerschaft nachweisen – allerdings beobachteten sie keine weitere Entwicklung der Embryoide in vivo. In der Zellkultur dagegen entwickelten sich einzelne Embryoide bis zum achtzehnten Tag weiter, bevor sie kollabierten.

Die Forschenden sehen den Nutzen ihres neuen Tiermodells darin, die frühe Embryonalentwicklung und die Einnistung von Embryonen in die Gebärmutter bei Primaten untersuchen zu können. Dabei könnten Zugangsschwierigkeiten bei Experimenten an menschlichen synthetischen Embryonen vermieden und ethische Bedenken entschärft werden, so die Forschenden.

Bisher sind Experimente mit menschlichen Embryonen weltweit beschränkt. Durch künstliche Befruchtung gewonnene menschliche Embryonen dürfen maximal bis zu 14 Tage nach der Befruchtung oder bis zur Bildung des Primitivstreifens in vitro kultiviert werden – je nachdem, was zuerst eintritt. Allerdings hat die International Society for Stem Cell Research (ISSCR) aufgrund der Fortschritte bei aus Stammzellen gewonnenen synthetischen Embryonen im Mai 2021 empfohlen, diese 14-Tage-Regel für ausgewählte Fälle zu lockern [II]. Bei Experimenten mit sogenannten „Integrated stem cell-based human embryo models” soll künftig entsprechend den Richtlinien vorab festgelegt werden, ab welchem Entwicklungsstadium die Versuche abgebrochen werden müssten. In Deutschland verbietet das Embryonenschutzgesetz bisher Experimente an menschlichen Embryonen. Die rechtliche Einordnung von synthetischen Embryonen bleibt allerdings weltweit unklar.

Übersicht

     

  • Prof. Dr. Rüdiger Behr, Leiter der Abteilung Degenerative Erkrankungen, Deutsches Primatenzentrum GmbH – Leibniz-Institut für Primatenforschung (DPZ), Göttingen
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  • Prof. Dr. Malte Spielmann, Direktor des Instituts für Humangenetik, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein
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Statements

Prof. Dr. Rüdiger Behr

Leiter der Abteilung Degenerative Erkrankungen, Deutsches Primatenzentrum GmbH – Leibniz-Institut für Primatenforschung (DPZ), Göttingen

Auf die Frage, welchen Vorteil künstliche Affenembryonen im Vergleich zu Mausembryonen haben:
„Ganz grundlegend kann gesagt werden: Das Einende wohl aller Wissenschaftsbereiche ist, dass sie versuchen, entweder das Selbstverständnis des Menschen im Hinblick auf seine Herkunft und im Kontext seiner Umwelt (im weitesten Sinne von der Astronomie über die Ökologie bis hin zu den Geschichts- und Sozialwissenschaften) oder die Lebensumstände des Menschen (Medizin, Agrarwissenschaften, Technik- und Ingenieurswissenschaften) zu verbessern. Vor diesem Hintergrund und mit dem Wissen der nahen stammesgeschichtlichen Verwandtschaft des Menschen mit den Affen bieten Experimente mit Affen(-zellen) natürlich einen größeren Erkenntnisgewinn für den Menschen im Hinblick auf sich selbst, als es stammesgeschichtlich entfernt verwandte Tiere wie Mäuse bieten könnten. Also, kurz gesagt: Das, was wir von künstlichen Affenembryonen lernen können, gilt mit großer Wahrscheinlichkeit auch für uns Menschen. Wenn sich künstliche Affenembryonen zu vollständigen Organismen entwickeln würden, würde das mit großer Wahrscheinlichkeit auch auf künstliche menschliche Embryonen zutreffen.“

Auf die Frage, warum die Autoren die Embryonen in Gebärmutter transplantiert haben und welche Informationen diese Experimente liefern:
„Wichtig ist, dass zwischen echten, aus einer Befruchtung – der Verschmelzung von Ei- und Samenzelle – hervorgehenden Embryonen und künstlichen Embryonen unterschieden wird, die ohne Befruchtung aus im Labor kultivierbaren pluripotenten Stammzellen hervorgegangen sind. Künstliche (synthetische) Embryonen werden, im Gegensatz zu echten Embryonen, als Embryoide bezeichnet. Dass diese Unterscheidung wichtig ist, liegt nicht nur im unterschiedlichen Ursprung von Embryonen und Embryoiden begründet, sondern auch in ihrer – zumindest aktuell noch – unterschiedlichen Entwicklungsfähigkeit. Um das Entwicklungspotenzial beurteilen zu können, ist eine Übertragung der im Labor hergestellten Embryoide in die Uteri von Leihmüttern wichtig.“

„In der Kulturschale hergestellte Embryoide weisen in den ersten Tagen ihrer Entwicklung eine erstaunlich große Ähnlichkeit mit echten Embryonen auf. Im Zuge künstlicher Befruchtungsverfahren bei Kinderwunsch werden echte menschliche Embryonen in der ersten Entwicklungswoche auf die Mutter übertragen, da danach die Entwicklung der Embryonen außerhalb der Gebärmutter nicht so gut wie innerhalb der Gebärmutter weitergeht. Inzwischen kann man sich Embryonen aber unter besonderen Laborbedingungen auch außerhalb der Gebärmutter weiterentwickeln lassen. Bei Affen ist dies für knapp drei Wochen gelungen. Bei menschlichen Embryonen und Embryoiden wird auf Grund einer allgemein akzeptierten Selbstverpflichtung der Wissenschaftler*innen die Entwicklung nach zwei Wochen beendet. Um also die volle Entwicklungsfähigkeit von Affen-Embryoiden überprüfen zu können, ist es notwendig, sie in eine Gebärmutter zu übertragen, da nach aktuellem Stand der Forschung vermutlich nur dort die Entwicklung über die ersten drei Wochen hinaus erfolgen kann.“

„In der aktuellen Studie war die Übertragung der Affen-Embryoide auf Affen-Leihmütter nicht grundsätzlich erfolgreich. Auch wenn Anzeichen einer sehr frühen Schwangerschaft erkennbar waren, kann man nicht von einer etablierten Schwangerschaft sprechen, in der sich der Embryoid nach Übertragung in einen Uterus entsprechend eines natürlichen Embryos weiterentwickelt hätte. So zeigten die Embryoide keine stabile Implantation – also keine Einnistung in die Gebärmutter – und keinen Ansatz von Organentwicklung. Die Embryoide wurden stattdessen offenbar resorbiert – von den Gebärmutterzellen abgebaut – und waren damit verschwunden. Aber die Studie zeigt, dass Affen-Embryoide zumindest eine biochemisch nachweisbare, sehr frühe Schwangerschaft induzieren konnten.“

Auf die Frage nach dem nächsten Meilenstein für das Forschungsfeld der synthetischen Embryonen:
„Der nächste große Meilenstein für das Feld der Embryoide ist, dass sich aus diesen normal entwickelte Einnistungsstadien bilden, die Embryonen entsprechen, die aus einer normalen Befruchtung hervorgegangen sind. Diese in die Gebärmutter eingenisteten Embryoide müssten im Hinblick auf Entwicklungsdauer und Struktur einen normalen embryonalen Körperbauplan einschließlich der embryonalen Anlage von Organen aufweisen. Während in der aktuellen Studie die eingenistete Struktur deutlich vor der Bildung eines Gehirns oder Herzens verschwand, ist die Entwicklung dieser Organanlagen der nächste Meilenstein. Beachtlich ist allerdings, dass die Embryoide in der aktuellen Studie die embryonalen Vorläufer der Keimzellen schon gebildet hatten. Dies deutet darauf hin, dass die Embryoide wesentliche frühe Prozesse der normalen Embryonalentwicklung gut nachvollziehen. Der letzte große Meilenstein der Embryoid-Forschung wäre die Entstehung eines Organismus aus einem Embryoid, der geborenen, erwachsen werden und sich selbst wieder fortpflanzen kann.“

„Es kann heute nicht ausgeschlossen werden, dass Embryoide im Vergleich zu echten Embryonen grundlegende Unterschiede aufweisen, die einer vollständigen Entwicklung der Embryoide zu einem lebensfähigen Organismus im Wege stehen. Aber der rasante Fortschritt in der Embryonen- und Embryoid-Forschung lässt es möglich erscheinen, dass sich Embryoide zukünftig auch zu lebensfähigen Organismen entwickeln könnten.“

„In der aktuellen Studie sind embryonale Stammzellen des Javaneraffen als pluripotente Stammzellen genutzt worden, um Embryoide herzustellen. Man weiß inzwischen, dass induzierte pluripotente Stammzellen mit den embryonalen Stammzellen funktionell praktisch gleichwertig sind. Induzierte pluripotente Stammzellen können im Labor aus praktisch jedem Zelltyp hergestellt werden – sei es aus Zellen der Haarwurzel, aus dem Blut, aus der Haut oder sogar aus dem Urin, in dem sich Zellen der Harnwege befinden. Mit anderen Worten: Es ist denkbar, dass, wenn sich Embryoide wirklich einmal zu vollständigen Organismen entwickeln sollten, man zum Beispiel aus Blutzellen einen neuen Organismus heranwachsen lassen könnte. Dies wäre ein neues Verfahren des Klonens.“

„Das Embryonenschutzgesetz verhindert die missbräuchliche Anwendung von Fortpflanzungstechniken im Labor beim Menschen. So werden zum Beispiel die missbräuchliche Verwendung menschlicher Embryonen und das Klonen durch das Embryonenschutzgesetz unter Strafe gestellt. Das Gleiche gilt für die genetische Veränderung von menschlichen Keimzellen, wenn diese für eine Befruchtung genutzt werden sollen. In dem Paragrafen des Embryonenschutzgesetzes zur Begriffsbestimmung werden ,Embryo‘ und ,Keimbahnzelle‘ jedoch so definiert, dass sie Embryoide aus induzierten pluripotenten Stammzellen meiner (juristisch laienhaften) Einschätzung nach nicht einschließen. Eine Anpassung des Embryonenschutzgesetzes im Dialog zwischen dem Gesetzgeber, der Gesellschaft, Ärzt*innen und Wissenschaftler*innen wäre aus Gründen der Klarheit für alle sinnvoll. Das gilt auch für die Rechtssicherheit von Zellspender*innen, die Zellen für die Herstellung von induzierten pluripotenten Stammzellen bereitstellen. Mögliche Anwendungen der induzierten pluripotenten Stammzellen im Bereich der humanen Embryotechnologien zu Fortpflanzungszwecken sollten strikt unterbunden werden. Induzierte pluripotente Stammzellen haben jedoch auch ein sehr großes Potenzial in der Entwicklungsbiologie, Genetik, Toxikologie und der regenerativen Medizin – zum Beispiel bei der Therapie eines Herzinfarktes. Diese immensen Chancen sollten durch eine etwaige Anpassung des Embryonenschutzgesetzes hinsichtlich der Einbeziehung induzierter pluripotenter Stammzellen keinesfalls eingeschränkt werden.“

Prof. Dr. Malte Spielmann

Direktor des Instituts für Humangenetik, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein

Auf die Frage, welchen Vorteil künstliche Affenembryonen im Vergleich zu Mausembryonen haben:
„Prinzipiell sind sich Affenembryonen menschlichen Embryonen evolutionär deutlich näher als Mausembryonen. Daher ist es gängige Praxis, bestimmte präklinische Versuche an Primaten durchzuführen. Dies könnte die Motivation der Autoren gewesen sein, künstliche Affenembryonen herzustellen. Es ist jedoch nicht sehr überraschend, dass es deutlich komplizierter ist, künstliche Affenembryonen herzustellen als synthetische Mausembryonen, wie es zuvor von Magdalena Zernicka-Goetz und Jacob Hanna durchgeführt wurde [1].“

„Ein zentraler Unterschied zu den Vorarbeiten an synthetischen Mausembryonen ist, dass sich die künstlichen Affenembryonen nur in ganz frühe und primitive Embryonen entwickeln, die sogenannten drei Keimblätter. Damit sind die Ergebnisse nicht vergleichbar mit synthetischen Mausembryonen, die sich bis in die frühe Organogenese entwickeln können.“

„Aus meiner Sicht handelt es sich hier um einen kleinen Fortschritt für den Bereich der Primatenforschung, nicht jedoch um einen wirklichen wissenschaftlichen Durchbruch.“

Auf die Frage, warum die Autoren die Embryonen in Gebärmutter transplantiert haben und welche Informationen diese Experimente liefern:
„Die künstlichen Affenembryonen wurden in die Gebärmutter von acht weiblichen Affen eingesetzt und bei drei von acht Tieren konnte danach eine Implantation der Embryonen durch Ultraschall nachgewiesen werden. Das Einsetzen der künstlichen Embryonen führte jedoch keineswegs zu einer normalen Schwangerschaft, sondern führte lediglich zur Freisetzung von Schwangerschaftshormonen und es konnte ein mit Amnionflüssigkeit (Fruchtwasser; Anm. d. Red.) gefüllter Sack nachgewiesen werden. Es zeigten sich jedoch zu keinem Zeitpunkt wirkliche fetale Strukturen. Nach einer Woche konnten keine embryonalen Strukturen mehr nachgewiesen werden.“

„Die Autoren wollten eine sogenannte Proof-of-Concept Studie durchführen, um zu beweisen, dass künstliche Affenembryonen im Uterus überlebensfähig sind. Die künstlichen Embryonen waren jedoch nicht überlebensfähig, und es wurde keine normale Schwangerschaft eingeleitet. Das Experiment liefert aus meiner Sicht keine wesentlichen, zusätzlichen Erkenntnisse.“

Auf die Frage nach dem nächsten Meilenstein für das Forschungsfeld der synthetischen Embryonen:
„Ein wirklicher Meilenstein wird es sein, wenn synthetische Embryonen die Organogenese erfolgreich durchlaufen können. Dies würde die Tür öffnen, vollständig synthetische Organe herzustellen und diese im Labor zu untersuchen. Derzeit scheitern alle Experimente vor diesem kritische Zeitfenster. Ein weiterer großer Meilenstein wird es sein, synthetische Embryonen auch in anderen Spezies herzustellen. Die vorliegende Arbeit kann jedoch nur einen sehr kleinen Teil dazu beitragen.“

Angaben zu möglichen Interessenkonflikten

Prof. Dr. Rüdiger Behr: „Ich habe keinen Interessenkonflikt.“

Alle anderen: Keine Angaben erhalten.

Primärquelle

Li J et al. (2023): Cynomolgus monkey embryo model captures gastrulation and early pregnancy. Cell Stem Cell. DOI: 10.1016/j.stem.2023.03.009.

Literaturstellen, die von den Experten zitiert wurden

[1] Amadei G et al. (2022): Embryo model completes gastrulation to neurulation and organogenesis. Nature. DOI: 10.1038/s41586-022-05246-3

Literaturstellen, die vom SMC zitiert wurden

[I] Amadei G et al. (2022): Embryo model completes gastrulation to neurulation and organogenesis. Nature. DOI: 10.1038/s41586-022-05246-3.

[II] International Society for Stem Cell Research (2021): ISSCR Guidelines für Stammzellforschung und klinische Translation. Deutsche Übersetzung.