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13.08.2019

Impfung gegen Chlamydien ist sicher

Die Chlamydien-Infektion, verusacht durch das Bakterium Chlamydia trachomatis, ist die häufigste sexuell übertragbare Infektion in Europa [I] und weltweit [II]. Bei drei Viertel der Infektionen zeigen sich keine Symptome. Vor allem Frauen sind von einer Ansteckung betroffen: Bei ihnen erhöht sich das Risiko für Beckenentzündungen, Unfruchtbarkeit und einer Schwangerschaft außerhalb der Gebärmutter.

Im Fachjournal „The Lancet Infectious Diseases“ stellt eine dänische Arbeitsgruppe nun erste Daten einer klinischen Phase I-Studie zu einem Impfstoff gegen Chlamydien-Infektionen vor (siehe Primärquelle). Nach Angaben der Autoren ruft der Impfstoff CTH522 eine Antwort des Immunsystems hervor und scheint gut verträglich. Insgesamt 35 gesunde Frauen haben an der Studie teilgenommen und wurden auf drei verschiedene Gruppen aufgeteilt: 15 bekamen den Impfstoff zusammen mit dem in der Routine verwendeten Wirkverstärker Aluminiumhydroxid, 15 weitere den Impfstoff mit dem neuen Adjuvans CAF01 und 5 Frauen bekamen eine Scheinbehandlung (Plazebo). Am besten funktionierte die Kombination des Impfstoffs mit dem neuen Wirkverstärker CAF01.

Phase I-Studien sind üblicherweise sehr klein und ein erster Test im Menschen nach vorangegangen Tierversuchen [III]. Aus diesen Ergebnis kann also nicht abgeleitet werden, ob der Impfstoff wirklich das kann, was er soll: Chlamydien-Infektionen verhindern und damit Spätfolgen, wie Unfrauchtbarkeit, zu dezimieren. Um das zu untersuchen, müssen weitere klinische Studien der Phase II und III mit mehr Versuchspersonen durchgeführt werden. Für diese Zeit und Kosten aufwendigen Schritte haben meist nur große Pharmakonzerne die nötigen Ressourcen. Im Fall dieser Phase I-Studie steht jedoch noch keine Industrie dahinter: Die non-profit-Organisation „Statens Serum Institutet“ des dänischen Bundesgesundheitsministeriums hat die Mittel aufgewendet und hält alle Rechte an dem Impfstoff. Eine klinische Studie der Phase II befindet sich derzeit im Aufbau.

 

Übersicht

  • PD Dr. Stefan Esser, Akademischer Direktor der Ambulanz für HIV, AIDS und Geschlechtskrankheiten (HPSTD-Ambulanz), Universitätsklinikum Essen
  • Prof. Dr. Georg Häcker, Ärztlicher Direktor des Instituts für Medizinische Mikrobiologie und Hygiene, Universitätsklinikum Freiburg
  • Dr. Dagmar Heuer, Leiterin des Fachgebiets 19 – Sexuell übertragbare bakterielle Krankheitserreger, Robert Koch-Institut (RKI), Berlin und
    Dr. Sebastian Banhart, Stellvertretender Leiter des Fachgebiets 19 – Sexuell übertragbare bakterielle Krankheitserreger, Robert Koch-Institut (RKI), Berlin

Statements

PD Dr. Stefan Esser

Akademischer Direktor der Ambulanz für HIV, AIDS und Geschlechtskrankheiten (HPSTD-Ambulanz), Universitätsklinikum Essen (korrigiert am 13.08.2019, 16:15 Uhr)

„Der Impfstoff CTH522 wurde in einer doppelblinden, randomisierten Placebo-kontrollierten Phase I-Studie sowohl intranasal ohne Adjuvans (verstärken die Wirkung von Impfstoffen, Anm. d. Red.) als auch intramuskulär – entweder mit CAF01 oder mit Aluminiumhydroxid als Wirkverstärker – auf Verträglichkeit getestet. Abgesehen von Lokalreaktionen trat bei den Geimpften vermehrt Abgeschlagenheit auf. Sie sprachen auf die Impfung an, was auf zwei Wegen untersucht wurde: Einerseits haben die Forscher im Serum und an den nasalen und genitalen Schleimhäuten nach Impfstoff-induzierten neutralisierenden Antikörpern gesucht und andererseits getestet, ob Zellen des Immunsystems das Zytokin Interferon-Gamma freisetzen. Damit konnte gezeigt werden, dass die Impfung eine Antwort des Immunsystems hervorruft (Immunogenität), was jedoch noch nicht viel über die klinische Wirksamkeit und den effektiven Schutz gegen Infektionen mit Chlamydien aussagt.“

„Im nächsten Schritt muss eine wirksame Impfdosis gefunden und deren Verträglichkeit beurteilt werden. Phase II- und III-Studien sind noch teurer als Phase I-Studien. Somit muss sich ein geeigneter Sponsor zur Finanzierung der Weiterentwicklung bereit erklären.“

„Das Bakterium Chlamydia trachomatis (CT) der Serotypen D bis K gehört mit mehr als 130 Millionen Neuinfektionen jährlich zu den häufigsten bakteriellen sexuell übertragenen Infektionen (STI) weltweit. CT-Infektionen können asymptomatisch bleiben oder aber zum Teil schwerwiegende Erkrankungen und Unfruchtbarkeit verursachen. Gerade asymptomatische Infizierte können über Jahre hinweg weitere Personen infizieren. Ein rückläufiger Kondom-Gebrauch, steigende Promiskuität und vereinfachte Anbahnung von oft anonymen Sexualkontakten durch das Internet führen zu einem Anstieg von sexuell übertragbaren Infektionen. Trotz des inzwischen in Deutschland bei jungen Frauen eingeführten CT-Screenings lassen sich Infektionsketten bei STI wegen Scham und Angst vor Stigmatisierung nur schwer unterbrechen. Eine Impfung gegen diese Chlamydien würde entscheidend zur Eindämmung der Weiterverbreitung von CT beitragen.“

„CAF01 ist ein neues Adjuvans zur Potenzierung von Immunantworten. Der derzeitige Zulassungsstatus ist mir nicht bekannt.“

„Aufgrund der weiten Verbreitung sollten möglichst Jugendliche besonders Mädchen vor Beginn ihrer sexuellen Aktivitäten gegen Chlamydien geimpft werden. Möglicherweise begünstigt die intranasale Impfstoff-Applikation die Entwicklung von bestimmten Antikörpern (Immunglobulin A, IgA) auch im Genitoanaltrakt, die zusätzlich die lokale Abwehr gegen eine Ansteckung mit CT verbessern können.“

„Leider gibt es wenig Forschung im Bereich von sexuell übertragbaren Infektionen, obwohl diese für erhebliche gesundheitliche Probleme sorgen. Deshalb verdient die Impfstoff-Entwicklung von einer non-profit-Organisation des Gesundheitsministeriums von Dänemark höchste Anerkennung. Ähnliche Vorgehensweisen in Deutschland, Österreich und der Schweiz sind mir nicht bekannt.“

Prof. Dr. Georg Häcker

Ärztlicher Direktor des Instituts für Medizinische Mikrobiologie und Hygiene, Universitätsklinikum Freiburg

„Das Ergebnis dieser Studie ist sehr interessant und auch recht vielversprechend. Die Studie zeigt, dass Geimpfte eine Immunantwort gegen Chlamydien aufbauen können, und es gibt Hinweise darauf, dass diese Immunantwort Chlamydien blockieren kann. Es wurde allerdings noch nicht untersucht, ob der Impfstoff einen echten Impfschutz – also einen Schutz gegen eine echte Infektion – aufbaut: Das kann zwar vermutet, aber nicht sicher vorhergesehen werden.“

„Um einen echten Schutz beweisen zu können, müssen wesentlich größere und teurere Studien durchgeführt werden. Auch das Design solcher Studien wird nicht einfach sein. Im ersten Schritt wird versucht werden, einen Schutz gegen die akute Infektion zu messen – also, ob im täglichen Leben weniger Geimpfte als nicht Geimpfte durch Chlamydien infiziert werden. Falls dies – und das ist selbstverständlich noch nicht sicher – funktioniert, dann könnte man daran denken, den Impfstoff zuzulassen. Dazu sind aber noch mindestens zwei Studienphasen in steigender Größe und mit steigenden Kosten notwendig. Ein finanzstarker Geldgeber muss eingebunden sein, zum Beispiel ein großer Pharmakonzern oder eine große Stiftung. Das Wichtigste ist letztlich, ob die Impfung gegen Spätfolgen der Infektion schützt, die Jahre nach der Infektion auftreten. Dies wird man erst viele Jahre nach einer möglichen Einführung des Impfstoffs wissen. Falls alles optimal verläuft, könnte ein Impfstoff in vielleicht fünf bis zehn Jahren verfügbar sein.“

„Chlamydien-Infektionen sind ein sehr großes Problem. Wenn man in Deutschland eine Gruppe von jungen Erwachsenen ohne besondere Risiken untersucht, kann man Chlamydien bei etwa drei bis fünf Prozent nachweisen. Das große Problem der Infektion ist, dass sie bei Frauen in etwa drei Viertel der Fälle ohne Infektionszeichen verläuft und entsprechend nicht erkannt und nicht behandelt wird. Ohne Behandlung wird etwa ein Prozent der infizierten Frauen infertil, kann also auf natürlichem Wege keine Kinder mehr bekommen. Eine Antibiotikabehandlung wirkt im Allgemeinen gut gegen eine Infektion, aber natürlich nur, wenn sie erkannt und behandelt wird. Eine Impfung wäre hier die beste Lösung.“

„Der Wirkverstärker CAF01 besteht aus verschiedenen Lipiden (Fettstoffen) und hat mit verschiedenen experimentellen Impfstoffen eine gute Adjuvanswirkung gezeigt – das heißt, es verstärkt die Immunreaktion gegen den Impfstoff und dadurch die Impfwirkung.“

„Adjuvantien werden grundsätzlich nicht alleine, sondern nur in Verbindung mit bestimmten Impfstoffen zugelassen. Es müsste also genau dieser Impfstoff (Chlamydienprotein plus CAF01) zugelassen werden. Am häufigsten werden Impfstoffe in einem europäischen Verfahren durch die entsprechende Behörde in einem Land der EU zugelassen, und diese Zulassung wird durch die anderen EU-Staaten übernommen. Eine mögliche Zulassung in Dänemark könnte die Zulassung in Deutschland herbeiführen.“

„Die Risikogruppe für Chlamydien-Infektionen sind junge Erwachsene. Da das Bakterium Chlamydia trachomatis durch Geschlechtsverkehr übertragen wird, könnte man daran denken, ähnlich wie bei HPV (humane Papillomviren), Jugendliche vor dem ersten Verkehr zu impfen. Eine risikoadaptierte Impfung wäre auch denkbar.“

„Die Ergebnisse der Studie zeigen einen Effekt auf das Immunsystem – insbesondere nach intramuskulärer Injektion (so werden die meisten Impfstoffe verabreicht); dieser Weg wäre auch bei der fertigen Impfung der wahrscheinlichste. Chlamydien infizieren über die Schleimhäute des Genitaltrakts und Schleimhäute haben eine eigene Form der Immunität. Daher wurde in der Studie versucht, durch eine einfach zugängliche Schleimhaut (Nase) eine besondere, schleimhauspezifische Immunität aufzubauen. Es gab aber keinen Hinweis, dass das funktioniert hätte.“

Auf die Frage, wie es zu beurteilen ist, dass der Impfstoff von einer non-profit-Organisation entwickelt wird:
„Dies ist sicherlich Ausdruck der Bedeutung der Infektion für die öffentliche Gesundheit. Es scheint aber fraglich, ob die sehr viel aufwändigeren weiteren Studien von diesem Institut alleine getragen werden können. In Deutschland sind die entsprechenden Bundesinstitute (Robert Koch-Institut, Paul-Ehrlich-Institut) nicht ausgestattet, um solche Ansätze selbst zu verfolgen.“

Dr. Dagmar Heuer

Leiterin des Fachgebiets 19 – Sexuell übertragbare bakterielle Krankheitserreger, Robert Koch-Institut (RKI), Berlin und
Dr. Sebastian Banhart, Stellvertretender Leiter des Fachgebiets 19 – Sexuell übertragbare bakterielle Krankheitserreger, Robert Koch-Institut (RKI), Berlin

„Die Ergebnisse dieser Studie sind generell als positiv zu bewerten – insbesondere die gute Verträglichkeit des Impfstoffs und die verlässliche Induktion einer Immunantwort, letzteres vor allem im Falle der Impfstoffgabe zusammen mit dem Adjuvans CAF01. Des Weiteren beinhaltet das zur Immunisierung verwendete Immunogen (ein Antigen, das vom Immunsystem erkannt wird und eine Antwort auslösen kann; Anm. d. Red.) Bereiche des chlamydialen Proteins MOMP (major outer membrane protein, großes Protein auf der Oberfläche der Bakterien, das wichtig zum Andocken an Wirtszellen ist; Anm. d. Red.) aus den Chlamydien-Serovaren D, E, F und G und ist somit gegen die hauptsächlich verbreiteten Varianten gerichtet. Unklar ist bislang allerdings, inwiefern die Impfung tatsächlich die Anzahl von Immunzellen im infizierte Zervixgewebe erhöht.“

„Da in weiteren Studien noch Wirksamkeit, Therapiekonzept und -dosis überprüft werden müssen, ist derzeit noch nicht abzusehen, wann eine Impfung gegen C. trachomatis zur Verfügung stehen wird. Ein wichtiger Aspekt in diesem Zusammenhang ist auch die Sicherheit eines neuen Vakzins gegen genitale Chlamydien-Infektionen. Trotz der Chlamydien-bedingt hohen Krankheitslast (Morbidität) muss dem Aspekt der Sicherheit eines neuen Vakzins hohe Priorität eingeräumt werden.“

„Die Verfügbarkeit einer Impfung gegen Chlamydien wäre von großer Bedeutung für die Eindämmung der Infektion und damit die Senkung der Chlamydien-bedingten Morbidität, auch im deutschsprachigen Raum. Eine Einschätzung der Situation in Deutschland ist nicht ohne weiteres möglich, da keine Meldepflicht für Chlamydia trachomatis besteht. Eine Analyse von Daten aus der am Robert Koch-Institut durchgeführten KiGGS-Studie (Studie zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland) ergab Prävalenzen von 4,4 Prozent für sexuell aktive 17-Jährige, 4,5 Prozent für 18- bis 19-jährige Frauen und 4,9 Prozent für 25- bis 29-jährige [1] und damit insgesamt eine hohe Krankheitslast in den jüngeren Alterskohorten der Allgemeinbevölkerung in Deutschland.“

„Eine Impfung wäre – ähnlich wie beim humanen Papillomvirus (HPV) – für Mädchen und Jungen vor dem ersten Sexualkontakt sinnvoll. Auch für Risikogruppen könnte eine Impfung sinnvoll sein. Die beschriebene intramuskuläre Applikation des Impfstoffs mit einer daran anschließenden intranasalen Booster-Gabe wäre umsetzbar. Eine intranasale Gabe des Impfstoffs, in diesem Fall als Booster, induziert vor allem die Produktion von spezifischen IgA-Antikörpern und stimuliert die Immunität in der Schleimhaut des Nasenraums, aber auch im Genitaltrakt. Das Immunsystem der Schleimhäute spielt eine große Rolle bei der Erregerabwehr. Dessen Aktivierung könnte eine frühzeitige Abwehr einer Chlamydien-Infektionen ermöglichen.“

Auf die Frage, wie es zu beurteilen ist, dass der Impfstoff von einer non-profit-Organisation entwickelt wird und, ob es vergleichbare Projekt ein deutschsprachigen Ländern gibt:
„Unserer Kenntnis nach gibt es im deutschsprachigen Raum keine ähnlichen Vorhaben.“

Angaben zu möglichen Interessenkonflikten

Dr. Stefan Esser: „Ich sehe meinerseits in Bezug auf die Impfstoffentwicklung von CTH522 keine Interessenskonflikte. Ich bin im Vorstand von DAIG und DSTIG.“

Dr. Dagmar Heuer und Dr. Sebastian Banhart: „Die Autoren erklären, dass zu den Inhalten der Stellungnahme keine Interessenkonflikte vorliegen.“

Alle anderen: Keine Angaben erhalten.

Primärquelle

Abraham S et al. (2019): Safety and immunogenicity of the chlamydia vaccine candidate CTH522 adjuvanted with CAF01 liposomes or aluminium hydroxide: a first-in-human, randomised, double-blind, placebo-controlled, phase 1 trial. Lancet Infectious Diseases. DOI: 10.1016/S1473-3099(19)30279-8.

Literaturstellen, die von den Experten zitiert wurden 

[1] Desai S et al. (2011): Prevalence of Chlamydia trachomatis among young German adolescents, 2005-06. Sex Health; 8 (1): 120.122. DOI: 10.1071/SH10036.

Literaturstellen, die vom SMC zitiert wurden

[I] European Centre for Disease Prevention and Control (2019): Chlamydia infection. Annual Epidemiological Report for 2017.

[II] World Health Organization (2016): WHO Guidelines for the Treatment of Chlamydia trachomatis.

[III] Science Media Center Germany (2017): Arzneimittel: Von der Entwicklung bis zur Zulassung. Fact Sheet. Stand: 02.12.2017.

Weitere Recherchequellen

European Centre for Disease Prevention and Control (2016): Guidance on chlamydia control in Europe – 2015.

Knudsen NPH et al. (2016): Different human vaccine adjuvants promote distinct antigen-independent immunological signatures tailored to different pathogens. Scientific Reports; 6, 19570. DOI: 10.1038/srep19570.